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von Paketen mit Nachnahme nur Nachnahme-Paketadressen mit anhängender, vom Publikum vorzuschreibender Postanweisung verwendet werden. Zu diesem Zweck werden Formulare zu Au»land»nachnahme- Paketadrefsen auf gelbgrünem Kartonpapier, von derselben Farbe wie da» Formular zur Auslands- Paketadresse, hergestellt und bei den Postanstalten zum Verkauf an das Publikum bereit gehalten werde«. Auch ist es gestattet, die Formulare durch die Privatindustrie Herstellen zu lassen. Die von der Privatindustrie hergestellten Formulare müssen mit den amtlichen Mustern ebenso übereinstimmen, wie dies für die entsprechende» Jnlandsformulare vorgeschrieben ist. Mit dem Verkauf der Formulare wird gegen Ende Dezember begonnen werden.
Stuttgart 1. Nov. Vor die Strafkammer waren wieder über 30 Wirte geladen, die Geldspielautomaten aufgestellt hatten Auch diese wurden wegen gewerbsmäßigen Glückspiels zu je 1 Tag Gefängnis verurteilt.
Stuttgart 1. Nov. (Strafkammer.) Ei» frecher Diebstahl wurde am 17. Oktober nachts auf dem Hauptbahnhof verübt. Ein Mann drängte sich an das Schalterbrett der Fahrkartenausgabe und »ahm mit raschem Griff eine Schale mit Zweimarkstücken weg, mit der er das Weite suchte. Die Verfolgung wurde sofort ausgenommen. Bei dem Wettlauf verlor der Mann einen Teil seiner Beute. Beim Trieb - richsplatz wurde der Dieb gestellt und ihm der Rest de» Geldes abgenommen. Er entpuppte sich als der schon vielfach vorbestrafte Taglöhner Otto Oexle von Cannstatt. Die Strafkammer verurteilte ihn zu 1 Jahr 3 Monaten Zuchthaus.
Heilbronn 1. Nov. (Gratifikation. — Streiterei.) Anläßlich der Generalversammlung de» Salzwerks wurde auch der im Werk beschäftigten Arbeiter gedacht und an sie Gratifikationen im Gesamtbeträge von 9 048 verwilligt. E» erhielten diejenigen Arbeiter, welche auf eine Dienstzeit von 10 und mehr Jahre» zurückblicken je 50 und diejenigen unter 10 Jahren pro Jahr 4 — Am Sonntag
kam es in einer Wirtschaft in der oberen Zehentgaffe zu einer größeren Streiterei. Der Wirt schickte die radaulustige Gesellschaft au» seiner Wirtschaft. Nun ging e» außen weiter, einer der Beteiligten holte au» einem nahegelegenrn Stall Haue, Axt und Mistgabel herbei, um damit die Prügelei fortzusetzen. Da» rasche Eingreifen der Polizei verhinderte jedoch ein größeres Unglück.
Heilbronn 11. Okt. In einer von etwa 1200 Personen besuchten Versammlung der Fortschrittlichen Volkspartei Heilbronn
wurde der Reichstagsabgeordnete Dr. Naumann unter starkem Beifall zum Kandidaten für die nächste Reichstagswahl proklamiert.
Welzheim 1. Nov. (Warnung.) Der noch nicht 4 Jahre alte Knabe des Krämers Seeger von Alfdorf aß im Walde Tollkirschen. Das Kind, da» glücklicherweise sofort zum Arzt gebracht wurde, war zwei Tage bewußtlos, doch besteht Aussicht, das Leben de» Kindes zu retten.
Aalen 31. Okt. (Falsche« Geld.) Nachdem erst vor ewigen Tagen im Bezirk Neretheim verschiedene falsche Ein- und Zwei- Markstücke angehalten worden sind, ist nun hier zum 7. Male innerhalb kurzer Zeit ein falsches Zweimarkstück, aus Messing gegossen und stark versilbert, gerichtlich eiugezogrn worden, ebenso wurde in Gmünd ein falsches Einmarkstück beschlagnahmt. Die Vermutung, daß sich in unserer Gegend ein Falschmünzer befindet, scheint allem nach sich doch zu bestätigen.
Biber ach 1. Nov. Bei einem Besuche hiesiger Verwandten entdeckte Seminarmusiklehrer Bopp eine Sammlung von Kompositionen alter Meister, namentlich aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Viele Kompositionen, die nicht einmal i» der großen Univ-rsitäiSsawm- lung zu Berlin zu finden sind, lagen noch wohlverwahrt in dem Nachlaß de» alten Musikdirektor» Kick, eines Schülers des Biberacher Komponisten Knecht.
Pforzheim 1. Nov. (Verschüttet.) Im städtischen Steinbruch am Wartberg wurden gestern nachmittag zwei Arbeiter durch einen Erdrutsch verschüttet. Der eine davon, namens August Wüst, wurde sehr schwer verletzt.
Pforzheim 1. Nov. (Ein Ueberfall.) Gestern nachmittag verbreitete sich hier mit Blitzesschnelle ein Gerücht, wonach infolge der Keltenmacherbewegung e» gestern mittag nach 12 Uhr vor der Fabrik Fr. Speidel zu Tätlichkeiten gekommen sei. Tatsächlich ist gleich nach Schluß des Geschäfts eins grobe Ausschreitung auch vor- gekowmen, die aber im Grund genommen mit der Bewegung in keinerlei Zusammenhang steht. Der Hilfsarbeiter Gust. Klenert, ein etwa 26 Jahre alter Mann, der eine bewegte Vergangenheit hinter sich hat, ließ, weil ihm gekündigt worden war, noch während seiner Beschäftigung in der Speidelschen Fabrik in Bezug auf den Kabinettmeister B.. der als streng gilt und dem er glaubte, seine Kündigung verdanken zu müssen, die Drohung fallen: „Es gibt noch was und wenn es mich wieder zwei Jahre kostet." Als nun am Samstag abend B. nach der Bah» ging, um nach Hause zu fahren, verfolgte ihn Klenert '
unter fortgesetzten Drohungen, ohne sich an ihn heranzuwagen, weil B. von andern begleitet war. Gestern mittag indessen, al» Kabinettmeister B. mit einem zweiten Kabinettmeister M. in die Rodstraße einbog, hieb Klenert mit einem Stück Holz, dar er sich kurz vorher in der Nähe verschafft hatte, hinterrücks auf die beiden Kabinettmeister ein und verletzte sie am Kopf. Die beiden erwehrten sich rasch ihres Angreifers, entrissen ihm das Holz und seine» Schirm und gaben die Hiebe zurück, worauf sie Holz und Schirm weg- wmfen und ihres Wege» gingen. Das ganze Vorkommnis spielte sich in Gegenwart einer zahlreichen Ansammlung von Arbeitern ab, darunter auch der etlichen 70 Kettenmacher, welche letzten Samstag die Arbeit niedergelegt habe», weil ein Kollege namens Mohr entlassen wurde, der während der Geschäftszeit Unterschriften zur Erneuerung der Kündigung gesammelt und die Arbeiter aufgefordert hatte, sich auf keine Verständigung einzulassen. Wie schon gemeldet, legten am Samstag vormittag die Kettenmacher die Arbeit nieder, weil die Firma sich weigerte, die Entlassung zmückzunehmen, nachdem die Arbeiter ihre Kündigung aufrecht erhielten bezw. erneuert hatten. Wie dazu berichtet wird, hätte sich die Firma vielleicht bewegen lassen, die Entlassung ungeschehen zu machen, wenn auch die Kettenmacher ihre Kündigung zurückgezogen hätten. Das ist nach glaubwürdigen Angaben der ganze Sachverhalt. Da» Holz, mit dem Klenert zugeschlagen, nahm der Gewerkschaftsbeamte Hamman», der bei dem Ueberfall zugegen war, an sich.
Pforzheim 1. Nov. (Zur Kettenmacherbewegung) Auf der gestern Abend im „Europäischen Hof" abgehaltenen außerordentlichen Generalversammlung des Arb eit geber- verbandes, welcher auch Vertreter der hies. Barkhäuser beiwohnten, waren von 358 Mitgliedern 302 vertreten. Die Versammlung faßte mit durch Namensaufruf festgestellter Einstimmigkeit folgende Entschließung: Die Generalversammlung des Arbeitgeberverbandes für Pforzheim und Umgebung vom 31. Oktober 1910 beschließt: 1, Falls in einem Betriebe eine allgemeine Kündigung (nicht nur der Kettenmacher und Kettenmacherinne») erfolgen sollte, werden am 5. November ds. I». sämtliche Kettenfabrike«, am 12. November ds. Js. sämtliche übrigen Bijouteriefabriken der im Deutschen Metallarbeiter verband organisierte« Arbeitnehmerschaft kündigen. Die Arbeitswilligen werden nach wie vor geschützt und die Betriebe aufrechterhalten. 2. Die Mitglieder des Arbeitgeberverbandes für Pforzheim und Umgebung erklären sich solidarisch und verpflichten sich, von heute ab bi» zur Aufhebung dieses Beschlusses Arbeiter und Arbeiterinnen irgend welcher Art nicht anzunehmen und den
Mann, mit einem scharf geformte», wahrhaft antiken Kopf auf einer hohen imponierenden Gestalt, mit ausdrucksvoller Physiognomie, deren Würde der fast schwarze, wohlgepflegte Vollbart noch erhöhte. Seine hohe weiße Stirn zeigte nicht die kleinste Runzel; kein noch so geringfügige» Mal, kein Pigmentfehler entstellte die weiße samtne Haut. Seine Toilette bewies, daß er Wert darauf legte, seine Angehörigkeit zur beste» Gesellschaft zu dokumentieren, eine Tendenz, die auch in seiner gewählten, sorgfältigen Sprache einen, wie man erkennen mußte, höchst ungezwungenen und natürlichen Ausdruck fand. Seine Haltung war vornehm, aber ohne Ziererei, und der stolze Zug in seinem Antlitz verkündete noch etwa« mehr al« das bloße Bewußtsein äußerlicher Vorzüge; sein Wertgefühl war vertiefter Natur; man sah e» ihm an, daß er Ursache hatte, die Achtung der Menschen auch noch au» edleren Gründen zu beanspruchen. Sein Auge war da» eine» Denkers und Forscher» und e» schimmerte etwa» in seiner anscheinend so harmonischen Tiefe, was ein Kundiger als glühenden Ge- lehrtenergeiz au«gedeutet hätte.
Seine Gattin erschien gegen ihn unbedeutend, wer ihr aber tiefer in die sanften, liebevolle» Augen blickte, erkannte sehr bald die finnige Tiefe ihre» Gemüt» und dev Gehalt ihre» edlen Herzen». Neben einem weniger energischen, Willensstärken und selbstbewußten Mann wäre sie wohl auch mehr zur äußerlichen Geltung gelangt, aber Dr Sekal herrschte al» unbeschränkter Gebieter in seinem Hause; er glaubte ein gerechter und humaner Gatte und Vater zu sein, war aber in höherem Grade Egoist, al» er dachte. I» kleinen Dingen mochte jemand anderer Meinung sein, er würde den Geheimrat vielleicht dazu bekehren, in großen Fragen und wenn die Durchführung seiner Pläne in Frage kam, gab e» für den stolzen Mann keinen anderen Appell al» an sich selbst. Ihre hohe Verehrung und Liebe für ihn erleichterte ihm die Befestigung seiner Herrschaft und die Macht der Gewohnheit wirkte dahin, sie dauernd und selbstverständlich zu gestalten.
Dr. Sekal, sonst wenig zur Zärtlichkeit geneigt, fühlte sich heute
derart gehoben, daß er Mutter und Tochter bewegt in seine Arme schloß und mit freundlichem Lächeln hinzufügte: „Am liebsten führe ich mit euch unserem Leopold bis Hamburg entgegen, wenn er kommt, da aber die Mutter zu leidend ist, so ist es leider nicht möglich. Nun, wenigstens holen wir ihn seinerzeit im Triumph am Bahnhof ab. Ihr sollt sehen, es werden noch andere Leute zum Empfang da sein. Man wird ihn mit Hurrahi und Hochrufen begrüßen!"
Die Geheimrätin warf einen unruhigen Blick auf ihre Tochter, worauf sie sich an ihre» Mann mit der plötzlichen Frage wandte :
„Ist e» nicht befremdlich, daß Leopold gar nicht seine» Freundes und Begleiters gedenkt?"
Wera» Wangen überlief bei diesen Worten ihrer Mutter ein sanfter, kaum wahrnehmbarer Hauch. Sie wandte sich nach dem Fenster, aber mit einem Ausdruck von Spannung in ihren Zügen, welcher da» gewaltige Interesse, da» sie an der Antwort nahm, hinreichend bekundete.
„Der Dr. Hohl?" erwiderte Sekal mit plötzlich beklommen klingender Stimme.
„Es wird ihm doch nicht« zugestoßen sein?" fragte Wera hastig, schüchtern, da» hübsche Köpfchen rasch und wie besorgt «ach dem Vater wendend.
Der alte Herr schavte nicht ganz ohne Verwunderung nach ihr hin.
„Leider muß ich diese Frage bejahen", entgegnete er nach kurzer Ueberlegung erschüttert. „Ich weiß, Ihr hattet Dr. Hohl alle gern, und nun wohl — ich wünschte euch die Freude de» ersten Moment» nicht zu trübe». Deshalb verschwieg ich euch zunächst diesen Teil der Depesche. Dr. Hohl — kehrt nicht mit Leopold zurück."
„Er ist tot?" schrie da» junge Mädchen auf, die schöne» Augen in herzzerreißender Spannung auf den Vater heftend.
Der Geheimrat starrte seine Tochter betroffen, ja erschrocken an.
„Was bedeutet da», mein Kind? Du bist ja leichenblaß geworden. Du bebst am ganzen Leibe —"
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