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vernichtete. Verschiedene Umstände sprachen dafür, daß der Angeklagte den Brand durch eine Zündvorrichtung selbst gelegt hatte, um in den Besitz der Versicherungsprämie zu gelangen. Die Geschworenen verneinten jedoch die Schuldfragen, worauf der Angeklagte freig esprochen wurde.
Stuttgart 1. Mai. (Luftschiffahrt und Aviatik.) Die österreichische Heeresverwaltung hat bei der Motorluftfahrzeug- Glsellschaft einen zweiten Lenkballon und zwar nach dem Halbstarren System „Lebaudy" in Auftrag gegeben. In Fischemend ist jetzt mit der Montage des Ballons begonnen worden. Die Arbeit ist nahezu vollendet. Die Gondel ist mit allen maschinellen Verrichtungen vollständig adjustiert. Die Hülle auf dem Kielgerüst verschnürt, das Ballonet einmontiert und sämtliche Ventile sind angebracht. Es erübrigt nur mehr die Befestigung der Gondel, sowie der Steuer- und der Stabilisierungsflächen an dem Tragkörper. Da diese Arbeit nur bei gefülltem Ballon vor- ger.owmen werden kann, ist auch mit der Füllung bereits begonnen worden. In der ersten Maihälfte sollen die Probefahrten beginnen. — In Wien hat der Assistent der Universitäts-Sternwarte Dr. Jaschke in einem Ballon des Aeroklubs zur Beobachtung des Halley'schen Kometen und zu photographischen Aufnahmen desselben, eine Nachtfahrt angetreten. Der Komet war um 2 Uhr 48 Min. aufgegangen, konnte aber erst um 3 Uhr 15 Min. ausgefunden werden. Nach 25 Min. erreichte er seine größte Helligkeit und konnte als Stern zweiter Größe mit optischen Hilfsmitteln beobachtet werden. Der Komet nimmt jetzt merklich an Helligkeit zu. Wenn die Entwicklung des Kometen in gleichem Grade weitersckreitet wie in den letzten Tagen, so ist für die ersten mondfreien Morgen des Mai, etwa vom 5. Mai an, eine Erscheinung zu erwarten, die an Auffälligkeit dem Januarkometen nicht nachstehen dürfte. Am 5. Mai tritt der Komet zwar nnt Beginn der astronomischen Dämmerung, aber ^ Stunden vor dem Monde auf.
Stuttgart 1. Mai. Heute nachmittag hielt die sozialdemokratische Partei von Groß- Stuttgart ihre Maifeier ab. Schon von der Mittagsstunde an sammelten sich auf den verschiedenen Plätzen und in mehreren Lokalen die Teilnehmer, um dann in geschloffenem Zuge, begleitet von Ordnern, nach dem Cannstatter Wasen zu ziehen, wo sie in wohlgeordneten Reihen nach 2 Uhr eintrafen. Dem Zuge hatten sich auch Frauen angeschloffen. Dort wurden die verschiedenen Vereinsabzeichen auf drei, auf Brückenwagen aufgebauten Tribünen, die mit roten Tüchern dekoriert waren, ausgestellt und bald darauf durch ein Trompetensignal die Ver
sammlung eröffnet. Zuerst wurde ein Lied vorgetragen und darauf sprachen von den verschiedenen Tribünen aus gleichzeitig 3 Redner und zwar: der Abg. Hildenbrand, Gewerkschaftssekretär Bullner und der Vorstand der Bauarbeiter, Stolle. Zum Schluß empfahl jeder der 3 Redner eine an die Besucher verteilte Resolution in der u. a. „Die Niederzwingung der die Massen des Volkes entrechtenden Wahlgesetze der Einzelstaaten, vor allem des Hortes der Reaktion, des preußischen Dreiklaffenwahlrechts mit allen Mitteln als eine Lebensnotwendigkeit für die kulturelle Entwicklung bezeichnet und der in diesen Wahlrechtskämpfen stehenden Klaffengenossen die vollste Sympathie und bei Anwendung schärferer Mittel zum Sturze der Reaktion die weitestgehende Unterstützung zugesagt wird". Auch den ausgesperrten Bauarbeitern soll jedwede Unterstützung zu Teil werden. Des weiteren verlangt die Resolution den schleunigsten Ausbau der Sozialgesetzgebung, insbesondere eine Verkürzung der täglichen Arbeitszeit auf 8 Stunden, gesetzliche Beschränkung der Frauenarbeit und Verbot der Kinderarbeit. Alle Streitigkeiten zwischen den Staaten und Völkern sollten durch schiedsgerichtliches Verfahren geschlichtet werden, um dem planlosen Wettrüsten Einhalt zu tun. Die Resolution wurde durch Aufheben der Hände angenommen. Dann ordnete sich die verschiedene tausend Köpfe zählenden Menge wieder zu einem Zuge und kehrte gegen '/-4 Uhr in größter Ordnung in die Stadt zurück, wo abends noch verschiedene Feiern statt- fanden. Die auf dem Wasen befindlichen Polizeimannschaften unter Führung eines Polizeileutnants brauchten nicht in Tätigkeit zu treten, auch die Sanitätskolonne hatte, abgesehen von einigen unwesentlichen Fällen, nicht einzuschreiten. DaS Wetter war der Veranstaltung sehr günstig.
Heilbronn 30. April. Gegen die sogen. Geschicklichkeits-Automaten wird zur Zeit von der Staatsanwaltschaft energisch vorgegangen. In den letzten Tagen wurden derartige Automaten, die hier und in der Nachbarschaft beschlagnahmt wurden, massenhaft beim Landgericht eingeliefert. Die Wirte, etwa 80 an der Zahl, werden sich demnächst wegen unerlaubtem Glücksspiel zu verantworten haben.
Marbach 30. April. Ein Bäcker aus Großbottwar mußte wegen geistiger Störung im hiesigen Bezirkskrankenhaus untergebracht werden. Als ihm nun gestern das Frühstück gebracht wurde, verließ er, obwohl nur mit dem Hemd bekleidet, die Jrrenzelle und machte einen Fluchtversuch, bei dem er sowohl dem Heizer, als auch der Krankenschwester, die ihn aufhalten wollten, die Kleider zerriß. Er wurde indessen eingeholt und wieder in seine Zelle zurückgebracht.
Schorndorf 30. April. Die strittige Frage, ob Mitglieder der bürgerlichen Kollegien, sobald sie an einem Beratungsgegenstand selbst interessiert oder direkt beteiligt sind, abzutreten und den Sitzungssaal zu verlassen haben, hat hier, laut „Göppinger Ztg.", den Gegenstand eines Beschwerdeverfahrens gebildet. Der Stadtvorstand hatte vier, den bürgerlichen Kollegien angehörende Unterzeichner einer in Sachen des Ortsbaustatuts an den Gemeinderat gelangten Eingabe bei der Beratung dieses Gegenstandes aufgefordert, abzutreten und den Saal zu verlassen. Einer der Beteiligten wies darauf hin, daß er in der Eingabe nur seiner Ueberzeugung Ausdruck gegeben habe, daß er aber persönlich an der Sache gar nicht interessiert sei, da er keinerlei Grundbesitz habe. Er mußte dessen ungeachtet den Saal verlassen, reichte aber Beschwerde bei der Kreisregierung ein, welche die Angelegenheit an das Oberamt verwies. Das K. Oberamt hat nun entschieden, daß ein Mitglied nur von der Beratung ausgeschloffen, nicht aber aus dem Versammlungsraum ausgewiesen werden könnte. Es muffe lediglich dem Taktgefühl der Beteiligten überlassen bleiben, ob sie den Sitzungen als Zuhörer beiwohnen wollen oder nicht.
Ulm 30. April. Die Untersuchung gegen den Maurer Christian Fritz vou Neuenhaus und den Taglöhner Albert Kentner von Heidenheim, die im lrtzten Herbst das Schloß in Bußmannshausen in Brand gesetzt haben, hat, laut „Staatsanzeiger", immer größere Kreise gezogen. Es hat sich ergeben, daß von ihnen und ihren Genoffen in den letzten Jahren eine fortgesetzte Reihe von schweren und einfachen Diebstählen und Hehlereien, Betrügereien, Er- pressungsversuchcn, Begünstigungen begangen worden ist, woran nach den bisherigen Ermittelungen gegen 60 Personen beteiligt sind. Von den verhafteten 35 Personen, sind inzwischen 11, denen nur leichtere Straftaten zur Last fallen, wieder entlasten worden. Der Abschluß der Untersuchung war bisber nicht möglich, da immer wieder neue Geständnisse und Anzeigen erfolgt sind.
Aus Baden 29. April. In Oberglashütte (Amt Meßkirch) konnte man in letzter Zeit wiederholt kleine Flugapparate beobachten, die von Uneingeweihten wegen ihres ruhigen und sicheren Fluges für Tauben gehalten wurden. Der Erfinder dieser Apparate ist der Hauptlehrer Adolf Ehrl er in Oberglashütte, der dem „Neuen Albboten" folgende Mitteilung gemacht hat: Der von mir in allen seinen Teilen selbsterfundene Apparat ist die Frucht 9'/-jährigen experimentellen Studiums. Da ich zum Bau eines großen Apparates nicht die Mittel habe, so ke
ine zarte Haut, dann trat er zurück und die Pferde zogen an. Im Morgengrauen verschwand die Equipage.
Seit Herta von Randen in die neue Wohnung gezogen, waren viele Wochen vergangen. Sie hatte zuerst ein Gefühl der Erleichterung gehabt, nun ganz ihr eigener Herr zu sein. Sie hatte mit Eifer ihre Studien betrieben, aber nach und nach kam sie zu der niederschlagenden Erkenntnis, daß sie zu große Erwartungen gehegt hatte, daß sie nicht weiter kam. Sie schrieb selten an die Geschwister, es fiel ihr schwer, den zuversichtlichen Ton anzuschlagen der zuerst in ihren Briefen lag. Etwas wie müdes Entsagen schimmerte durch. Und Ines und Bernhard lasen es zwischen den Zeilen; sie sorgten sich um die Schwester.
„Wir wollen Herta besuchen, wenn wir reisen," sagte Bernhard und Ines stimmte ihm lebhaft bei.
„Wenn du Geld brauchst, so schreibe es mir," so schloß der Brief des Bruders, den die Malerin eines Tages erhielt.
„Nein, nein," dachte sie, „ich kann Hardy nicht um Unterstützung bitten, mein Stolz verbietet mir, einzugestehen, daß meine Barschaft zur Neige geht.
Mutlos und traurig saß Herta in ihrem kleinen Stübchen. Ein angefangenes Bild stand auf der Staffelei. Sie trat davor und sah es kritisch an. Sie war unzufrieden mit sich, sie zweifelte an ihrem Können. Professor Beyerstein hatte sie gebeten, morgen zum Geburtstag seiner Frau zu kommen, mit der Herta bekannt geworden war. Sie fühlte sich zu der alten freundlichen Dame hingezogen und war in der letzten Zeit mehreremale in dem gastfreien Hause des Professors als ein gern gesehener Gast eingekehrt. Es tat ihr wohl, wieder in einem geordneten Heim ein- und auszugehen, sich mit wahrhaft gebildeten Menschen zu unterhalten, aus der nach ihrem Geschmack allzu freien Atmosphäre der Kunstjünger herauszukommen, unter denen sie eine Fremde blieb.
„Die Baronin," diesen Spitznamen hatte sie weg. Er haftete ihr ihr mit leisem Spott an und zog eine Schranke zwischen ihr und den Kollegen.
Tea Schönhausen besuchte Herta ab und zu; sie war jetzt, seit Frau von Randen nicht mehr in der Färbergaffe wohnte, viel freundlicher gegen sie. Oft verplauderten die beiden ein Stündchen; Tea sprach meist und Herta hörte zu. Die Schönhausen hatte große Hoffnungen, daß sie durch ihr letztes Bild mit einem Schlage berühmt würde. Wenn sie Herta verließ, war das niedrige Zimmer mit dem blauen Rauch der Zigarette gefüllt. Er verursachte Herta ein Gefühl des Unbehagens; sie öffnete die Fenster und ließ frische Luft Hereinströmen. Von ihrem Gatten hat sie nur einmal durch die Tante in Thüringen gehört, daß er eine weite Reise nach Nordamerika unternommen hatte, von der er im Frühjahr zurückkehren würde.
„Ob er mich noch liebt? Ob er im Wechsel des Neuen, das er sehen wird, die Zeit unserer Ehe zu vergessen sucht?" Sie fragte es sich wieder und wieder.
Die Frau Professor Beyerstein war die einzige, die der ringenden und kämpfenden Seele der jungen Frau näher getreten war. Es lag in der mütterlichen Art der alten Dame, daß sie Vertrauen gewann, daß auch Herlas verschlossenes Wesen sich dem Zauber erschloß, den ein guter edler Mensch auf seine Umgebung ausübt Herta wünschte der Frau des Professors ein kleines Geschenk zu machen. Sie malte einen Schirm und nahm die Skizze dazu, die sie draußen entworfen hatte. Die schlanken Weidenzweige mit den grauen sammetartigen Kätzchen neigten sich anmutig über die blauen Glockenblumen und weißen Anemonen im jungen grünen Grase und der bunte Falter wiegte sich in der blauen Frühlingsluft. Diese Arbeit hatte ihr Freude gemacht; sie war so fein aus geführt, die Farben leuchteten, die Blumen sahen wie lebend aus.
(Fortsetzung folgt.)