Berlin, 10. Mai. Reichstag. Bei der Abstimmung über die Verlängerung des Soziali­stengesetzes stimmten die Nationalliberalen und Konservativen geschloffen für, von der deutsch- freisinnigen Partei 25 für und die übrigen ge­gen, vom Zentrum 39 für und 53 gegen die Verlängerung. Abg. Lassen (Däne) enthielt sich der Abstimmung.

Berlin, 10. Mai. Dem Frankfurter Journal wird von hier telegraphiert: Es ist jetzt jeder Zweifel ausgeschloffen, daß der höllische Plan, das Niederwald-Denkmal bei der Ein­weihung mit allen zur Stelle befindlichen Per­sonen zu sprengen, wirklich bis zur Legung der Zündschnur ausgeführt war. Das Dynamit befand sich in dev Drainröhren des Denkmals selbst.

Berlin, 10. Mai. Die Reise des Kaisers nach Wiesbaden ist vorläufig aufgeschoben worden.

Der Bundesrat hat den von Preußen vorgelegten Entwurf eines Gesetzes gegen den verbrecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen den zuständigen Ausschüssen zur Vorberatung überwiesen.

Der Reichskanzler hat dem Reichstag wieder eine Ueberraschung bereitet, die allge­meines Aufsehen macht. Abgeordnete aller Fraktionen, welche Karten abgegeben haben, er­hielten geschriebene Einladungen zu einer ver­traulichen Besprechung im Reichskanzlerpalais für Samstag abend, auch Fortschrittler find da­runter.

Von dem Kanal zwischen Nordsee und Ostsee durch Holstein hindurch ist lange Zeit nicht mehr die Rede gewesen. Neuerdings aber haben über dieses Projekt wieder Verhandlungen stattgefunden, an welchen sowohl Vertreter Preußens wie des Reichs tetlgenommen haben. Das Ergebnis soll der Ausführung des Durch­stichs günstig sein.

(Aus der Reichshauptstadt.) Ein falscher Matrose wurde jüngst auf eigentümliche Weise entlarvt und in sichere Obhut gebracht. Seit einiger Zeit trieb sich nämlich, wie die Staatsb. Z. erzählt, in den Straßen Berlins ein Mensch herum, der ein seemännisches Äußere zur Schau trug. Weite blaue Pantalons und eine blaue Jacke zierten den Mann, der um seinen weit entblößten Hals das Halstuch in lose geschlunge­nem Knoten und auf dem Haupte eine Matrosen- müze mit der AufschriftKaiser!. Marine" trug; die silbernen Treffen auf dem linken Arm aber deuteten an, daß er bereits die erste Staffel zum Admiral erstiegen und zu denAvancirten" gehörte. In dieser Eigenschaft nahm et auch die Grüße der ihm begegnenden uniformirten gemeinen Landratten herablassend entgegen, während er es andererseits nie versäumte, den Offizieren die pflichtschuldigen Honneurs zu machen. Dies gtevg eine Weile, bis derSee­mann" eines Tages einem Seeoffizier begegnete, der sich die ihm nicht ganz vorschriftmäßig scheinende Uniform des kaiserlichen Obermatrosen

etwas näher ansah und den Mann zur Rede stellte, wobei sich bald ergab, daß der Matrose eine angenommene Rolle spielte. Auf die Po­lizei gebracht, stellte die Untersuchung heraus, daß der Matrose der Schneidergeselle H. und aus der Irrenanstalt zu Dalldorf entwichen sei, um einige Tage lang, nachdem er die Anstalts­kleidung mit dem Geschicke seines Berufs in eine Marineuniform umgewandelt, in den Ber­liner Straßen den Seemann zu spielen.

Karlsruhe, 8 . Mai. Gestern abend wurde ein Fremder, welcher seit etwa 14 Tagen in einem hiesigen Gasthof mit seiner angeblichen Ehefrau wohnte und den Wirt durch ver­schiedene falsche Vorspiegelungen zur Beher­bergung auf Kredit veranlaßt hatte, in Folge einer Anzeige des letzteren wegen Betrugs ver­haftet und in das Amtsgefängnis verbracht. Der Verhaftete hat sich heute früh mit einem Revolver, den er in hier nicht näher wiederzu­gebender Weise bei sich zu verbergen wußte, er­schossen. Obwohl bis jetzt jeder nähere An­haltspunkt zur Feststellung der Persönlichkeit des Selbstmörders fehlt, scheint jedoch so viel außer Zweifel, daß derselbe ein am Ende sei­ner Laufbahn angekommener Hochstabler gewesen ist, der sich auf fremde Kosten noch einmal güt­lich thun wollte. (In daS Fremdenbuch hatte er eingetragen: Dr. Dohrn mit Frau aus Frank­furt a. M.).

Vor der Strafkammer Freiburg wurde letzten Montag ein auch für weitere Kreise in­teressanter Prozeß verhandelt. Im Februar v. I. verunglückten bei einem Neubau zwei Ar­beiter dadurch, daß eine zum Hinaufschaffen des Materials hergestellte Treppe infolge des Brechens eines alten Hebels zusammenstürzte. In der Verhandlung handelte es sich darum, ob und in welchem Grade der baulettende Architekt, be­ziehungsweise der Palter das Unglück verschul­deten. Von den beiden Arbeitern erlitt der eine einen Rippenbruch und der andere eine Verletz­ung des rechten Beines und wurden beide für längere Zeit arbeitsunfähig. Das Urteil lautete gegen den Architekt auf 100 M. und den Palier auf 50 M. Geldstrafe. Die Verurteilten haben auch sämtliche Kosten zu tragen.

Ein Nürnberger Metzger hatte einem Viehhändler für ein Paar Ochsen die Summe von 540 Mk. geboten; der Händler gieng auf das Gebot ein unter der Bedingung, daß der Metzger den Betrag bis längstens am Abend in einzelnen Pfennigstücken auszahle, sonst würde sich der Kaufpreis auf 100 M. höher belaufen. Der Metzger lief nun bet allen Bank- u. Wechsel­geschäften herum, trotzdem gelang es ihm nicht, in den paar Nachmittagsstunden die 54 0001-Pfg.- Stücke zusammenzubrtngen.

(Drei Kinder erstickt.) In dem Dorfe Gehaus im Eisenacher Oberlande wurden am Sonntag drei Mädchen im Alter von 6 bis 8 Jahren vermißt und noch langem vergeblichen Suchen Montag vormittag in einer in einer Scheuer stehenden großen Kiste erstickt vorgefun­

den. Die Kinder, welche zwei Witwen ange­hörten, hatten in der Scheune gespielt und waren dabei auch in die leerstehende Kiste ge­stiegen. Der Deckel derselben fiel aber zu und zwar so, daß die armen Kinder ihn nicht heben konnten und dann, wahrscheinlich unter schreck­lichen Qualen, erstickt find.

Quedlinburg. Der Lehrer u. Jugend­schriftsteller A. W. Grube, der in Bregenz ohne direkte Erben gestorben ist, hat ein Vermögen von 160000 Mark hinterlaffen. Z 12 des Testaments lautet:Sollte stch in Deutschland ein Verein gebildet haben zur Unterstützung ar­mer Lehrerwitwen und -Waisen, so find dem­selben 120000 Mark zu überweisen."

Metz. Ein gewisser Mery vermachte, da er kinderlos war, seinen Erben sein ganzes Ver­mögen und zwar in der Weise, daß die Erben seiner Frau die Möbel und die Erben von ihm das baare Geld erhalten sollten. Nach seinem Tode wurde kein Geld gefunden und ließ man die Möbel versteigern. Unter anderen erstand ein Trödler einen alten Schrank. Als derselbe selbigen abschlagen wollte, ergoß stch über ihn ein Goldregen, indem die oben im Schranke ver­borgenen Goldstücke auf ihn herabrollten. Der versteigernde Gerichtsvollzieher nahm das Geld, welches mehrere tausend Mark betragen soll, au sich und nun liegen sich bereits die beiden Partien in den Haaren, wem diese Summe gehören soll.

Ausland.

P e st. Der berüchtigte Räuber Jozfi Sa- vanyn, auf dessen Kopf ein hoher Preis gesetzt war, wurde im Zalaer Komitate von Gendarmen festgenommen. Er war der Führer einer ge­fürchteten Bande, die das Komttat und Zala unsicher machte, alle Gutsbesitzer brandschatzte. Savanyu war Schäfer, dann Soldat, worauf er Räuber wurde. Er hat viele Missethaten verübt und kultivierte gern das Gebiet der Räuber-Romantik.

Paris, 9. Mai. Die Steuereinnahmen im Monat April blieben um 6 V 2 Mill. hinter dem Voranschläge zurück. Die France sagt: Mehrere Mitglieder der Budgetkommisston be­absichtigten, bet der Fortdauer des Defizits in den Einnahmen die Veräußerung der Staats­bahnen vorzuschlagen.

Aus Madrid kommen seit einiger Zeit wieder zahlreiche Nachrichten, welche ohngeachtet aller Bemäntelungs- und Verdeckungsversuche recht deutlich erkennen lassen, daß die Ordnung in den Provinzen Arragonien, Katalonien und Navarra noch recht viel zu wünschen läßt« Fort­während werden Verhaftungen wegen revolu­tionärer Umtriebe vorgenommen und Entdeckungen an den Eisenbahnen und Telegraphen gemacht, die auf anarchistische Absichten schließen lassen. Dabei steht es fest, daß stch eine Anzahl von Guerillabanden gebildet hat, welche den Be­hörden viel zu schaffen machen und die Bevölke­rung ohne Unterlaß aufretzen.

Madrid, 10. Mai. Die neuen Senats«

Wietgereist und vornehm.

Humoreske von Karl Schwindler.

(Fortsetzung.)

Die Thür des rätselhaften Fremden öffnend, fiel dem wackern Mann der Mut. Ein reizendes Stillleben herrschte in der Stube. Alexander Graf oder Graf Alexander ruhte so gemütlich auf dem Ka­napee und hatte an den Füßen Pantöffelchen, und rauchte süßlichen Tabak aus einem niedlichen Pfeifchen und spielte kindlich mit einem traulichen Kätzchen, und ein Täubchen saß auf dem Sims vor dem offenen Fenster und fürchtete sich ebensowenig vor dem schnurrigen Kätz­chen und vor dem freundlichen Männchen mit dem süßduftenden Pfeif­chen, als vor dem Falken, der da drohend im Schilde sitzt.

Und der Gast nickte hold dem Wirte zu und sprach befriedigt:

Seit dem Tage, da ich nach einem Sieg im Kaukasus achtzehn Stunden hintereinander geschlafen, schlummerte ich nicht so tief und fromm und ruhig, wie in Ihrem Hause, lieber Mann."

Freut mich ausnehmend," versicherte der Wirt ohne Falsch und fragte stch im Geist, der Rechnung gedenkend:Thu' ich's oder thu' ich's nicht?"

Der Herr von Mannenbach machte stch über den Kaffee her und roch und schmatzte und lobte den perlenweißen Rahm, den aromatischen Java, die zierlichen Hörnchen.

Man nennt diese in Wien Kipfel," bemerkte der Vielgereiste,sie find meine Passion. Kipfel, Wasser, Klugheit u. s. w. find mein Stecken­pferd."

Der letztere Gemeinplatz machte den Wirt mit der Hand nach dem Konto zucken, wie nach einem Dolch. Zu gleicher Zeit jedoch langte

der Gast in die Tasche, zog einen Kronenthaler daraus hervor und sagte freundlich:Sie wechseln mir wohl bei dieser Gelegenheit diesen Thaler, mein Guter?"

Verblüfft ließ der Wirt die Rechnung, wo sie war, und suchte ver­gebens nach der Münze in seinem Beutel.

Es eilt nicht," redete ihm der Gast lächelnd zu.Ich bedarf deS kleinen Geldes erst, wenn ich heute ausgehe, zu einigen winzigen Aus­gaben. Von meinem gestrigen Taschengeld ist mir nur wenig geblieben. Sie haben allerhand Verlockungen in Ihrem Städtchen," setzte er mit verschmitztem Lächeln hinzu.

Der Falkenwirt, indem er von unten die kleine Münze holte, warf die Rechnung in den Winkel und schimpfte stch derb aus: Dummer Arg­wohn gegen einen feinen Kavalier! Ein bißchen locker ist der Herr viel­leicht; denn ich z. B. wüßte nicht, wie ich hier im Städtchen binnen ein paar Stunden Abendstretcherei einen großen Thaler anbringen sollte?... aber freilich: Jugend hat nicht Tugend! und immerhin noch gut, wenn ste wenigstens Geld hat. Somit trug er das Geld hinauf, empfahl stch dem sanft ruhenden Fremden angelegentlich und gieng unbekümmert seinen übrigen Geschäften nach.

Der Fremde gieng aus, seiner Neugier zu genügen. Das Wetter war herrlich, Sonnenschein auf Wäldern und Auen. Die Finken schlugen, die Drossel sang. Endlich läutete auch die Mittagsglocke auf dem Turm, dann imFalken". Endlich kam auch Alexander wieder nach Hause. Mit dem Appetit eines echten Touristen warf er stch auf die Mahlzeit. Die übrigen Gäste schauten verwundert zu; doch ersetzte er ihnen, was er von ihrem Anteil raubte, durch seiner Unterhaltungsgabe Fülle, und die Heiterkeit herrschte au der Tafel unumschränkt.

Nach dem Effe» verwandelt sich das Gasthaus in eine Kaffewirt-