Görlitz, 30. Mai. Der Landesälteste Anderes vermachte 700000 M. zur Erziehung von Kindern, welche weder Militärs noch Theologen werden. Sollte das Vermächtnis abgelehnt werden, so fällt die genannte Summe den Herren Richter und Hänel zu Parteizwecken zu.
(Vom Gemeinen zum General.) Der am 21. d. M. in Erfurt verstorbene General der Infanterie z. D. Ludwig von Rothmaler war der einzige deutsche General der Gegenwart, welcher wirklich von der Pike auf gedient Hat- Geboren im Jahr 1814 in Teistungen im Kreise Worbis, trat er 1830 bei der Schulabietlung des Lehr-Jnfanteriebataillons als Gemeiner ein. Er kam dann als Gefreiter zum Infanterieregiment Nr. 26 und wurde hier 1833 Unteroffizier. Sein ernstes Streben, sich fortzubilden, seine Fähigkeiten und sein Fleiß erregten die Aufmerksamkeit seiner Vorgesetzten, welche ihn zu dem Versuche, das Fähnrich-Examen abzulegen, ermunterten. Im Jahre 1834 wurde er schon Porteöpsc-Fähnrich und 1835 bereits Sekonde-Lieutenant, 1853 Hauptmann, 1858 Major und 1863 Oberstlieutenant. Bei Ausbruch des Kriegs gegen Oesterreich wurde er mit der Führung des Füsilier-Regiments Nr. 35 beauftragt und noch in demselben Jahre zum Obersten und Kommandeur dieses Regiments ernannt. Im Feldzuge 1870—1871 befehligte er die 11. Jnfanteriebrigade, wurde zum Generalmajor ernannt und bei Azay leicht verwundet. Er war zuletzt Kommandeur der 8. Division in Erfurt. Hier behielt er seinen Wohnsitz auch, als er vor einigen Jahren in Folge einer längeren Krankheit gezwungen war, seinen Abschied einzureichen, welcher ihm unter Verleihung des Charakters als General der Infanterie bewilligt wurde. Der ehemalige Füsilier des Lehrbataillons durfte auf eine glänzende Laufbahn zurückblicken, welche ihm nur sein Fleiß und seine Beharrlichkeit eröffnet hatten.
Rüdesheim, 1. Juni. Heute wurde die Niederwaldbahn dem öffentlichen Verkehr über geben, nachdem am 30. Mat die Eröffnung stattgefunden hatte.
Ausland.
Zwischen der Schweiz und Italien drohen Konflikte auszubrechen. Schweizer Schmuggler setzen häufig den zahlreichen italienischen Zollbeamten kräftigen Widerstand entgegen und bei solchen Zusammenstößen haben die Beamten öfter die Landesgrenze überschritten. Italien will ernstliche Maßregeln ergreifen und hat den Schweizer Bundesrat in Kenntnis gesetzt, daß es die Grenze durch einen Militärkordon absperren lassen werde.
Paris. Das halbamtlich bediente De peschen-Büreau »Agence Havas" meldet jetzt schon, die Regierung beabsichtige das lOOjähr. Jubiläum der Revolution von 1789 mit großem Pomp zu begehen. Es soll aus Anlaß der
selben im Jahre 1889 auch eine allgemeine Ausstellung in Paris stattfinden.
London, 31. Mat. Gestern Abend kurz nach 9 Uhr fanden in St. James Square in der Nähe von Pall Mall drei unzweifelhaft von Dynamit herrührende Explosionen statt, zwei auf der einen Seite des Squares, die dritte auf der andern; die zwei ersten fast gleichzeitig, die dritte einige Minuten später. Die Fenster des Army- und Navy-Clubs, des Carlton-Clubs und des dem Deputierten Wynn gehörigen Hauses wurden zertrümmert. Personen sollen nicht verletzt sein. Große Volksmengen sammelten sich am Thatorte, in lebhafter Erregung. Um 91/2 Uhr erfolgte eine weitere Dynamit-Explosion in Scotland Pard (dem Hauptpoltzet- bureau.) Mehrere Fenster wurden zertrümmert, einige Personen verletzt.
London, 3. Juni. Bei Millstreet in der Grafschaft Cork wurde gestern abend ein Pächter im Hause erschossen, zwei andere Hausgenossen verwundet. Es handelt sich um einen agrarischen Mord. Die Mörder sollen der »Mondscheinbande* angehören.^
4>«-rrdel »nd deeLehk.
Kirchheim u. T., 31. Mai. (Wollmar«.) Zufuhr bis jetzt ca. 2000 Ctr. Wäsche vorzüglich. Trotzdem sind die Befürchtungen eines Preisrückgangs allgemein verbreitet, ohne daß Thatsachen hiefür angeführt werden können.
In der Eßlinger Maschinenfabrik wurde infolge des Fehlschlags der Lieferung?- aussichten auf 40 Lokomotiven einem Teil der ledigen Arbeiter gekündigt und den Schmieden von Dienstag an 7stündige Arbeitszeit angekündigt.
Die Besitzer von Losen machen wir wiederholt darauf aufmerksam, daß noch eine sehr große Anzahl gezogener Lose nicht zur Einlösung vorgezeigt worden ist. Daß darunter auch recht beachtenswerte Treffer sich befinden, zeigt eine Bekanntmachung des Oldenburgischen Ministeriums, wonach die Nr. 11,826 und 27,322 der Oldenburgischen M. 40r-Lose in den Jahren 1882 und 1883 mit je M. 30,000 gezogen bis zur Stunde aber nicht erhoben worden sind.
Schiffs-Nachrichten.
Hamburg, 29. Mat. »Bohemia," 14. Mai von Hamburg abgegangen, ist am 28. Mai in Netv-Iork angekommen. »Lesstng*, 11. Mai von Hamburg, 13. Mat von Havre abgegangen, ist am 24. Mai in New-Iork angekommen.
Pfingstmaien.
Erzählung von Marc. Boyen (Frau von Kamecke).
(Schluß.)
Er gieng die Dorfstraße entlang, die Häuser trugen alle grünen Schmuck, an manchem abgelegenen Plätzchen hinter den Scheunen war ein Bursch beschäftigt, einen Maibaum mit bunten Bändern zu zieren. Weiter gieng der Professor dem Walde entgegen, die Straße war
jetzt einsam, nur ein kräftiger Bursch kam daher und trug eine prächtige, schlanke, junge Birke mit reicher buschiger Krone und silberglänzendem Stamm. Mit diesem Burschen hatte Hans Leßner ein heimliches Gespräch. Er redete so eifrig auf den jungen Dorfbewohner ein, als halte er einem Jünger der Wissenschaft einen Vortrag über die sozialpolitischen Anschauungen der alten Römer; schließlich zog er seinen Geldbeutel und drückte dem andern etwas in die Hand, das schimmerte voll und rötlich, wie gutes deutsches Gold, dann endlich grinste der Bursche einverstanden mit dem vollen pausbackigen Gesichte und rückte ehrerbietig die Mütze vor dem fremden Krösus, und es war noch zwischen den beiden die Rede von »morgen früh um 4 Uhr."
Mit beglücktem Gesicht kehrte Leßner zum Dorf zurück; er suchte dort etwas an den Häusern umher und fand bald den kleinen Laden, in dem er zur Hellen Verwunderung der Verkäuferin eine Menge der breitesten Seidenbänder von den schönsten Farben kaufte. Dann gieng er nach Hause.
Doch als er später mit seinen Wirten und Dorchen zusammensaß, da war der Ausdruck von Glück, den er von seinem Spaziergange hcimgebracht, von einer Wolke sorgenvollen Bedenkens beschattet; er griff zuweilen verstohlen an seine Tasche, wo die Seidenbänder verborgen waren und mit Zentnerlast fiel es ihm aufs Herz, ob er nicht doch vielleicht ein zu gewagtes Spiel treibe.
Pfingstmorgen war da; noch ehe die Sonne völlig erwacht war, sangen die Vögel in Baum und Zweig lauter wie sonst, die Luft war lau, doch ein leiser Windhauch bebte durch die Natur wie ein Bote, der freudige Kunde von Ort zu Ort trug; eine jede Blume im Garten schien köstlicher dem neuen Morgen entgegenzuduften, als an anderen Tagen. Pfingstmorgen war eben da, und das empfand jubelnd alles Geschaffene.
Dorchen hatte am vorigen Abend noch lange wach gelegen, sie hatte so viel an den einsamen Mann denken müssen, der ihr heute so sonderbar in die Augen geblickt hatte und der ihr so leid that; spät war sie endlich cingeschlafen, und nun hatte das Vögelgezwitscher sie früh geweckt. Ja, der frische Gesang der Finken und dann wohl auch noch ein anderes seltsames Geräusch vor ihren Fenstern, ein merkwürdiges Rauschen, ein Flattern.
Eine Zeitlang lag das Mädchen mit offenen Augen und horchte dem wunderbaren Getön, dann sprang sie auf und ging ans Fenster, sie sah hinaus durch einen Spalt im Fensterladen und drückte dann rasch die Hände gegen ihr laut pochendes Herz.
Da stand, wenige Schritte nur von ihrem Fenster entfernt, ein schlanker Maibaum, stolz streckte er die zierliche Krone gegen den sanft geröteten Morgenhimmel, und eine Menge hellfarbiger Seidenbänder wurde von dem sanften
Die schwarze Kuget. ^-4^ verboten.)
Nach dem Dänischen von Erik Bohgh von Wilh. Lange.
(Fortsetzung.)
Wir wurden nun vierzehn Tage lang von Familie zu Familie gleichsam wie auf dem Präsentierbrett herumgereicht und beglückwünscht. »Ja, Ihnen kann man wirklich gratulieren,* sagte man mir überall; aber es lautete beständig, als behielte man im Geiste einen Gegensatz zurück. Wo wir uns auf Straßen und Promenaden zeigten, hörte ich die Vorbeigehenden flüstern: »Das ist das reiche Fräulein H. mit ihrem Verlobten!* Und nicht selten wurde dieser Aufklärung ein »armes Mädchen* hinzugefügt. — »Ja, Sie können wirklich behaupten, daß Sie Ihr Glück gemacht haben!* sagte Tante Malwtne. »Mein Gott, welch' ein Glück!* seufzte Tante Adelheid. »Das hätte ich wirklich am allerwenigsten gedacht, daß Sie der Glückliche sein würden,* fügte Tante Zölestine hinzu, und Tante Henriette biß ihre dünnen Lippen zusammen und flüsterte: »Gebe Gott, daß Sie Ihr Glück nun auch zu schätzen wissen.*
Ich fühlte mich wirklich sehr glücklich, aber es genierte mich doch, daß die ganze Welt besser über mein Glück Bescheid wissen wollte, als ich selbst. Polykrates warf seinen Ring ins Meer, als er fürchtete, von zuviel Glück überhäuft zu werden; es gab Augenblicke, in welchen ich seine Furcht zu verstehen anfieng und bei mir überlegte, ob ich nicht seinem Beispiel folgen sollte.
Ueber Verlobungen im allgemeinen kann man mit Recht sagen, was die Spötter über die Ehe sagen: Es ist ein Paradies, das sehr viel gemein hat mit einem Käfig — die, welche draußen find, wollen hinein, und die, welche drin sind, hegen nur einen Wunsch, wieder htn- auszukommen.
Von meiner Verlobung galt das ganz besonders. Ich war beständig im Hause meiner Braut, umgeben von ihren Freunden, ihrer Familie, ihren Bekannten; sie war die Sonne, um die alles sich drehte, und ich war ein armer Planet, der von der strahlenden Sonne Licht und Wärme empfisng. Dies fühlte ich nur zu deutlich, um meine Stellung einen Augenblick vergessen zu können; aber wie sorgenfrei dies auch sein mochte, so lag doch andererseits in einem solchen Dasein für mich etwas höchst peinliches, und ich sehnte mich deshalb sehr danach, mit ihr vor den Altar zu treten, damit die Leute inne würden, daß ich Mann war und einen eigenen Namen und eine andere Existenz hatte als die: der Bräutigam meiner Braut zu sein.
»Wie männiglich bekannt, sind die Gelehrten über den Zweck der Verlobung nicht einig. Einige behaupten, es sei ein notwendiger Zwischm- zustand zwischen dem irdischen Jugendgesellenleben und dem himmlischen Ehestande — eine Art Fegefeuer, worin man von seinen Sünden geläutert werden müsse, ehe man der verheißenen Seligkeit teilhaftig werden könne; andere betrachten diese Einrichtung als ein notwendiges Arrangement, damit man einander vor der Hochzeit kennen lernen könne. Ich werde weder den ersteren widersprechen noch den letzteren zustimmen. Während unserer kurzen Verlobung begann ich Flora kennen zu lernen, auch von Seiten, die ich früher nicht zu beobachten Gelegenheit gehabt hatte. Von der Hand der Natur war sie gewiß ebenso reich mit innern wie mit äußeren Vorzügen begabt; aber ihre Erziehung hatte jene keineswegs in demselben Grade entwickelt wie diese. Im Gegenteil: sie war von ihrer ersten Kindheit an einer Behandlung ausgesetzt gewesen, die mehr als irgend etwas dazu angethan ist, jenen edlen und schönen Kei« zu vernichten — ich meine die Vergötterung!
Sie hatte niemals gelernt, einen Wunsch aufzugeben, oder sich