Stuttgart 18. Mäy. In Bestätigung der gestrigen Notiz berichtet da« „Amts- u. Anz.- Bl.": Nachdem schon i« Frühjahr 1907 dem Oberbürgermeister v. Gauß ein mindesten« 6- «onatlicher Urlaub zur Wiederherstellung seiner angegriffenen Gesundheit ärztlicherseits nahegelegt worden war, der Oberbürgermeister aber mit Rücksicht auf die Lage der Geschäfte den Antritt diese« Urlaubs immer wieder verschoben hatte, ist er neuerdings vom Arzte dringend darauf hingewiesen worden, daß bei weiterer Verzögerung die Gefahr einer schweren Schädigung der Gesundheit für ihn bestehe. Im Hinblick auf die vorgelegten ärztlichen Gutachten hat der Gemeinderat beschlossen, dem Gesuch des Oberbürgermeisters um Bewilligung eines 6 monatlichen Urlaubs zu entsprechen. Der Oberbürgermeister gedenkt den Urlaub Ende des Monats anzutreten.
Stuttgart 19. März. Der Bauwerkmeister Karl Schmidt von hier, der Geld aus- leiht, wurde wegen Wuchers zu 2 Monaten Gefängnis verurteilt. Der Staatsanwalt hatte 4 Monate beantragt. — 22 Wirte aus dem Oberamt Böblingen, die in ihren Wirtschaften Glücksspielautomaten aufgestellt hatten, wurden unter Aufhebung de« freisprechenden Urteils des Schöffengerichtes wegen unerlaubter Ausspielung zu je 3 Mk. Geldstrafe verurteilt. Der Staatsanwalt hatte Berufung eingelegt.
Stuttgart 19. März. Zu der gestrigen Demonstration schreibt der Polizeibericht: Gestern abend veranstaltete der sozialdemokratische Verein Stuttgart eine Märzfeier in Dinkelackers Saalbau. Nach 11 Uhr sammelten sich die Teilnehmer an derselben, etwa 1000 Mann, in der Tübingerstraße, um demonstrativ vor die Preußische Gesandtschaft zu ziehen. Der Zug bewegte sich durch die Königstraße, Schloßplatz, Planie, Charlottenstraße, Eugensplatz, Wagenburgstraße. Der Zutritt in die Dienershaldenstraße wurde von der Polizei verhindert. Die Menschenmenge bewegte sich dann weiter durch die Gerokstraße, Kanonenweg, Eugensplatz. Hier hat ein Polizeiinspektor die Leute, die zu singen anfingen, aufgefordert, sich ruhig zu verhalten. Dieser Aufforderung wurde Folge geleistet. Der Weg von da durch die Alexanderstraße bis zum Charlottenplatz wurde sodann ohne Lärm fortgesetzt. Hier löste sich der Zug in Ruhe auf.
Ludwigsburg. Mehrfach kommt es vor, daß Arbeiter mit Wochenfahrkarten 4. Klaffe Wagen 3. Klaffe benützen. So sind vor kurzem wieder drei Arbeiter mit solchen Karten in einem Wagen 3. Klaffe von Kornwestheim nach Asperg gefahren, obgleich sie von dem Schaffner auf die Unzulässigkeit hingewiesen und zum Umsteigen aufgefordert worden waren. In Asperg beschimpften und schlugen sie die Bahnbeamten und widersetzten sich in frecher Weise. Anzeige ist erstattet.
Brackenheim 19. März. Welche furchtbar verheerenden Wirkungen der Alkohol im jugendlichen Körper anzurichten vermag, zeigte der vorgestern erfolgte plötzliche Tod eines 23- jährigen Gehilfen, der erst seit acht Tagen in einem größeren hiesigen Geschäft in Stellung war. Der junge Mensch war ein starker Verehrer des Alkohols, wenn Zeit und Geld ihm nur irgendwie Gelegenheit ließen, saß er beim Bier oder Weine. So benutzte er auch den letzten Mittwoch, den er von Mittag an frei hatte. Nachmittags begab er sich nach Heilbronn, abends kehrte er zurück und trank in verschiedenen Wirtschaften bis morgens drei Uhr. Stark bezecht kam er nach Hause. Aber auch jetzt hatte er noch nicht genug. Anscheinend auf einen Zug leerte er eine große Flasche TräubleS- likör, die er dem Keller seines Herrn entnommen hatte und begab sich dann zu Bett. Als sich der Mensch bis Donnerstag mittag immer noch nicht sehen ließ, ging man in sein Zimmer und fand ihn tot.
Heilbronn 19. März. Ein Wanderschäfer ließ am letzten Schafmarkt seine fünfzig Stück Schafe bi» abends 6 Uhr eingesperrt ohne Futter auf dem Hammelwasen liegen, so daß sie krämpfig wurden. Der Schäfer wurde von der Polizei aufgefordert, sich um seine Schafe zu bekümmern. Ein in seiner Begleitung
befindender anderer Schäfer beleidigte sofort die Schutzleute und leistete ihnen, al« sie gegen ihn einschreiten wollten, Widerstand. Ohne jäien Grund versetzte der Tierbefitzer mit seinem Stock einem einschreitenden Schutzmann mehrere wuchtige Hiebe auf den Kopf, sodaß der Helm durchlöchert wurde und der Schutzmann am Kopf und Arm mehrere nicht unerhebliche Verletzungen erlitt. Erst nachdem der anwesende Wachtmeister, auf den der Tierbesitzer ebenfalls eingeschlagen hatte, von seiner Waffe Gebrauch machte, ließ jener von seiner rohen Handlung ab.
Reutlingen. Die Handwerkskammer hielt am Donnerstag den 17. d. Ms. eine Vorstandssitzung ab, in welcher u. a. die Frage der Festsetzung von Höchstzahlen für die LehrlingLhaltung behandelt wurde. Die regelmäßigen Kontrollen der Beauftragten haben ergeben, daß in nicht wenigen Fällen die Zahl der Lehrlinge im Verhältnis zur Zahl der beschäftigten Gesellen eine viel zu hohe ist und daß derartige Lehrlingszüchterei nur durch Aufstellung ganz bestimmter Vorschriften über die Zahl der Lehrlinge entgegengetreten werden kann. Zunächst sollen die Landesverbände der einzelnen Berufe um Vorschläge angegangen werden. Einer Reihe von Gesuchen um Verleihung der Befugnis zur Lehrlingsanleitung im DiSpen- sationsweg mußte mangels gesetzlicher Gründe die Befürwortung versagt werden. Genehmigt wurden 2 Gesuche um Verkürzung der Lehrzeit. Der erledigte Posten des stellvertretenden Vorsitzenden der Gesellenprüfungsausschüffe in Reutlingen wurde Herrn Schittenhelm, Beamten der Handwerkskammer übertragen. Einem Bildhauer wurde in Anerkennung seiner Würdigkeit und Bedürftigkeit ein Beitrag zu den Kosten des Besuchs der Kunstgewerbeschule gewährt. Beschlossen wurde weiter, den Jahresbericht künftig für das Kalenderjahr, statt wie bisher für das Rechnungsjahr zu erstatten. Ausgiebige Behandlung fand sodann die Frage der Abschaffung bezw. Aenderung der H 100 g der Gewerbeordnung, der es bekanntlich den Zwangsinnungen verbietet, ihre Mitglieder durch Mehrheitsbeschluß an die Einhaltung bestimmter Preise zu binden. Die Meinungen über die Zweckmäßigkeit dieser auf Abschaffung des ß 100 q der Gewerbeordnung gerichteten Bewegung gingen sehr auseinander; es wird deshalb beschlossen, die Abstimmung auszusetzen bis eine in Aussicht stehende Konferenz der süddeutschen Handwerkskammern zu der Angelegenheit Stellung genommen hat. Befürwortet wurde eine Aenderung des Z 139 6 der Gewerbeordnung, wonach auch für Friseure der gesetzliche Neunuhrladenschluß mit Ausnahme der Vorabende vor Sonn- und Festtagen in ganz Deutschland gesetzlich eingeführt werden soll. Der Vorstand hatte weiter noch die Wahl des 2. Vorsitzenden vorzunehmen aus welcher einstimmig Herr Drechslermeister Karl Benz in Reutlingen hervorging. Eine Meisterprüfung mußte noch nachträglich für ungiltig erklärt werden, da sich herausstellte, daß der Kandidat in unzuläßiger Weise fremde Hilfe bei Fertigung seines Meisterstücks in Anspruch genommen hat. Die Behandlung einer größeren Anzahl Einläufe und innerer Angelegenheiten der Kammer bildete den Schluß der Sitzung.
Pforzheim 19. März. Der aus Mannheim stammende ledige Buchhalter F. einer hiesigen Goldwarenfabrik entwendete nach und nach Gold- und Silberwaren im Betrage von 4000 Er schnitt sie zusammen und verkaufte sie in einem Geschäft, mit dem seine eigene Firma arbeitete. Der Betrug wurde dieser Tage entdeckt und der Täter verhaftet.
Berlin 19. März. Wie die »Neue Freie Presse" erfährt, ist als sicher anzunehmen, daß Kaiser Wilhelm die Wiener Jagdausstellung besuchen wird. Man erwartet, daß der Kaiser im Laufe des Sommers kommen wird, und zwar zu einer Zeit, in der der Fremdenzuzug noch nicht stark ist. Auch der Besuch des Königs von Sachsen und anderer deutscher Fürsten wird in den Kreisen der Wiener Jagdausstellung erwartet.
Berlin 19. März. Für die Würde eines Erbstatthalters der Reichslande
wird der »Militärisch-Politischen Korrespondenz" zufolge von einem einflußreichen Kreis die «an- didatur des Fürsten Wilhelm vonHohen- zo Ilern lanziert, der, wie es heißt, als Süddeutscher und Katholik ein genehmerer Landesherr sein dürste, als der von anderer Sette aufgestellte Kandidat Prinz August Wilhelm, der vierte Sohn des Kaisers, der außer seiner Prinzenapanage nicht über nennenswerte Privatmittel verfügt.
Berlin 18. März. Um den Veteranen von 1870 wie im Jahre 1895 so auch jetzt nach 40 Jahren den Besuch der Schlachtfeld« zu erleichtern, bestimmte d« Kaiser, daß auf den Strecken der preuß.-heff. Staats und der Reichseisenbahnen von Mai bis Ende Dezember der Fahrpreis für die Reisen von Kriegsveteranen nach den Schlachtfelder und zurück auf den Militärfahrpreis herabgesetzt wird. Für die 3. Klaffe wird eine Militärfahrkarte, für die 2. Klaffe zwei Militärfahrkahrten zu lösen sein; auch wird die Benützung der Schnellzüge ohne Zuschlag freigegeben. Die näheren Bestimmungen werden rechtzeitig bekannt gegeben. — Der Reichskanzler wird morgen abend seine Reise nach dem Süden antreten und am Montag früh in Rom ein- treffen. Sein Aufenthalt in Rom wird voraussichtlich mindestens bis Ostersonntag dauern.
Berlin 19. März. Reichstagsabgeordneter Dr. Hermes (Fortschr. Vp.), Schriftführer des Reichstags und Direktor des Berliner Aquariums, ist heute nachmittag um 5 Uhr plötzlich an einem Herzschlag gestorben.
(Eingesandt.)
Bezugnehmend auf den Vortrag des Herrn Stadtpfarrer Umfrid am 17. ds. Mts. im »Bad. Hof" sieht sich ein Besucher des Vortrag« veranlaßt, auf die Aeußerungen des Hrn. Privati« Michel aus Liebenzell bezüglich der Sold aten- mißhandlungen im Frieden, welche er al« Begleiterscheinungen der Kriege anführte, etwa« zu erwidern.
Wenn Fälle von Mißhandlungen oder unwürdiger Behandlung überhaupt Vorkommen, so sind solche Roheiten ganz entschieden zu verurteile». Glücklicherweise sind dieselben äußerst selten, wie der Einsender dieses, der das Soldaten- und Kasernenleben aus eigener Erfahrung kennt, feststellen kann; so daß absolut gar kein Grund vorlag, solche Vorkommnisse in der Weise in die Debatte zu ziehen und zu verallgemeinern wie es von Hrn. M. der Fall war. Dieses muß deshalb auch im Interesse d« Wahrheit, im Interesse des deutschen Heeres und des deutschen Volkes ganz entschieden zurückgewiesen werden.
Ferner muß man sagen, daß Personen, die beim Militär als Vorgesetzte, oder was noch schlimmer ist, als Kameraden zu solchen Roheiten fähig find, auch im bürgerlichen Leben, wenn sie die Macht und Gelegenheit dazu haben, die gleichen Roheiten ausüben. Man braucht hiebei nur an die Behandlung von Arbeitswilligen bei Streiks rc. zu erinnern, wo Arbeiter, nicht von ihren Vorgesetzten, sondern von ihren Arbeitskollegen oft in der brutalsten Weise mißhandelt werden, wie es z. B. erst im v. I. bei dem Maurerstreik in Pforzheim wiederholt vorgekommen ist. Deshalb kann man auch bei vorkommenden Fällen von Mißhandlung oder unwürdiger Behandlung in der Kaserne, sei es durch Vorgesetzte oder Kameraden ruhig sagen: Die Roheit wird nicht immer in der Kaserne erzeugt, sie wird zu eine« großen Teil schon hineingetragen.
Um eine Besserung zu erzielen, ist vor allem eine entsprechende Erziehung der Jugend notwendig und hier hat außer den Eltern auch die Schule, wie Hr. M. zum Schluß noch bemerkte, eine hohe und edle Aufgabe zu erfüllen, indem schon bei den Kindern die nötige religiöse und moralische Grundlage gelegt und der Sinn für Ideale geweckt und gepflegt wird und daß sich die Menschen überall mehr al« Menschen und Christen zu behandeln bestreben, dann wird auch Mißhandlungen in der Kaserne am besten vorgebeugt, sowie die edlen Ziele d« Friedenü- gesellschast am ehesten gefördert werden.
W. k.