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Arbeitsvereinigung, und in Regelmäßigkeit oder RhytmuS aller Tätigkeiten. Seit den 80er Jahren erfahre das Handwerk sichtlich eine sachliche Würdigung und Neubelebung, was in der höheren Organisationskraft, speziell in den Handwerkskammern, in der besseren Erziehung de» Nachwuchses, der besseren Arbeit u. dergl. zu Tage trete. An der Hand einer Tabelle veranschaulichte der Redner die Entwicklung von sechs Großindustrien nach führenden Betrieben. Ebenso wies er auf die starke industrielle Entwicklung Württembergs hin. Das Nebeneinander von Handwerk und Industrie sei lange Jahrzehnte kampfvoll gewesen. Die kapitalstarke Industrie drängte da» im wesentlichen auf Arbeit beruhende Handwerk dort mehr oder weniger zurück, wo da» Kapital den Ausschlag gebe. Handwerk und Industrie seien zwei wichtige Glieder am Körper des Gewerbestandes, die sich trotz aller Sonderinterefsen mannigfach ergänzen und deshalb sich bester verstehen lernen sollten. Beide Gruppen werden am besten gedeihen und sich ergänzen, wenn sie nach richtiger Einschätzung ihrer gemeinsamen und gesonderten Interessen in erster Linie auf den Boden starker Selbsthilfe sich stellen und den Staati schütz nur bei wichtigen allgemeinen Jnterrffen herbeiziehen. Redner tadelte energisch die Schwäche des Einheitsgefühls innerhalb beider Gruppen und zwischen beiden und wies der Industrie und dem Handwerk die Hauptmittel zu ihrer kräftigen Entwicklung. Da« Handwerk werde durch bessere, allgemeine, kaufmännische, technische Vorbildung zu seiner Qualitätsarbeit befähigter werden, es solle seine Kammern, Vereine, Innungen, sein Genossenschaftswesen mehr pflegen. Persönlichkeitsbildung sei mehr wert als alle Examina und einseitiger staatlicher Schutz. Mit dem Wunsche daß der Hansabund weiter reiche Erfolge erzielen möge, schloß Professor Kindermann unter langanhaltendem Beifall seine Rede. Der Vorsitzende dankte dem Redner für seine Ausführungen und brachte zwei Telegramme de» Vorsitzenden de» Württembergischen Landtverbandes de» Hansa- bundes, der zur Zeit in Bad Aibling weilt, und des Vorsitzenden der Ortsgruppe Stuttgart, Malermeister Rommelsbacher, zur Verlesung.
Stuttgart 12. Juni. Bei dem kurz nach der Eröffnung der 9. Fachausstellung des Verbände« deutscher Flaschner, Klempner und Installateure ausgebrochenen Kellerbrand wurden drei Feuerwehrleute der Stuttgarter BerusSfeuerwehr bewußtlos. In einer Vorstandssitzung de» Verbandes deutscher Klemp- nerinnungen wurde für die in ihrem Berufe Verunglückten eine Tellersammlung veranstaltet, die eine ganz ansehnliche Summe ein
brachte. Der Ertrag wird dem Branddirektor übergeben werden.
Stuttgart 12. Juni. Die Zentralvermittlungsstelle für Obstverwertung gibt auf Grund der Erhebungen des K. Statistischen Landesamtes von Mitte Mai d. I. nachstehende Zusammenstellung über die Obstaussichten für Württemberg: Neckarkreis, Aepfe! 1,6, Birnen 2,1; Schwarzwaldkreis, Aepfel 2,4, Birnen 2,5; Jagstkreis, Aepfel 1,9, Birnen 2,6 ; Donaukreis, Aepfel 2,2, Birnen 2,5. Im Durchschnitt Aepfel 1,9 und Birnen 2,3, wobei 1 sehr gut, 2 gut und 3 mittel bedeutet. Aepfel stehen sehr gut in den Oberämtern Cannstatt, Eßlingen, Heilbronn, Maulbronn, Stuttgart-Stadt, Vaihingen, Weinsberg, Calw, Neuenbürg, Nürtingen, Kün- zelsau, Mergentheim und Geislingen, gering in Saulgau und mittel bis gering im Oberamt Horb. Birnen stehen sehr gut in den Oberämtern Maulbronn, Calw; gering in Saulgau, Waldsee, Ell- wangen, Balingen, Spaichingen. Diese Angaben dürften seit Mitte Mai teils durch Hitze, teils durch Gewitterschäden erhebliche Veränderungen erfahren haben.
Stuttgart 10. Juni. (Strafkammer.) Zwölf Messerstiche in den Kopf, Rücken und in die Schamgegend versetzte der 18jährige italienische Erdarbeiter Bosco am 25. April im Hausgang einer Wirtschaft in Cannstatt einem anderen Italiener namens Combri. Der Gestochene war kurz zuvor au» der Wirtschaft hinausbefördert worden, weil er Händel angefangen und Bosco geschlagen hatte. Der Verletzte wurde ganz mit Blut beschmiert ins Krankenhaus ein- gkliefert, er war mehrere Wochen arbeitsunfähig. Bosco machte Notwehr geltend. Er sei von Combri im HauSgang mit einem Stock geschlagen und angefaßt worden. Es wurde jedoch festgestellt, daß Bosco rasch aus der Wirtschaft herauskam und Combri gleich einen Stoß versetzte, worauf sich dieser mit den Fäusten wehrte. Die Strafkammer verurteilte Bosca wegen gefährlicher Körperverletzung zu 5 Monaten Gefängnis, abzüglich 1 Monat Untersuchungshaft.
Bondorf OA. Herrenberg 11. Juni. Welches Gedächtnis manche Pferde besitzen, zeigt folgendes Vorkommnis: Bei dem Kriegerbundes- tog in LudwigSburg kam auch ein hiesiger Bürger, früher Ulan, in den Stall und fand sein vor 7 Jahren ihm zugeteilte» Reitpferd, das den damaligen Reiter durch einige mit ihm vor- genommkne Kunst sticke sofort wiedererkannte und zur Verwunderung der anwesenden Soldaten alles damals Gelernte willig zum Besten gab.
Tübingen 12. Juni. Gestern nachmittag machten ca. 10 mit Studenten besetzte Boote auf dem hochgehenden Neckar eine Nachenfahrt.
Kurz vor dem Stauwehr kipple rin Kahn mit fünf Insassen um und alle fielen ins Wasser. Vier konnten sich retten, während der anscheinend de« Schwimmen« unkundige Fischer Gärtner von Kirchentellinsfurt ertrank. Der Nachen war etwas defekt und dann durch einen Stoß auf einen au« dem Wasser hervorragenden Block gekentert. Die Leiche konnte bis jetzt »och nicht geborgen werden. Gärtner war verheiratet und Vater von sechs Kindern.
Reutlingen 11. Juni. Die unter dem Vorsitz von Oberbürgermeister Hepp auf dem Rathaus geführten örtlichen Einigungsverhandlungen in dem bereits 8 Wochen andauernden Bauarbeiterstreik währten gestern den ganzen Tag. Während die untergeordneten Punkte im Sinn einer gegenseitigen Verständigung ihre Erledigung fanden, konnte in den Hauptfragen der Arbeitszeit und der Entlohnung eine Einigung ebensowenig erzielt werden wie an den übrigen größeren Plätzen Württembergs, da die Forderungen der Arbeitnehmervertreter den Arbeitgebern als zu weitgehend erscheinen, weshalb sie die weiteren Verhandlungen als nutzlos bezeich- neten und das Rathaus verließen.
Geislingen a. St. 11. Juni. Während des Gewitters gestern nachmittag schlug der Blitz in einen Kamin des Bezirkskrankenhause» und zerstörte diesen, soweit er über das Dach hinausragte, vollständig. Innerhalb des Gebäudes wurden durch den Schlag sämtliche Kamintürchen cufgkrissen, dagegen weiterer Schaden nicht angerichtet. Bei den Bewohnern de« Krankenhauses hat der Streich begreiflicherweise einen großen Schrecken verursacht, für diese glücklicherweise weitere Folgen aber nicht gehabt.
Niederstetten OA. Gerabronn 11. Juni. Vor vier Jahren, am Freitag abend den 7. August, hat ein furchtbares Hagelwetter die Hoffnungen de« Jahres vernichtet. Besonder» die Weinberge haben sich damals nur langsam von dem erlittenen Schaden erholt. Auch gestern vormittag stand ncch eine prächtige hoffnungsvolle Ernte auf den Feldern und die Weinberge er- öffneten die besten Aussichten. Und wieder ist ein großer Teil des Ertrages zerstört. In der Zeit von '/,2 bi« 3 Uhr gingen zwei schwere Gewitter nieder. In den wolkenbruchartigen Regen mischte sich bald ein furchtbares Hagelwetter. Schloffen in der Größe von Haselnüssen fielen und bald waren die Straßen wie mit Schnee überdeckt. Gewaltige Waffermaffen stürzten von den Bergen zu Tal und überschwemmten besonder» die Grabenschiedstraße. Sie find mit Masse« großer Steine angefüllt, sodaß von der Straße nichts mehr zu sehen ist. Der Schaden ist sehr groß und läßt sich noch nicht genau übersehe«.
Grunde nur Fritz — vielmehr dessen schmähliche Ausführung die Schuld an des alten Mannes Tode treffe. Denn der Landarzt, der den Förster behandelte, hatte seine Meinung über den Fall dahin zusammen gefaßt, daß der Verstorbene infolge großer körperlicher Anstrengung zuerst stark geschwitzt und wegen darauf eingetretener Verkühlung eine Lungenentzündung davongetragen habe.
Daß der Körper aber der Krankheit so wenig Widerstandskraft entgegensetzte, lasse sich nur dadurch erklären, daß auch ein selischer Druck vorhanden gewesen sein müsse. Das körperliche Leiden, verbunden mit Kummer, Gram oder anderen schwächenden Gemütsbeunruhigungen, habe dann zum Tode geführt. In Babette» Gedanken übersetzt, lautete jedoch diese» ärztliche Parere: Mein lieber guter Vater ist wegen des Fritz nach Hirschau und Amberg gelaufen, seinetwegen ist er krank geworden, sein schlechtes Benehmen hat ihn zornig gemacht und Kummer in ihm wachgerufen, so daß er der Krankheit unterliegen mußte; also Hot auch Fritz meines Vater» Tod auf dem Gewissen.
Noch verschärft wurden diese stummen Anklage» gegen den ehemaligen Geliebten durch die furchtbare Lage, in der da« Mädchen sich nach de« Vater« Hinscheiden befand. Wie der Förster vorausgesagt, fand sich wirklich nicht so viel Geld vor, um nur das Grabkreuz und den Sarg zu bezahlen. An zwei Geistliche und ein musikalisches Seelenamt durfte gar nicht gedacht werden, und als Babette, um nur die notwendigsten, durch da« bevorstehende Begräbnis bedingten Ausgaben zu bestreiten, ihren Vorrat an Flachs und selbst gesponnenem Garn bei den Bäuerinnen im Dorfe hausieren trug, da krampfte sich ihr Herz zusammen bei dem Gedanken, daß Fritz all' da« vom Förster seit einem Jahrzehnt für den eingetretenen traurigen Fall zusammengesparte Geld in wenigen Stunden mit fremden Dirnen verlumpt hatte!
Diese niederdrückende Gewißheit war es, welche ihre Neigung bis auf die letzte Spur verwischte. Dagegen lebte jetzt ein anderes Gefühl in ihrem Herzen auf, da« jedoch nichts mit Haß gemein hatte. Haß kann in
gewissen Fällen eine gesunde GrmütSregung sein; da man aber in der Regel nur das haßt, was uns in physischer oder ethischer Beziehung unsere Inferiorität erkennen läßt, so konnte Babette ihren früheren Geliebte« nur mehr aus tiefster Seele — verachten. Und ihre Verachtung gestaltete sich um so intensiver, als sie dabei eine dumpfe Scham vor sich selbst fühlte.
Nun wird man sich leicht erklären können, warum da« plötzliche Erscheinen des Steinerfritz auf dem RoderShof die junge Bäuerin in eine so hochgradige Aufregung versetzte. Verlobte, deren Bund zerrissen wird, bevor ihn der Priester vor dem Traualtar heiligt, vermeiden sich im gewöhnlichen Leben geflissentlich, da jedem derartigen, auch unbeabsichtigten Zusammentreffen etwas peinliches anhaftet. Um so unangenehmer wurde Babette durch da» Eintreffen de» Soldaten berührt, der, statt die Einladung de« Rodershofer» abzulehnen, e« nicht verschmäht hatte, die Nähe einer Frau aufzusuchen, die er durch wirkliche schlechte Streiche gegen sich erbittert, deren erstes Liebesglück er frevelhaft zertrümmert hatte.
Freilich wäre ihm die« auch nicht in den Sinn gekommen, wen« Babette ncch ol» Mädchen im Dorfe gelebt hätte. In diesem Fall würde er sich gehütet haben, ihr vor die Augen zu kommen. Nachdem er aber in Erfahrung gebracht, daß die Försterstochter vom reichen Roder als zweite Frau heimgesührt worden war, hielt er sich für quitt mit ihr und die Vergangenheit für abgeschlossen und begraben. Ja, sein mit der ikaffesten Selbstsucht gepaarter Leichtsinn wollte ihm beinahe vorspiegeln, die Bauen» aus dem Rodershofe stehe jetzt eigentlich in seiner Schuld oder müsse chm wenigstens dankbar sein, wenn er ihr früheres inniges Verhältnis zu chm vor ibrem Mann verschweige. Dabei hatte der Steinerfritz nur da« Eme vergessen, daß dieses Verhältnis durch sein eigenes Verschulden gelöst worden war, daß er jahrelang nichts zur Sühne getan und sogar semem Vater erst nach Babette« Verheiratung angezeigt hatte, wo und m welcher Stellung er sich befand.
(Fortsetzung folgt.)