* Berlin, 4. Novbr. Eine wundersame Wandlung, die sich in den englisch-russischen Beziehungen anzubahnen beginnt, trifft anscheinend die Kabinette von Berlin und Wien ganz unvorbereitet. Während in hiesigen politischen Kreisen mit großer Bestimmtheit wiederholt versichert wird, daß der bulgarischen Regentschaft nicht empfohlen worden sei, sich Rußland bedingungslos zu unterwerfen, stellt sich jetzt heraus, daß ein solcher perfider Rat allerdings von England gegeben worden ist. Das britische Kabinett bereitet eine fast unglaubliche und jedenfalls beispiellose Frontveränderung vor, indem es, um sich die russischen Angriffe auf seine egyptische Politik vom Leibe zu halten, Bulgarien dem Zaren treulos vor die Füße wirft. Es ist das ein so schamloses Verhalten, daß man sich nur mit der Hoffnung trösten kann, dieser brutale Egoismus, der schließlich doch nur von tnn Händen in den Mund lebt, werde seine sittliche Sühne in absehbarer Frist finden. Wenn England in solcher Weise allen Traditionen seiner Ortenipolitik ins Gesicht schlägt, dann hat Fürst Bismarck allerdings Recht gehabt, als er schon nach dem Staatsstreich vom 21. August durch seine Offiziösen erklären ließ, Großbritanien sei aus der aktiven Politik ausgeschieden.
* Der Reichskanzler soll den bekannten Börsenfürsten Bleichröder nach Varzin haben rufen lassen, um mit demselben über geeignete Mittel zu konferieren, wie das Ausleihen deutschen Kapitals an das Ausländ möglichst eingeschränkt werden könne. Die ewigen Zinsreduktionen der Staaten und Städte Deutschlands tragen daran einen großen Teil der Schuld, daß das Kapital sich dem Auslande zuwendet. Bei letzterer ist aber eine große Gefahr; in deutschen Händen befinden sich z. B. für mindestens 1500 wahrscheinlich aber für 2000 oder noch mehr Millionen russischer Staatspapiere und Rußland treibt unaufhaltsam dem finanziellen Bankerott zu. Wenn es nur nicht bei den angeblich beabsichtigten Maßnahmen zur Sicherung des deutschen Kapitals vor Verlusten im Auslande so geht, wie mit dem bekannten Stall dessen Thüre verriegelt wurde, als die Kuh gestohlen war.
* Berlin, 6. Nov. Dem Bundesrat ist der angekündigte Gesetzentwurf über die Abänderung des Gertchtskostengesetzes zugegangcn. Die Herabsetzung der Höhe der Prozeßkosten soll hauptsächlich durch Ermäßigung der Rechts- anwaltsgebühren erreicht werden.
* Berlin, 6. Nov. Die Kreuzztg. führt aus, die Unmöglichkeit, Frankreich mit England zu einer zielbewußten orientalischen Politik zu bringen, lasse eine durchgreifende Aktion in Bulgarien nicht zu und begünstige Rußlands Pläne, gegen das Mittelmeer vorzudringen.
* Berlin. Die „Straßburger Post* schließt einen längeren Artikel über die soeben erschienene Schrift: „Der nächste deutsch- französische Krieg* (militär-politische Studie von Oberstlicutenant C. Kcttschau) mit folgenden
treffenden Sätzen: So glänzend die Bewilligungen der französischen Volksvertretung auch gewesen sind, mit der Zeit wird das Geld in Frankreich doch knapp. Der Krieg von 1870/71 hat unerhörte Summen gekostet und die Unter- nehmungen in Afrika und Asten sind gleichfalls teuer gewesen. Bet der ungeheuren Höhe der französischen Staatsschuld von dreißig Milliarden Franken kann daher die Verzinsung nur durch neue Anleihe gedeckt werden, so oft die wirtschaftlichen Verhältnisse darniederliegea. Und das ist jetzt der Fall. Wir Deutsche werden freilich auch dafür verantwortlich gemacht. Wenn das widerliche Revanchegeschrei, die Spionenfurcht und dergleichen endlich auch die deutschen Frauen darauf aufmerksam gemacht haben wird, daß man die sogenannten „Pariser Artikel* auch in Deutschland ferttgt, wird die verminderte Einnahme Frankreichs nicht der eigener Schuld sondern der boshaften deutschen Rasse zugeschrieben werden. Für einen Krieg jedoch gegen die Rasse, „die man umsomehr hassen muß, je weniger man dem einzelnen vorwerfen kann*, wird immer Geld da sein, meint der Verfasser des „Nächsten Krieges*. Schon recht. Aber daß das ein Jammervolk ist, welches sich allmählich an den Bettelstab rüstet und dann die letzte Million für einen thörichten aussichtslosen Krieg auf hebt, unterliegt wohl keinem Zweifel. Und Frankreich ist schon sehr arm geworden. Aber „seinen Krieg* will es doch haben.
* Von den Zuständen des jetzigen franzö fischen Heeres bringt die Bosstsche Zeitung eine im wesentlichen den Thatsachen entsprechende Schilderung, welche für uns ja ganz tröstlich ist, wobei wir jedoch die Warnung nicht unterdrücken können, daß man den Gegner — wir dürfen den Ausdruck in diesem Zusammenhänge ja gebrauchen, da die französische Heeresleitung sich bei ihren Maßnahmen lediglich von dem Gedanken leiten läßt, das Uebergewicht über die deutsche Heeresmacht zu gewinnen — niemals unterschätzen soll. Nach einem Ueberblick über die neuen Reformen wird hervorgehoben, daß das französische Heer eine tiefgehende Umwandlung erfahren hat, daß es aus einem Berufsheere ein Volksheer geworden ist, daß aber die Umwandlung noch weit entfernt ist, in Fleisch und Blut, in die Anschauungen und Gewohnheiten des Volkes übergegangen zu sein. Und es dürfte noch einige Jahrzehnte dauern, ehe dies der Fall sein wird. Darin liegt die Schwäche der zeitigen Kriegsmacht Frankreichs. Die Re- servisten und Landwehrmänner, welche im Kriegsfälle bis zu drei Vierteln das Heer bilden werden, sind noch weniger kriegslustig als 1870. Nur bet der Verteidigung des eigenen Bodens dürften sie sich etwas besser bewähren. Es ist eine nicht wegzuleugnende Thatsache, daß seit Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht in Frankreich der militärische Geist nicht zu-, sondern eher abgenommen hat. Der erste Beweis
dafür besteht darin, daß es fast keine alten
Kanswurst. (Nachdruck verboten.) Eine Theaternovelle von Karl Glabisch.
rechten Stelle. Freund.*
(Fortsetzung.)
„Wie ich meine*, fuhr ohne Unterbrechung der Anwalt fort, „darfst du jetzt am allerwenigsten dich erkennen lassen, oder es gibt ein Unglück.* „Sie kennt mich nicht. Dazu sind ihre Lebensgeister vorläufig noch zu schwach*, bemerkte ein wenig sich wieder aufraffeud, Wtlborn. „Vorläufig? Ja also — hast du Hoffnung?*
„Einige. O Freund, wenn ich sie retten könntet*
„Wenn du's könntest — freilich wäre dies die vollwiegendste Sühne deiner Schuld. Ein Glück, daß du Arzt bist —*
„Ja,* wären meine Tage hier nicht gezählt. Die leidige Pflicht, die mich durchaus zmückruft! Indes — du bleibst ja hier. Du wirst auf die klügste Art wissen, dem Arzt, welchem nach wie vor, wieder die Behandlung der teuren Kranken obliegen wird, mein Interesse e'.nzu- flößen. Ich selbst*, fuhr er mit fieberndem Eifer jetzt, aufspringend, wie au diesen einen Trostgedanken, den letzten, sich mit Macht anklammernd, fort, „ich selbst rede noch mit Trendies; er wird einverstanden mit mir fein, daß die Kranke irgendwohin aufs Land, in stärkende Luft gebracht werde. Dazu haben die Armen sicher die Mittel nicht; ich lege aber, ehe ich abreise, eine Summe in deine Hände, und du, mcht wahr, übernimmst die Verwendung, geschickt, zart, daß ihr Ehrgefühl nicht verletzt werde, wo es nicht reicht, lege aus, ich erstatte es dir — willst du?* „Ja doch, mit tausend Freuden*, rief der Wackere und schlug herzlich in die dargebotene Hand. „Gott möge das übrige thun. Ww wollen es hoffen. Hat er doch diese Lösung schon über dich gebracht, wer weiß? — Unverzagt vor allem. Kopf und Herz wieder auf der
Unteroffiziere, geschweige alte Soldaten mehr giebt. Zu der Unlust tragen die Einjährig- Freiwilligen bei. Das Beispiel ihres Widerwillens gegen den Kriegsdienst wirkt ansteckend. Noch viel schlimmer wtrkc die,herrschende Günstlingswirtschaft. Wer einen Gönner besitzt, braucht gar nicht zu dienen oder bringt die meiste Zeit auf Urlaub za. Es ist gar nichts Ungewöhnliches, daß der Militärpflichtige bei der Musterung einen Brief überreicht, worauf ihn der Arzt sofort für untauglich erklärt. In Frankreich ist aber das Klafsentum tiefer eingewurzelt als irgendwo. Aus allen diesen Gründen werden dis inneren Zustände des französischen Heeres fortan noch schlechter sein als unter dem Kaiserreich, wo noch ein ordentlicher Korpsgeist vorhanden war, der jetzt gar nicht mehr aufkommen kann. „Es fehlt,* heißt es zum Schluß, „dem neuen französischen Heere an dem festen Gefüge, an dem inneren Zusammenhalt, dem einmütigen Bewußtsein. Deshalb äußerte noch kürzlich ein Franzose, welcher durch seine Stellung die Zustände aus langjähriger Erfahrung kennt: „Das französische Heer wird beim ersten Stoß in Brüchs gehen.* Das Wort ist hart, vielleicht zu hart, aber es liegt unzweifelhaft Wahrheit darin. Der Kriegsminister Boulanger wird dagegen am wenigsten vermögen, indem unter ihm nicht auf Abstellung der angedeuteten Mißstände zu rechnen ist. An tüchtigen, eifrigen Offizieren fehlt es am wenigsten, aber es sind gleich zu viele unberechtigte, vielfach politische Einflüsse bet deren Beförderung und besonders bei der Besetzung der wichtigsten stellen im Spiele.
* Aus Luckenwalde (Reg.-Bez. Potsdam) wird gemeldet: Die Kunde von einem Gatten« und Vatermorde durcheilt heute unsere Stadt. Seit dem 2. Aug. d. I. wurde hier ein Arbeiter vermißt, der, wie seine Angehörigen aussagten, von Hause fortgegangen und nicht zurückgekehrt ist. Jetzt hat ein zum Militär ausgehobener Sohn des Vermißten, von Gewissensbissen gefoltert, sich dem Gerichr gestellt und das Geständnis abgelegt, daß er mit seiner Mutter den Vater ermordet und auf einem Ackerstücke verscharrt habe. Die vorgenommene Ausgrabung hat die Angaben des Verbrechers bestätigt. Selbstverständlich wurden beide sofort verhaftet.
Ausland.
* Wien, 3. Nov. In Preßburg explodierte eine Dynamitfabrik; 4 Arbeiter sind tot, 5 schwer verletzt.
* Wien, 5. Novbr. Gestern abend wurde auf offener Straße der hiesige Buchdrucker Schloß- berg ermordet. Dem Mörder gelang es, zu entkommen.
* Wien, 5. Novbr. Die gestrigen Reden des Delegattonsprästdenten besprechend, sagt die „Presse*: Die Kundgebung Smolka's sei als Warnung im Interesse des Friedens aufzufafsen. Der Gedanke an eins unmittelbar bevorstehende Aktion sei ausgeschlossen; Redner habe im Hinblick auf die Schwierigkeiten des Momentes der
Das andere ist seine Sache. Und nun gute Nacht, „Gute Nacht.*
Sie reichten sich noch einmal die Hände, für heute zum Abschied.
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Es ist Freitag abend. Schon sind die Kerzen des Kronleuchters im Theatersaal angezündet. Am Guckloch des Vorhanges steht mit klopfendem Herzen der Benefiziant und mustert den Zuschauerraum unten, — er ist noch sehr leer. Einzelne kommen noch, aber es soll anfangen, der Inspizient gibt schon das Zeichen zur Musik. Wird's denn nicht mehr ? O Gott! Darum die Anstrengung, das Kopfzerbrechen und Rennen, die teuren Annoncen eine Woche lang? Armer Teufel! Und nun sollst du auch noch vergnügt springen, Possen reißen, ein Bencfizianten«Lächelu zur Schau tragen für dreißig, vierzig Leute, wenn's hoch kommt. Kaum werden die Kosten gedeckt sein. Ist denn kein Mitleid bet den Menschen! Müssen sie auch heute ihre Philisterwege gehen, ins Wirtshaus, ins Freie — unbekümmert ums Schauspiel? Lockt sie denn das Benefiz nicht einmal? Ihres Lieblings Benefiz? Sonst haben sie ihm zuge- jubelt, wie viele heitere Stunden sind sie ihm schuldig! Nun, da es zum Wiederbezahlen kommt, nun die Gelegenheit wäre ihm zu danken, da kehrten sie ihm allesamt den Rücken, va kümmerte sich keiner um den Darbenden, den daheim finstere Sorgen umlagern, dem das Weib krank, jr im Sterben liegt, — o grausam, hartherzig Volk! Still,
Hanswurst-willst du aus deiner Rolle fallen? —
Der Inspizient läutet, die Pauke im Orchester wirbelt — Schluß der Ouvertüre — der Vorhang hebt sich — ein Ritoruell unten beginnt — hinter den Koulissen ein Jodler — Petermann-Heymann Levy hüpft auf die Szene.