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gungeu statlfinden. Eine hiesige Firma ist au» dem Verbände der Industriellen ausgetreten und wird nicht kündige». Die maßgebenden Vertreter der Arbeitnehmer halten die Bemühungen um die Einigung für aussichtslos. Sie versprechen sich auch von den Verhandlungen am Montag kein Ergebnis. Die Anleitungen für die Aussperrung sind schon getroffen. Die Arbeitgeber hoffen, daß e» während der Kündigungsfrist noch zur Einigung kommt.
Bad Mergentheim 30. Sept. Beim Trocknen von Hopfen brach im Bürgerlichen Brauhau» von Karl Zehnder Feuer aus, das jedoch, dank dem rasche» und umsichtigen Eingreifen der Feuerwehr keine größere Ausdehnung annahm. ES verbrannte die vollständige Darr- Einrichtung, während da» Gebäude selbst nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde. Der Schaden dürste immerhin, da auch Fruchtvorräte vernichtet wurden, einige lausend Mark betragen.
Waldsee 30. Sept. Das Sägewerk des Sägereibcsitzer» Adalbert Stöckler in dem benachbarten Weiler Kappel ist in der vergangenen Nacht kurz nach Mitternacht vollständig abgebrannt. Der Schaden wird auf etwa 20000 ^ geschätzt. Ueber die Entstehungrursache des Brandes konnte noch nichts ermittelt werden.
Buchau 30. Sept. Der Schiffsverkehr auf dem Federsee wird in den nächsten Tagen ausgenommen werden. Das für die Fahrten angekaufte Motorschiff ist bereits eingetroffe».
Von der badischen Grenze 30. Sept. Der durch die Brandkatastrophe de« 1^2 VI an der Luftschiffhalle zu Baden-OoS entstandene Schaden ist doch bedeutend größer als ursprünglich angenommen worden war; die amtliche Schätzung»kommiffion hat den Gesamtschaden auf 58 800 Mk. berechnet.
Vom Bodensee 30. Sept. Ein neue« Luftschiff beabsichtigt der Zahntechniker Albert Zollinger in Konstanz nach eigenen Entwürfen bauen zu lassen. Nach den Zeichnungen wird der Lenkballon dem Halbstarren System angehören und lediglich militärischen Zwecken dienen. Die Hülle soll eine Länge von 100 Metern erhalten. In der Anordnung der Gondel wird die eigenartigste Neuerung des Luftschiffes bestehen. Die Gondel, in die 2 Geschütze eingebaut werden, lauft an Rollen unter der Hülle und wird außerdem durch Luftpresser gegen die Erschütterung geschützt, die die abgegebenen Schüsse Hervorrufen. Als Besatzung find 10 Mann vorgesehen. — Bevor das Projekt nicht greifbare Gestalt angenommen hat, wird man der neue» Erfindung selbstverständlich mit einer gewissen Skepsis gegen
überstehen, wenn sich auch Herr Zollinger wiederholt erfolgreich als Erfinder bestätigt hat. Die Lustschiffkonstrukteure schießen in diesen Tagen wie Pilze aus der Erde.
Nürnberg 29. Sept. Nach einer der hiesigen Kriminalpolizei zugegangenen Depesche ist der wegen des Raubmordes an einer Kellnerin verfolgte Kaufmann Dick in Nit ko in Galizien verhaftet worden.
Berlin 30. Sept. Der Minister des Innern hat sich bis um Mitternacht in dem Moabiter Streikviertel aufgehalten, wo ihm auch die Scheinwerfer vorgesührt wurden, die die Straßen beleuchten sollen, falls sie noch einmal der Beleuchtung beraubt werden sollten.
Berlin 30. Sept. Bei den gestrigen Unruhen sind vier englische Journalisten, die sich die Vorgänge im Unruhegebiet ausehen wollten, zu Schaden gekommen, da die Polizei sie für Rädelsführer hielt. Die englischen Journalisten saßen in einem Automobil und die Polizei hatte mehrfach die Beobachtung gemacht, daß von Automobilen und Fahrrädern aus Exzellenten von ihre« Rädelsführern Anweisungen erteilt wurden. Fred W. Wile, der Berliner Vertreter der „Daily Mail", macht in der B. Z. am Mittag folgende Mitteilungen über den Hergang:
Wir, Lawrence, der Vertreter des Reuterschen Bureau«, Dr. Shaw von New- Jork Sun, Tower von der Londoner Daily New» und ich hatten uns ein Automobil gemietet und fuhren in dem Aufruhrgebiet umher, um zu beobachten. An der Ecke der Witistocker und Rostocker Straße hielt ein Polizeileutvant unfern Wagen an. Wir legitimierten uns durch unsere Mitgliedskarten des Vereins der ausländische» Presse. Der Herr war äußerst liebenswürdig und gab uns bereitwilligst auf unsere Fragen Auskunft. Er ließ uns passieren. Wir kamen an den Kleinen Tiergarten und hielten mit unserem Wagen vor dem Krankenhaus, von wo au« wir genau beobachten konnten, daß Schutzleute die Menge durch den Kleinen Tiergarten trieben. Im selben Augenblick rief ein Zivilist dicht «eben unserem Wagen eine Gruppe von sechs Schutzleuten an und komman- dierte: „Dreinhauen auf die Kerle dort im Auto!" Wie zogen sofort unsere Legitimationskarten und versuchten uns zu legitimieren, aber wir kamen gar nicht dazu, denn im Augenblick sauste ein Hagel von Schlägen auf uns nieder. Lawrence, der seine Hand auf die Wagenbrüstung gelegt hatte, erhielt ein paar Schläge über den Arm, von denen zwei die Hand kreuzweise trafen, daß sofort da» Blut herausspritzte. Wir andern duckten uns im
Wagen nieder und wurden sämtlich auf Kopf und Schultern getroffen. Der Chauffeur, der den Beamten auch begreiflich machen wollte, daß wir uns schon einem andern Beamten legitimiert hätten, wurde daraust gleichfalls mit Schlägen traktiert; er aber gab sofort Volldampf und fuhr so schnell wie- möglich davon, um uns au» dem Bereich der Schutzleute zu bringen. Erst jetzt sahen wir, dqß Lawrence furchtbar blutete. Auf der^Station wurde Lawrence untersucht, und es stellte sich heraus, daß die Verletzungen ziemlich schwer sind und daß möglicherweise der Mittelfinger verloren ist. Der eine Hieb hat die Mittelhandknochen zum Teil zertrümmert. Bei uns andern wurden äußere Verletzungen nicht gefunden; ich habe seit dieser Zeit einen furchtbaren Kopfschmerz.
Der verletzte englische Journalist hat sich auf der Unfallstation eine 6' Zentimeter lange Schnittwunde an der linken Hand verbinden lassen. Der Mittelfinger dieser Hand ist am schwersten getroffen, wird aber auch nicht gefährdet. Außer dieser größereit Wunde zeigt die Hand noch einige Kratz- und Rißwunden.
Die englischen undstHmerikanischen Journalisten, die in Verlin ansässig sind, traten heute im Berliner Bureau der Daily Mail zusammen und erklärten ihre GMharität mit den vier englischen und amerikanischen Kollegen, die in Moabit durch Polizeiheamte verletzt wurden. An den zuständigen Stellen soll Beschwerde wegen der Verletzung der ausländischen Zeitungsvertreter vorgebracht werden. Die „Köln.Ztg." schreibt: Die Verwundung der englischen Journalisten durch die Berliner Schutzleute wird überall als ein höchst bedauerlicher Zwischenfall aufgefaßt. Unter allen Umständen muß aufgeklärt werden, wer den Befehl zum Angriff auf, das Automobil gegeben hat, in dem die fremden Berichterstatter faßen, und welche Gründe ihn dabei geleitet haben. Dazu ist die strengste Untersuchung notwendig, damit der ganze Sachverhalt festgestellt wird, schon deshalb, damit nicht von Lockspitzeln gesprochen werden kann, wie es in englischen Blättern schon geschieht. Wir glauben annehmen zu dürfen, daß an maßgebender Stelle die ernste Absicht vorhanden ist, der Sache auf den Grund zu gehen.
Berlin 30. Sept. Polizeipräsident von Jagow hat sich bei den am Mittwoch abend von Schutzleute« attackierten englischen Journalisten entschuldigen lassen. Sowohl bei dem durch Säbelhiebe verletzten Vertreter de« Reuter'schen Bureaus Lawrence, wie bei dem Vertreter der „Daily Mail" F. W. Wile erschien Kriminalkommiffär v. Behr und überbrachte das Bedauern des Polizeipräsidenten, der ver-
sich selbst übertroffen habe, da küßte ihr Karl'Wartner lächelnd die glühende Stirn und sagte in seiner gutmütig polternde» Weise: „Der Teufelrjunge hat euch Frauen wieder mal tüchtig ringeheizt, wa»? Na, das muß auch sein. Freu' dich nur an ihm, so lang es noch angeht. Wer weiß, wie bald'S damit ein Ende hat. Denn der Großherzog hat großes Gefallen an ihm und wird ihn wohl bald nicht mehr mit dem geehrten Publikum teilen wollen. Da mag er sich jetzt nach Herzenslust austoben."
Gerda zuckte zusammen; ihr war'«, als müßte sie ihn verlieren, wenn sie ihn nicht mehr auf der Bühne sehen könnte.
VI.
Man gab Schiller» „Don Carlo»". Hugo hatte seinen Marquis Posa mit dem Aufgebot seines ganzen Temperaments und seiner tiefsten Empfindung gespielt und wollte nach seiner Sterbeszene die Garderobe aufsuchen, als ihm der Regisseur mit einem Adjutanten entgegentrat. Dieser grüßte höflich und überbrachte den Befehl, Herr Haffaer möge ihm so rasch al» möglich zum Großherzog folgen, der ihn kennen zu lernern wünsche. „Königliche Hoheit haben ganz im Hintergrund der verdunkelte» Loge gesessen und find entzückt von Ihrem Spiel. Also beeilen Sie sich mit dem Umkleiden, ich werde sie hier erwarten." — „Aber ich habe nur den Straßenanzug" — Hat nicht» zu sagen, Königliche Hoheit legen darauf nicht den geringsten Wert."
Hugo flog die Treppe hinauf, erledigte da» Abschminken und Umkleiden mit einer Schnelligkeit, die nur durch die behende Unterstützung zweier Garderobier» möglich wurde, und stand «ach kurzer Zeit wieder vor dem Adjutanten, der ihn mit einem kurzen „Bitte" einlud, mit ihm zu gehen. Da die Aufführung unterdessen ihr Ende erreicht hatte, mußten sie die Gänge des Parketts und des ersten Rang» durchschreiten während sich in ihnen die Theaterbesucher noch drängten. Der rasch beliebt gewordene Schauspieler wurde bald erkannt, und die Tatsache, daß ihm ein diensttuender Adjutant in Helm und Ordensschmuck mit amtlicher Miene
voranging, erregte da» lebhafteste Aufsehen. ES war kein Zweifel: der Künstler wurde zum Fürsten befohlen. Hunderte von Augrnpaaren folgten ihm auf seinem Wege, und seine Berufung zum Großherzog war an diesem Abend Grsprächsgegenstand nicht nur in allen Restaurants, wo die Theaterbesucher nach Schluß der Vorstellung sich versammelte», sondern auch in mancher Familie und vor allem im Künstlerzimmer der „Traube", wo Herr Wildung daran erinnerte, daß Hugo sich seit jenem denkwürdigen Frühschoppen nie mehr hatte blicken lassen. Und als einige Kollegen vom Schauspiel bedeutsam auf Hugo» Freundschaft mit Wartner und dessen Gattin anspielten und dazu die wichtigen Mienen aufsetzten, mit denen die Meister de« Klatsches finnig avzudeuten pflegen, daß sie noch viel mehr wüßte», als man sagen dürfe, da schlug der Heldentenor mit geballter Faust auf den Tisch, daß die Gläser glirrten und rief: „Aber ein tüchtiger Kerl ist er doch, und jeder ehrliche Kollege muß e» ihm gönnen, daß er sein Glück macht." Worauf zwei Mißvergnügte halblaut bemerkte», daß sie da» Glück ohne Publikum vor einem einzige» Zuschauer zu spielen, dem jungen Dach» von Herzen gönnen wollten.
Der Adjutant hatte Hugo in den hinter der Hofloge gelegenen Salon geführt, einen mit mattgrüner Seidentapete auSgeschlagenen und mit weiß-goldener Täfelung versehenen Raum, dessen vornehme Einfachheit durch die in den vier Ecken angebrachten und durch Rankenwerk halb verdunkelten elektrischen Glühlampen voll zur Geltung kaut. Ein Diwan, einige Armsessel und ein kleine» Tischchen machten die ganze Einrichtung aus. Die Lakaien schlossen die Tür, und der Adjutant begab sich in da» anstoßende Kabinett um Meldung zu erstatten. Hugo stand' scheinbar ruhig da, aber es war jene nervöse Ruhe, welche sich in den wichtigsten Augenblicken so oft einzustellen pflegt und nicht» andere» ist als die höchste gespannteste Erwartung de« Kommenden. Nicht fähig, eine» Gedanke» zu fassen, schaute Hugo immer nur auf die Tür, durch die der Adjutant gegangen war; er fühlte bi» in die Fingerspitzen die tiefe Erregung, die ihn erfüllte, und empfand, daß er an einem Wendepunkt seine» Leben»