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gesangverein. In der Wiedergabe klassischer Musik ist der unermüdliche und umsichtige Dirigent des Vereins ein Meister und stets wird der Zuhörer erstaunt sein über die Sicherheit, mit der der Leiter der Aufführung alle Schwierigkeiten zu überwinden und alle verfügbaren Kräfte zu hoher Begeisterung und Liebe zur Sache hmzureißen weiß. Die Aufführung war daher getragen von großer Korrektheit der Auffassung, von strammer Exaktheit des Zusammenwirkens und von einem innigen Vertiefen in das großartige Kunstwerk, das durch seine wunderbaren Kompositionen da» Ohr in schärfster Spannung hält und Herz und Gemüt aufs tiefste anregt und belebt. Wie die Aufführung im vorigen Jahr ungemein erquickend war, so erzielte auch die gestrige einen durchschlagenden und sehr effektvolle» Erfolg. Die hier rühm- lichst bekannten Solisten, Frl. Kaus!er (Sopran), H. Sauter (Tenor), A. Werner (Baß), deren Namen schon für eine mustergültige Aufführung bürge», taten sich wieder vorzüglich hervor und brachten ihre Partien zur schönsten Geltung; einige Stücke waren geradezu entzückend und von prächtigster Wirkung. Der Chor selbst, dem bei einem so großen Werk ein noch ausgiebigerer, stärker besetzter Sopran zu wünschen wäre, hielt sich sehr gut und ließ die tüchtige Schulung und sichere Einübung durch den Dirigenten vorteilhaft hervortreten. Die Orgelbegleitung durch Organist Vinqon und da» Orchester, ausgeführt von der Kapelle de» Jnf.-Reg. 131 in Ludwigsburg und von hiesigen Musikfreunde», stand hinter den andern Leistungen nicht zurück, so daß die Aufführung sich den früheren Aufführungen des Kirchengesangverein» würdig an die Seite reiht und dem Verein und seinem Dirigenten, Buch- händlerGundert, zu großerAnerkennung gereicht.
Calw 12. Dez. (Egsdt.) Der hiesige ev. Jünglingsverein hält feine Weihnacht s f e i e r am 18. Dezember, abends 7 Uhr. (Siehe Ins. in heutiger Nummer.) Um den früher an dieser Stelle ausgesprochenen berechtigten Wünschen de» Publikums Rechnung zu tragen, wurde da« Podium erhöht, auch soll die Besucherzahl durch Eintrittskarten geregelt werde», damit die Ruhe im Saale aufrecht erhalten werden kann. An die verehr!. Damen darf wohl die bescheidene Bitte gerichtet werden, an diesem Abend ohne Hut zu erscheine«. Den Kindern wird andern Tag» Gelegenheit gegeben, gegen ein kleine» Eintrittsgeld der Nachfeier anzuwohnen.
v Calw 12. Dez. Am gestrigen Sonntag waren viele Landleute hier, um auf Weihnachten Einkäufe zu machen. Die Läden waren den ganzen Nachmittag geöffnet und e» konnten somit die ausgestellten Ware« eingehend und mit Interesse besichtigt werden. Das Kirchenkonzert hatte ebenfalls viele Besucher angezogen, so daß die Zahl der Fremden gestern recht zahlreich war. Wie man vernimmt, sollen die Geschäftsleute mit dem gestrigen silbernen Sonntag im allgemeinen recht zufrieden sein. — Einer unserer
schönste» Spaziergänge, die Straße nach Hirsau, leidet unter einer immer größer werdenden Kalamität, unter der Rücksichtslosigkeit der LuxuS- auto».' Im Sommer ist die Straße und der Gehweg von dichtem Staub eingehüllt und bei schmutzigem Wetter wird man von den Kotspritzer» der Auto» überzogen. Eine Rettung vor einem dahersausende« Automobil gibt es nicht; die Straße ist an manchen Stellen eng und die hart an der Straße vorbeifließende Nagold gestattet kein Ausweichen. Manchen Autofahrer scheint e» noch großes Vergnügen zu machen, wenn sie sehen, wie den Fußgängern ihre Kleider ruiniert werden. Man kann es leicht verstehen, daß in manchen Gegenden sich ein starker Unwille gegen die Autorenner heraus- gebildet hat und daß allgemeine Entrüstung über das rücksichtslose Gebühren mancher Fahrer herrscht. Gestern war die Sache auf der Hirsauer Straße besonders schlimm und viele Spaziergänger gaben ihrem Mißmut über die Unerträglichkeit des herrschenden Zustand» sehr drastischen Ausdruck.
Pforzheim 10. Dez Der von der badischen Regierung gemachte Versuch, Verhandlungen in dem in Pforzheim im Gang befindlichen Lohnstreit herbeizuführev, ist gescheitert. Der Arbeitgeberverband hatte es abgelehnt, in Verhandlungen einzutreten, solange nicht die hierzu notwendige Vorbedingung erfüllt und der vom Deutschen Metallarbeiterverband am 17. September eingereichte Entwurf zu einem Lohn- und Arbeitsvertrag für Kettenmacher zurückgezogen sei.
Vom Bodensee 10. Dez. Die Errichtung eines National-Bismark-Denk- mals am Bodensee in der Nähe von Lindau auf dem Hoyerberge ist geplant, und es ist zu diesem Zweck ei« Verein zur Errichtung eine» Birmark-Denkmals auf dem Hoyerberge mit dem Sitz in Lindau gegründet worden. Im engsten Bezirk ist bereits ein ansehnlicher Grundstock gesammelt und der Denkmaliplatz, der von Prof. Theodor Fischer-München begutachtet wurde, bereits erworben worden. Da» Denkmal soll am hundertsten Geburtstag des erste» Reichskanzler», am 1. April 1915, eivgeweiht werden.
Berlin 9. Dez. Wegen der in verschiedenen Gegenden vorgekommenen Erkrankungen nach dem Genuß von Margarine hielt die Vereinigung deutscher Margarinefabriken eine außerordentliche Generalversammlung in Berlin ab. Die Altonaer Margarine- WerkeMohru. Co., Altona-Ottensen, wurden der Mitgliedschaft der Vereinigung für verlustig erklärt.
Der Reichskanzler zum Reichs- Haushaltsentwurf
Berlin 10. Dez. (Reichstag.) Am BundeSratstisch der Reichskanzer v. Bethmann- Hollweg. die Staatssekretäre v. Kiderlen-Wächter, Delbrück, Wermuth, Tirpitz, Ltsco, Kiätke und der preußische Kriegsminister v. Heeringen. Haus uud Tribünen find gut besetzt. Präs. Graf Schwerin-
Löwitz eröffnet die Sitzung um 11.20 Uhr. Die Beratung des Etats wird fortgesetzt. Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg: Der Zusammenhang zwischen Ftnanzreform und Etat liegt auf der Hand. Bei der Einbringung der Steuervorlagen handelte es sich nicht um diese oder jene Art von Steuern, sondern um die Interessen der Nation, da es mit der bisherigen Finanzwirtschaft nickt weiter ging. (Sehr richtig bei der Mehrheit, Unruhe links.) Fürst Äülow hat denn auch aus der Ablehnung der Erbschaftssteuer nicht die Konsequenz gezogen, den Reichstag aufzulösen, sondern der Notwendigkeit eines sofortigen Zustandekommens der Finanzreform seine eigene Person untergeordnet. Der Etat ist die stärkste und bündigste Rechtfertigung des Entschlusses der verbündeten Regierungen, die Reichsfinanzreform ungeachtet einzelner Bedenken anzunehmen. Der Reichskanzler betont sodann die Notwendigkeit einer intakten Aufrechterhaltung eines starken und schlagfertigen Heeres und des gesetzmäßigen Ausbaus der Flotte. Beides stehe erfreulicherweise im Programm aller Parteien, soweit sie nicht auf dem Boden prinzipieller Negation ständen, und wurzle tief in dem Empfinden der ganzen Nation, weil nur auf diesem Boden die Politik ruhiger Eotschlosseuheit möglich sei, die das Volk wünsche. In das Gebiet der Fabel gehöre alles, was von Krisen und Konflikten zwischen der Armee uud der Heeresverwaltung einerseits und der Reichsfinanzverwaltung andererseits erzählt werde. Die Anwesenheit der Herren v. Tirpitz und v. Hee- rivgen sei besonders ein ausreichender Beweis dafür, daß das ihnen anvertraute nationale Gut nicht verkümmern werde. Der Reichskanzler dankte sodann den Parteien für die gemeinsame Förderung des Werkes der Reichsverficherungsordnung und sprach die Hoffnung aus, daß das segensreiche Werk noch in dieser Session vollendet werden möge. Hoffentlich werde auch die reichsländische Verfassungsfrage und daS Gesetz betreffend die Staatsangehörigkeit noch in dieser Session zur Erledigung kommen. Was die Wirtschaftspolitik anlange, so werde er an den bewährten Grundlagen unserer Wirtschaftspolitik mit allem Nachdruck festbalten, auch im Hinblick auf die bereits eingeleiteten Verhandlungen mit Schweden und Japan behufs Abschlusses eines Handelsvertrags. Wie auch die Reichstagswahlen aasfallen wögen, eine „Götterdämmerung" werde auch dann nicht anbrechen. Die Nation werde in ihrer vorwiegenden Mehrheit an den Reichstag die Frage richten, ob er die Wehrmacht, die staatliche Ordnung und die bewährten Grundlagen des Wirtschaftslebens beibehalten und schützen wolle, und es werde sich daun Herausstellen, ob es klug war, daß diejenigen Parteien die trotz der Verschiedenheit ihrer Parteiansichten in den Grundfragen der Nation demselben Ziele znsteuerten, sich jetzt so bitterlich befehdet haben. Der Reichskanzler kann sich nicht mit irgend einer Partei oder einer Parteikonstellation identifizieren. Er müsse es ablehnen, sich auf eine bestimmte Partei festzulegen. Der Reichskanzler diene auch nicht dem Parlament. Er führe die Politik, die nach seiner sachlichen Ueberzeugung dem Wohle des Vaterlandes dienen müsse, solange er dazu die Zustimmung des Kaisers und der verbündeten Regierungen finde. Auf dieser Grundlage suche der Reichskanzler zu einer Verständigung mit dem Reichstag zu gelangen. — Der Kanzler geht sodann auf sein Verhältnis zur Sozialdemokratie über. Bei Gelegenheit der Reichstagsinterpellation von Albrecht und Genossen legte der Abg. v. Heydebrand die Gefährlichkeit der
dessen Inhalt keinen Gebrauch gemacht, und daß er es sicherlich, um jeder Entdeckung vorzubeugen, vernichtet habe. Um im voraus alle etwa zu erhebenden Eiuwände zu entkräfte», gab er die Erklärung für fein anfängliche» Schweige», indem er so schonungslos als möglich da» Verhalten Leopolds gegen Gertrud und - seine eigene Neigung zu Leopolds Schwester berührte. Seine Darstellung wirkte in ihrer Einfachheit und Klarheit offenbar frappierend auf Richter sowohl als Zuhörer, die sich wahrscheinlich von dem in der Oeffentlichkeit so viel berufenen Mann ein ganz andere» Bild entworfen hatten.
„Was für Beweise vermögen Sie für Ihre Versicherung beizubringen?" fragte der Vorsitzende, nachdem Reinhart geendet.
„Das Wort eine» Ehrenmannes, den niemand einer bewußten Unwahrheit zeihen kann und der allenthalben den Ruf unanfechtbarer Wahrheitsliebe und Objektivität genießt!"
„Dasselbe kann Ihr Gegner von sich sagen. Da» ist nur eine Bekräftigung, kein Beweis. Die Justiz ist auf greifbare Momente angewiesen. Ihr Reisegefährte ist vor Ihnen zurückgekehrt, er hat bereits in seinem afrikanischen Telegramm da» großartige Ergebnis seiner Expedition verkündet, er hat eine ausführliche Darstellung derselben und ihrer Resultate veröffentlicht, «och bevor man wußte, daß Sie überhaupt mit dem Leben davon gekommen seien. Niemand vermag einen Zweifel gegen seine Ehre und Wahrheitsliebe geltend zu machen. Auch Ihre Erzählung ruft jedoch den Eindruck der Glaubwürdigkeit hervor, nur spricht gegen Sie, außer den bereit» erwähnten Momente«, ein Umstand, der bei ihm hiuwegfällt: Sie kehrten krank zurück, waren Ihrer eigenen Angaben und dem Zeugnis verschiedener Personen zufolge schon während
der Rückreise krank. Befanden Sie sich in aufgeregtem, exaltiertem Zustande?"
„Allerdings war ich mehr als hinfällig," erwiderte Dr. Hohl mit rückhaltloser Offenheit. „Ich hatte durch Fieber, Strapazen und Wunde» unendlich gelitten, und die plötzlich auf mich hereinstürmende Angst, mir meine« schwer errungenen Lorbeer entschwunden zu sehen, vermehrte die Aufregung meine» Gehirns — kaum in See gestochen, verschlimmerte sich mein Befinden. Ich litt an Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen, Schwindelanfällen. ES ist wahr, ich weiß kaum, wie ich nach Deutschland gekommen bin, wenigstens heute nicht mehr. Aber ich war nichtsdestoweniger Herr meines Bewußtseins und klar in meinen Entschließungen. Jene Symptome waren die Vorboten meiner Krankheit, und erst die ungeheure seelische Aufregung, in welche mich Dr. SekalS mir bei meiner Heimkehr im ganze» Umfange enthüllte Schurkerei versetzte, führte in der Sitzung des Verein» für Erdkunde den elementare» Ausbruch herbei."
Richter und Schöffen tauschten einen bedeutungsvolle« Blick.
„Vielleicht täusche« Sie sich jetzt doch selbst über Ihr damalige« Befinden," gab der Vorsitzende nach kurzer Ueberlegung zu bedenken. „Sie mögen ein Tagebuch mit Aufzeichnungen bei sich getragen haben, wer kann aber wissen, ob Sie e» nicht schon während der Rückreise verloren haben?"
Dr. Hohl erklärte im Ton inniger Ueberzeugung: „Ich hielt e» fest mit alle» Fasern meiner Seele, ich fühlte instinktiv, wie viel von seinem Besitze abhing. Ich hatte da» Buch noch, als ich mich in die Sitzung de« Vereins für Erdkunde begab."
(Fortsetzung folgt.)