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Reutlingen 5. Juli. Der Vorstand der Handwerkskammer hielt am 24. Juni eine Sitzung ab, die sich zunächst mit einigen Gesuchen um Errichtung staatlich unterstützter Lehrlingswerkstätten zu befassen hatte und sodann über die Festsetzung der zulässigen Höchstzahl an Lehrlingen verhandelte; diese letztere Frage soll gemeinsam von sämtlichen 4 württ. Handwerkskammern geregelt werden. — Nachdem am 1. Januar 1910 die Gewerbeordnungsnovelle vom 28. Dezember 1910 in Kraft getreten ist, welche die Arbeitszeit für jugendliche Arbeiter und Arbeiterinnen in sämtlichen Gewerbebetrieben mit zehn und mehr Arbeitern neu geregelt hat, ist nun seitens der Reichsamls des Innern geplant, eine gesetzliche Festlegung der Arbeitszeiten auch in allen übrigen Handwerksbetrieben, in denen motorische Kräfte zur Verwendung gelangen in die Wege zu leiten, und zwar im allgemeinen ohne Rücksicht auf die Zahl der beschäftigten Hilfspersonen. Betriebe mit insgesamt 5 und mehr Arbeitern (die Lehrlinge eingerechnet) sollen nach dem Entwürfe überhaupt den Fabriken gleichgestellt werden; für die kleineren und kleinsten Motorbeiriebe im Handwerk soll lediglich die Ausnahme gelten, daß eine bestimmte Mindestruhezeit für Lehrlinge und bestimmte Pausen nicht vorgeschrieben sind, während das Verbot der Beschäftigurg vor 6 Uhr morgens und nach 8 Uhr abends auch für diese Betriebe Geltung hätte. Vom Sekretär wurde der Entwurf eines umfassenden Berichtes an die K. Zentralstelle vorgelegt, in welchem auf Grund der zahlreich eingegangenen Aeuße- rungen der gewerblichen Vereinigungen mit aller Entschiedenheit und unter eingehender Begründung gegen die geplanten Maßnahmen Stellung genommen wird. Der Entwurf wird einstimmig gebilligt. Von verschiedenen Mitgliedern des Vorstands wird u. a. noch ausgeführt, daß nicht nur für die geplante Maßnahme auch jeder Schein eines Bedürfnisses fehle, sondern überdies ihre Durchführung da» gerade Gegenteil von dem erreichen würde, was doch wohl der Zweck des ganzen Planes sei. In zahlreichen Fällen würde» Maschinen doch nur deshalb an geschafft, um den Lehrlingen und Arbeitern schwere körperliche Arbeit abzunehmen. Wenn nun die Motorbeschaffung dem Betriebsinhaber noch weitere Beschränkungen auferlegen würde, so würde eben sehr oft von einer solchen Aenderung Abstand genommen. Die Folge wäre dann, daß die Lehrlinge nicht nur schwerer, sondern dazu auch — unbcengt durch gesetzliche Vorschriften — länger beschäftigt würden. Zu alledem aber sei noch zu sagen, daß in sehr vielen Handwerksberufen eine absolute Beschränkung der Arbeitszeit auf die angegebenen Stunden
selbst da nicht möglich sei, wo in der Regel sogar eine kürzere Arbeitszeit eingeführt sei. Der ganze Plan leide an dem Mangel jeglicher inneren Begründung und sei praktisch gar nicht durchzusühren. — Einem Ersuchen der südwestdeutschen Holzberufsgenossknschast, auch seiten» der Handwerkskammer auf Einführung der runde» Sicherheitsmefserwelle an Hobelmaschinen und damit auf eine Verminderung der Unfallrenten im Holzgcwerbe hinzuwirken, wird entsprochen. Seitens eines Gewerbevereins des Bezirks war darauf hingewiesen worden, daß die staatlichen Gesellen- und Meisterkurse wohl besser besucht würden, wenn einzelne Kurse auch in größeren zentral gelegenen Städten des Landes abgehalten würden. Hiezu wird beschlossen, bei den gewerblichen Korporationen des Bezirks eine Umfrage zu veranstalten, ob sich etwa für in Reutlingen und Rottweil abzuhaltende Kurse eine hinreichende Teilnehmerzahl fände. Würde letzteres zutreffen, so soll an die K Zentralstelle mit einem Gesuch um Abhaltung solcher Kurse im Laufe des Winters an den genannten Plätzen heran- getreten werden. — Neue Bäckereiverordnung. Der Verband württ. Bäckerinnungen und die deutsche Mittelstandkvereinigung haben der Handwerkskammer eine Denkschrift zugehen lassen, in der die großen Schäden der neuen Vorschriften für da» Bäckergewerbe und zahlreiche Hausbesitzer eindringlich dargelegt sind. Für Württemberg handelt es sich um die am 1. Juli 1910 in Kraft tretende Ministerial- verfügung vom 12. März 1909, welche über die Höhe und Größe der Bäckereilokale eine Reihe von Vorschriften bringt, die — was schon heute vorausgesehen werden kann — in zahlreichen Fällen nicht erfüllt werden können. Vorstandsmitglied Teufel-Tuttlingen sprach sich entschieden gegen die Berechtigung der neuen Vorschriften aus, die in ihrer Starrheit zahllose unnötige Härten enthalten, ohne dadurch aber allgemein den angestrebten Zweck zu erreichen. ES sei ein Unding, daß Bäckereilokale, die vor wenigen Jahren unter Zustimmung der Gesundheitspolizei neu eingerichtet worden seien, nun auf einmal deshalb nicht mehr einwandsfrei sein sollen, weil sie mit den baulichen Vorschriften der neuen Verfügung nicht übereinstimmen. Der hygienische Zustand eines Betriebslokals werde noch von so vielen andern Faktoren bestimmt, daß eS ungerecht wirke, wenn die Verfügung lediglich an wenige äußerliche Merkmale anknüpfe. Es müsse deshalb dringend verlangt werden, daß die Kgl. Oberämter, ähnlich wie es in Hessen und Bayern schon seitens des Ministeriums angeordnet, die Vorschriften über die bauliche Beschaffenheit nur bei nötig werdenden Umbauten oder Neubauten anwenden und im übrigen von
8 16 der genannten Verfügung weitgehend Gebrauch machen. Auf seinen Antrag wird beschlossen, an die K. Oberämter des Kammerbezirk» ein dahingehendes Ersuchen zu richten und weiterhin darum zu bitten, in Fällen, in denen eine bauliche Veränderung oder gar die Schließung eines Betriebs in Frage komme, zuvor ein Gutachten der Handwerkskammer einzuholen. Außerdem wird sich die Kammer bereit erklären, auf Wunsch sachverständige Bäckermeister zur Beiziehung im vorbereitenden Verfahren namhaft zu machen. — Einem Besucher der Kunstgewerbeschule in Stuttgart wurde in Anerkennung seiner Würdigkeit und Bedürftigkeit ein einmaliger Beitrag von 50 ^ bewilligt. — Eine Reihe weniger wichtiger Angelegenheiten bildeten den übrigen Beratungsstoff der ausgedehnten Verhandlungen.
Reutlingen 5. Juli. In der Stickerei- mid Bleichereifabrik Hermann Heinzelmann hat sich ein gräßliches Unglück ereignet, bei dem ^Arbeiter den Tod fanden. Die Fabrik hatte für die Bleicherei ein großes Wasser- bassain errichtet, das mit einem Cementbeton- deckel abgeschlossen worden ist. Heute waren drei Arbeiter damit beschäftigt, die Erde aufzuschütten. Hiebei ist der Deckel zusammen- gebrochen, in die Tiefe gestürzt und hat alle drei Arbeiter mit hinuntsrgerissen. Sie sind entweder erschlagen oder wahrscheinlich im Wasser ertrunken. Geborgen ist bis jetzt keiner. ES sind zwei unverheiratete Taglöhner von Kirchentellinsfurt und ein Familienvater namens Votteler von hier. Die Rettungsversuche waren bi» zum Mittag erfolglos. — Wie wir von anderer Seite hören, sind die drei Verunglückten der 47 Jahre alte verheiratete Weingärtner Martin Votteler von hier sowie der 30jährige Taglöhner Christian Lutz und der 18jährige Taglöhner Eugen Koch aus Kirchentellinsfurt. Die Arbeiter waren gerade dabei, den Schacht durch Auffüllen dem Schutt gleichzumachen, als die auf Eisenbeton ruhenden Erdmassen nachgaben und in dem ca. 7.50 in tiefen Brunnenschacht verschwanden, während drüber das Wasser einige Meter tief stand und zuerst ausgepumpt werden muß, ehe die Leichen der Verunglückten geborgen werden können.
Gmünd 5. Juli. Die in der Wohnung des wegen Unterschlagungen verhafteten Schultheißen Grupp in Reichenbach vorgenommene Haussuchung hat ergeben, daß etwa» über 10000 ^ in Wertpapieren und Sparkassenscheinen der württembergischen Sparkasse vorgefunden wurden.
Mergentheim 5. Juli. Am 24. d. M. sind 44 Jahre verflossen, seitdem im Jahr 1866 beim Kampf um die Tauberlinie zwischen norddeutschen und württemb. Truppen gegen
Dann aber vielleicht mit Löwenfellen? Was?
Davon weiß ich auch nur, daß der Esel in der Fabel ein» anzog, sich jedoch durch sein Geschrei verriet.
Uebrigen», nun ich es überlege, schwatzte er weiter, gibt e», glaube ich, in Indien überhaupt keine Löwe«. Er blickte dabei so unschuldsvoll fragend von mir zu Fräulein Temple, daß ich ihm gleich wieder gut sein mußte. Er war durch und durch ein guter, lieber Kerl.
Fräulein Temple, welche diesem Gespräch wie abwesend zugehört hatte und ihm ein Ende bereiten wollte, sagte: Ich möchte mir etwas Bewegung machen, und schritt nach dem Promenadendeck, wohin Colledge sie begleitete.
Meine unglückselige Empfindlichkeit ließ mich in dem Umstand, daß ich von dem jungen Mädchen nicht wenigstens höflichkeitshalber aufgefordert wurde mitzugehen, eine neue Zurücksetzung erkennen und verdrossen ging ich daher meinen eigenen Weg.
Ich schritt nach vorn, und unterwegs wurden meine unwirschen Gedanken bald durch das auf den verschiedenen Decks herrschende Leben und Treiben abgelenkt.
Auf dem Vorderdeck traf ich eine Anzahl Matrosen, die auf einem ausgebreiteten Segel hockend, unter Aufsicht eine» Maat» Nähte ausbesserten und Flicken einsetzten; unter ihnen fiel mir ein Kerl auf, der mir wahres Grauen einflößte. Ich hatte im Leben schon viele häßliche Seeleute gesehen, ein solche« Scheusal aber doch noch nie. Seine Nase war ihm offenbar einmal eingeschlagen worden; sie bestand nur au« einem dicken Wulst mit zwei Löchern. Auf dem rechten Auge schielte er; der Rücken war rund wie eine Faßdaube. Seine affenartigen langen Arme endeten in tatzenähnlichen Händen. Obwohl augenscheinlich ein alter Seemann, hatte er doch die schmutziggraue Gesichtsfarbe eines Londoner Bäckers. Er war in der Tat ein menschliche» Ungeheuer, und ich wunderte mich nur, ein solches Geschöpf auf einem Ostindienfahrer zu finden, wo man sonst nur eine ausgesuchte Bemannung traf, da, heißt Leute, die in Aussehen
und Wesen einen gefälligen Eindruck machten. Während ich ihn noch betrachtete, kam Herr Johnson — eine „kalte" Zigarre zwischen den Lippen rollend — nachdenklich angeschlendert. Scherzend begrüßte ich ihn: Sie dichten wohl? Haben Sie noch nicht Feuer gefangen?
Bitte, Herr Dugdale, keine Späße, sprudelte er mich mit bösem Blick an. Ich bin nicht dazu aufgelegt.
„Na, na, was haben Sie denn? Seien Sie doch gemütlich. Ich habe doch nichts gesagt, was Sie übelnehmen könnten.
Wa», gemütlich! Lassen Sie mich in Frieden. Ich Lin gewiß kein unverträglicher Mensch, aber dieser Kerl, der Oberst, kann einen wirklich gallig machen. Ich sage Ihne«, wenn der Mann so fortfährt, mit mir zu sprechen, wie er es eben getan hat, dann — ja dann wahrhaftig gibt es einmal etwas! Er soll sich in acht nehmen. Ich fahre ihm einmal über den Mund, daß ihm Hören und Sehen vergeht.
Donnerwetter! Sie sind ja fuchsteufelswild. Hat er Sie beleidigt.
Wie man es nehmen will. Wenn es nicht zu dumm und lächerlich wäre, würde ich sagen, er hat meinen ganzen Stand beschimpft. Erdreistet sich der Mensch, mir eben zu sagen: kein respektabel Schriftsteller würde sich je mit Zeitungsschreiben befassen. Einen Zeitungsschreiber stelle er sich als ein Individuum vor, das so lange im Bett läge, bis die Waschfrau sein einziges Hemd aus der Wäsche brächte, und dabei ersänne er dann all die Lügen, die er der Welt auftischte!
Aber hören Sie, über solchen Unsinn können Sie doch nur lachen. Da« kann er doch nur im Scherz gesagt haben.
Mir ganz egal. Auch im Scherz soll er sich mir gegenüber so etwas nicht erlaube».
Ja, ich kann seine Art auch nicht vertragen. Ich gehe ihm deshalb immer möglichst aus dem Wege. UebrigenS bin ich augenblicklich ziemlich ebenso verstimmt wie Sie, und zwar durch die Unterhaltung eines jungen Manne» mit einem jungen Mädchen, in die ich mit hineingezogen wurde.
(Fortsetzung folgt.)