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mit der zweiten Lesung des Gesetzentwurfs betr. die Errichtung von Arbeitskammer». Der lückenhaften offiziöse« Berichterstattung müssen wir auch diesmal mit den für da» allgemeine Verständnis unbedingt notwendigen Erläuterungen unter die Arme greifen; e» ist unseren Lesern damit sicher bester gedient als mit dev gehaltlosen Sitzungsberichten. Natürlich können wir im Rahmen unserer Umschau nur die Grundgedanken herautschälen. Die Schaffung von ArbeitSkammera gehört zu den sozialpolitischen Versprechungen, die schon mit der kaiserlichen Botschaft im Jahre 1881 gegeben wurden, aber weiter kam e» nicht, als daß dieses Versprechen endlich ist die Verwirklichung nahegerückt. Arbeitskammern sollen geschaffen werden, paritätisch zusammengesetzte Körperschaften, in denen Arbeit- 35 Jahre später (1906), wieder erneuert wurde. Jetzt geber und Arbeitnehmer gleiche Rechte haben sollen. Die durch einen Arbeitsvertrag gebundenen Parteien sollen in engere Fühlung miteinander gebracht und so die Möglichkeit geboten werden, daß jeder Teil die Ansichten des andern kennen und würdigen lernt. Man wird zugeben müssen, daß damit der beste Weg zum Frieden gegeben ist. Arbeiterkammern, d. h. nur au» Arbeitnehmern zusammengesetzte Körperschaften, wie sie die Sozialdemokratie verlangt, müßte» notwendigerweise zur Einseitigkeit führe», während aus gemeinschaftlichen Beratungen heraus den Interessen aller Beteiligten — und hiezu gehören doch gewiß die Arbeitgeber — gedient werden kann. Als Hauptzweck der Arbeittkammera wird dann auch die Förderung eines gedeihlichen Verhältnisse» zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber» bezeichnet. Ferner sollen die Arbeitskammern den Behörde» Mitteilungen tatsächlicher Art machen, Gutachten abgeben und Erhebungen veranstalten. Sie können auch Maßnahmen zur Hebung der wirtschaftlichen Lage der Arbeitnehmer anrrgrn und an der Verwaltung der hierauf bezüglichen Einrichtungen Mitwirken. Sie sollen weiterhin befugt sein, Anträge an Behörden und an die gesetzgebenden Faktoren der Bundesstaaten und de» Reichs zu richten. Endlich ist ihnen eine einigungsamtliche Funktion zugedacht. Scho» dieser kurze Umriß zeigt, daß es sich um eine gesetzgeberische Maßnahme von hohem sozialpolitischem Werte handelt und man kann deshalb unr wünschen, daß das Zustandekommen de» Gesetzes an einzelnen schwierigen Fragen nicht noch scheitert.
Die amerikanische „Freundschaft" gegenüber Deutschland hat sich wieder einmal in einem sonderbaren Lichte gezeigt. Die Regierung der Republik Kuba hatte mit der Vulkan- Werft in Stettin wegen de» Baues einer Anzahl von Kriegsschiffen einen Vertrag abgeschloffen. Die Regierung der Union aber verlangt, daß diese Schiffe auf einer amerikanische« Werft gebaut werden und der Kontrakt mußte rückgängig gemacht werden. Diese Noblesse wird sicher bald genug durch einen neuen Hymnus auf die deutsch-amerikanische Freundschaft vergessen gemacht werde«. Schöne Worte sind ja billig, hüben wie drüben.
Tagesveuigketteu.
Calw 8. Dez. In Allburg hatte ein Zimmermeister ein größere Geldsumme vereinnahmt. In der Nacht wollte ein Dieb einsteigen, und das Geld holen. Der Zimmermeister erwachte aber an dem Geräusch, nahm eine Axt zur Hand und der Dieb mußte unverrichteter Sache wieder abziehev. Ein Pforz- heimer Polizeihund, der die Witterung aufuahm und die Spur längere Zeit verfolgte, hatte kein bestimmte» Resultat.
Tei nach 7. Dez. Gestern fand im benachbarten Emb erg die Uebernahme der neuen Straße Teinach — Emberg statt. Vom Ministerium de» Inner» war Baurat Köhler erschiene», begleitet von Straßenbauinspektor Kurz-Calw und dem bauleitenden Diplomingenieur Matzinger. Der Besichtigung wohnten ferner bei die Schultheißen von Emberg, Sckmieh und Teinach, sowie die bürgerlichen Kollegien von Emberg. — Bei der Widmaier- sche» Sägmühle beginnend, zieht sich die prächtige Straße in einer Länge von 3 V» Kilometer durch die Waldungen Emberg», um in der Höhe mitten in da» Dorf Emberg eivzumündev. Die Pü- fung der Straße durch den Vertreter de» Ministeriums endigte mit der rückhaltlosen Anerkennung des wohlgelungenen Werke», wofür auch dem anwesenden Unternehmer Hafner von der Firma Hafner L Summ besonderes Lob zuteil wurde. Nach durchgeführter Besichtigung versammelte« sich die Teilnehmer im Hotel Hirsch, um zur Feier de» Tage» einige gemütliche Stunden zu verbringen. In der von Schultheiß Nothack er-Emberg gehaltenen Ansprache dankte er in erster Linie de» staatlichen Behörden
für ihre große Unterstützung, dem Ingenieur Matzinger für seine treffliche Bauleitung und dem Kollegen von Schmieh für seine bereitwillige Mithilfe. Der Beschluß zum Straßenbau wurde am 5. Dez. 1908 gefaßt, die Bauarbeite» begannen am 19. Juli 1909 und endigten am 17. Sept. 1910. Der Redner erwähnte mit Genugtuung, daß während des ganzen Straßenbaus kein einziger Unfall vorgeköiimen sei und führte im Weitere» aus, welch große Aufgabe die kleine Gemeinde Emberg mitMr Erstellung der Straße übernommen habe. E? sei glücklich, konstatieren zu können, daß daL große Werk nun zu aller Zufriedenheit beendet sei und leere sein Glas in der Hoffnung, daß die neue Straße der friedliche» Entwicklung der Gemeinde Emberg dienen werde. — Nachdem Baurat Köhler namens des Ministerium» sämtlichen Beteiligten für die tatkräftige Durchführung des Straßenbaus seinen Dank ausgesprochen hatte, führte Schultheiß Schneider in launiger Weise aus, daß die neue Straße eigentlich wie geschaffen sei, die längst in Teinach gewünschte Rodelbahn zu ersetzen und richtete die Bitte an die Emberger Vertreter, einer etwaigen Benützung der Straße rach dieser Richtung wohlwollend gegenüber zu stehen. Nach 8 Uhr verabschiedete sich der Vertreter des Ministeriums, Baurat Köhler, mit herzliche« Worten von den Anwesenden und fuhr in Begleitung der Herren von der Kgl. Straßenbauinspektion Calw zum Bahnhof. Die Emberger und Teinacher Bürger dagegen benützten die festliche Gelegenheit zur gemütliche» Feier von Bachus und GambrinuS bi» zur Mitternachtstunde, elftere im sicher» Bewußtsein, daß nun ja eine breite, bequeme Straße zum heimatlichen Herd führe.
L. Simmozheim 8. Dez. Der hiesige Kriegerverein veranstaltete zur Ehrung seiner 7 Veteranen und zum Andenken an die 40. Wiederkehr der großen Schlachtentage am 30. Nov. eine wohlgeluagene Festlichkeit. Der Feier voran ging auf Wunsch der Veteranen ei« Gottesdienst, an dem sich der Verein, die bürgerl. Kollegien, sowie die Einwohnerschaft zahlreich beteiligten. Hr. Pfarrer Weit brecht wies in seiner Rede auf die damalige Gottesfurcht in der Armee und Nation hin, ohne welche ein Sieg wohl nicht zu erhoffen gewesen wäre und gedachte insbesondere der im Kriege gefallenen Soldaten. Nach dem Gottesdienst verteilte Hr. Schultheiß Reiff auf dem Rathau» an jeden Veteranen
wie sie Dr. Hohl an ihm noch nicht kenne« gelernt. Der geübte Menschenkenner wrßte wohl, daß ein stolzes und brüske» Wesen den Trotz des jungen Mannes herausfordern mußte, während gewinnende Liebenswürdigkeit und vorwurfsvolle Sanftmut zur Resonanz reizen und eine weiche, nachgiebige Stimmung erzeugen.
Reinhart erwartete eine gereizte, stolze Zurückhaltung — im Gegenteil, Rüdiger Sekal schüttelte ihm warm die Hand und sprach seine Freude aus, ihn wieder so rüstig vor sich zu sehen und sein Bedauern, daß Reinhart ihn und seine Familie noch nicht aufgesucht.
„Diese» unglückselige Mißverständnis", unterbrach er sich kopfschüttelnd selbst. „Bester Doktor, was mache« Sie für Geschichten? Sie stürzen sich ins Unglück und bereiten uns große Fatalitäten."
„Ich gehorche nur der Pflicht der Selbsterhaltung," antwortete Reinhart ernst.
„So glaube« Sie — natürlich, denn wider Ihre bessere Ueber- zeugung würden Sie nicht handeln. Doch in Wahrheit, Herr Doktor, Sie find jetzt noch überreizt und nicht im Besitz Ihre» normalen Bewußtseins. Wenn sie einmal ganz wieder der Alte find, werden Sie erschrecken über Ihr Tun. Um Ihrer selbst willen, hören Sie auf Ihre wirklichen Freunde, nehmen Sie Ihre Erklärung zurück und wir werden Ihnen wahrhaftig nichts Nachträgen."
So fuhr Geheimrat Sekal fort, in Reinhart zu dringen, doch wies der junge Mann alle Vorschläge de» Gelehrten bescheiden, aber fest zurück.
„Denken Sie an Ihre Zukunft — ich bin —" er hob bedeutsam den Finger, „tiefer in die Geheimniffe Ihre» Herzens und einer gewissen anderen Person eingedrungen —"
Dr. Hohl errötete lebhaft.
„Sie wissen doch, welch' hohe Achtung ich für Ihre Kenntnisse, Ihren Charakter hege — nach völliger Wiederherstellung ihrer Gesundheit hätten Sie sicherlich bei mir nicht vergeblich angeklopft —"
Er blickte den Widersacher seine« Sohne» erwartungsvoll an. Der Doktor wandte sein Antlitz ab, um die Aufwallung von Seelenpein zu verbergen, welche ihm de» Besucher» Worte verursachte». Mit zitternder Stimme entgegnete er sodann:
„Der Himmel weiß, Herr Geheimrat, was ich leide — aber mein Entschluß steht fest! Ich kann, ich darf nicht ander» handeln!"
Grimmig stand Sekal von seinem Stuhle auf.
„Nun wohl, ich hatte e« gut mit Ihnen vor", rief er empört. „So büßen Sie Ihre Hartnäckigkeit! Sie werden bald erkennen, daß Sie sich eine recht ungenießbare Suppe eingebrockt haben! Jede Verdächtigung, die Sie so unverzeihlich gegen Ihre« Freund schleudern, wird auf Ihr eigenes Haupt zurückfallen! Ihre Handlung bedeutet einen gesellschaftliche» und wissenschaftlichen Selbstmord!"
In förmlicher Zornesglut fuhr der Geheimrat nach Hause. „So gilt es Krieg auf Tod und Leben," sagte er zu sich selbst. „Er oder wir?"
Am nächsten Abend fand das angeküvdigte Fest in der Villa de» Kommerzienrat» von Moris statt. In ununterbrocheüer Folge hielten die Equipagen vor dem hohen Marmorportal; die mit raffiniertem Luxus ausstaffierte» Festsäle füllten sich mit den Trägern illustrer Name«, so daß da» ganze einer wahren Parade von Kapazitäten der Wissenschaft und Repräsentanten der Haute-Finanee gleichsah. Leopold saß an der Seite seiner in weißer, rauschender, kostbarer Seide erstrahlenden Braut, deren Schönheit der Glanz ihrer Millionen und Brillanten in Verbindung mit dem feenhafte» Licht der elektrischen Kronleuchter in den Augen der Betrachter zu idealer Göttlichkeit steigerte.
Al» Dr. Frese» am nächsten Abend de» Bericht über die glänzende Festivität in der Zeitung la», schüttelte er mißmutig den Kopf und murmelte betrübt: „Armer Reinhart — eine Verbindung von Gold und Intelligenz! Und da jedes von beiden schon für sich eine Großmacht darstellt, so sind sie vereint schier unüberwindlich! Du wirst einen harten Stand bekommen!"
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Die Prophezeiung des Arztes sollte nur zu buchstäblich in Erfüllung gehen!
Dem korrekten Verlauf der Dinge nach hätte eine so außergewöhnliche Anklage, wie Dr. Hohl sie gegen Leopold Sekal erhob, wie ein Blitzstrahl in die gelehrte Welt einschlagen müssen. Daß die» nicht der Fall ist, daran trugen mancherlei Momente die Schuld. Erstens hatte Reinhart Hohl durch seine Beschuldigung im Verein für Erdkunde seiner Handlung im Voraus die Spitze genommen. Damals hatte der Vorgang wohl Sensation erregt, der Ankläger aber war im Anschluß an den aufregenden Akt geisteskrank geworden, und man hatte sich ganz natürlicherweise daran gewöhnt, seine Aktton unter diesem Gesichtspunkte zu betrachten. (Fortsetzung folgt.)