nen, ergriff Eifert unter den Schreckensrufen: „Hilfe! Räuber! Mörder!" die Flucht und entkam durch das Nebenzimmer und das Kabinet, in dem die beiden Kinder unterrichtet worden waren, in den Hof. Der Mordgeselle eilte Eifert in den Hofraum nach, wohin sich dieser unter lauten Hilferufen, die merkwürdigerweise von Niemanden gehört wurden, geflüchtet hatte. Hier brachte der Mörder dem unglücklichen Manne noch drei fürchterliche Hiebe mit der Hacke nnd eine Stichwunde an der linken Schulter bei und ließ ihn dann im Blute liegen. In dem großen Hofe, ebenso wie in dem Flur, befand sich kein Mensch. Die Kinder und die Gouvernante sprangen natürlich, als sie die Hilferufe hörten und den blutüberströmten Herrn Eifert durch das Kabinet stürzen sahen, entsetzt auf und begannen um Hilfe zu rufen. Nun geschah das Grauenvolle: der zweite Mörder, der über den Zahltisch gesprungen sein mußte, stürzte auf die Knaben los, packte den älteren Rudolph, brach ihm mit der einen Hand förmlich das Genick und versetzte ihm zugleich mit der stampfen Seite der Axt einen so heftigen Hieb aus den Kopf, daß der unglückliche Knabe mit zerschmettertem Schädel todt zu Boden stürzte. Dem jüngeren Knaben Heinrich versetzte er ebenfalls einen Hieb auf den Kopf, der das arme Kind gefährlich verwundete. Auch der Lehrerin brachte der Unmensch eine Kopfwunde bei. Dann sperrte er das Kabinet ab, eilte in den Flur hinaus, in welchem Eifert zusammengesunken war, und verwundete ihn daselbst in grauenhafter Weise. Er brachte ihm einen Stich in die linke Schulter bei, schlug ihm das rechte Auge heraus und zerschmetterte ihm den ganzen Kiefer. Dann stürzten die Räuber zurück in die Wechselstube, in welcher sie die Geldkaffe und das Portefeuille ausraubten. Die Werthpapiere ließen die Räuber im Portefeuille zurück. Die Gouvernannte gab an, daß sie durch das im Verschlage befindliche Fensterchen in die Wechselstube geblickt und da gesehen habe, wie zwei Männer herumwühlten, die Geschäftsbücher aus dem Schranke nahmen und aus denselben die Blätter rissen, um sie an der Gasflamme zu verbrennen. Frau Eifert war gerade abwesend; sie besitzt ebenfalls in der Mariahilfer- straße das Parfümeriegeschäst „zum blechernen Thurm" und hatte mit ihrem achtjährigen Töchterchen einen Besuch gemacht. Man kann sich das Entsetzen der Frau vorstellen; sie geberdete sich wie eine Wahnsinnige, warf sich zu ihrem verwundeten Manne u. schrie u. jammerte. — Der Polizeikommiffär vernahm sofort die beiden Verwundeten. Eifert vermochte nicht mehr zu sprechen. In wahnsinnigem Schmerze hatte er sich selbst ein großes Stück Kiefer, welches ihm herabhtng, weggeriffen. Er lallte nur noch. Das Portefeuille seiner Wechselstube lag ihm besonders am Herzen, denn er stammelte immer: „Das Portefeuille, das Portefeuille". Dann deutete er mit den Fingern an, daß es zwei Männer waren, welche in das Geschäft gekommen
waren, und mit derselben Zeichensprache gab er auch an, daß vor dem Geschäfte auf der Straße ein dritter Mann gewartet hätte. Das ist übrigens auch durch andere Zeugenaussagen erwiesen. Einem Herrn, welcher in die Wechselstube gehen wollte, wurde, wie man später erfuhr, von einem vor der Thür stehenden Manne erklärt, daß Eifert jetzt nicht im Geschäfte sei und daß er Niemanden einlaffen könne. — Auch heißt es, daß im Flur des Hauses zwei Spießgesellen noch die Mörder unterstützten. Von den beiden Thätern, die nach Verübung der That die Flucht ergriffen, ist bis zur Stunde noch keine Spur entdeckt. Beide sind, trotzdem sie mit den Rufen: „Aufhalten! Räuber! Räuber! Mörder!" verfolgt wurden, spurlos verschwunden. Auch dem dritten Mordgesellen, der vor dem Lokale Wache gehalten hat, ist es gelungen, sich zu flüchten. Eifert führte sein Geschäft allein und hatte gar keinen Angestellten. Er ist Vater von vier Kindern: Rudolph 11 Jahre, Heinrich 9 Jahre, Bertha 4 Jahre und Paul 2 Jahre alt. Eifert hatte seine Wechselstube seit Anfang der Siebziger Jahre in dem bezeichnten Hause. Er gilt als wohlhabender Mann, der seinen Kindern eine gute Erziehung angedeihen ließ. Er ist 46 Jahre alt und konfessionslos. — Das Befinden Etserts und des verwundeten Knaben ist hoffnungslos. Ein Auge Eiserts ist total ausgeschlagen, der Kopf mehrfach gespalten. Stöhnend, von den entsetzlichsten ^Schmerzen gequält, mit verzerrten Gestchtszügen liegt der Unglückliche auf seinem Krankenlager. Professor Dtttel hat eine Operation an ihm vorgenommeu. In der Nacht hat sich sein Befinden derart verschlimmert, daß eine Rettung absolut ausgeschloffen erscheint. Ebenso hat der Zustand des Knaben Heinrich eine solche Wendung genommen, daß auch er kaum mit dem Leben davonkommcn dürfte; dagegen ist das Befinden der Lehrerin weniger bedenklich.
— Nach der „Frkf. Ztg." sind bei Eifert 3500 fl. geraubt worden.
Wien, 10. Jan. Hier wurde ein Individuum Namens Hugo Schenk, angeblich ein Ingenieur, verhaftet, welcher vier Frauenspersonen (Dienstmädchen), die er unter der Vorspiegelung, sie ehelichen zu wollen, an sich zu locken wußte, meuchlerisch ermordete, um sich in den Besitz iqres Vermögens zu setzen.
Wien, 10. Januar. Eine zweite ebenso grauenvolle Mordgeschichte bildet seit gestern das Stadtgespräch. Ein Kohlenhändler, der sich als Ingenieur ausgab, Namens Hugo Schenk, der 35jährtge mißrathene Sohn eines 1" Kreis- gerichtsraths in Teschen, hat im Laufe von 5 Jahren eine große Zahl (mindestens 6) Dienstmädchen ermordet. Er schwindelte ihnen — das war in den meisten Fällen sein Vorgehen
— vor, er werde sie heirathen (obgleich er schon verheirathet war), lockte ihnen ihr Sparkassenbuch ab, machte mit der Beschwindelten eine Reise — natürlich zu seinen reichen Verwandten
— schnitt ihr den Hals ab und warf sie in
entdeckte man nun in einem kleinen, am Mühl- kaual gelegenen Gebäude einen ganzen Waggon voll Reh- und andere Felle, die der Weißgerber kurz vor Ausbruch des Konkurses erhalten und gleich beseitigt hatte. Den Gläubigern ist dadurch ein glücklicher Stern aufgegangen; weniger günstig wird dieser Umstand aber für den Jnhaftirten wirken.
Niederstetten, 10. Jan. Das Pferd des Thierarztes Klein (aus Ludwigsburg), welcher von einem Besuche in Wermuthausen mit seinem Einspänner zurückkehrte, scheute bei der Einfahrt in die Stadt an einer Biegung der Straße, wodurch das Gefährt umgeworfen und der Insasse so unglücklich hinausgeschleudert wurde, daß dessen Hirnschale schwere Verletzungen erhielt. Ohne wieder zum Bewußtsein gekommen zu sein, verschied der Verunglückte gestern früh.
Deutsches Reich.
Berlin. Die Angehörigen des ff Abg. Lasker beabsichtigen, die Leiche demnächst nach Europa bringen und in Berlin beisetzen zu lasten. Ueber die Zeit der Ueberführung steht noch nichts fest. Laskers Testament enthält hinsichtlich der Beerdigung keine spezielle Bestimmung.
Ausland.
Wien, 10. Janr. (Raubmord in der Wechselstube Eifert.) Dieses Verbrechen dessen planmäßige Anlage in frappirender Weise an das kürzlich aus Stuttgart gemeldete Verbrechen bei dem Bankier Heilbronner gemahnt, hat die ganze Stadt in fieberhafte Erregung versetzt. Die „N. Fr. Pr." enthält noch folgende Einzelheiten : Während Eifert im Geschäftslokale mit der Lektüre des Abendblattes beschäftigt war, treten zwei Herren in das Lokal ein. Das Gaslicht war bereits angezündet und die Vorhänge waren zugezogen, so daß von der Straße Niemand in das Geschäft sehen konnte. Die feuerfeste Kaffe stand offen, weil Eifert im Bedarfsfälle nicht erst die Procedur des Oeffnens vornehmen wollte. Beim Eintritte der beiden Männer trat Eifert an die Schranken und fragte die Unbekannten um ihr Begehr. „Kann man bei Ihnen Rubelscheine wechselnd" fragte der Eine mit Wiener Dialekt. „Gewiß," war die Antwort des WechselstubeniuhaberS, welcher der Handbewegung des Fremden folgte, der in die Rocktasche griff, anscheinend um die Rubel-Noten hervorzuholen. Doch der Fremde holte aus seiner Tasche keineswegs die Rubel hervor, sondern ehe sich Eifert deffen versehen konnte, hatte ihm der Unbekannte eine Handvoll Sand in das Gesicht geschleudert, so daß Eifert sofort das Sehvermögen verlor. Im nächsten Momente schon war der Zweite herbeigesprungen und versetzte mit einer mitgebrachten Hacke oder Axt Eifert mehrere wuchtige Hiebe über den Kopf. Trotz der erlittenen schweren Verletzungen und lrotzdem er nicht fähig war, die Augen zu öff
Das Lied der Nachtigall.
Novelle von Kkristopö Wiese.
(Fortsetzung.)
„Du bist lange geblieben, mein Kind," antwortete eine matte, stockende Stimme.
„Ich bin es ja, liebe Mutter," sagte der junge Mann, „ich, der Wilhelm. Wo ist Marie?"
„Sie ist auf der Vogelwiese," erwiderte die Kranke. „O gönnen Sie dem armen Kinde das Vergnügen, junger Herr, stören Sie es nicht!"
„Wissen Sie auch gewiß, daß Sie dort ist?" fragte Wilhelm unruhig und zweifelnd.
„Ja," war die Antwort, „sie versprach mir auf ein Stündchen hinauszugehen."
Ohne „Gute Nacht" zu sagen, eilte er davon, sprang in den Wagen und befahl dem Kutscher, nach der Vogelwiese zu fahren.
Bald war das Ziel erreicht. Schon hatte er mehrere Zelte durchsucht, ohne Marien zu finden. Vor dem letzten derselben trat eine alte Frau an ihn heran."
„Sie ist nicht hier, Herr Friedberg, sie ist im Walde," flüsterte sie.
Der junge Mann erschrack.
„Woher wißt Ihr das?" fragte er sehr erregt.
„Ich habe sie hingehen, aber noch nicht zurückkehren sehen," erwiderte die Alte, und zwar mit einer Ruhe und Sicherheit, daß Wilhelm ihre Worte für wahr hielt, da eine ähnliche Vermuthung schon vorher in ihm aufgetauchl war.
Hastig sprang er nun abermals in den Wagen und ließ sich nach dem Walde fahren. Der Kutscher konnte seinen sonst so ruhigen und
vernünftigen Herrn nicht begreifen. Freilich ließ das Wetter nichts zu wünschen übrig. Kein Lüftchen regte sich und der duftig blaue Himmel schimmerte von unzähligen Sternen. Aber der junge Friedberg hatte ja noch nie eine so seltsame Spazierfahrt gemacht. Es mußte wohl etwas ganz besonderes dahinter stecken. Solchen und ähnlichen Gedanken nachhängend, hieb der Kutscher auf die feurigen Rappen und bald darauf hielt der Wagen am Saume des Waldes.
„Erwarte mich hier!" rief Wilhelm, sprang auf u. verschwand im Gebüsch.
Er kannte Mariens Lieblingsplätzchen, die kleine Moosbank am Rand einer Quelle und begab sich nun zunächst hierher. Aber die Geliebte war nicht da. Seine Aufregung steigerte sich, bange Ahnungen stiegen in ihm auf.
Er dachte an den See. Konnte das leicht erregbare Mädchen, durch den schrecklichen Gegensatz zwischen seinem Wehe und der Lust auf der Vogelwiese zur Verzweiflung getrieben, nicht seinem Leben ein Ende gemacht haben? Wilhelm zitterte bei diesem Gedanken.
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Hier und da rauschte das Laub, sonst blieb alles still. Er eilte weiter, bald gegen einen Baumstamm, bald in ein Dorngebüsch rennend. Schon tauchte der lichte Spiegel des Sees vor ihm auf. Abermals erscholl der theure Name.
„Pst, Pst!" flüsterte es plötzlich.
In demselben Augenblick warf sich Wilhelm auf die Knie nieder, umarmte die Geliebte und bedeckte sie mit Küssen.
„Marie, du liebes süßes Mädchen!" rief er dann. „Weßhalb hast du mir das gethan?"
„Still," erwiderte die Arme, aber so matt und leise, daß es kaum gehört wurde, „still, still, Du verscheuchst die Nachtigall!"