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sprechen ließ, Wer den Unfall eine Enquete ver­anstalten z« lasse«. Die bisherigen Ermittlungen haben ergeben^ Haß der Zivilist, der die Schutz­leute auf die harmlos im Wagen sitzende« aus­ländischen Journalisten aufmerksam machte, kein Kriminalbeamter gewesen ist.

Berlin 20. Sept. Die gestrige Nacht ist in Moabit verhältnismäßig ruhig verlaufen, wenn es auch hier und da noch zu Zusammen­stößen mit der Polizei kam. Dazu hat wahr­scheinlich beigetragen, daß die Polizei stärkere Maßnahmen al» in den Tagen vorher getroffen hatte. In der Röstockerstroße, wo die größten Krawalle stattgefunden haben, waren 50 Schutz­leute zu Fuß mit-Karabinern bewaffnet aufge­stellt, außerdem SO Berittene und 100 Kriminal- schutzleute. Vor jedem Hause nahmen mehrere Kriminalschutzlertte Posto, während die mit Kara­binern bewaffneten Beamte« zu Dreien und Vieren patrouillierten. Die Straße war men­schenleer und'Hie Fenster dunkel und verhangen. Sobald sich em Kopf an de» Fenstern zeigte, riefen die Schutzleute, daß die Fenster zu schließe» seien, sonst würde geschaffen. Einen heftigen Zusammenstoß.gab. es nur in der Turmstraße, wo aus eineiuHaüse heraus auf die Schutzleute geschossen und/ Steine geschleudert wurden. Die Fenster, aus denen die Schüsse gekommen waren, wurden sofort beschossen und die Menge, die sich unten johlend dffsDmelte, wurde von berittenen Schutzleute«' zerstreut. ES gab dabei wieder eine Anzahl Verletzter, Die Zahl läßt sich nicht fest­stellen, da die Verwundeten zumeist von ihre» Freunden sofort, geborgen wurde», damit sie nicht von der Polizei verhaftet werde« konnte».

^ ' (F'kf. Ztg.)

Londoü ,2S. Sept. Leutnant Helm wurde vom Pdlizeigericht in Fareham bis zu den im November beginnenden Affisen von Winchester aus der Haft entlassen. Es muß eine Kaution von MOss Pfund gestellt werden, wo­von die HaW ' Non zwei britischen Bürgern herrühren muß. Helms soziale Stellung als aktiver Offizier wirkte bei der Entscheidung de» Gerichts mit, da man annimmt, daß er als Gentleman sich einfinden wird. ES ist dagegen noch nicht siche,r^ ob er vor den Affisen nur auf Unfug oder Verrät angklagt werde« wird. Der Attorney General ist mit der Fassung der An­klage beschäftigt.

Vermischtes.

(Verkürzung der Fernsprechzeit.) Wie kürzlich mitgeteilt wurde, ist neuerdings in der württembergifchen VerkehrSzeiiurg unter Hin­weis auf den üblichen späten Geschäftsanfang im Monat Oktober und auf die Bestimmungen im

Reichspostgebiet der Vorschlag gemacht worden, daß auch in Württemberg der Beginn der Fern­sprechzeit im Monat Oktober statt wie bisher auf 7 Uhr, auf 8 Uhr festgesetzt werde. Demgegen­über ist daraufhinzuweisen, daß eineAenderung in dem angeregten Sinn für das industrielle und gewerbliche Leben unsere» Lande» durchaus nach­teilig wirken würde. Die Vormittagsstunden sind ohnehin mit Fernsprechverbindungen stark belegt, so daß man oft recht lange auf eine Verbindung warten muß, und, wenn auch im Oktober von 78 Uhr morgen» da» Telephon vielleicht nicht besonders stark benützt wird, so können doch ge­rade in dieser Zeit eilige Gespräche erledigt und die nachfolgenden Stunde» entlastet werden. Besondere B-achlung ist auch dem Umstande zu schenken, daß viele Industrielle und Gewerbe­treibende häufig genötigt sind, vor 8 Uhr morgen» Geschäftsreisen anzutreten, und in diese» Fällen dringende geschäftliche Angelegenheiten gerade zwischen 7 und 8 Uhr zu erledigen pflegen. Hiebei spielt die Benützung des Telephons eine große Rolle und es müßte daher nach dieser Richtung die Verkürzung der Fernsprechzeit von den Beteiligten als schwere Benachteiligung em­pfunden werden. In ähnlicher Weise würde die Einschränkung der Fernsprechzeit auch im Verkehr der Firmen mit ihren Reisenden wirken. Diese sind vielfach nach 8 Uhr in ihren Hotels tele­phonisch nicht mehr zu erreichen, da sie bereits mit ihren Geschäftsgängen begonnen haben, so daß zur Erteilung von Informationen und son­stigen Weisungen auf telephonischem Wege haupt­sächlich die Zeit zwischen» 7 und 8 Uhr morgens in Betracht kommt. Wie wir hören, hat der Verband Württembergischrr Industrieller au» den vorgenannten Gründen bereit« eine Eingabe an die Generaldirektion der Posten und Telegraphen gerichtet, mit dem Ersuchen, den bisherigen 7-Uhr- Beginn der Fernsprechzeit im Monat Oktober beizubehalten.

Das Sparkassenbuch in der Bib­liothek. Ein unerhofftes Glück hatte vor einigen Tagen, wie au» Wien geschrieben wird, eine alte Dame, die die Gattin eine» Arztes war und früher glücklichere Zeiten gesehen hatte. Nach dem Tode ihres Gatten aber mußte sie alle Mittel ergreifen, um sich auch nur das Not­dürftigste für ihre« Lebensunterhalt verschaffen zu können. Sie lebte kümmerlich von der Arbeit ihrer Hände, hat aber durch eine längere Krank­heit auch diese geringe Erwerbsmöglichkeit ver­loren. Ihr Mann hatte ihr nichts hinterlaffen als eine kleine Bibliothek von geringem Werte. Sie hielt da» Vermächtnis ihre» geschiedenen Gatten, dem seine Bücher der höchste Schatz ge­wesen waren, hoch in Ehren, und trotz aller Bedrängnis vermochte sie sich nicht von ihm zu

trenne«. Da ward sie krank und arbeitsunfähig, die bitterste Not klopfte an ihre Türe, die ganze entbehrliche Habe war bereits zum Pfandleiher gewandert und es blieb ihr endlich nicht» übrig als die Bibliothek, zu deren Veräußerung sie sich, wenn auch mit schwerem Herzen, zuletzt doch noch entschließe» mußte. Ein Antiquar bot ihr 30, dann 40 Gulden, die Witwe aber hoffte, doch noch etwas mehr zu erzielen, und bat einen Freund ihre» Mannes um Rat. Dieser nahm die Bücher in Augenschein, um ihren Wert fest­zustellen. Plötzlich rief er der armen Frau zu, indem er ihr ein kleine» dünnes Heft entgegen­hielt:Behalten Sie die Bibliothek, diese» Büchelche« ist allein über 20000 Gulden wert!" Es war ein Sparkaffenbuch über eine vor vielen Jahren von dem Verstorbenen eingezahlte Summe, die sich durch die Zinsen bedeutend vergrößert hatte und von welcher die Witwe nicht das Geringste gewußt hatte. Der unverhoffte Fund schützte den Lebensabend der armen alten Frau vor Not und Mangel; die Bibliothek aber verkaufte sie jetzt um keinen Preis.

Literarisches.

Die Winterausgabe des von der General» direktion der Kgl. Wüitt. Staatseisenbahnen bear­beitetenWürttemberg. Kursbuchs"' (Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart. Preis 70 A ist soeben erschienen. Das schwarz-rote Kursbuch ist als bestes Kursbuch für den Gebrauch des rei­senden Württembergers anerkannt, da es die für ihn in Betracht kommenden Verhältnisse so eingehend berücksichtigt, wie kein anderer Fohrplan. Es ent­hält sämtliche Eisenbahn- und Postverbindungen in Württemberg und Hohenzollern samt Anschlüssen, ferner Eisenbahn- und Dampfschiffverbindungen von Baden, Bayern, Elsaß-Lothringen, West-, Mittel­und Norddeutschland, Oesterreich und der Schweiz, zwei Etsenbahnkarten, die wichtigsten Verkehrsbestim­mungen, eine Zusammenstellung der schnellsten Reise- Verbindungen zwischen Stuttgart und den bedeutenden Orten Europas, Hoteltelegraphenschlüsiel und vieles andere. DaSWürtt. Kursbuch" ist ausreichend für die Reise in ganz Deutschland, der Schweiz, Oesterreich und auf den Hauptlinien der andern Nachbarstaaten.

GtarrdeSamt Calw.

< Geborene.

23. Sept. Friedrich, S. d. Christian Löiteile, Schreiners hier.

25. Franz Wilhelm Fritz, S. d. Franz

Schoenlen, Färberetbesitzers hier.

Gestorbene.

25. Sept. Alfred Eugen, S. d. Gustav Bellon, ' . .. ^ Lokomotivheizers hier, 3 Monate alt. 27. Marie Wilhelmine Hoydt, ledige Wirtin

hier, 65 Jahre alt.

stehe. Da» - machte ihn scheu, fast furchtsam, er ertappte sich auf dem Wunsch, davonzulaufen, und die Worte, die er vor kaum zwei Stunden als Posa gesprochen, kamen ihm in de» Sinn:Ich kann nicht Fürsten­diener sein." Eine heiße Welle stieg ihm vom Herzen zum Kopf empor, der ein leichtes Frösteln im ganzen Körper folgte; die eigentümliche Leere im Magen, die er schon seit der Botschaft des Adjutanten empfunden hatte, steigerte sich fast, bi» zur Uebelkeit. Seine Kehle war wie zugeschnürt, und kalter Schweiß perlte auf seiner Stirn. Krampfhaft erfaßte er die Lehne eines Skmstuhl», da bewegte sich die Tür de» Kabinett», die Flügel wurden aufgeriffen und, de» Intendanten an seiner Seite, trat Groß­herzog Hermann Heinrich ein. Er trug den einfachen schwarze« Frack mit dem Stern seines HauSorden» auf der linken Seite.

Hugo verbeugte sich tief. In seinen Ohren brauste e» wie von Meeretwogen, sein Herz klopfte wie ein Hammer. Da drang eine wohl­klingende, leicht verschleierte Äaritonstimme an sein Ohr mit so gütigem, herzlichem, mildem Ton, daß mit einem Schlag seine Befangenheit wich und er dem Großherzog mit einem großen Blick frei in die Augen schauen konnte, als wolle er fragen: wie ist e, möglich, daß diese Stimme allein solchen Zauber wirken kann?

Dem Fürsten entging diese Sprache der großen, blauen Künstler­augen nicht. Ein leise«, aufmunternde», befriedigte» Lächeln umspielte unter dem kurzen, braunen Vollbart seine Lippen, al» er sein Gegenüber musterte. Hugo spürte diesen Blick, aber weit entfernt, seine Augen zu senken, suchte, er die des Fürsten und sah in diesen so viel Güte und freudige Ruhe, daß auch der letzte Rest von Scheu in ihm erstarb.

Mit einer leichten Bewegung seiner schmalen, aber kräftigen, nur mit dem breiten Trauring geschmückten Hand begann der Großherzog, halb zum Intendanten, halb zu Hugo gewendet:Da hätten wir also unseren Marquis Posa. E» ist mir eine Freude, Sie persönlich kennen zu lernen, Herr Haffner, nachdem ich Sie schon des öfteren auf der Bühne gesehen. Ja, Sie wisse« gar nicht, wie oft ich im Theater bin. Immer

nur auf eine Stunde oder eine halbe, aber doch weit häufiger, als die Herrschaften es ahnen. Ist'» nicht so Exzellenz?" Der Intendant ver­neigte sich zustimmend, und der Großherzog fuhr fort:Sie haben eine Art, lieber Herr Haffner, die mir ausnehmend gefällt. Sie spielen nicht Kömödie, verfallen nicht in Pathos, bewegen sich frei und natürlich und wissen den Hörer zu packen. Ich gestehe Ihnen gern, daß Sie mich heute tief ergriffen habe». Und doch sind Sie noch so jung, kein Routinier, wie fange» Sie'S an, solche Wirkungen zu erzielen, oder verraten Sie das Geheimnis nicht?" Der Fürst schwieg und winkte Hugo mit sinnendem Blick zu, eine Antwort zu geben.

Ich bin mit dem Herzen dabei, Königliche Hoheit, da» ist alle»."

Der Fürst nickte zustimmend.Alle» wohl nicht, aber doch vielleicht da» Beste und Entscheidende. Wie die Dichter keine Verstandesmenschen sind, so sollen'« auch ihre Interpreten, die Schauspieler, nicht sein. Ge­fühl, instinktives Gefühl ist alle»"

Wenn ihr'» nicht fühlt, ihr werdet'» nicht erjagen", wagte Hugo zu zitieren, erschrack aber gleich darauf über de» dadurch begangenen Verstoß gegen die Hofetikette, von der ihm bekannt war, daß sie keine selbständige Aeußerung, sonder» nur Antworten auf fürstliche Fragen ge­stattet. Doch weder der Großherzog, noch der Intendant schienen den Fehler bemerkt zu haben. Der Fürst nickte wieder freundlich und sagte mit Herzlichkeit:Erhalten Sie sich diese Eigenschaften Herr Haffner. Bleiben Sie, wie Sie sind, und Sie werden dabei immer mehr zu dem werden, wa» Sie werden möchte». Wir sehen un« wieder, ich danke Ihnen." Dabei reichte der Großherzog, ohne alle Herablassung und huldvolle Miene dem Schauspieler so kräftig die Hand, daß Hugo un­willkürlich den Druck erwiderte. Eine tiefe Verbeugung, der Fürst war verschwunden. Ein Lakai führte Hugo die purpnrbelegte» Treppen hinab bis zum Vestibül, wo ein anderer Lakai ihm Hut, Mantel und Stock über­reichte, die er inzwischen au» der Bühnengarderobe herbeigeholt hatte.

(Fortsetzung folgt.)