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Form an dem großen Wohltätigkeitsakt teil­genommen hatte. Natürlich war da« Temperament auch hier immer der entscheidende Punkt. Die stillen, ernsten Mädchen trugen längere Zeit ihre Körbe umher, während die flinken, hell auf­lachenden Kleinen und Großen gar bald ihre Ware an den Mann gebracht hatten und in kurzer Zeit wieder mit frischer Ware auf dem Plan erschienen. ES ist schwer, dieses bunte, geschäftige Straßenleben genau zu beschreiben. Eine gewiße Feststimmung lag über diesem ganzen frohen Treiben ausgebreitet, an der Jeder seine Freude haben mußte. Ob reich oder arm, in der Stadt oder in den Vororten, klein und groß, überall wurde nach besten Kräften gespendet. Die Einen wählten ganze Sträuße, die Anderen steckten sich eine Blume nach der andern an die Brust. Tausende von Arbeitern zogen nach Feier­abend durch die Straßen und sie alle spendeten gern und willig ihr Scherflein für den schönen Zweck und zogen mit einer Marguerite am Hut oder im Knopfloch nach Hause. Natürlich gab es auch vereinzelte Brummbären und ängstliche Gemüter in der Menge, die selbst bei diesem Anlaß ihren Griesgram zur Schau trugen, oder ihrem Prinzip treu blieben und das weibliche Geschlecht mieden. Jedenfalls aber waren das seltene Exemplare, die ganz Unverbesserlichen, die nicht alle werden. Am Nachmittag kam noch mehr Schwung in die Sache. Auf den verschie­densten Plätzen der Stadt begannen die Musik- korpS der hiesigen Regimenter zu konzertieren und dies Moment trug wesentlich dazu bei, die Kauflust und das Angebot zu steigern. Straßen und Plätze wimmelten von Menschen wie an einem richtigen Volksfesttag. Und dies ist der heutige Tag denn auch eigentlich im besten Sinne des Wortes gewesen. Dank gebührt dem Komitee für die mühevolle Vorbereitung und Durchführung der Veranstaltung, besonderer Dank aber der großen Mädchenschar, und den liebenswürdigen Frauen, die unermüdlich tätig waren, einen vollen Erfolg der Sache herbeizuführen. Wenn ihnen dies gelungen ist, so mögen sie darin den schönsten Lohn für ihre heutige Tätigkeit erblicken. Jeder aber, der den Verkaufstag der Blume der Barm­herzigkeit miterlebt hat, wird sich gern und freudig dieses Tages erinnern.

Stuttgart 28. Mai. Dem heutigen Wochenmarkt waren 10 Körbe Frühkirschen aus Baden zugesührt. Preis im Großen 40 ^ per Pfund.

Stuttgart 29. Mai. Gestern abend kam in einem Hause der Gymnasiumstraße ein Dienst - mädchen zu ihrer Dienstherrschaft mit der Mitteilung, es sei in einem Zimmer einge­brochen und gestohlen worden. Die sofort

herbeigerufene Fahndungsmannschaft entdeckte den Einbrecher aber alsbald in dem Dienstmädchen selbst und nahm ihr die entwendeten Sachen wieder ab. Das Mädchen wurde sofort verhaftet.

Brackenheim 28. Mai. Gestern nach­mittag gegen V-5 Uhr kam ein schweres Gewitter auf das Zabergäu herunter. Unter starken elektrischen Entladungen setzte Hagel ein und fiel so stark, daß zwischen hier und MeimS- heim die Fluren aussahen wie Schneefelder. Von Meimsheim ab gegen Lausten zu streifte der Hagel noch, verwandelte sich aber dem Neckar zu in Klatschregen. Der Schaden ist ziemlich stark.

Stock heim OA. Brackenheim 28. Mai. Im Konkurs über das Vermögen des seitherigen Schultheißen Bosch kommen auf dem Rathaus zur Versteigerung das Gasthaus zur Sonne mit Realgerechtigkeit, drei Wohnhäuser, große Wein­berge in den besten Lagen, im ganzen 50 Grund­stücke, meistens Weinberge und Obstgärten. Auch kommen aus dem Konkurse Bosch und seines Schwiegersohnes Kinzler 12 Eimer reiner Stock- heimer Naturwein aus guter Lage von den Jahrgängen 1908 und 1909, ebenso 13 Eimer guter Obflmost, verschiedene tausend Zigarren, Schnaps und Liköre nebst Brotfrucht und ver­schiedene Musikinstrumente, wie Violinen, Violen, Zithern, Cello und Flöten zur öffentlichen Ver­steigerung. Schultheiß Bosch war ein großer Musikfreund und meisterte die Violine, das Cello und die Zither. Vor etwa einem Jahr hat Bosch seine Geigensammlung, die er von umher­ziehenden Leuten auskaufte, an einen Musikalien­händler verkauft. Der Erlös soll über 1000 betragen haben. Die Versteigerungsverhandlungen beginnen am Montag den 30. Mai vormittags 9 Uhr.

Eßlingen 28. Mai. In dem benach­barten Nellingen ist in vergangener Nacht die Hahn'sche Kunstmühle von einem Schaden­feuer vollständig zerstört worden. Der Schaden ist beträchtlich, doch durch Versicherung gedeckt. Die Entstehungsursache des Feuers ist noch unbekannt.

Berichtigung. Unsere aus Eßlingen datierte Meldung über ein Gewitter sollte nach einer nachträglichen Mitteilung desSüdd. Corresp.-Bureaus" aus Wendlingen OA. Eß­lingen datiert sein.

Rottenburg 28. Mai. Ein inter­essantes Naturschauspiel bot sich gestern vormittag um 11 Uhr am östlichen Himmel. Aus einer grauschwarzen Gewitterwolke bildete sich in Form eines riesigen Trichters eine Wasser­hose, während seitwärts davon aus derselben Wolke sich eine Art Wasser- oder Luftwirbel gleich einem langen Seil entwickelte. Etwa

15 Minuten dauerte die Erscheinung, die sich dann in Regen auflöste.

Welzheim 29. Mai. Die aus demAu»- hängekasten eines hiesigen Juweliers ge­stohlenen Wertsachen sind in einem Wäld­chen bei Aichstruth, unter Erde und Steine» vergraben, wider gefunden worden. Die Diebe konnten noch nicht festgenommen werde«, man ist ihnen aber auf der Spur.

86. Tuttlingen 28. Mai. Die hier so unerwartet schnell ausgebrochene Aussperrung in der Schuhindustrie nimmt gegenwärtig das Interesse der ganzen Bevölkerung in Anspruch. Besonders unsympathisch berührt es, daß die Schuhfabrikantcn, soweit sie im Verband sind, jede Vermittlung ablehnen und die völlige Unter­werfung der Arbeiter, bezw. Zurücknahme der Forderung fordern, trotzdem feststeht und auch die Fabrikanten genau wissen, daß das Gros der hiesigen Arbeiter, darunter auch die Mehrheit der Organisierten, auf dem Standpunkt steht, daß die verweigerte halbstündige Verkürzung der Arbeitszeit pro Tag nicht die Aussperrung wert ist und daß sie gerne arbeiteten, wenn die Be­triebe nur geöffnet würden. Sehr viele Arbeiter haben von der Aussperrung im Jahre 1900 und besonders an deren Ausgang gerade genug und würden gerne wie seither ihrer Beschäftigung nachgehen. Dann ist es auch noch nicht dagewesen, daß etwa 2000 Leute feiern müssen, obwohl sich höchstens 500 für die Verlängerung der Mittags­pause und für die Einreichung einer solchen Forderung jetzt ausgesprochen haben. Also knapp der vierte Teil erklärt sich mit der Forderung einverstanden und doch werden die anderen 1500 mitentlasten. Das ist ebenso unrecht als unklug gehandelt. Würde heute in den Fabriken eine geheime Abstimmung ob für oder gegen die Verlängerung der Mittagspause, vorgenomme», so wäre eS sicher, daß sich der weitaus größte Teil der Arbeiter für den seitherigen Zustand erklären würde. Warum aber, wenn die Mehr­zahl der Arbeiter das Weiterarbeiten unter der seitherigen Arbeitszeit einer Aussperrung vor­zieht, weiter aussperren?, das geht doch gegen alle Vernunft und auch gegen die seitherige Praxis, zumal, da man doch früher oder später wieder zusammenkommen muß. Ein eigentliches Kampfziel ist also in der gegenwärtigen Aus­sperrung nicht vorhanden, denn von einem Kampf der Fabrikanten gegen das Koalitionsrecht der Arbeiter kann keine Rede sein. Und was sonst noch an Forderungen vorhanden, ist nur die eine» kleinen Teils der Arbeiter, für die die Mehrheit nicht verantwortlich gemacht werden kann. Unter diesen Verhältnissen wäre es doch bloß gerecht, wenn die Fabrikanten ihre Betriebe demnächst

bemerkte Fritz Steiner ebenso, wie die Dienstboten dies wahrnahmen, daß die frohe Stimmung des Rodershofers verschwunden war. Seine Züge waren ungewöhnlich streng geworden. Augenscheinlich hatte er sich über das kurz angebundene Benehmen seiner Fra« gegen den Gast, welchem er als Vorgesetzten seines Sohne» verpflichtet glaubte, geärgert.

Dennoch verlief das Mittagessen sehr ruhig und friedlich. Alle Teilnehmer hatten vom Kirchgang einen gesunden Appetit mitgebracht und ließen sich die aufgetragenen Nudeln, Hutzeln und Apfelschnitze nach Gebühr schmecken. Nur der Bauer und der Unteroffizier unterhielten sich während der Mahlzeit über da« Leben in München und speziell beim Militär, während die Dienstboten das Essen in tiefem Schweigen ein- nahmen. Einerseits verlangt dies die bäuerliche Etikette, andererseits kamen sie vor lauter Staunen und Verwunderung nicht dazu, unter sich einige Worte auszutauschen. Denn der Steinerfritz, den die meisten von ihnen von früher her kannten, wußte doch gar zu schön zu erzählen. Seiner Schilderung nach mußte München ein wahrhaftiges Paradies und da» Leben eines bayerischen Unteroffiziers das beneidenswerteste auf der Welt sein. Glauben konnte man's ihm schon, saß er doch so stolz und vornehm am Tische in seinem schmucken Waffenrock mit den funkelnden Treffen am Kragen und den Aermelaufschlägen! Er war überhaupt ein schöner Mann, der Herr Fritz Steiner, sogar wenn man einen anderen Maßstab anlegte, als die schlichten Landleute, die ihn jetzt auf dem RoderS- hof bewunderten. Von hoher, schlanker Gestalt, breüschultrig, mit einem ausdrucksvollen Gesicht, hübschen braunen Augen und einem zierlichen Schnurrbart konnte er als eine sehr ansprechende Erscheinung gelten. Wenn nur der Blick nicht so unstät und lauernd, das Lächeln des fein­geschnittenen Munde» nicht manchmal so verschmitzt gewesen wäre! Schärfere Beobachter und bessere Menschenkenner als der Rodershofer und seine Leute würden bald zur Ueberzeugung gekommen sein, daß es trotz der bestechenden Außenseite de» Soldaten sich immerhin empfehlen könnte, vor ihm auf der Hut zu sein. Doch solche Gedanken kamen dem Bauer nicht

in den Sinn. Fritz Steiner war der Unteroffizier seines Sohnes und hatte sich gegen letzteren freundlich erwiesen. Das genügte, um ihm Roders Herz, der an seinem Einzigen, dem Träger seines Namens und künftigen Erben de» alten Besitzes, mit einer Art leidenschaftlicher Zärt­lichkeit hing, ohne Rückhalt zuzuwenden. Der Bauer ermunterte daher seinen Gast fortwährend zum Zulangen, füllte ihm das BierglaS stet» aufs neue und bedauerte nur, daß heute Fasttag sei, sonst würde die Bäuerin zu Ehren des Besuches wohl etwas anderes als Hefennudeln und Hutzeln auf den Tisch gestellt haben.

Aber mein!" sagte er,die Fra« und die Liesl sind ja noch drau­ßen in der Küchel?). Leicht kochens noch was von Fleisch. Geh' mal nau«, Nannl," wandte er sich an die Klsinmagdund frag' die Bäuerin, ob sie etwas für den Herrn Steiner 'was Extras über dem Feuer hat."

Das Mädchen kam aber nicht dazu, den Auftrag auszuführen. Als es sich eben vom Tisch erhob, erschien nämlich Frau Babette in der Stube. Sie trug auf einer großen Platte weißem Steingut den eigens für Fritz Steiner bereiteten Eierkuchen und setzte das Gericht vor diesem nieder. Dabei sagte sie, ohne den Soldaten anzusehen, zu ihrem Manne:Wie du mir durch den Hans hast sagen lasten, daß wir heut' einen Gast zum Esten kriegen, da Hab' ich noch einen Pfannkuchen 'backen: wenn er nicht langen sollt', es sind genug Eier im Hau»; Ihr dürftS nur sagen, als­dann richt' ich g'schwind einen größeren her."

Um Gotteswillen nicht!" wehrte Fritz Steiner ab, der nun etwa» enttäuscht auf den Eierkuchen rriedersah.

Der Bauer bemerkte diesen Zug in des Unteroffizier» Gesicht und versetzte schnell:Herr Steiner, Ihnen wäre gewiß etwas gerauchtes Fleisch oder frische Wurst lieber gewesen als schon wieder eine Fastenspei«. Da» Militär fastet ja eh nur einmal im Jahr am heiligen Charfreitag und sonst niemals nicht! Aber wie halt die Weiber find! Warum hast

0 Küche.