Wege zu finden, um den aus dem aktiven Dienst ausgeschiedenen Offizieren, so lange sie noch in leistungsfähiger Manneskraft stehen, die Möglichkeit einerweiteren, militärisch-beruflichen, befriedigenden, ökonomisch gesicherten Stellung zu bieten, so daß sie nicht in einem Alter beseitigt werden, in welchem sich bei uns sonst kein gesunder Beamter oder Geschäftsmann zur Ruhe setzt.
* (Verschiedenes.) In Ebingen hat sich Sattler Hauser erschossen. Derselbe war schwermütig und hinterläßt eine Witwe und 7 Kinder. — Das kaiserliche Artillerie-Depot erließ kürzlich eine Bekanntmachung, nach welcher dasselbe auf 1. April 20 Arbeiter zur Instandhaltung des Artilleriematerials bei einem Taglohn von Mk. 2.20—2.50 suchte. Hierauf haben sich nicht weniger als 268 Bewerber gemeldet. — Als am letzten Donnerstag 2 Mitglieder des Militärvereins in Urach das den Winter über bedeckte Kaiser Wilhelm- und Kaiser Friedrich-Denkmal enthüllten, wurde die Entdeckung gemacht, daß die eiserne Gedenktafel schwer und gcwaltsamerweise beschädigt war. — In Ludwigsburg wurde ein Mann vom Zugpersonal vom Eisenbahnzuge herabgeschleudert, wodurch er unter die Räder geriet. Beide Beine wurden überfahren und müssen amputiert werden. — Die seit dem 17. März vermißte l 6 Jahre alte AnnaRuf vonEßlingen wurde oberhalb der Bäuerischen Kunstmühle tot aus dem Kanal gezogen. — In Reichenbach legte eine Frau ihr 3 Monate altes Kind zu zu sich ins Bett. Sie fand dasselbe am andern Morgen erstickt unter der Decke vor.
* München, 8. April. Der Reichskanzler hat die Einfuhr lebender Schweine aus Oestcr- reich-Ungarn nach den Zentral-Viehhöfen von München und Nürnberg unter strengster tierärztlicher Kontrolle genehmigt.
* (Militärvereine und Sozialdemokraten.) Aus Dresden, 6. April, wird geschrieben: Die sächsischen Militärvereine Gablenz I, Ober- hermersdorf, Niederhermersdorf und Borna waren seitens des Präsidiums des Sächsischen Militärvereins - Bundes aufgefordert worden, eine größere Anzahl Mitglieder, welche sich an der Förderung sozialdemokratischer Bestrebungen beteiligt hatten, der Mitgliedschaft verlustig zu erklären. Dieser Weisung ist entweder gar nicht oder nur teilweise Folge gegeben worden, weshalb die Ausstoßung der vorgenannten vier Militärvereine aus dem unter dem Protektorate des Königs Albert stehenden MMärvereins- Bunde erfolgte. Das kgl. Ministerium des Innern hat hierauf bekannt gegeben, daß diesen vier Vereinen auch das allerhöchste Protektorat entzogen worden, daß das in deren Vereinsfahnen geführte königlich sächsische Wappen aus denselben zu entfernen ist, etwaige von dem König verliehene Fahnengeschenke zurückzufordern und die betreffenden Vereine des Rechtes zur Führung der Gewehre und der Ver
anstaltung von Reveillen an den Geburtstagen des Kaisers und des Königs von Sachsen verlustig gegangen sind.
* Leipzig. In Stötteritz wurde dieser Tage ein 35jähriger Schuhmacher verhaftet, weil er seine Kinder, ein Mädchen von 11 und einen Knaben von 5 Jahren, derart vernachlässigt hatte, daß dieselben wegen nicht genügender Ernährung dem Hungertode nahe waren. Die Tochter hatte schon seit mehreren Tagen wegen allgemeiner Entkräftung die Schule nicht besuchen können. Beide Kinder waren in Lumpen gehüllt und voll Ungeziefers. In der Nachbarschaft der Wohnung der unglücklichen Wesen war dies aufgefallen und war der Arzt von diesem Umstande in Kenntnis gesetzt worden. Das Mädchen ist im städtischen Krankenhause, der Knabe anderweit untergebracht worden. Der Vater ist ein gesunder, kräftiger, aber arbeitsscheuer Mensch.
* Berlin, 5. April. Ungeheures Aufsehen erregt eine heute Abend veröffentlichte kaiserliche Kabinetsordre, welche die Mängel des lückenhaften Ersatzes im Offiziercorps, namentlich der Infanterie und der Artillerie, zum Gegenstand einer hochernsten Betrachtung macht und zur Beseitigung desselben die Abstellung des in den Offizierkreisen herrschenden Luxus fordert. Der Kaiser bestimmt, daß sich in Zukunft die Kreise der Ergänzung des Offizierkorps nicht allein auf den Geburtsadel beschränken, sondern auf den Adel der Gesinnung erweitert werden und daß auch Söhne ehrenwerter bürgerlicher Häuser, in welchen die Liebe zu König und Vaterland, die Neigung zum Soldatenstande und eine christliche Gesinnung gepflegt werden, nicht allein Söhne von Adeligen, Offizieren und Beamten, zum Offizierstande herangezogen werden sollen. Seine entschiedene Mißbilligung spricht der Kaiser darüber aus, daß einzelne Kommandeure den Eintritt in das Offizierkorps von zu hohen Anforderungen an die pekuniäre Zulage aus Privatmitteln abhängig machen. Er bestimmt, daß für die Offiziere der Infanterie, der Jäger, der Fußartillerie und der Pioniere fortan eine monatliche Privatzulage von 45 Mk. zu fordern sei; die Zulage bei den Offizieren der Feldartillerie wird auf 75 Mk., bei der Kavallerie auf 150 Mark monatlich festgesetzt. Uebertriebene Ansprüche in dieser Beziehung seien geeignet, das Ansehen des Offizierkorps zu beeinträchtigen. Der Kaiser erklärt, er schätze besonders diejenigen Regimenter hoch, welche sich mit geringen Mitteln einzurichten und dennoch ihre Pflicht zu erfüllen wüßten. Heutzutage komme es darauf an, Charaklere zu erwecken und großzuziehen, die Selbstverleugnung bei den Offizieren zu heben. Sein eigenes Beispiel müsse hierzu in erster Linie Mitwirken. Den Kommandeuren macht es der Kaiser zur strengen Pflicht, dem Luxus mit kostspieligen Geschenken, den häufigen Festessen u. s. w. nachdrücklich zu steuern. Nach des Kaisers Willen sind zum Repräsentieren nur die kommandierenden Generale verpflichtet;
es dürfe nicht Vorkommen, daß gutgediente Stabsoffiziere sorgenvoll Geldopfern entgegensähen, die mit der etwaigen Beförderung zu Regimentskommandeuren ihrer vermeintlich warteten. Der Kaiser will nicht nur, daß ihm persönlich die Offizieraspirantenlisten vorgelegt werden, sondern es sollen ihm auch diejenigen Offiziere namhaft gemacht werden, welche den auf Vereinfachung des Lebens gerichteten Einwirkungen ihrer Vorgesetzten nicht entsprechen. Der Kaiser erklärt in der Ordre, er werde die Kommandeure wesentlich auch danach beurteilen, ob es ihnen gelinge, den geeigneten Nachwuchs an Offizieren heranzuziehen und das Leben im Offizierkorps einfach und wenig kostspielig zu gestalten. Dem lleberhandnehmen des Luxus in Offizierkreisen müsse mit allem Ernst und Nachdruck entgegengetreten werden. Die Kabinetsordre ist heute Abend der ausschließliche Gegenstand des Gespräches in allen Kreisen, in allen öffentlichen Lokalen. Der Eindruck ist ein außerordentlich tiefer. Jedermann empfindet den hohen Ernst, das strenge Pflichtgefühl, welches der kaiserliche Erlaß atmet. Man nimmt wohl nicht mit Unrecht an, daß der Inhalt der jetzt veröffentlichten Kabinetsordre einen wesentlichen Gegenstand der Beratungen bei der jüngsten Konferenz der Corpskommandeure mit dem Kaiser gebildet hat, denn es wird nachträglich bekannt, daß sich der Kaiser gegen einzelne kommandierende Generale bei jener Konferenz mit besonderer Schärfe über den Luxus geäußert hat, der bei dem Offizierkorps verschiedener Regimenter zur Gewohnheit geworden sei. Mit großer Befriedigung wird allgemein die kaiserliche Ordre ausgenommen.
* Gerüchtweise verlautet, daß im Zusammenhang mit der gestrigen Kabinetsordre des Königs mehrere in den Kreisen des Unionklubs bekannte Offiziere ihre Entlassung nachgesucht haben. Man nennt unter Andern Prinz Egon von Fürstenberg, Graf Sicrstorpff, Graf Bismarck, Herrn von Podbielski. Wir geben diese Nachricht und diese Namen nur unter aller Reserve, schreibt das „Berliner Tagbl."
* Berlin, 5. April. Die Zarenfamilie verläßt Gatschina wegen Entdeckung von Explosivstoffen im Park, obwohl der Zar seit Donnerstag bettlägerig ist. Die Aerzte geben sein Leiden für Rückfall von Influenza aus.
* Berlin, 8. April. Der „Reichsanzeiger" veröffentlicht eine kaiserliche Kabinetsordre, welche den Reichstag auf den 6. Mai einberuft.
* Der Rücktritt des Fürsten Bismarck wird mehr und mehr zum Mittelpunkte einer förmlichen Legendenbildung. Durch fast die ganze Presse laufen Nachrichten, deren ständiger Referaiu lautet: Fürst Bismarck ist nicht freiwillig, nicht einmal gutwillig gegangen, er ist gestürzt worden. Trotz der mancherlei Unrichtigkeiten und Un- wahrscheinlichkciten, welche in den bezüglichen Meldungen sich vorfinden, scheint in ihnen doch ein Korn Wahrheit zu stecken. Erwünscht wäre
Auf Irrwegen.
Original-Novelle von Claire Gerhard.
(Fortsetzung.)
Eine weiche Altstimme sang das Mendelsohn'sche Lied: „Es ist bestimmt in Gottes Rat" und schwermütige Gedanken erfüllten dabei Noras Seele. Sie wurde aufgeschrcckt durch einen Ausruf des Obersten, und aufblickend, sah sie sein gutes, freundliches Gesicht mit förmlich entsetztem Ausdrucke an den Zeilen eines großen Badejournals hängen.
„Was ist Ihnen, lieber Oberst?" fragt Nora sanft.
„Eine schreckliche Nachricht lese ich da eben, Elfchen. Denken Sie sich, das Badejournal berichtet soeben aus Monte Carlo, daß sich die schöne Spielhexe selbst den Tod gegeben, nachdem ihr Liebhaber, jener windige Franzose, mit den Resten ihres fast verspielten Vermögens durchgebrannt ist."
„Eine schreckliche Nemesis", seufzte die Freifrau, „aber erzählt die Zeitung nichts Näheres von dem Tode der Unglücklichen?"
„Doch, doch," antwortete der Oberst, sich bemühend, die verräterischen Thränen, die ihm in den eisgrauen Bart rannen, fortzuwischen. „Die schöne Frau hatte am Morgen das Verschwinden des Franzosen bemerkt; sie muß ihn wohl geliebt haben, denn der Korrespondent schreibt, sie sei halb wahnsinnig gewesen bei der Entdeckung. Der Schurke hatte fast all ihr bares Geld und ihren reichen Schmuck gestohlen, doch die Arme war nicht zu bewegen, ihn gerichtlich verfolgen zu lassen. Sie erschien nach einigen Stunden bleich, aber gefaßt an der Spielbank, verlor ihr letztes Röllchen Gold und feuerte im selben Moment eine blitzschnell hervorgeholte Pistole auf sich ab. Leider war sie nicht sofort tot, sondern hat noch bis zum Abend unter den größten Qualen fortgelebt."
„Armes beklagenswertes Weib", murmelte Nora. „Wie hieß die Unglückliche?"
„Sylvia von Brodinska."
Ein doppelstimmiger Schrei ließ den Oberst erschreckt aufspringeu; die Freifrau sammelte sich jedoch schnell und erklärte dem Freunde m kurzen Worten, daß ihnen Sylvia sogar nahe gestanden. Nora saß mit aschbleichem Antlitz da, und als man sie nach Hause gebracht, wurde sie von einem so heftigen Herzkrampf befallen, daß d>e armen Eltern in Todesangst ihr Lager umstanden, bis sie sich endlich mühsam erholte.
XV.
Wenige Tage danach erhielt Nora einen mit vielen Poststempeln versehenen Brief. Er kam aus Monte Carlo, war über Dernburg- hausen nach Berlin gegangen und von dort endlich nach Pyrmont gesandt. Mit zitternden Händen öffnete das junge Mädchen das Kouvert und las:
„Eine zu Tode Getroffene kann nicht sterben, ehe sie ihre Seele von dem Bekenntnisse schwerer Schuld entlastet. Bald ist es aus mit mir, glauben ist lange in mir schlafen gegangen — und es ist gut so! Ich habe viel gesündigt, und wehe, wenn jetzt die Vergeltung käme! Der Priester mahnt, ich soll bereuen, was ich verbrach, und verzeihen denen, die mich beleidigt. Nein, nein, ich kann's nicht; ich lernte früh einsehen, wie schlecht und verderbt die Menschheit ist, und es bereitete mir eine dämonische Freude, mit ihr zu spielen. Die Männer waren wie Marionetten in meiner Hand, heißa, wie lustig sie tanzten, wenn ich befahl! Nur einen Hab ich geliebt, nur dich, Anatole, und du, du hast mich betrogen! Und daran sterb ich! Bereuen will ich nicht, nein, was ich gefehlt, das habe ich heute reichlich gebüßt. Nur eine Thal