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station Hünchau steht unter Leitung der Missionare Witte und Witt; außerdem befinden sich noch zwei Missionarinnen dort. Des weiteren ging der Liebenzeller Mission in Liebenzell ein Tele­gramm zu, wonach in Changsha fast alle Missionsstationen zerstört und ver­brannt wurden; auch die englische wurde von diesem Schicksal betroffen. Die Lieben- zeller Missionsstation jedoch, die sich außer­halb Changsha befindet, wurde nur auS- geplündert und zerstört, doch wurde sie nach den bis jetzt vorliegenden Nachrichten nicht niedergebrannt. Die drei in Changsha befind­lichen Missionsspitale blieben eigentümlicherweise stehen. Davon gehört eines der englischen China- Jnland-Mission, die anderen gehören sonstigen Missionen. Alle Missionare mußten flüchten und gingen zum Teil nach Hankau. Missionar Hollen- wege von der Liebenzeller China-Jnland-Mission und Dr. Keller von der englischen Mission blieben zurück und übermittelten die vorliegenden Nach­richten. Sie verweilen etwa 15 km unterhalb Changsha auf einem Schiff, um abzuwartcn, was eventuell sür die Christen getan werden könnte.

Stuttgart 11. Mai. Die Fahrpreis­ermäßigung sür Veteranen aus den Feld­zügen 1870-71, die aus Anlaß der vierzigjährigen Wiederkehr der SiegeLtaxe die Schlachtfelder besuchen, wird auch für Frauen gewährt, die im Besitz der Erinnerungsmedaille sür Nichtkom- battanten sind und die zur Erlangung der Fahr­preisermäßigung vorgeschrikbenen Bedingungen erfüllen.

Stuttgart 11. Mai. Am 1. Mai d. I. gab ein Betrüger in einem Automaten­restaurant in Frankfurt a. M. sür den Betrag von 80 Mk. einen nicht mehr in Kurs befind­lichen und demnach wertlosen 20 Dollar- Schein, ausgestellt am 17. 2.1864 Richmond, in Zahlung. Da der Täter noch mehrere der­artige Scheine im Besitz hatte, stehen weitere Betrügereien zu erwarten. Aehnliche Fälle sind früher auch hier schon vorgekommen.

Stuttgart 11. Mai. Nach einer Be­kanntmachung der Generaldirektion der StaatS- eiscnbahnen mahnen die in der Zeit vom 1. Januar bis 31. März 1910 beim Betrieb der württ. StaatSeisenbahnen vorgekowmenen Unfälle erneut zur Vorsicht. ES sind folgende Fälle : 1) Am 15. Januar wurde einem Stationsdiener, der die Gleise unvorsichtig überschritt, von einer Rangierabteilung ein Fuß abgefahren. 2) Am 16. Januar wurde ein Wagenreiniger, der die Gleise unvorsichtig überschritt, von einer Loko­motive erfaßt, er wurde sofort getötet. 3) Am 28. Januar wurde einem Schaffner, der einen abfahrenden Zug zu spät bestieg, ein Fuß abge­

fahren. 4) Am 14. Februar wurde einem Hilfs­wärter bei dem Versuch, auf eine fahrende Rangierabteilung aufzuspringen, ein Fuß abge­fahren. 5) Am 15. Februar wurde einem Hilfs- Heizer beim Ueberschreiten der Gleise durch eine Rangierlokomotive, deren Annäherung er nicht beachtet hatte, ein Fuß abgefahren. 6) Am 14. März wurden einem Bremser bei dem Versuch, auf einen in raschem Gang befindlichen Zug aufzuspringen, beide Fjjße abgefahren und der rechte Arm schwer verletzt.

Stuttgart 11. Mai. Infolge falschen Feueralarms rückte gestern vormittag die Feuerwache nach der Gymnasiumstraße aus. Am gleichen Vormittag kam ein 7 Jahre alter Knabe auf dem Ebitzweg in Cannstatt beim Absteigen von einem in der Fahrt befindlichen Wagen zu Fall und wurde überfahren. Er trug einen doppelten Schenkelbruch davon und wurde in die Olgaheilanstalt übergesührt. Gestern mittag wurde aus dem Mühlkanal in Cannstatt die Leiche eines Taglöhners von Feuerbach geländet. Es liegt Selbstmord vor. Gestern nachmittag sprang ein auf dem Trans­port vom Schlachthof GaiSburg nach Cannstatt durchgehender Farren bei Berg in den Kanal. Er wurde durch Mannschaften der Feuerwache wieder an das Land gebracht. Um die gleiche Zeit wurde eine Frau beim Ueberschreiten der Königstraße von einem Automobil erfaßt und überfahren. Sie erlitt einen Schcnkelbruch und mußte ins Krankenhaus übergesührt werden. Vermißt wird seit 26. v. M. Mathilde Hohl, ledig, 22 Jahre alt, aus Botnang, wohnhaft hier. GestaltSbezeichnung: 1,75 in groß, kräftige Statur, blonde Haare, graue Augen, schlechte Zähne, volles Gesicht und gesunde Gesichtsfarbe; trug braune Bluse, schwarzen Rock, grauen Unterrock, weiße Hosen, rotgestreiftes Hemd, schwarze Strümpfe, schwarze Schuhe, in diese der Name Hohl eingcnäht. Vermutlicher Entfernungsgrund: Geistige Störung. Sachdienliche Mitteilungen werden an das Stadtpolizeiamt erbeten.

Stuttgart 11. Mai. (Strafkammer.) Im September v. I. wurde Stuttgart durch eine Diebesbande in große Aufregung versetzt, die sich noch steigerte, als in der Nacht zum 1. Okt. der große Juwelendiebstahl bei Kaufmann in der Friedrichsstraße verübt wurde. Die Nach­forschungen . nläßlich dieses Diebstahls führten auf den ledigen, 31 Jahre alten Kellner Gustav Rode von hier, der in jener Nacht mit zwei Komplizen, dem 23jährigen Kellner Walter Schilling von Eisenberg und dem 21jährigen Former Joseph Valenta von Brandeis, von hier abreiste. Eine Beteiligung an dem Juwelen- diebstahl konnte ihnen nicht nachgewiesen werden,

dagegen ergaben die Nachforschungen, daß die drei hier in Stuttgart eine Reihe von Einbruchs­diebstählen begangen hatten. Wegen dieser Dieb­stähle hatten sie sich heute vor der Strafkammer zu verantworten. Mitangeklagt waren, der ledige Monteur Alfred Rode, die ledigen Kauf­leute Oskar Oslertag und Georg Schreiber, sowie eine Schwester des Rode; Valenta und Schilling waren von Hamburg hieher gekommen, um Dieb­stähle auszuführen. Hauptmann der Bande war Valenta. Ihm waren S, Schilling 5 Einbruchs- diebstähle zur Last gelegt. Gustav Rode setzte hauptsächlich die gestohlenen Gegenstände ab. Valenta und Schilling entpuppten sich als ge­fährliche Einbrecher. Als bei einem Diebstahl in der Wohnung eines Kammervirtuosen dieser zufällig zurückkehrte und die beiden überraschte, hielt ihm Valenta eine Schußwaffe entgegen. Der Mann wurde zu Tod erschreckt. Bei den Diebstählen fielen ihnen größere Geldbeträge und viele Schmucksachen und Uhren in die Hände. In der Nacht zum 17. Sept. stahlen Valenta und Schilling aus einem Geschäftsraum Seidenstoff u. Blusen im Wert von über 600 während Gust. Rode Wache stand. Die drei hielten sich hier unter falschem Namen auf. Ihre Festnahme erfolgte in Frankfurt a. M. Ein Teil der ge­stohlenen Gegenstände konnte wieder beigebracht werden. Alfred Rode stahl in einer hiesigen Firma, bei der er beschäftigt war, Beleuchtungs­körper im Wert von 180 Valenta, Schilling und Gustav Rode sind erheblich vorbestraft. Der Staatsanwalt beantragte gegen Valenta 6 Jahre, gegen Schilling und Rode je 4 Jahre Zuchthaus. Nach den Ausführungen des Staats­anwalts ereignete sich ein aufregender Zwischen­fall. Der Angeklagte Rode sprang plötzlich mit den Worten:Ich will sterben" von der Anklage­bank auf. Er blutete an der rechten Hand; er hatte sich mit einem Glasscherben das Hand­gelenk aufgeritzt. Wie der Staatsanwalt aus den Akten fkststellte, ist es nicht das erstemal, daß Rode eine solche Szene vor Gericht aufführt. Die Verhandlung wurde auf Freitag vertagt.

Stuttgart, 5. Mai. Der Württemb. Obstbauverein schreibt imNeuen Tagblatt": Von sehr vielen Seiten gehen Anfragen bei uns ein, ob das anhaltende Regenwetter an der Heuer besonders schönen Obstblüte nicht schweren Schaden verursache. Darauf ist zu erwidern, daß bis jetzt ein nennenswerter Schaden noch nicht anzu­nehmen ist, da die Blüten viel widerstands­fähiger sind, als allgemein angenommen wird. Einige Stunden Sonnenschein am Tag genüge« zur Befruchtung, die nach den neuesten Forsch­ungen bei manchen Sorten gar nicht unbedingt nötig ist. Hoffen wir, daß der trübe Wolken- schleier sich bald wieder etwas lüftet. Wir haben

Das gerade nicht, aber ich habe oft das Gefühl, daß ich zu glücklich gewesen bin, daß ich in dem Jahre meiner Ehe ein so volles Maß Glück empfangen habe, wie andere Frauen in ihrer jahrelangen Ehe kaum ent- gegennehmen. Es kann nicht ewig währen, ist doch auf Erden nichts vollkommen. Weine nicht, meine Ines, vielleicht schenkt dcr Herr über Leben und Tod mir das süße Leben. ES würde durch den Besitz des Kindes meines über alles Geliebten so schön werden, daß ich geblendet vor solcher Seligkeit die Augen schließen muß."

Ines fühlte sich durch die Worte Luisens seltsam bewegt. Sie ver­sprach ihr, das zu erfüllen, was sie forderte, fügte aber zugleich hinzu, daß sich die junge Frau unnütz trüben Gedanken hingab.-

In der Forstei war Ines als gern gesehene Haukgenossin eingekehrt. Das Haus mit den Geweihen am Giebel und über der Tür war Ines wie eine zweite Heimat gewesen, als sie nach des Vaters Tode sich unter die wärmenden Flügel Tante Emmas begeben hatte. Von den Bewohnern der Forstei herzlich willkommen geheißen, fühlte Ines sich schon am ersten Tage sehr behaglich in ihrem einfachen, sauberen Stübchen; ihr sonniger, glücklicher Karakter fand sich schnell in jede Lebenslage hinein. Auch jetzt griff sie tätig zu. Tante Emma war doch etwas alt und müde geworden, sie konnte sich nun mehr Ruhe gönnen. Die älteren Kinder waren schon aus dem Hause: ein Sohn studierte Jura in Berlin, und der Aelteste war Gehilfe eines Försters in Thüringen, Luise verheiratet, der 17jährige Kurt Gymnasiast in Liebenau. Es blieben die drei Jüngsten im Eltern­hause, eine Lehrerin unterrichtete sie.

Tante Emma konnte nie genug von dem jungen Eheglück ihrer Tochter hören; war doch Luise durch ihren liebenswürdigen Karakter der Mutter besonders teuer.

Aus Randenhagen kamen Hertas glückliche Briefe. Sie schrieb an die Schwester:

Ich hätte nie gedacht, daß der Besitz eines Kinde« so viel Sonnen­schein ins HauS bringt. Unsere kleine Frida verspricht eine Schönheit

zu werden. Sie hat des Vaters Augen, hoffentlich gleicht auch ihr Karakter dem seinen. Ich erkenne täglich mehr, welcher Edelstein unter Randens unscheinbarer Hülle verborgen liegt. Warum kam diese Erkenntnis mir so spät? Mußte ich durch so viel Schweres gehen, bis ich den seltenen Schatz an Treue und Liebe würdigte, den ich besaß und gering achtete. Weißt du, ich male auch wieder. Pinsel und Palette haben geruht, seit ich München verließ; jetzt habe ich Freude daran. Errate, was ich male, Ines? Ein Bildchen für unser Töchterchen. Ist es nicht spaßhaft ? So klein bin ich geworden. Und doch liegt etwas Großes in dieser bescheidenen Arbeit- Die Mutterliebe führt den Pinsel, der einst vermessen nach Großem gestrebt hat. Neulich las ich in einer Zeitung, daß Alfreds Mandel in Südwestafrika einem Fieber erlegen ist. Armer, kleiner Mensch! Trotz mancher Absonderlichkeiten war er im Grunde ein gutes Kerlchen."

Ines war schon mehrere Wochen in der Forstei, da kam eine- Morgens ein Brief von Kurt Krause, dem Berliner Studenten an seine Ellern an. Er war mit einem jungen Balten bekannt geworden und fragte in dessen Aufträge beim Oberförster an, ob Graf Frauenfeld wohl auf einige Zeit als Eleve in die Forstei kommen könne.

Er hat selbst große Wälder auf seinem Gut in Livland, und möchte etwas von der Forstwirtschaft verstehen, ehe er heimkehrt. Fraueu- feld gehört einem weitverzweigten alten Adelsgeschlechts Livlands an. Trotz seiner vornehmen Herkunft ist er ein Mensch, der Euch in keiner Weise störend sein wird. Er erklärte sich von vornherein mit allem ein­einverstanden, wie es ihm geboten wird."

Kurt nannte einen so hohen Pensionspreis, daß Tante Emma auf­horchte. Ihr kam diese Cxtraeinnahme sehr erwünscht, cs gab allerlei im Hause anzuschaffen, und durch die vielen Kinder kam sie nicht dazu.

Der Förster und seine Frau besprachen noch manches, dann sollte der zusagende Brief noch heute geschrieben werden.

(Fortsetzung folgt.)