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HK. 91. Attensteig, Donnerstag den 6. August 1885
2 Die Erbfolge in Sachseu-Koburg-Gotha.
Die politisch ereignislose Sommerzeit bringt eine große Anzahl von „Fragen* auf das Tapet, für deren Aufwerfung keine andere zwingende Veranlassung vorliegt, als den gähnenden Spaltenraum der großen Tagesblätter mit einigermaßen genießbarem Stoff zu füllen. So hat die häufigere Besprechung der braunschweigischen Erbfolgefrage auch die Erörterung der Thronfolge tn Sachsen Koburg-Gotha herbeigesührt und cs wurde bezüglich darauf bereits gemeldet, daß der Bundesrat grundsätzlich ausländische Prinzen von der Erbfolge in einem deutschen Staate ausschlteßen werde. Damit hätte der Herzog von Edinburg, welcher seiner Geburt nach dereinst zum Nachfolger des Herzogs Ernst II. von S.-Koburg-Gotha berufen sein würde, auf seine Ansprüche verzichten müssen.
Ein Artikel der ,Köln. Ztg/ tritt nun in entschiedener Weise für den Herzog von Edinburg ein — und da eines Mannes Rede keines Mannes Rede ist und man nach dem Sprichwort beide hören muß, so wollen wir die an und für sich interessanten Ausführungen des Kölner Weltblattes in der Kürze wiedergeben.
Zunächst wird der Annahme widersprochen, als ob die Retchsregierung an die Ausschließung des Herzogs von Edinburg denke. Als letzterer vor einiger Zeit feierlich tn den preußischen Johanniter-Orden ausgenommen wurde, begrüßte ihn Kaiser Wilhelm in einem Trinkspruche bet dem Festmahle als „zukünftigen deutschen Fürsten* uud, was weniger bekannt zn sein scheint, gelegentlich der Zurückweisung der Ansprüche des Herzogs von Cambridge auf die Regierung von Braunschweig hob Fürst Bismarck ausdrücklich hervor, daß eS mit den Ansprüchen des Herzogs von Edinburg auf die Regierungsnachfolge in Koburg-Gotha eine wesentlich andere Sache sei.
Die Anwartschaft des Herzogs von Edinburg beruht auf seinem verfassungsmäßigen Rechte und auf dem verfassungsmäßigen Rechte des Landes; er ist nicht nur ein englischer, sondern ebenso gut — und zwar von seinem Vater, dem Prinz-Gemahl Albert, hcr — ein deutscher Prinz, er ist durch Geburt „Prinz von Sachsen- Koburg-Kotha, Herzog zu Sachsen*. Allerdings hat er nach einem kurzen Studium auf der Universität Bonn vorzugsweise eine englische Erziehung genossen und meistens in England gelebt; auch steht er im Dienste der englischen Marine, in welcher er jetzt für einen der vorzüglichsten Admiräle gilt; aber darüber kann kein Zweifel aufkommen, daß er im Gegensätze zu dem Herzog von Cambridge weit entfernt ist, dermaleinst als regierender deutscher Bundessürst sein englisches Staatsamt beibehalten und das deutsche Land nur nebenbei von England aus regieren zu wollen.
Nun wird dem Herzog zum Vorwurf gemacht, daß er überhaupt in englische, statt in deutsche Kriegsdienste getreten sei. Allein vor «ehr als 20 Jahren, als der Herzog in die Armee eintrat, gab es noch kein deutsches Reich und kein deutsches Heer. Außerdem war auch damalsAine Thronfolge in Koburg-Gotha noch vicht entfernt so wahrscheinlich wie heute. Und sollten die Eltern ihn damals auf die unsichere Aussicht hin aus ihrer Nähe eutfernen und etwa in das koburg-gothaische Kontingent eintreteu lassen.
Der Artikel spricht mit aller Bestimmtheit aus, daß durchaus kein höheres SLaats- interesse, wie dies bei den welfischen Prinzen der Fall war, der Thronfolge des Herzogs von Edinburgh entgegenstehe. Nicht der geringste
Makel haftet an seinem bisherigen Verhalten zu Kaiser und Reich. Bald nach der Gründ- ung des letztem hat er den Kaiser Wilhelm gebeten, ihn als Mitglied der Armee anzunehmen; er wurde preußischer Oberst und ist jetzt Generalmajor in der Suite des 6. thüringischen Infanterie-Regiments, welches in Koburg und Gotha Garnisonen hat. Dem Kaiser und dem Kronprinzen nahe verwandt, und dieselben hoch verehrend, steht er mit beiden auf dem besten Fuße, und noch im März dieses Jahres eilte er von London nach Berlin, um dem greisen Helden auf dem deutschen Kaiserthron seine Geburtstagsglückwünsche persönlich darzubringen. Von einer Besorgnis, daß er als deutscher Fürst in Preußen- oder reichsfeindlichem Sinne handeln und sein Land zum Hinterhalt für reichsfeindliche Zettelungen hergeben werde, kann nach alledem nicht im entferntesten die Rede sein.
Jedenfalls, so schließt der Artikel, mache sich die Bevölkerung von Koburg-Gotha weit weniger Sorge um die Zukunft, als anderswo in der Presse laut geworden ist.
Laudesrmchrichteu.
* Alten steig, 5. August. Wie im Annoncenteil zu ersehen ist, veranstalten die Herren W. Fürst ler, 2. Musikdirektor des Stuttgarter Liedsrkranzes und Pianist Blattmacher in hiesiger Stadt ein Wohlthätigkeits- konzert. Nach dem uns vorliegenden, an Liedern und Klavierpiezen höchst reichhaltigen und interessanten Programm verspricht das Konzert, auf welches wir hiedurch aufmerksam machen wollen ein sehr genußreiches zu werden und läßt deswegen hoffen, daß der Besuch desselben ein recht zahlreicher wird.
* Nagold, 3. Aug. Der hiesige Bäcker und Oekonom B. hatte das Unglück, beim Nach« Hausegehen durch die offenstehende Fallthüre in den Keller zu stürzen und hiebei beide Beine zu brechen. Wiederum eine Mahnung zur Vorsicht mit den Fallthüren. (N. Tgbl.)
* Freudenstadt, 3. August. In der Nacht vom letzten Samstag auf Sonntag ist die Oberwaldacher Sägmühle abgebrannt,
* Tübingen, 31. Juli. Der Metzger Johannes Füll von Mezingen, welcher am 22. d. Mts. mit Hinterlassung einer bedeutenden Schuldenlast entwichen und wegen Verdachts des betrüg- lichen Bankerutts verfolgt wurde, ist dem „St.-A.* zufolge am 28. d. Mts. in Hamburg vor Besteigung des zur Abfahrt nach Amerika bereiten Schiffes festgenommeu worden und steht nun seiner Einlieferung in das Amtsgerichtsgefängnis zu Urach entgegen. Wie es scheint, war die aus Frau und mehreren Kindern bestehende Familie Föll's von der Abreise desselben unterrichtet. Föll, in dessen Metzig eine grauenhafte Unsauberkeit geherrscht hat, stand wiederholt, zuletzt vor wenigen Tagen, wegen Verfehlung gegen das Nahrungsmittelgesetz tn Untersuchung.
* Reutltnger Alb, 1. Aug. Wie vorsichtig man bei der Wahl des Ortes für Futterschneidmaschinen sein sollte, lehrt ein trauriger Vorfall von Undingen. Mehrere Kinder vergnügten sich heute damit, daß sie eine Futter- schneidmaschine tu Bewegung setzten, wobei ein dreijähriges Kind die Hand in das Räderwerk brachte und ihm 2 Finger vollständig weggequetscht wurden.
* Stuttgart, 3. Aug. Im goldenen Ochsen, der einstigen Herberge Friedrich von Schillers, ist ein Schillerzimmer durch interessante Wandmalereien und Sinnsprüche Schillers eingerichtet worden. DaS Lied von der Glocke ist von der Wiege bis zum Grabe bildlich und allegorisch dargestcllt. Schiller ist auch auf
der Kegelbahn im Ochsen dargestellt. Sie existiert nicht mehr, ist aber jetzt nebenan in der Krone eingerichtet.
* Ludwtgsburg. Seit ungefähr 14 Tagen ist einem hiesigen Einwohner ein OVAHriger Knabe zugelaufen, der angab, aus dem Unterlande zu sei» und seinen Vater hier verloren zu haben. Dieser Tage nun erschien eine öffentliche Bekanntmachung der Stadtdirektion Stuttgart, daß der Knabe von seinen in Stuttgart wohuendeu Eltern vermißt werde. Gestern abend erschien dann der Vater, um ihn abzuholen. Welcher Schrecken, als der Knabe, welcher bereits zu Bette gebracht worden war, von seinem Vater und seitherigen Pflegevater auf dem Boden im Blut schwimmend gefunden wurde, neben ihm ein blutiges Beil! Der Knabe hatte am Kopf mehr als zwanzig kleine Wunden, die er, wie er einräumte, sich selbst betgebracht hatte, aus Furcht vor Strafe. Der jugendliche Selbstmordkandidat befindet sich außer Gefahr.
* Bietigheim, 3. Aug. Von den drei Kandidaten, welche nach unserer Stadtschultheißenwahl der K. Kreisregierung vorgeschlagen wurden, erhielt keiner die Bestätigung. Die für den resignierten Stadtschultheißen Willig abgegebenen Stimmen erreichten beinahe die Mehrheit von zwei Dritteln, und seine Wähler waren daher über das ablehnende Verhalten der Regierung nicht wenig überrascht. Dasselbe hat seinen Grund in Vorgängen, welche nur von lokalem Interesse sind. Die auf den 27. d. M. ungeordnete Neuwahl wird hoffentlich ein Ergebnis bringen, das den unerquicklichen Verhältnissen in unserer Stadt ein Ende macht.
* (Verschiedenes.) Die Königin Olga hat für eine Anzahl Schiffsangehöriger der Corvette Olga dem Kapitän derselben 4 silberne Uhren zum Geschenk übersandt. Einer der damit Beschenkten ist der Obermatrose Karl Wöhrn, ein Ludwigsburger Kind, der auch die Gefechte am Kamerunfluß mitgemacht hat. -- Die Riug- kämpfe werde» Mode; in Ulm hat ein Metzger mit dem Athleten Windson (der sich, nebenbei gesagt, eine Kanone, die aber so vernünftig war, nicht loszugehen, auf dem Rücken abschießeu lassen wollte) gerungen, der Kampf blieb aber unentschieden. — Im Remsthal gibt's seit drei Tagen gefärbte Clcvnertraubeu, da fehl s jedenfalls bis Mitte September nicht an einem guten „Neuen.* — Auch im Horber Oberamt hat mau schon teilweise mit der Ernte begonnen und ist allgemeiner Jubel über den reichen Erntesegen; derHopfen ist auch geraten, und bald wird reges Leben in den an Bierbrauereien reichen, hübschen Städten herrschen. — Ein verkommener Holzspälter von Ludwigsburg hatte den Plan zur Ermordung des dortigen Bürgermeisters Abel gefaßt und dritten gegenüber ausgesprochen, daß er diesen «od daun sich selbst erschießen werde. Nachdem er vergeblich in die Wohuung des Oberbürgermeisters mehrmals in aller Frühe am Mittwoch Eingang zu bekommen versucht hatte, wurde er polizeilich beobachtet und schließlich festgenommeu, wobei er im Besitz eines scharfgeladenen Revolvers betroffen wurde, dessen er sich bei seiner Verhaftung erfolglos zu bedienen suchte. Zunächst ist er zur Beobachtung seines geistigen Zustandes dem Stadtspital überwiesen.
Deutsches Reich.
* Berlin. Die in letzter Zeit vielseitig erörterte Angelegenheit der Uebertragbarkeit von Eisenbahn-Rückfahrkarten erledigt sich in Preußen durch eine ministerielle Anweisung an die Eisenbahn-Betriebsämter, bei behinderter rechtzeitiger Benutzung zur Rückreise dem Inhaber deujent-