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Vom Bodensee 21. Sept. Nach nur wenigen schönen Herbsttagen hat sich gestern wieder schlimme» Wetter eingestellt. Es regnet zeitweise in Strömen und die Temperatur ist bedeutend herabgegangen. Der Bodensee hat für diese Zeit immer noch eine« außergewöhnlich hohen Stand. Heute mittag ging ein Hagelwetter über die Gegend, gegen abend stiegen schwere Gewitterwolken mit Blitz und Donner auf. Die Vorberge sind bi« zu 1000 Meter herab beschneit. Zum Einheimsen des qualitativ und quantitativ erfreulichen Obstsegens wären sonnige Herbsttags vonnöten. — Der deutsche Kronprinz hat auch Heuer wieder nach beendigtem Jagdaufenthalt in Hopfrebeu (Bregenzerwald) den Gemeindearmen eine Gabe von 500 Kronen zukommen kaffen.
— In München war am Dienstag ein Gewitter von so heftigen Schneefall begleitet, daß die Straßen vorübergehend vereist waren und der Fuhrwerkverkehr stockte.
Berlin 23. Sept. Dem „Lokalanzeiger" zufolge ist heute nachmittag der ungarische Staatsangehörige Sattler, Direktor de« Bank-, Kom- missions- und FinanzierungSinstitutS Merkur, wegen dringenden Verdachtes wiederholten Betrug« in Börsengeschäften verhaftet worden. Die Schwindeleien sollen mehr als eine Million Mark ausmachen.
Kiel 23. Sept. Das Kriegsgericht der Ausklärungkschiffe verurteilte den Obermaschinisten der Marine Granzow wegen Verrat« militärischer Geheimnisse zu 2 Jahren und 10 Tagen Zuchthaus. Granzow hatte während der Anwesenheit russischer Kriegsschiffe im Kieler Hafen ersucht, einem russische» Maschinisten Geheimbücher zu verkaufen, und ihm dabei einen Einblick in die Bücher gewährt.
Emden 23. Sept. Heute vormittag sind in dem Hotelzimmer, das der der Spionage verdächtige Engländer French bewohnte, 20 Photographien und Karten von Kiel, Wilhelmshaven, den Nordseeinseln, de« Forts von Boi kam, dem Fahrwasser der Ems usw. gefunden worden. Sie lagen in der Matratze de« Bette» auSge- breitet und wurden bei der Reinigung de« Zimmers gefunden.
Pari» 23. Sept. Präsident Falliöre« hat dem scheidenden deutschen Botschafter Fürsten Radolin als Andenken eine» prachtvollen Tafelaufsatz au« SövreSporzellan übersandt, der Jagdszenen darstellt und mit einer Widmungrinschrift versehen ist.
Brig 23. Sept. Chavez war hier um 1.29 Uhr nachmittag« aufgestiegen, um den
Simplo» zu überfliegen. Um 1.46 Uhr passierte er den Simplonpaß und um 2.11 Uhr traf er in Domodoffola ein. Der Aeroplan überschlug sich an der Landungsstelle in einer Höhe von 5 m und wurde zertrümmert. Chavez hat nach einer Meldung aus Domodoffola beide Beine gebrochen und wurde in« Krankenhaus gebracht.
Domodoffola 23. Sept. Al« die Meldung, daß Chavez in Brig aufgestiegen sei, hier eingetroffen war, bemächtigte sich der Bevölkerung eine fieberhafte Erregung und alle eilten zum Landungsplatz. Nach einer halben Stunde gespanntester Erwartung sah man Chavez in den Lüften erscheinen. Die Zuschauer gerieten in eine unbeschreibliche Begeisterung. Die Menge schwenkte die Hüte und brach in laute Beifallsrufe aus. In den höheren Luftschichten herrschte vollkommene Windstille, sodaß Chavez im Gleitflug niederging. Er war aber auf den unten wehenden heftige» Wind nicht vorbereitet. Der Apparat verlor das Gleichgewicht, kippte um und begrub Chavez unter sich. Dieser wurde mit verschiedenen Quetschungen und einem Bruch des linken Beins unter de» Trümmern hervorgezogen und sofort nach dem hiesige» Krankenhaus gebracht. Seine Verletzungen sind nicht ernster Natur. Die Heilung dürfte etwa 3 Wochen erfordern.
Vermischtes.
T Interessant für Jagdliebhaber dürfte folgendes Urteil der Strafkammer Tübingen als Berufungsinstanz sein. Das Schöffengericht Calw hatte nämlich den Bauern Jakob Blaich von Hornberg wegen Jagdvergehens zu 60 Mk. Strafe und Einziehung de» Gewehr« (Drilling) vemrteilt. B. ist Pächter der Jagd auf Markung Hornberg und Waldschütz Kern ist Pächter auf Markung Ett- mannsweiler. Blaich gab nun auf seinem Gebiete auf einen Rehbock 2 Schöffe ab. Der Rehbock brach aber dann erst aus dem Gebiet de» Kern zusammen. Blaich legte nun sein Gewehr auf seinem Jagdgebiet ab und holte den toten Rehbock auf dem Gebiet des Kern nach seinem Gebiet. Er weidete ihn dort au» und schaffte ihn nach Hause. Da er sein Gewehr auf seinem Jagdgebiet abgelegt hatte al« er den Bock holte, erkannte die Strafkammer nicht auf Einziehung de» Gewehrs und ermäßigte die Strafe auf 30 Mk. Der königl. Staatskasse wurden überdie» die Kosten der Berufungsinstanz auferlegt.
(Anstatt Diamanten — Pfefferkuchen.) Au« PrterSburg wird geschrieben: Ein Petersburger Großkaufmann machte vor einigen Tagen eigenartige Erfahrungen mit der Ehrlich
keit der ruffischen Eisenbahnbeamten. Er gab auf dem Nikolai-Bahnhof zu Peter»burg eine wertvolle Kiste al« Gepäck nach einer der Stationen der sibirischen Bahn auf und versicherte die Kiste mit 120 000 Rubel. Er selbst begleitete per Bahn diese» wertvollen Transport. In Wiatka mußte er in der Nacht «msteige», um in den Zug zu komme», der nach Sibirien fährt. Zugleich mußte die Kiste umgepackt werden. Bei ihrer Verladung bemerkten aber die Träger, daß die Bretter der Kiste in Unordnung geraten und anscheinend in großer Eile aufgebrochen und wieder zugeschlagen worden waren. In Anbetracht de« großen Wertes, de« der Inhalt der Kiste darstellte, verlangte der Besitzer, daß sie sofort geöffnet werde, damit er sich von dem Vorhandensein der Wertgegenstände überzeugen könne. E« befanden sich in der Kiste nämlich für 80 000 Rubel Brillanten, für 30 000 Rubel Goldwaren und für 10 000 Rubel Hermelin- und Zobelpelze. Als man die Kiste öffnete, stellte sich heraus, daß der Inhalt während des Transportes von Petersburg nach Wiatka geraubt worden war. Dafür hatten die unredlichen Beamten, die allein al« Räuber in Betracht kommen konnten, in die Kiste 30 Pfund — Pfefferkuchen getan, um, wie ein beigelegter Zettel besagte, dem Besitzer der Kiste da« Leben auf einige Tage „zu versüßen". Da der Kaufmann den Inhalt vor den Augen der Petersburger Eisenbahnverwaltung in die Kiste verpackt hatte, so verlangt er jetzt Ersatz de» wertvollen Gutes. Man ist den Räubern bereit« auf der Spur. ES handelt sich um Beamte, die schon seit Jahren regelmäßig das Eisenbahngut nach Sibirien plündern. Da die Inhaber aber nur Schwierigkeiten befürchteten, so haben sie meist von einer Anzeige der Diebstähle Abstand genommen.
(Der „Kurier des Zaren".) Ueber die Millionen, die der bekannte Graf Tscher- nagiew, jener Hochstapler, der sich als Kurier des Zaren au«gab, in seinem abenteuerreichen Leben verbrauchte, werden au« Wien folgende interessante Mitteilungen übermittelt: Graf Tschernagiew, der natürlich kein Graf ist, führte ein Lebe», da« nur mit dem Casanova» verglichen werden kann. Gleich jenem hervorragenden Abenteurer de» 18. Jahrhundert» wurde er von einem vornehmen Mann adoptiert und dadurch berechtigt, dessen Namen anzunehmen. Aehnlich wie Casanova verstand e« der falsche Graf auch, ungezählte Millionen zusammenzuraffen und in großzügigster Weise zu vergeuden. Wenn man von den kostbaren Souper« liest, die Graf Tschernagiew in Pari» veranstaltete, wird man unwillkürlich an die kostbaren Mahlzeiten erinnert
de« Vorhangs in die Hände klatschen und plaudern und sofort wieder in ihre Alltagsgedanken verfallen, ohne die Stimmung in sich nachklingen zu lassen, die Dichter und Bühnenkünstler eben erst mit dem Aufgebot ihres ganzen Talent« hervorzubringen sich bemühten. Ich gestehe, daß ich selbst aus Verdruß Über diese« Verhalte» de« großen Publikum« den Theaterbesuch seit Jahren so gut wie vollständig aufgegeben und oft genug den Großherzog beneidet habe, der die Macht hat, sich in seinen Sondervorstellungen ungetrübte erleserne Kunstgenüsse zu bereiten.
Der Schauspieler neigte sinnend das Haupt. „Ohne Zweifel", sagte er, „entspringt da« Verhalten Ihres Fürsten einem feinen und keuschen künstlerischen Empfinden. Jede echte Künstlernatur scheut sich im tiefsten Innern, die Erlebnisse der Seele einem großen buntgemischten Haufen preiszugeben. Die wahre, reinste Kunst ist eine Wunderblume, die nur m der Einsamkeit blüht. Aller doch sucht auch jede Kunst ihr Echo im Beifall, m der Zustimmung der großen Welt oder mindesten« eines weiteren schaffende Künstler so gut wie der nachschaffende braucht d^ Anerkennnung anderer Menschen und schöpft daraus Anregung zu neuem Wirken. Ich kann mir keinen Dichter denken, der in stiller Abgeschiedenheit Werk auf Werk häuft, ahne den brennenden Wunsch, sie der Allgemeinheit zugänglich zu mache». Erfolg verdoppelt die Kräfte, die nach und nach erlahmen muffen, wenn ihnen auf die Dauer die Wirkung auf die Oeffentlichkeit vorenthalten wird. Bei uns Bühnenleuten ist die» in besonder« hohem Maße der Fall. Und überdie« empfinden wir am deutlichsten de» belebenden Einfluß de« Publikums. Unsere besten Generalproben bleiben trotz Kostüm, Maske und Dekoration doch immer nur stimmungslose Versuche, erst die geheimni»volle Wechselbeziehung mit dem Publikum schafft am Abend jenen eigenartigen Nervenzustand, der un« befähigt, gleichsam aus unserer Person herauszutreten und die Gestalten der Dichter wirklich zu verkörpern."
Der Justizrat hatte mit Teilnahme zugehört und sagte nun: „Sie mögen recht habe«, aber seien Sie außer Sorge. Mir wurde erzählt,
daß gerade diese Nervenspannung im höchsten Grade während einer Sondervorstellung zu bemerken sei. E» habe da jeder Teilnehmer da» Gefühl, vor einem wahren Kenner und begeisterten, mächtigen Förderer der Kunst sich zu betätige» und einer Auszeichnung dadurch teilhaftig zu werden. Denn der Großherzog betraut mit wichtigen Rollen in seinen Sonderausführungen nur wenige, bevorzugte Mitglieder, und e« gehört mancher schon Jahre lang dem Hofschauspiel an, ohne mit einer großen Rolle bei diesen Vorstellungen bedacht zu werden, mag er auch in den öffentlichen Aufführungen mit dem größten Beifall noch so oft aufgetreten sein. Ja, gerade diejenigen Schauspieler, die der Großherzog am meisten schätzt, treten au« der Oeffentlichkeit zurück, spielen nur für ihn und finden in der Freundschaft de« gekrönten Kunstfreunde« Ersatz für den Beifall der Menge, auf den sie verzichten müssen. Sie sehen, daß die Sache nicht so einfach ist, und daß es sich bei dem Fürsten um weit mehr handelt al« um eine absonderliche Liebhaberei. Vielleicht ist e« für Sie nicht von Nachteil, da« alle« heute schon zu erfahren, damit Ihrer tatendurstigen Ungeduld Enttäuschungen erspart bleiben."
Hugo war nachdenklich geworden. ,,Wa« ist der Großherzog für ein Herr?" fragte er leise, und der Justizrat erwiderte: „Ein Mann am Ende der Dreißig, in glücklicher Ehe vermählt mit einer hochfinnigen Frau, die ihr Genügen in Wohltätigkeit findet und den künstlerischen Neigungen de« Gatten, obwohl sie ihrem Herzen nicht Zusagen, doch Verständnis entgegenbringt. Der Großherzog ist uns ein guter Landesherr, dem wir neben der angestammten Treue auch aufrichtige Liebe entgegenbringen, wenn er auch nie nach Volkstümlichkeit gejagt hat. Er ist eine Persönlichkeit, ein Mann, nehmt alle« nur in allem.-Doch da fahren wir
in den Bahnhof ei«. Es war mir eine Freude, Herr Haffaer, Sie kennen zu lernen. Viel Glück in der neue» Tätigkeit. Und wenn Sie zum erstenmal auftreten, ich werde mit Frau und Kind von morgen an den Theaterzettel täglich genau studieren, dann bin ich sicher im Theater. Zwei gute Hände zum applaudieren Hab' ich." (Forts, folgt.)