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qualifizierter Offizier. Weller habe wohl seine Vorzüge, er sei eine impulsive Natur, ein for­scher Offizier, aber ein Menschenerzieher ist er nicht. Er behandelt die Leute nicht wie Men­schen, sondern wie man Tiere und Sachen be­handelt. Was für ein glückliches Menschenmaterial müssen wir haben, wenn bei einer solchen Be­handlung die Leute noch stolz auf ihren Haupt­mann sind. Man sei verpflichtet, es auSzu- sprechen, daß ein Offizier wie Weller nicht zum Vorgesetzten taugt. R.-A. Kohl versucht weiter nachzuweisen, daß Generalmajor von Berrer sehr verkehrt gehandelt habe. Direkte Be­leidigungen habe Gramm gegen denselben nicht ausgesprochen. Ein Mann, der um seine und seiner Frau Existenz kämpfe, habe auch das Recht, sich mit seiner Sache an die sozialdemokratische Presse zu wenden. Die Einschätzung des Wertes der Zeugenaussagen habe ihn frappiert. Wenn Einer aus diesem Saale hocherhobenen Hauptes gehen könne, dann sei ei die Frau des Ange­klagten, die treu zu ihrem Manne gestanden sei. Gramm ist einem System zum Opfer gefallen. Er wollte sich aus dem ihm zugefügten Unrecht sei« Recht schaffen. Das sollte man ihm nach- fühlen. Er beantrage Freisprechung des Angeklagten. Die Verhandlung wird morgen nachmittag fortgeführt.

Urach 5. Okt. (Mordversuch.) Der Bauer Rapp in Gruor«, der mit seinem Schwieger­sohn und dessen Frau nicht aui kommen kan», wollte den Schwiegersohn erschießen. Die Kugel ging daneben und traf ein Stück Vieh. Rapp wurde verhaftet.

Nürtingen 5. Okt. (Im Usbermut in den Tod.) Am Geländer der hiesigen Neckar­brücke machte dieser Tage ein junger Mann namens Büttner allerhand turnerische Urbungen, dir er trotz der Warnungen verschiedener Paffanten fortsetzte. Die Folgen der waghalsigen Kunst­stücke blieben nicht au?, denn plötzlich verlor Büttner den Halt und stürzte hinunter in das Neckarbelt, wo er sich so schwer verletzte, daß er während seiner Uebersührung in die Klinik nach Tübingen starb.

Eßlingen 5. Okt. Die Obstzufuhr am alten Spitalplatz betrug heute 250300 Ztr. Der Verkauf gestaltete sich so lebhaft, daß nach 10 Uhr bald alles an den Mann gebracht war. Dis Preise, welche anfänglich auf 5.50 Mk. stände», gingen rasch in die Höhe und es wurde bis zu 5.70 Mk. und vereinzelt auch 5.80 Mk. bezahlt. Taseläpfel kosteten im EngroShavdel 79 Pfg. Auch am Güterbahnhof steigt der Preis fortwährend, so daß heute bei 3 Wagen Zufuhr (1 aus Hessen und 2 au» Württemberg) der Zentner mit 4 604 80 Mk. bezahlt wurde.

Tailfingen 5. Okt. (Sine Räuber­geschichte.) Einem hiesigen Einwohner wurde kürzlich die Pelerine gestohlen. Bald darauf ging ihm ein Brief zu, in dem der Dieb unter Todesdrohungen für den Nichlbefolgungkfall er­suchte, von der Sache keine Anzeige zu mache«, in 14 Tagen werde die Pelerine zurückgegeben oder Ersatz geleistet werden. Da» Schreiben, da» mit Zeichnungen von Dolchen, Toteuköpfen «sw. verziert war, trug die UnterschriftHaupt­mann der schwarzen Hand von der Bande Württemberg". Ein Landjäger in Ebingen er­mittelte den Burschen in der Person de» I8jähr. Schriftsetzers Bruder hier und lieferte ihn, nach­dem eine Haussuchung auch die Pelerine zutage gefördert hatte, in» Balinger AmtSgerichtS- gefängnis ein.

Ertingen OA. Riedlingen 5. Okt. (A l s Soldat gestorben.) Der Zug überbrachte die Leiche de» vor kurzem zu einer militärischen Uebung einberufenen Sohnes des hies. Bürger» A. Sommer. Der nicht ganz 26jährige junge Mann, der sich demnächst verheiratet hätte, ist einer heftigen Lungen- und Brustfellentzündung erlegen. Dis Beerdigung, an der sich neben dem Militärverein auch die Einwohnerschaft zahlreich beteiligte, fand gleich vom Bahnhof aus statt.

Laupheim 5. Okt. Die Bauerseheleute Johanne» Schick und Maria Anna geb. Stauden- raus feierten gestern in aller Rüstigkeit, umgeben von 5 Kindern und 4 Enkeln und mehreren Ge­schwistern, die goldene Hochzeit. Die Ehe­jubilanten wurden besonders erfreut durch ein Gnadengeschenk des König», der durch den Stadt­schultheißen eins goldbronzene Tafel mit seinem Bildnis überreichen und die besten Glückwünsche aussprechen ließ.

Pforzheim 5. Okt. (Der Mord) Die beiden Schirmflicker Wittich von Lützenhardt, die imWaldhorn" in Eutingen, die in ihrer Gesellschaft gewesene Spitzenhausiererin er­mordeten, sind verhaftet und im Automobil nach Eutingen gebracht worden, um der Sektion der Leiche anzuwohnen. Die Sektion ergab, daß die Hausiererin durch einen Stich in den Rücken ge­tötet wurde. Wie sich das Eifersuchtsdrama im einzelnen abspielte, ist noch nicht bekannt. Bei der Gegenüberstellung mit der Leiche seine» Opfers hat Albin Wittich eingestande», daß er den Mord begangen habe. Der Grund zur Tat sei Eifersucht gewesen, weil die Luise Hoffmann, die übrigens erst 24 Jahre alt war, sich mit einem anderen abgegeben habe.

Pforzheim 5. Okt. In dem benach­barten Dorfe Würm brannten heute früh zwei Wohnhäuser und eine Scheuer ab. Der

Animosität de» Major» Weller gegen den Ange­klagten auch nur im entferntesten ausgelegt werden könnte. Durch die Verhandlung sei be­wiesen, daß der Angeklagte selber Schimpfworte sich habe zu schulden kommen lassen, die getan zu haben er Major Weller bezichtigt. Daß sich der Angeklagte die Schimpfworts aneignete, sei der beste Beweis dafür, daß er sie gar nicht ernst genommen habe. Viele Zeugen haben be­kundet, daß der Angeklagte sehr despektierliche Aeußerungen über da» Offizierkorp» getan habe. Auch die ganze Art, wie der Angeklagte nachher Material sammelte, spreche gegen ihn. Er, der Staatsanwalt, wolle nicht behaupten, daß die Zeugen, die bei der Zusammenkunft in Göppingen mit Bier bewirtet wurden, bestochen sind. Allein es habe doch mancher, der die Angelegenheit nicht näher kannte, unbewußt da» Gefühl bekommen können, dem Oberst sei Unrecht geschehen. Die Aussagen aller dieser Zeugen seien mit großer Vorsicht auszunehmen. Der soldatische Beruf sei im übrigen von jeher ein rauhes Handwerk ge­wesen; man dürfe bei ihm die Worte nicht auf die Goldwage legen, sondern müsse auf die Begleitumstände Rücksicht nehmen. E» sei ganz unmöglich, daß die Ausbildung der Soldaten ohne körperliche Berührung vorgenomme» wird. Wenn die Zeugen «ach den Mißhandlungen ge­fragt wurden, haben diese sich in Lappalien verwandelt. Major Weller hat in den Jahren 600 Leute an sich vorbeiziehen lassen; da müßte doch einer den Mut haben, Mißhandlungen offen zu benennen, wenn sie vorgekommen wären. Wenn der Angeklagte, die Brutalität, die er angeblich erlebt habe, nicht zur Anzeige gebracht hat, so hätte er selbst sich dadurch schwer strafbar gemacht. Als strafmildernd stehe dem Angeklagten lediglich die von dem Sachverständigen angegebene Selbstüberhebung und übergroße Empfindlichkeit zur Seite, sonst aber nicht». Der Beweis, daß W. sich an ihm habe rächen wollen, sei völlig mißlungen. Der Angeklagte habe Major Weller schwer beleidigt, noch schwerer aber Gen.-Major v. Berrer. Bei der außerordentlichen Schwere der Beleidigungen beantrage er eine Gefängnis­strafe von 5 Monaten.

Nach de» kurzen Reden der Verteidiger der Nebenkläger vr. Sick und vr. Hedinger er­hält R.-A. Kohl-München da» Wort. Erhübe seit zwei Tagen den Eindruck, als der sozial­demokratischen Partei zugehörig betrachtet zu wer­den. Man scheine eine antimilitaristische Phi­lippika von ihm zu erwarten. Er sei niemals ein Gegner der Armee gewesen, aber die Nörgler hätten der Armee mehr genützt, als die über­zeugten Freunde. Er wolle beweisen, daß die Katastrophe G'S nicht anders endigen konnte, als e« geschah. G. fei bi» heute noch ein glänzend

Apparat den heiseren RufAchtung!" Der Regisseur hängte das Hör­rohr ab und rief leise:Fertig!" Dann begann er halblaut zu zählen eins, zwei" und beidrei" stieg der Vorhang langsam empor.

Nach dem ersten Akte wurde die Szenerie durch streng geschulte, in Filzschuhen lautlos und schnell sich bewegende Bühnenarbeiter umgebaut, und die Vorstellung nahm ihren Lauf. Da» Gefühl äußerster Nerven­anspannung ließ nicht nach. Jeder spielt, als sei das Hau» zum Brechen gefüllt, ja gerade der Mangel de» Beifalls, der sonst bei Premiere» mit seinem ersten Erklingen den Baun zu lösen pflegt, bewirkte, daß die Stimmung nicht gestört wurde, sondern alle Beteiligte» bis zum Schluffe unter dem Eindruck de» Außergewöhnlichen, fast Geheimnitvollen standen. Schon die Tatsache, daß der Souffleurkasten entfernt war, brachte es zu­wege, daß Hugo in ganz anderer Weise spielte als sonst. Denn mag auch für manchen unsicheren Darsteller der Anblick des hilftbereiten Flüsterers recht trostreich sein, so hatte Hugo hoch schon oft und gerade in seinen besten Momente» es peinlich empfunden, daß das lampenbeschienene Gesicht de» Souffleurs und sein monotone», leises Sprechen ihn hemmte; e» war ihm oft, als säße da unten im Kaste« ein Beobachter, ein Fremder, der sich über all da» Komödienspiel in überlegener Weise lustig mache. Heute fehlte dieser störendeKastengeist", und Hugo fühlte sich dadurch frei, er vergaß, daß er Theater spiele und, da die» bei seinen Mitspielern auch der Fall zu sein schien, so erhob sich die Leistung des Ensemble» zu einer Höhe der Naturwahrheit, die ihm immer erst zum Bewußtsein kam, wenn er nicht auf der Szene stand, sondern au« der Kouliffe den Fort­gang der Handlung verfolgte. Al» der Vorhang zum letztenmal gefallen war und der Intendant mit den WortenKönigliche Hoheit laffen die Herrschaften bitten, einen Augenblick zu warten", alle Mitwirkenden auf der Bühne versammelte, da schien es Hugo, als erwachten sie alle au» einer Hypnose oder als kehrten ihre Seelen au» den vom Dichter ge­schaffenen Gestalten in ihre Leiber zurück. Aber noch immer sprach niemand ein Wort, selbst kein Flüstern wurde laut, alle schauten »ach der

Eisentür, welche vom Bühnenraum in die Gänge führte und an der jetzt der Intendant den Großherzog erwartete. Endlich erschien er. Ohne jede Begleitung, im schlichten, schwarzen Rock, den Zylinder auf dem Havpte. Feste» Schrittes betrat er die Bühne, stellte den Hut auf einen Sessel und erwiderte die tiefe Verbeugung der Mitglieder durch ein freundliches Neigen de» Kopfes. Seine Augen glänzten, auf seinem Antlitz lag ein Helles Licht, der Widerschein der künstlerischen Bewegung seiner Seele. Er suchte nach Worte» und bewegte dabei die rechte Hand, als ob er seine Rede aus der Luft zu formen gedächte. Endlich begann er mit verschleierter, leise bebender Stimme:

Ich muß Ihnen persönlich danken, meine Künstler, für die Freude, die Sie mir heute bereitet haben. Freude im höchsten, edelsten Sinne. Denn Sie haben den Dichter klar und rein zu mir sprechen laffen, habe» selbst nachgedichtet. Ich bin glücklich, ja wirklich glücklich. Mag die» Bekenntnis für Sie ein schlichter Lohn sein."

Der Fürst schwieg. Jede» Antlitz leuchtete in tiefinnerlicher Freude auf. Hugo fühlte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen. Ja, die« Bekenntnis de» Fürste», durch seine Künstler zwei glückliche Stunden genoffen zu haben, da» war ein Lohn, der alle» andere aufwog. Wie entsetzlich müßte es sein, wenn jetzt im Zuschauerraum lauter Beifall toben würde und man wieder und immer wieder dem lärmenden Volk Ver­beugungen zu machen gezwungen wäre.

Der Fürst richtete de» Blick auf Hugo und fuhr, jetzt schon mit freierer Stimme fort:Herr Haffner, Sie haben heute zum erstenmal vor mir gespielt ich hoffe, daß e» nicht zu letztenmal gewesen ist. Ich danke Ihnen besonder», recht herzlich danke ich Ihnen." Mt diesen Worten, die ei« «»endlich gütiger Blick begleitete, reichte der Großherzog seinem jüngsten Schauspieler die Hand. Dann sprach er mit ganz ver­ändertem Ton, leichthin, jovial, aber doch immer mit herzlichstem Wohl­wollen:Und nun, meine Künstler, wünsch' Ihnen recht guten Appetit! Leben Sie wohl!" (Forts, folgt.)