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vertreten worden, daß sie auf eine Verkürzung der Arbeitszeit unter keinen Umständen eingehen können, daß sie sich aber bereit finden, die Zeit von '/-2 Uhr bis '/,7 Uhr nachmittags als Arbeits­zeit einzuräumen. Von seiten der Arbeitnehmer ist dagegen an der Forderung der Arbeitszeit, d. h. an der Festlegung derselben von V-2 Uhr bis 6 Uhr nachmittags, festgehalten worden. Eine Einigung beider Parteien ist, so sehr eine solche auch im Interesse des allgemeinen Wohls gelegen wäre, bis jetzt nicht erzielt worden. Der Austrag des Streites durch ein Schiedsgericht bezw. durch das Gewerbegericht (Einigungsamt) ist daran gescheitert, daß der Fabrikantenverein sich bis jetzt nicht zur Teilnahme an den Ver­handlungen eines solchen bereit erklärt hat.

Ulm 23. Mai. Schwere Gewitter mit heftigen Regengüssen und unaufhörlichen Blitzen zogen am SamStag abend über die Stadt und die ganze Gegend hinweg. Der Blitz soll in der Nachbarschaft mehrfach gezündet haben, näheres ist indes bis jetzt noch nicht bekannt.

Ulm 22. Mai. Vor dem Augsburger Tor in Neu-Ulm herrschte heute vormittag reges Leben. Beim Gasthaus z. Bad war die Hauptkontrolle für die DauerfahrtRund durch Schwaben", an der sich 59 Radfahrer aus allen Teilen Deutschlands beteiligten. Die Fahrt ging von Augsburg aus, wo der Ablauf um 4 Uhr früh erfolgte, über Donauwörth, Nördlingen, Höch- städt, Günzburg, Neu-Ulm, Memmingen, Lands­berg nach Augsburg. Der Weg beträgt 302 kw, Neu-Ulm lag ziemlich in der Mitte; hier mußte jeder Teilnehmer 10 Minuten Aufenthalt nehmen. Als mutmaßliche Ankunft des 1. Fahrers war 9 Uhr 19 angegeben. Um 9 Uhr 32 trafen die beiden ersten hierein: Erdmann-Dessau und Gall- Oberhausen, die nächsten folgten nach 12 Minu­ten, und dann trafen nach und nach in kürzeren oder längeren Zeitabständen die übrigen ein, darunter ein 17jähriger Nürnberger. Viele halten unterwegs Maschinendefekte, die meisten kamen mit Schrammen und Wunden, z. T. mit zer­fetzten Kleidein durch. In aller Eile wurden die verschiedensten Erfrischungen eingenommen, besonders Suppe, schwarzer Kaffee, Obst; einige ließen sich von dienstwilligen Freunden die Beine massieren und einfetten. Dann ging die wilde Fahrt weiter. Der Zuschauer aber schüttelt den Kopf, wenn er die bleichen, hohlwangigen Ren­ner in ihren zerrissenen Kleidern dahersausen sieht, und kann sich die Frage nicht beantworten, welchen Wert derartige Gewaltstouren haben sollen.

Friedrichshafen 20. Mai. Wie die Konst. Ztg." berichtet, wird der erste Aufstieg des L Z 6 in etwa 10 Tagen stattfinden. Das Paffagierluftschiff LZ 7 wird frühestens in etwa 3 Wochen seine ersten Flüge machen können.

Die Deutsche LuftschiffahrtS-Aktien-Gesellschaft Frankfurt hat bei der Zeppelin-Gesellschaft ein zweites Passagier-Luftschiff bestellt. Das Luft­schiff ist das achte, das in Friedrichshofen erbaut wird, und wird so den Namen LZ 8 erhalten.

Geislingen a. St. 23. Mai. Vorige Woche geriet eine hiesige Handwerkersfrau mit einer Nachbarin in Streit und regte sich dabei so auf, daß sie in der Exaltation auf den Dachboden stieg und sich erhängte. Der Mann, der die Frau sofort vermißte, fand sie auf und konnte sie noch so rechtzeitig abschneiden, daß sie vom Arzt wieder ins Leben zurückgebracht werden konnte.

El Iwan gen 23. Mai. In der Mühle zu SchwabSberg OA. Ellwangen brach gestern abend um 5 Uhr in dem großen Oekonomie- gebäude Feuer aus, das es in zwei Stunden bis auf die unteren Umfassungsmauern einäscherte. Das Feuer griff so schnell um sich, daß außer dem Vieh nichts gerettet werden konnte. Brand­stiftung wird vermutet. Vergehn Jahren brannte dasselbe Gebäude ebenfalls ab. Die Abgebrannte, eine Witwe Stetter mit 10 Kindern, ist versichert.

Lahr 22. Mai. Einen sonderbaren Streich hat ein hiesiger Gastwirt begangen. In seiner weltbekannten Schlauheit glaubte er mit seiner Familie der prophezeiten Kata­strophe mit dem Kometenschweife dadurch entgehen zu können, daß er in seinem Keller ein mehrohmiges Faß als Wohnraum mit allem möglichen Proviant ausstaffierte und in Verbin­dung mit diesem ein weiteres Faß mit kompri­mierter Luft ansügte. Der Schlaumeier glaubte aus diese Weise vor dem Kometenschweif gesichert zu sein. In der Tat soll er auch Mittwoch Nacht alle Anstalten zum Bezug dieser sonder­lichen Wohnung getroffen haben. Jedenfalls machte der gute Mann lautLahrer Anz." am anderen Morgen recht sonderbare Augen, als er wahrnehmen mußte, daß er und seine Frau nicht die einzig Ueberlebenden waren.

München 21. Mai. Das Sparsystem der bayrischen Postverwaltung durch den Minister Frauendorfer hat jetzt ein Opfer gefordert. In seiner Wohnung hat sich gestern der Student OroSkoff derTechnischen Hochschule erschossen. In einem hinterlaffenen Briefe gab er als Motiv an, daß er seit längerer Zeit von zu Hause eine Geldsendung erwartete. Diese aber kam noch nicht. Gestern morgen, als die Leiche aus dem Zimmer getragen wurde, brachte der Postbeamte eine Anweisung auf 500 Mark, dieseit12Tagen in München lagerte. Man hatte die Sendung an die frühere Adresse des Unglücklichen geschickt. Da sie dort aber nicht bestellt werden konnte, ließ man sie einfach auf der Post liegen,

bis man zufällig die Adresse des Studenten ermittelte.

Berlin 23. Mai. (Aviatik.) Der Aviatiker Frey stieg heute abend 7'/- Uhr in Johannisthal mit einem Farm an-Zweidecker auf und flog in schöner Fahrt über Berlin weg. Um 8 Uhr befand sich Frey auf dem Rückflug nach Johannistal, wo er nach einem Flug von 37 Minuten, wobei er eine Höhe von 400 bis 500 m erreichte, glatt landete. Der Flug führte über das TkMpelhofcr Feld, den Tiergarten, die Linden entlang über das kgl. Schloß und dann die Spree entlang nach Johannisthal zurück, wo Frey auf dem Flugfeld noch zwei Runden auS- führte.

Heringsdorf (Ostseebadort) 23. Mai. Die Kaiser Wilhelmbrücke steht seit 6*/-Uhr in Flammen. Ein Dampfer und zwei Feuer­wehren sind bereits beim Löschen.

Hamburg 21. Mai. Wegen Unter­schlagung von etwa 50000 Mark sind drei Angestellte des Weinrestaurants Kem­pin r k i in Hamburg verhaftet worden. Die drei, ein Buchhalter und zwei Kellner, sind geständig, seit 1906 durch Betrügereien 15 000 bis 16 000 Mark erbeutet zu haben Der Geschädigte schätzt aber die Summe auf 50 000 bis 60 000 Mark. Er ist jedoch durch vorgenommene Beschlagnah­mungen nahezu gedeckt. In welcher Weise die Verhafteten vorgegangen sind, ist noch nicht auf­geklärt. Zum Teil haben sie Fälschungen auf den für die Küche bestimmten Schecks vorge­nommen.

Wien 22. Mai. Die Zepp elin-Fahrt nach Wien. Nach den neuesten Dispositionen wird die Ankunft des Zeppelirschen Luftschiffes in Wien zwischen dem 6. und 8. Juni erfolgen. Die Fahrt geht von Friedrichshafen längs, der Westbahnstrecke bis St. Pölten. Das Luftschiff überquert dann die Donau und nimmt eine Zwischenlandung in Korneuburg vor. Der Kaiser und die Empfangs-Kommission werden den Grafen daselbst begrüßen. Graf Zeppelin begibt sich dann im Ballon von Korneuburg nach Schönbrunn und nimmt eine Umkreisung der Stadt vor. Die Landung erfolgt auf der Siemer- ringer Haide in Gegenwart des Kaisers Franz Josef.

Wien 23. Mai. Wie dasNeue Wiener Journal" meldet, hat heute vormittag vor dem Wiener Kriegsgericht die Verhandlung gegen Hofrichter ihren Anfang genommen. Hof­richter sah sehr bleich und verängstigt aus und zitterte am ganzen Körper. Zwei Leutnants, zwei Oberleutnants, zwei Hauptleute und ein Major als Vorsitzender bildeten den Gerichtshof. Nach Verlesung der Anklage durch den Vor­sitzenden wurde das mit Hofrichter aufgenommene

nicht tadelswerte Uebung in den Dienst des verwerflichen Wahnglaubens gestellt.

Nach dieser kurzen, zum Verständnis der folgenden Ereignisse not­wendigen Abschweifung nehme ich den Faden meiner Geschichte wieder auf.-

Richtig, heut brennt man ja den Judas", sagte der Bauer. Hans", wandte er sich an den Hütjungen,da gibts ein Geschäft für Dich. Such' einen starken Prügel aus und trag' ihn mit zur Kirche. Spute Dich aber, damit Du noch zur rechten Zeit 'nunter kommst. Du kannst nicht mit uns anderen nach dem Dorf gehen, sondern mußt Dich gleich auf die Füß machen; denn das Feuer wird schon vor dem Hochamt geweiht."

Die Leute waren mit dem Essen fertig geworden. Sie trocknen die Löffel, ohne sie vorher abzuwaschen, am grobleinenen Tischtuch ab und legten dieselbe in die Schublade. Dann stellten sie sich im Halbkreise vor dem Kruzifix auf und bekreuzigten sich. Die jüngste Magd sprach laut ein kurzes Dankgebet, welchem Bauer und Bäuerin und die übrigen Dienstboten mit gefalteten Händen zuhörten.

Auch wieder ein schöner ein sehr schöner Brauch! Nur schade, daß so viel andachtloses Lippengebet mit unterläuft! Wenigstens Michel, der Großknecht, hatte seine Gedanken ganz wo anders spazieren geführt, als wohin die heiligen Worte es verlangten. Sonst hätte er nicht, nachdem der Bauer und sein Weib die Stube verlassen, zornig und mit geballten Fäusten hervorsprudeln können:Wenn ich den Racker 'rausbring, der dem Rodershofer verraten hat, daß ich gestern beim Ankerwirt 8 Markeln verspielt Hab,' alsdann klopf' ich ihm all' seine Knochen zu Brei, dem- selbigen Luder, dem schlechten!"

Nachdem er so seiner Herzensmeinung in unzweideutiger Weise Luft gemacht hat, schickte auch Michel sich an, sich zum bevorstehenden Kirchgang zu rüsten und das Werktagwams mit der guten Tuchjoppe zu vertauschen.

Zweites Kapitel.

Der Rodershofer und seine Frau waren ein sehr ungleiches Ehe­paar. Er, ein langer, hagerer Mann mit strengen Mienen und finster blickenden grauen Augen. Da» Haupthaar zeigte sich schon stark mit Grau untermischt; die schmalen, meistens geschloffenen Lippen und das breite Kinn deuteten auf festen Willen, vielleicht sogar auf Trotz. Den Kopf und Rücken trug er etwas gebeugt, was ihn älter erschienen ließ, als er wirklich war. Denn Lorenz Roder, der Besitzer von Roderhof, welch' letzterer als das größte und best arrondierte Bauerngut im ganzen Bezirksamt galt, zählte, wie bereits erwähnt, erst 50 Jahre. Seine Fra« war dem Aeußern nach gerade das Gegenteil ihres Eheherrn, zierlich und schmuck von Gestalt, mit einem Gesicht wie Milch und Blut und einer Fülle von blonden Haaren, die in schweren Flechten gleich einer Krone über der reinen Stirne lagen. Dabei besaß sie gute blaue Augen, die fast immer lieb und freundlich in die Welt schauten, einen reizenden Mund und eine Stimme, deren sanfter Wohllaut alle Herzen gefangen nahm.

Wer Frau Babette Roder auch nur einmal gesehen hatte, der glaubte es den Leuten auf» Wort, daß sie noch vor drei Jahren das schönste Mädchen weit und breit gewesen, wie sie jetzt die schönste Bäurin in der Runde war. Denn der Rodershofer hatte die Babette, nachdem er lange Zeit als Witwer gewirtschaftet, zu seiner zweiten Frau gemacht, als sie nach ihres Vaters eines armen Hackelförsters') Tode, 20 Jahre alt, ganz verwaist auf der Welt stand und der trostlosen Zukunft einer immerwährenden Dienstbarkeit entgegensah.

(Fortsetzung folgt.)

0 Waldaufseher niedrigsten Ranges, der nur eine Hacke trägt, wenn er in den Forst geht, aber kein Geweh--.