* Als Kuriosum wird dem „L.-A." aus Bu r g bei Magdeburg mitgeteilt, daß vor einigen Wochen daselbst der Schneider Tomatschek, der dort lange Jahre unter dem Namen Müller gelebt und sich als Flickschneider ernährt hat, nun im Alter von 82 Jahren wirklich gestorben ist, nachdem er längst der Vergessenheit anheim- gefallen war. Sein erstes Begräbnis in Berlin, vor etwa 35 Jahren, machte der Nebenumstände halber ungeheures Aussehen, und die tragikomische Geschichte ging durch die Zeitungen fast aller Sprachen. Es waren zwei Brüder, Wilhelm und August, die in Berlin die Schneiderei in ziemlich ausgedehnter Weise betrieben. Wilhelm, der ältere, hatte sein Leben zu Gunsten seines Bruders bei einer Lebensversicherungs - Gesellschaft mit 10,000 Thaler versichert. Ein ganzes Jahr wurde die Prämie auch pünktlich bezahlt. Da wurde der Versicherte plötzlich krank. Der Hausarzt der Brüder kam täglich mehreremale vorgefahren und machte ein immer bedenklicheres Gesicht. Zugelaffen zum Kranken wurde Niemand, denn die Krankheit sollte ansteckend sein. Nach sechs Wochen etwa hieß es, Bruder Wilhelm sei tot. Der Hausarzt stellte den Totenschein aus und Wilhelm Tomatschek wurde begraben. Einen Tag zuvor war ein Abgesandter der Versicherungsgesellschaft im Trauerhaus, um sich die Leiche anzusehen; doch der Sarg war schon geschloffen, denn die Leiche hatte einen so fauligen Geruch, daß das kleine Leicheoge- folge fast ohnmächtig wurde. Die Verstcherungs summe wurde dem überlebenden Bruder ohne Weiteres ausgezahlt und damit waren die Akten über Tomatschek geschloffen. Ein Jahr später meldete sich ein Berliner Tuchhändler beim Polizeipräsidenten und erklärte Folgenges: „Ich war mit zum Begräbnis des Schneiders Tomat- schek. Jahre lang habe ich mit ihm in Geschäftsverbindung gestanden und kannte ihn wie mich selbst. Vor einigen Wochen war ich in Kopenhagen. Da begegnete mir auf der Straße der Begrabene, wie er leibt und lebt, namentlich macht ihn eine rote Narbe quer über der Nase unverkennbar. Ueberrascht rufe ich ihn an: Tomatschek! Im ersten Augenblick war er wie versteinert: doch bald ermannte er sich und sagte: Sie irren, mein Herr; ich heiße Danske; dann ging er eilig weiter. Ich beantrage, Herr Präsident, den betr. Sarg auf meine Kosten ausgraben zu lassen und den Inhalt zu untersuchen." Dem Wunsche wurde nachgegeben und der Sarg in aller Stille aus der Gruft geholt. Als man den Deckel vom Sarge abhob, was fand man? Ein mit Rinderdärmen dick umwickeltes Bügelbrett. Vierzehn Tage später saß der angebliche Kopenhager Danske mit Bruder August in der Stadtvoigtei. Der Arzt, der um den Betrug wußte und der den Totenschein für 500 Thaler ausgestellt hatte, mußte den Dritten zum Bunde — im Zuchthause — machen. Die Fra« des Totengräbers, welche bet Oeffnung des Sarges zugegen war, schlug, als sie das Bügelbrett nebst Zubehör sah, die
Hände über dem Kopf zusammen und rief erstaunt: „Jott, wie kann sich der Mensch verändern!"
* Die Ausweisungen russischer Staatsangehöriger aus Preußen nehmen in immer höherem Maße die Aufmerksamkeit in Anspruch. AuS Golub an der polnischen Grenze meldet die Gaz. Tor., daß dort der Transport der Aus- gewiesene» über die Grenze vom 15. bis zum 28. d. M. angedauert habe. An letzterem Tage erklärte der Direktor der russischen Kammer in Dobrzyn (Golub gegenüber an der Drewenz), die Kammer werde weiter keine Ausgewiesenen zulafsen, bis sie nicht einen Befehl der russischen Regierung dazu erhalte. Ferner wird aus Gr. Lemk im Kreise Nejdenburg der Gaz. Tor. berichtet, daß fast täglich die dortigen Gendarmen polnische Ausgewiesene über die Grenze führen und in die Hände der russischen Behörde liefern. Häufig stößt der die Ausweisung vollziehende Gendarm auf Schwierigkeiten. Die Männer verlassen den preußischen Boden meist gutwillig, aber deren Frauen, namentlich wenn sie deutscher Abstammung sind, wollen nicht so ohne weiteres mitziehen.
* (Einbruch.) In Altomünster wurde die Sparkasse des Kaufmanns Arzberger erbrochen und eine Summe von 15 000 M. gestohlen. Hiervon wurde in einem Walde der Betrag von 9000 Mark in Obligationen, welche die Diebe wahrscheinlich weggeworfen, wieder aufgefunden.
* In Gera ertränkte sich im sogenannten Erdwall ein Ltebespar, von dem das Mädchen, eine junge Näherin, kaum 16 Jahre alt war. Der Jüngling, Sohn eines Maurermeisters, ist 17 Jahre alt.
Ausland.
* Gastein. 3. Aug. Kaiser Wilhelm machte heute vormittag mit dem Grafe» Lehn- dorff einen Spaziergang. Beim Verlassen des Badeschloffes begrüßte der Kaiser den gestern abend angelangten russischen Militärbevollmächtigten Fürsten Dolgorucki, welcher nur zwei Tage hier bleibt. Der Fürst begleitete den Kaiser während des ganzen Spaziergangs; der Kaiser führte eine lebhafte Unterhaltung in französischer Sprache. Zur Tafel sind Fürst Dolgorucki und der Kriegsminister Generallteute- nant Bronsart v. Schellendorf geladen.
* Ischl, 2. Aug. Die gleichzeitige Anwesenheit KalnockyS und Taaffes am kaiserlichen Hoflager galt den Besprechungen über das handelspolitische Verhältnis zu Deutschland. Die Ungarn agitieren offen für den Zollbund. Beide Minister kehrten beute nach Wien zurück.
* Brüssel, 3. Aug. Infolge der heftigen Angriffe des republikanischen Blattes „National Belge," welches den König beschuldigte, in die Londoner Skandale verwickelt zu sein, erschiene«, wie der „Münch. Allg. Ztg." berichtet wird, 16 ausgediente Kürassiere im Redakctonslokal und forderten Genugthuung für die Beleidigung
gen Betrag zurückzuerstatten, um den die Rückfahrkarte teuerer ist, als der Fahrpreis für die einfache Reise.
* Nach der „Norddeutschen Allg. Ztg." wurde der Afrikareisende Dr. Schnitzler, welcher von einem Europäer, wahrscheinlich Dr. Juncker, begleitet wurde, von dem Bakadi - Stamme angegriffen, als sie den Versuch machten, vom Land aus die nordwestlich von Victoria - Nyanza - See gelegene Landschaft Uugada zu erreichen. Die Angreifer wurden zurückgeschlageu und Schnitzler bezog ein befestigtes Lager, von wo er durch den König von Ungada entsetzt zu werden hofft.
* Die „Nordd. Allgem. Ztg." wendet sich gegen einen Artikel des „Temps". worin die Vermehrung der französischen Kavallerie an der Ostsüdgrenze empfohlen wird und sagt, in dieser chauvinistischen Agitation des „Temps" liege ein Symptom, daß die friedliche Entwickelung der nachbarlichen Beziehungen Frankreichs, wie sie Deutschland erstrebe, den Stimmungen der Leser des „Temps" nicht entspricht. „Wir müssen «ns gegen unseren Willen die Sorge aufdrängen lassen, daß Frankreich nur auf eine günstige Gelegenheit wartet, um allein oder im Bündnis mit anderen über uns herzufallen. Auch im Auslande wird niemand bezweifeln können, daß Deutschland unter keinen Umständen beabsichtigt, seinen Nachbar anzugreife«; aber keiner wird sich der Besorgnis erwehren können, daß der von Frankreich ersehnte Revauchetag noch immer ein Mittel bietet, womit jeder Parteimann Frankreichs seine Landsleute fortzureißen vermag. Diese Möglichkeit und diejenige, der friedliebenden Regierung durch einen Appell an die Revanche Schwierigkeiten zn bereiten, läßt «ns befürchten, daß die französischen Nachbarn auf den Frieden mit Deutschland keinen höheren Wert legen als zu irgend einer Zeit seit zweihundert Jahren.
* In Nürnberg wurde in den Buchhandlungen von Barbeck und Wörlein u. Co. die deutsche Uebersetzung der „Pall-Mall Gazett-" Artikel vorläufig beschlagnahmt und zwar auf Grund von §. 184 des R.-St.-G. (Verbreitung unzüchtiger Schriften). In der Begründung würge gesagt, daß die Artikel zwar in England einen sittlichen Zweck verfolgen, tu Deutschland und besonders in Bayern aber die dort geschilderten Verhältnisse nicht in solcher Allgemeinheit existieren oder wenigstens nicht erwiesen sind.
* Aus München wird dem „N. Wiener Tageblatt" berichtet: Hofsekretair Greffer ist vom König feiner Stelle enthoben und zum Schloßverwalter in Nymphenburg ernannt worden. Man bringt diese Angelegenheit mit dem Umstande in Verbindung, daß Greffer, gleich seinem Vorgänger, in dem Verfall der finanziellen Verhältnisse des Königs nicht Rat zu schaffen wußte.
* Frankfurt a. M., 2. Aug. Die Staatsanwaltschaft hat gegen das Urteil, nach welchem Rechtsanwalt Stulz und Genossen freigesprochen wurden, Revision etngereicht.
Zwei Wrüder.
Roman nach dem Englischen von I. Düngern.
(Fortsetzung)
Stackes meinte: „Ticehorst hat das, was Sie über Hasbürn sagten, sehr unangenehm berührt. Er wird Spektakel machen, wenn er nach Hause kommt."
„Das hoffe ich auch," entgegnete der andere, „und darum sagte ich es, denn ich habe ein Hühnchen mit diesem Hasbürn zu pflücken, der mir überhaupt sehr wiederwärtig ist."
Ticehorst ward in der frischen Luft nüchterner, allein der Wein machte ihn leicht traurig. So hatte er auf seiner Heimfahrt auch trübe Gedanken und fand die Welt ganz abscheulich und Hasbürn ganz niederträchtig, daß er ihn mit Wissen dem Gespötte der Welt pretsgegeben.
In ziemlich erbitterter Stimmung kam er nach Hause. Als er das gemeinschaftliche Zimmer betrat, fand er Gilbert Hasbürn einge- fchlafen auf dem Sopha sitzend. Beim Geräusche des Eintretenden fuhr er in die Höhe, rieb sich die Augen und sagte ärgerlich:
„Sie kommen fehr spät, Ticehorst, und es ist keineswegs freundschaftlich vou Ihnen gewesen, mir zu verschweigen, daß Sie auswärts speisen wollten. Ich wartete und wartete, bis ich zuletzt mich zum Essen entschloß und natürlich alles halb verbrannt und verdorben war."
„Warum haben Sie gewartet?" murrte der junge Lord.
„Well ich die Rücksichten kenne, dich ich Sr. Lordschast schuldig bin," entgegnete Hasbürn, „und weil Sie doch gewiß schlechter Laune geworden wären, wenn Sie gerade zur Hälfte des Mittagsmahles zurückgekommen wären."
„Meine Lordschast ist nicht so erstaunlich verwöhn: durch Sie,"
sagte der junge Mann in gereiztem Tone, „übrigens harte ich auch gar nicht die Absicht, zum Diner wegzubletben. Ich wurde einfach abgehalten und aß mit Stackes und Bobby Maitland in Hastings zu Mittag."
„Aber wie in aller Welt kamen Sie zu diesen Leuten? Dieser Stackes wird verrückt werden, denn es ist ihm wohl in seinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen, daß er mit einem Lord gespeist hat."
„Mr. Stackes ist ein Gentleman!" behauptete der andere trotzig.
„Daran zweifle ich nicht," meinte Hasbürn ruhig. „Ich bin nur erstaunt, daß Sie in Hastings waren, während ich Sie auf ganz anderen Pfaden glaubte und in Gedanken schon die Kirchenglocken läuten hörte und die Banner flattern sah und daran dachte, wie wir Ihr Schloß zu Ehren der jungen Frau neu einrichten wollten."
„Dies pressiert noch nicht," brummte Se. Lordschaft, denn fürs erste habe ich einen Korb erhalten."
„Das glaube ich nicht," rief Gilbert mit gut gespieltem Erstaunen aus. „Wie, die Opernprinzesfin hätte Sie ausgeschlagen? Jetzt geht die Welt unter!"
„Hm, sie steht noch ziemlich fest!" Dem Lord mißviel der bedauernde Blick, mit dem Hasbürn ihn zn betrach:en schien.
„Sie haben die Sache schief angrfangen," fuhr Gilbert fort, in der Absicht, sich an der Niederlage seäies Gönners zu weiden. „Nein, das nenne ich Unglück haben! Wie ist die Geschichte nur zugegangen?"
„J.tzt Hab' tch's satt," rief Ticehorst in Hellem Zorn. „Sie konnten merken, daß mir die Erinnerung unangenehm ist, und dennoch scheint es Ihnen Spaß zu machen, ewig davon zu sprechen. Hören Sie, Hasbürn, wir waren Freunde, aber wenn Sie unangenehm werden, so hätte ich große Lust —"
„Zu was?" fragte Gilbert sich rasch gegen ihn wendend.