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in der Entwicklung einer modernen Industrie von vielen Orten unsere» engeren Vaterlandes in den letzten Jahrzehnten überholt worden sei. Aber Calw könne auf eine glänzende Vergangenheit zurückblicken und sich rühmen, einst die bedeutendste Industriestadt Württembergs gewesen zu sein. Redner schilderte die Entstehung und Entwicklung der Calwer Zeughandlungskompagnie, die, wenn sie auch gegen Ende des 18. Jahrhunderts aufgelöst wurde, nach vielen Wandlungen noch jetzt fortlebt und fortbesteht in der Ver. Deckenfabrik Calw, A.G., die noch heute das Fabrikzeichen der alten Kompagnie 96 führt. Zum Schluß dankte der Redner der K. Zentralstelle und insbesondere ihrem Präsidenten StaatSrat v. Most- haf für die Förderung und Sorge um die gedeihliche Entwicklung unseres Gewerbe- und Handelsstandes und wünschte auch für die Zu- ürnft ein ersprießliches Zusammenwirken der Kgl. Zentralstelle mit den Erwerbsständen unseres Landes. Auch der Vorstand des Gewerbevereins hier, Uhrmacher Zahn, dankte der Zentralstelle für die so reiche Förderung des Handwerkerstandes. Nach beendigter Mahlzeit besuchten die Teilnehmer das Waldcafs, machten sodann einen prächtigen Waldspaziergang und besichtigten noch die Kratzenfabrik von H. F. Baumann und die Vereinigten Deckenfabriken. Zu einem geselligen Zusammensein vereinigten sich noch sämtliche Teilnehmer im Badischen Hof. Die werten Gäste, die von dem hier Erlebten und Gesehenen sich hochbefriedigt auSsprachen, wurden uns von den Abendzügen entführt.
Wildbad 10. Juni. Heute verschied nach kurzem Kranksein der großh. altenburgische Jntendanzrat Peter Liebig im 57. Lebensjahr. Nach einer dreijährigen Bühnentätigkeit führte ihn im Sommer 1881 der Weg nach Wildbad, wo er zunächst 4 Spielzeiten hindurch als Mitglied des K. Kurtheater» wirkte. Das Jahr 1885 brachte ihm infolge Erkrankung des damaligen Dir. Größer die Ernennung zum Direktor des Kurtheaters. Al» solcher durfte er im vergangenen Jahr da» 25jährige Jubiläum seiner hiesigen Wirksamkeit feiern.
Stuttgart 13. Juni. Heute vormittag besuchten der König und die Königin die 9. Fachausstellung des Verbandes deutscher Klempner- und Installateur-Innungen. Nach kurzer Begrüßung der Majestäten am Eingang der Gewerbehalle, wo unter anderem der Vorstand der Jnstallateurinnung mit der Verbandsfahne Aufstellung genommen hatte, wurden sie durch die Ausstellungsräumlichkeiten geleitet. Der König und die Königin besichtigten mit großem Interesse die einzelnen Anlagen und ließen sich diese zum Teil im Betrieb vorführen. Gegen halb 1 Uhr verließen die Majestäten nach andert-
halbstündigem Besuche die Ausstellung wieder. Kurz vor ihrer Abfahrt dankte ein Mitglied de» Empfangskomitees den Majestäten für deren Besuch und brachte ein Hoch auf sie aus. Der König erwiderte mit Worten der Anerkennung und wünschte der Ausstellung besten Erfolg. Die Führung des Königs hatten die Herren Lorenz und Vötter, die der Königin die Herren Morgenstern und Schieber übernommen.
Stuttgart 13. Juni. Infolge de« letzten Betriebsunfalls bei Feuerbach ist unweit des dortigen Tunnelausgangs eine Weichen-UeberwachungSstation eingerichtet worden. Ebenso ist auf dem Stuttgarter Ausgang dieses Tunnels eine Weichensignallaterne angebracht, sodaß alle Vorsichtsmaßregeln getroffen sind, um einem weiteren Unfall vorzubeugen. Der neue Tunnel kann von den Materialwagen bereits passiert werden und seine Vollendung soll möglichst rasch beschleunigt und wenigstens ein Gleis gelegt werden, um den alten Tunnel zu entlasten.
Tübingen 13. Juni. Zu dem Nachen - Unglück der Germanen auf dem Neckar ist nachzutragen: Die Veranstalter waren wegen des nahenden Hochwassers wiederholt von der Polizei gewarnt worden, die Fahrt zu unternehmen, sie fuhren aber trotzdem ab, da noch kein Hochwasser zu bemerken war. Am Stauwehrneubau ist eine Hilfsbrücke errichtet worden, an deren ziemlich enge Holzjoche stießen von ca. acht Booten drei an und kippten um. Alle konnten sich leicht retten, nur der Taglöhner Gärtner, 30 Jahre alt, verheiratet, aus Kirchentellinsfurt, war des Schwimmens unkundig und sank, vielleicht auch durch den Anprall verletzt, sofort unter. Er hinterläßt eine Wiiwe und zwei kleine Kinder. Seine Leiche wurde noch nicht gefunden. Die Aufregung in der Stadt war groß, da es hieß, es seien 5 oder 6 Mann ertrunken. Verboten sind die Nachenfahrten auf dem Neckar ja nicht, mehr als warnen konnte man die Leute nicht. Jedenfalls liegt auch eine Ungeschicklichkeit des Bootslenkers vor, denn die Mehrzahl der Nachen passierte ja die Brücke ohne jede Gefahr.
Gmünd 13. Juni. Der Polizeiamtmann Stadelmaier hier wurde durch den Untersuchungsrichter de» Landgerichts Ellwangen verhaftet. Die Verhaftung des verheirateten Beamten, der sich schon lange in städtischen Diensten befindet, erregt hier großes Aufsehen. Wie die vorläufige Untersuchung ergab, hat Stadelmaier schon seit Jahren polizeiliche Strafgelder unterschlagen. Die Entdeckung der Veruntreuungen erfolgte durch einen Zufall gelegentlich einer Revision durch Gemeinderevisor Meschenmoser. Wie man hört, soll Stadelmaier mit seinem Ge
halt wegen kostspieligen Verkehr» in Damenkreisen nicht ausgekommen sein.
Geislingen a. St., 13. Juni. Gestern nachmittag wurde das vom hiesigen Naturheilverein im „Katzenloch" erbaute Licht- und Luftbad eingeweiht und dem Gebrauch übergeben. Bei dieser Gelegenheit hielt Hr. Oskar Dietrich von Stuttgart einen Vortrag über „Die wohltätige Einwirkung von Luft und Licht auf den menschlichen Körper". Das Bad war bis abends 6 Uhr für jedermann gc öffnet und es fanden sich auch zahlreiche Neugierige ein. Die Einteilung und Einrichtung des Bades befriedigte allgemein. Abends versammelten sich die Naturheilvereinler zu einer geselligen Zusammenkunft und Nachfeier.
Ditzenbach 11. Juni. Se. Maj. der König hat beim 7. Knaben des hiesigen Polizeidieners Köhler die Patenstelle übernommen und ein Patengeschenk überreichen lassen. Im Verlauf von 9 Jahren ist in hiesiger Pfarrgemeinde diese Auszeichnug drei Familien zuteil geworden.
Altstadt-Rottweil 13. Juni. Bei dem Gewitter beobachtete man hier einen Kugelblitz. Der Blitz schlug in den Blitzableiter des Kirchturmes, jedoch ohne irgendwo zu ^schaden, sprang dann sofort wieder ab, um sich" in der Luft wie eine Kugel zusammenzurollen. Mit einem Knall, der wie ein Gewehrschuß krachte, zersprang der Kugelblitz, einer großen Rakete gleichend, nach allen Richtungen.
Ulm 13. Juni. Auf dem Marktplatz geriet gestern ein 4jähriges Mädchen unter die Pferde eines Fuhrwerks. Das Kind erlitt unbedeutende Verletzungen. — Ein Lebensüberdrüssiger sprang heute nacht bei der Veltlenswühle in die Blau. Er wurde von dem Oberwächter der Wach- und Schließgesellschaft dem nassen Element entrissen und im Spital untergebracht. Der Mann, ein Marmorschleifer und Schlaffer Wiedemann aus dem Bayrischen, soll geistig nicht normal sein.
Aus Hohenzollern 13. Juni. In Fischingen fiel ein Maurer bei einer Reparaturarbeit auf dem Kirchhof auf die eiserne Umzäunung eines Grabes und wurde von den Eisenspitzen an beiden Schenkeln aufgespießt, wa» schweren Blutverlust zur Folge hatte. Durch die erste Hilfebringung wurde eine Blutvergiftung glücklicherweise verhütet.
Berlin 13. Juni. Als gestern abend während eines heftigen Gewitters eine große Menschenmenge in der Nähe der Schwimmanstalt in Plötzensee an einem Zaun gegen den Regen Schutz suchte, wurden durch einen Blitzschlag sechs Personen getütet und dreizehn
„Babette! — Meine himmlische Babette!" rief er, indem er mit ausgebreiteten Armen der jungen Frau entgegenstürzte.
Doch diese stand hoch aufgerichtet und stolz vor ihm. Ihr eisiger Blick brachte den Ungestümen schnell zur Besinnung. Ohne große Erregung zu verraten, begann sie: „Wenn der Herr Steiner etwan nicht wissen sollt', mit wem er red't, weil» schon ein wenig finster ist in derer Stuben herinnen, alsdann will ich ihm halt sagen, daß ich die Bäurin bin vom Rodershof. Seine „himmlische Babett" aber bin ich nicht und kenn ich nicht."
„O Babette!" klagte der enttäuschte Soldat im Tone de» Vorwurfs. „So kannst Du sprechen zu mir? Hast Du denn ganz vergessen auf frühere Zeiten? Denkst Du nicht mehr zurück an unsere Liebe?"
„Meine Lieb', meine ganze Herzenslieb' g'hört meinem braven Mann", antwortete die Bäuerin ruhig, und was in früheren Zeiten einmal g'wesen ist, das liegt im Sarg drinn bet meinem seligen Vaterl. Dem seinen Tod und armseliges Begräbnis hat ein gewisser Herr auf dem Gewissen, der alle» Geld, was das alte Mannl g'spart hat, mit böhmischen Harfenmadeln durch die Gurgel hat rinnen lasten."
„Frau Roder!" schrie Fritz, der den Vorwurf, welchen die Rede der Bäuerin enthielt, wie einen mitten in» Gesicht erhaltenen Peitschenschlag empfand und unwillkürlich einen Schritt zurückwich.
,,Wa» beliebt?"
„Sind Sie nur deshalb zu mir gekommen, um auch hier Grobheiten au»zukramen? Wa« führt Sie denn her, wenn nicht der Wunsch, sich mit mir unter vier Augen aussprechen zu können?" Die Bäuerin lachte laut auf.
„Bin ich grob g'wesen al«dann?" fragte sie mit harter Stimme. „Ja, ja — wer die Wahrheit sagt, kommt leicht al» grob in« G'schrei. Aber der Wunsch, mit dem Herrn Steiner unter vier Augen zu reden, hat mich nicht her'trieben ins Schulhau», sondern der Befehl von meinem Mann. Ich soll den Herrn Unteroffizier bitten, daß er wieder zurück
kommt nach dem Rodershof und seinen Urlaub dort zubringt. — So, und das Hab ich jetzt 'tan."
Da» laute Lachen und die kurz angebundene Weise der Frau verletzten das Selbstgefühl des Soldaten so sehr, daß er pikiert entgegnete: „Wenn ich mich aber weigere, auf den Hof zurückzukehren, wo man mich so bagatellmäßig behandelt hat, — was dann?"
„O, mir kann das gleich sein", entgegnete die Bäuerin nachlässig. „Ich Hab' keine Sehnsucht nach dem Steinerfritz, sondern 'S ist mir lieber, wenn ich ihn hundert Stund' fern weiß von hier."
„Und wenn der Roder absolut wissen will, warum ich seinen Hof nicht betreten mag?"
„Dann werd ich meinem Mann sagen, der Herr Steiner scheniert sich halt so stark, und werd' ihm eine Geschicht' erzählen von gewissen hundertundzwanzig Mark. Leicht macht er sich einen VerS darauf."
„Sie wären imstande?"-stieß der junge Mann betroffen hervor.
„Wenn der Steinerfritz die Einladung von meinem Mann annimmt, braucht'» da» nicht. ES kennt überhaupt noch niemand die richtigen Umständ' von derselbigen Amberger Reis', und auch der Staatsanwalt in der Weiden weiß noch kein Sterbenswörtel davon. Jedennoch-
Die Bäuerin brach ab und der Unteroffizier erblaßte. Im letzten Wort, das sie langsam mit eigentümlich schleppendem Tonfall ausgesprochen, lag eine versteckte Drohung, und Fritz hatte ein schlechtes Gewissen und nur sehr vage Vermutungen über die eventuelle Straflosigkeit oder rechtliche Verjährung de» von ihm begangenen Vertrauensbruch». . Er sah ein, daß es jedenfalls vorteilhafter für ihn war, wenn er emlenkte; deshalb sagte er mit erheuchelter Gleichgültigkeit: „Nun, ich will den Wunsch des Herrn Roder nicht abschlagen. Wenn er mich über die Osterfeierlage wirklich gern auf seinem Hof haben will, so gehe ich halt wieder mit hinauf."-
(Fortsetzung folgt.)