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Einer sprach sich dahin au«, er sei in der Woll- warenbranche üblich, halbwollene Waren als wollene anzupreisen. Die zwei anderen Sach­verständigen können die Art der Bezeichnung in den Annoncen nicht gutheißen; die Strafkammer hielt die Tatbestand-Merkmale de» unlautere« Wettbewerb» als vorliegend und verurteilte den Geschäftsführer zu 50 Geldstrafe. Da» Ge­richt war der Ansicht, daß der Angeklagte in den Annoncen unwahre und zur Irreführung ge­eignete Angaben gemacht hat. Die Geschäfts­inhaberin wurde au» tatsächlichen Gründen freigesprochen.

Stuttgart 16. Okt. (Arbeiter­bewegung.) Eine Kellnerinnenver­sammlung fand letzthin nacht» zwölf Uhr hier imRömischen König" statt. Vor einer zahl­reichen Zuhörerschaft sprach die Sekretärin de» Zentralverbande» der GafiwirtschaftSgehilfinnen Deutschland» über den Verlauf de» Verbands­tage» de» Bundes deutscher Frauenvereine und die Bewegung: Reform oder Abschaffung dr» Kellneriunenstande». Daran schloß sich ein kurze» Referat von Arbeitersekretär Wächter über da» neue Stellenvermittlungsgesetz. Zum Schluß wurde folgende Resolution einstimmig angenom­men: Die Versammlung nimmt mit Genug­tuung Kenntnis von der Tagung de» Bunde» deutscher Frauenvereine in Heidelberg und der Stellung, die die Tagung zur Kellnerinnenfrage genommen hat. Nicht Abschaffung, sondern soziale Reform de» Kellnerinnenberufe» muß die Lösung de» Probleme» bringen. Die Versamm­lung der Gastwirtsgehilfinnen erwartet von den Mitgliedern de» Bunde» deutscher Frauenvereine, daß sie recht tatkräftig die sozialreformerische Arbeit de» jungen Verbandes der Gastwirts­gehilfinnen durch entschiedene Mithilfe bei der Gründung neuer Ortsgruppen de» Verbandes unterstützen. Die Versammlung weist ferner darauf hin, daß am 1. Januar 1910 die durch die Gewerbeordnung für da» Deutsche Reich vorgeschriebene Arbeitsordnung auch auf da» Gastwirtsgewerbe ausgedehnt worden ist für solche Betriebe, die zwanzig und mehr Personen beschäftige«. Sie fordert die in solchen Be­trieben beschäftigten Gastwirtsgehilfinnen auf, darauf zu sehen, daß nunmehr auch in diesen Betrieben die von der Behörde zu genehmigende Arbeitsordnung an einer dem gesamten Personal zugänglichen Stelle aufgehängt und jeder Gast- wirtSgehilfin eine Arbeitsordnung eingehändigt wird. In Sachen de» neuen Stellenvrrmittler- grsetze» gibt die Versammlung der Erwartung Ausdruck, daß bei der Festsetzung der Taxen für Stuttgarter Stellenvermittlrr ein Moximalsatz von zwei Mark für da» weibliche Schankwirt-

schafttpersonal und kein höherer festgesetzt wird. Die unorganisierten Gastwirtsgehilfinnen (Kell­nerinnen, Buffet-, Wirtschaft»- und Kochfräulein, sowie Kassiererinnen und da» weibliche Aushilfs­personal) fordert die Versammlung auf, sich dem Verbände der Gastwirtsgehilfinnen Deutschlands zu gemeinsamer Standesarbeit anzuschlirßen.

Freudenstadt 16. Okt. (Ein schlimmes Echo.) In einem offenen Brief an den zum Ortsvorsteher von Baiersbronn gewählten Land- tag»abgeordneten Gaiser erheben mit be­merkenswerter Einmütigkeit die unterlegenen Gegenkandidaten Stadlpfleger Dreher in Calw, Ratschrriber Horsch in Stuttgart, Oberamtssekretär Hufnagel in Kirchheim und Armenverwalter Wezel in Stuttgart schwere Vorwürfe gegen ihren siegreichen Mitbewerber. Sie weisen zunächst auf die Widersprüche in dem Verhalten Gaiser» hin, der vor der Wahl erklärt hatte, er werde auf keinen Fall eine Wahl annehme», und am Tage nach der Wahl diese angenommen hatte mit der Begründung, er wolle der Bürgerschaft eine» zweiten Wahlgang ersparen. Die Unterzeichner berufen sich darauf, daß sie mit offenem Visier gekämpft haben und fragen Gaiser, wie er sein Verhalten in einen so krassen Gegensatz habe stellen können und wodurch er beweisen wolle, daß nicht die Absicht vorwaltete, die Wähler und auswärtigen Kandidaten in Sicherheit zu wiegen, eine Stimmenzersplitterung herbeizuführen und eine Vereinigung auf einen auswärtigen Kan­didaten als nicht notwendig erscheinen zu lasten. Die Unterzeichner verlangen unter anderem eine Erklärung dafür, daß Gaffers Benehmen alle auswärtigen Kandidaten um viel Geld, Zeit und Mühe gebracht habe.

Freudenstadt 15. Okt. (Einbrüche.) Bei Kaufmann Glauner am Promenadeplatz wurden die Fenster aurgehobe». Der Dieb stieg in da» Haus ein. Infolge der Wachsamkeit de» Hunde» mußte er seine Tätigkeit einstellen, bevor sie Erfolg gehabt hatte. Auch in die Wirtschaft zur Burg wurde eivgedrunge«. Der Dieb wurde jedoch rechtzeitig bemerkt und mußte Reißaus nehmen. Bei Buchbinder Kächelen wurde eingebrochen und der Inhalt der Ladenkaffe ge­raubt. Durch die offen gelassene Haustür war e» dem Dieb leicht, sich Eintritt in das Hau» zu verschaffe».

Kirchheim a. N. 15. Ott. Letzthin wurde beim hiesige» Bahnhof ein Mann aufge­funden, der sich in betrunkenem Zustande schlafen gelegt hatte. Die Stationsverwaltung sah sich veranlaßt, dem Vaganten zu einer Nachtherberge behilflich zu sein und benachrichtigte das hiesige Schultheißenamt. Aufs Ratbaus verbracht, be­nahm sich der Fremde in unflätigster Weise und

widersetzte sich der wohlgemeinten Fürsorge, sodaß einige Bürger requiriert werden mußten, um ihn in sichere» Gewahrsam zu bringen. Einer davon wurde von dem Stromer auch noch gebisten.

Eßlingen 15. Okt. Der in Althütte bei Backnang verhaftete Schwindler, der bekanntlich sich auf der dortige» Postagentur als Postinspektor ausgab und die Kaffe prüfen wollte, hat den gleichen Betrug auch in Nellingen und Leinfelden versucht. Man fiel jedoch auch in diesen beiden Orten nicht auf den Schwindel herein.

Hall 16. Okt. Vor der Strafkammer de« K. Landgerichts hatte sich gestern der 33 Jahre alte Glasergeselle Christian Merz von Kupserzell wegen zweier Verbrechen des schweren Dieb­stahls im Rückfall zu verantworten. Merz, der schon ganz erheblich wegen Eigentumsver­gehen vorbestraft ist, war am 8. Mai d. I. nach Verbüßung einer dreieinhalbjährige» Zuchthaus­strafe aus dem Zuchthause in Ludwigsburg ent­lassen worden. Schon nach drei Tagen beging er in Uhingen wieder einen Diebstahl, wobei er festgenommcn und nach Göppingen emgeliefert wurde. Dort gelang es ihm alsbald, zu ent­weichen, worauf er seine Tätigkeit in die Ober­ämter Hall, Küvzffrau, Mergentheim und Crails­heim verlegte. Er gab sich als Viehhändler von Heilbronn oder Murrhardt aus und besuchte hauptsächlich einzelstehende Bauerngehöfte, um hier Gelegenheiten zum Stehlen auszuspähen. Wegen de» Diebstahls in Uhingen erhielt er von der Strafkammer in Ulm 1 Jahr 6 Monate Zuchthaus. Wegen der im hiesigen Landgerichts­sprengel verübten Diebstähle erkannte die Halle« Strafkammer auf eine Zuchthausstrafe von fünf Jahren nebst zehnjährigem Ehrverlust und Zu­lässigkeit von Stellung unter Polizeiaufsicht. Außerdem wurde noch auf eine durch die Unter­suchungshaft verbüßte achttägige Haftstrafe er­kannt, weil sich Merz bei seiner Festnahme dem zuständigen Beamten gegenüber eines falsche» Namens bedient hatte.

Flugplatz Johannistal 16.Okt. De» heutigen Flüge» wohnte der Kronprinz und dieKronprinzessin bei, die etwa eine Stunde auf dem Flugplatz verweilten. Der Kronprinz stiftete eine Krawattennadel in Form einer Krone mit Brillanten für den Aviatiker, der die größte Höhe erreicht und die schnellste Fahrt gemacht hat. Die Krawattennadel wurde Wienczier» überreicht, der gestern nach Großbeeren geflogen war und heute auf dem Rückflug gegen 3 Uhr wieder auf dem Flugplatz landete. Wahrscheinlich wird Lindpaintner den großen Preis de» KriegSministerium» bekommen und Wienczier» den Höhkprei» und den Bleichröderpreis.

lastete auf ihm und machte ihn dem Freunde gegenüber befangen, ver­schämt. Und 'doch konnte er sich nickt entschließen, mit Hugo offen zu rede». Je lieber uns ein Mensch ist, je inniger wir un» ihm verbunden fühlen, desto schwerer fällt e» uns ja oft, mit ihm eine ernsthafte Aus­sprache herbeizuftihren, deren Ausgang zweifelhaft ist und möglicherweise eine Trübung unsere» gegenseitigen Einverständnisse» herbriführen kann. So verschob er die Mitteilung wie er sich selbst eingestand aus Schwäche und Furcht auf einepaffende Gelegenheit".

XV.

Seit jenem Tage, an dem er in Frau Gerdas Arme« Freundschaft und Pflicht vergessen hatte, war Hugo nur selten und dann stets auf kurze Zeit in Wartner» Hause gewesen. Und auch dazu mußte er sich zwingen, denn ihm war'», als hätte er durch jene Tat da» Recht ver­wirkt, an der Stätte zu weilen, wo er eine» vertrauenden, gütige« Mann seiner Hau»ehre zu berauben in steter Versuchung stand. Reine und edle Seelen bleiben zwar nicht immer frei von Sünde und Fehl, aber die Erinnerung daran ist ihnen qualvoll, und sie meiden dieselbe ebenso wie den Genosse» ihrer Schuld. Darum war in Hugo, sobald er au» dem Rausche der verhängnisvollen Stunde erwachte, jede» LiebeSgesühl für Gerda erloschen.

Der Eintritt Hallbergs in seinen Lebenlkreis hatte seinem ganzen Wesen einen neuen Antrieb gegeben, denn da» Bewußtsein, in diesem Manne der Well einen großen Dichter erhallen und ihm selbst zu gesichertem Dasein und zur Erfüllung seine» Herzenswünsche» verholfen zu haben, verlieh ihm so viel Freudigkeit und Verantwortlichkeitsgefühl, daß er die Episode mit Frau Gerda al» abgeschlossen betrachtete. Gerade darum aber fühlte sich Hugo in manchen Stunden sehr einsam. Da» Bedürfnis, um seiner selbst willen geliebt zu werde«, ist ja am stärksten bei dem in der Oeffentlichkeit stehenden Manne, der in so mancher bitteren Erfahrung gelernt hat, daß an ihm zumeist nur der Name, der eitle Flittertand der

äußeren Stellung geliebt wird. Jetzt, wo er al» Schauspieler de« Groß­herzogs nicht mehr vor tausende» von Zuschauern seine Kunst ausübte, jetzt sehnte er sich danach, reine Liebe zu finden und Liebe zu geben.

Als der Sonntag herankam, stattete er dem Justizrat Hoffmeister den versprochenen Besuch ab. Er wurde von einem alternden Dienstmädchen in einen kleinen, mit bügerlicher Eleganz a«»gestatteten Salon geführt, wo ihn der Justizrat mit aller Herzlichkeit empfing.

Und hier ist Eva, meine Tochter, die dem alten Vater jetzt treulich da» Haus führt."

Hugo brachte e» in diesem Augenblick nicht zu der vorschriftsmäßige» Verbeugung, denn beim Anblick des jugend-schönen, aber doch amutig- ernsten Mädchens war es ihm, als klänge in seiner Brust eine Saite, die, schon lange auf diesen Ton gestimmt, bisher stumm geblieben sei, weil kein leiser Hauch sie «och in Schwingungen versetzte. Eva bot ihm mit ruhiger Freundlichkeit die Hand.

Vater hat viel von Ihnen erzählt, und wir haben oft von Ihne» gelesen und gesprochen, umsomehr werden Sie erstaunt sei», zu hören, daß ich Sie »och niemals auf der Bühne gesehen habe."

Ja, meine Eva hat eine besondere Eigenheit, Herr Haffner, die Sie, so fürcht' ich, beinahe kränkend nennen werden, sie besucht nämlich grundsätzlich kein Theater. Als Kind hat sie ein Weihnachtsmärchen ge­sehen, und seitdem ist sie nicht mehr in eine Vorstellung zu bringen ge­wesen, obwohl ich ihr diesen Genuß so gern gegönnt hätte."

ES ist aber für mich kein Genuß, Vater. Und damit Herr Haffner mich nicht für kaltherzig oder blasiert oder töricht hält, muß ich meinen Standpunkt schon ein wenig rechtfertigen. An dem Tage, an dem ich als Kind mit dem Schneewitchen auf der Bühne litt und lebte, habe ich die große Enttäuschung erfahre«, die mir den Theaterbesuch seitdem unmöglich machte. Ich erkannte zu meinem Schrecken, daß die vielen Menschen um mich her da» Ganze nur al» ein Spiel ansahen.

(Fortsetzung folgt.)