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Straße war sie vorher zu Fall gekommen und hatte sich hierbei mehrere Hautschürfungen zu­gezogen, sodaß sie mit Blut und Schmutz besudelt war. Der das väterliche Geschäft führende Bruder war gerade abwesend und wurde deshalb von einer Schwester über den Zustand der Mutter unterrichtet. Als der Sohn heimkam, machte er der Mutter wegen der Trunkenheit Vorwürfe. Die Frau griff nun zu einer Weinflasche und wollte sie dem Sohne auf den Kopf schlagen. Dieser geriet dadurch in große Aufregung und gab einen Revolverschuß ab, worauf die Mutter zusammenbrach. Von dem Arzt konnte eine Kugelverletzung nicht festgestellt werden, er kon­statierte vielmehr, daß die Frau an einem Schlag- ansall gestorben sei. Die Leiche wird nun gericht­lich seciert und dadurch der Tatbestand festgestellt werden.

Tübingen 7. März. Durch den Weg­fall der Fleisch sieuer hat die Stadt einen Einnahmcausfall von ca. 35000 Die Bier­steuer bringt ca. 36 500 ^ Einnahmen. Nach Abzug der Ausgaben bringen die Verbrauchs­steuern der Stadt im Voranschlag 1910 rund 22 000 ^ gegen 55 000 ^ im Vorjahre. Hier hat sich ein Bürgelverein für die Jndustrie- vorstadt gebildet.

Vom Zabergäu 7. März. Die letzte Woche mit Raureif in der Frühe war für die Vegetation sehr günstig. Durch die Morgen­fröste wurden die frühen Obstsorten im Knospen- trieb zurückgehalten, was höchst notwendig war. Denn, hätte die laumilde Witterung so weiter gemacht, dann hätten wir eine zu frühe Obst­blüte erhalten und den Maifrösten, mit denen das Zabertal immer zu tun hat, hätte der Land­mann mit Bangen entgegengesehen. Wirklich wird im Obstgarten mit Baumputzen und Baum- schneiden beim Steinobst auch mit Umzweigen, viel gearbeitet. Im Weinberg werden die Reben heraufgetan und angebunden. Das Holz ist schön gewachsen und stockhast. Jn Aeckern und Wiesen hat die regenreiche Zeit die Mäuse vertilgt.

Heilbronn 3. März Mit großer Frech­heit haben einige noch strasunmündige Schüler sich in letzter Zeit zu einer Reihe von Dieb­stählen zusommengetan. Sie stahlen u. o. 10 ^ aus dem Tisch im Zimmer eines Schuldieners, 90 ^ aus einem Warenhaus und im Stadtbad eine kostbare goldene Uhr und einen goldenen Zwicker. Letztere Gegenstände wurden wieder beigebracht, von dem gestohlenen aber nur ein Teil. Der Rädelsführer war schon in einer Besserungsanstalt untergebracht.

Oehringen 7. März. Hier fehlt es nicht an Freunden der Fischer ei und beson­der» des Angelsports, davon hat die vorgestrige

Fischwasserverpachtung desHohenl. Fischerei- Vereins" Zeugnis abgelegt. Gegen 25 Inte­ressenten waren erschienen und dem größten Teil gelang es auch, sich für die nächsten Jahre eine Erfolg versprechende Wasserstrecke zu sichern. Die erzielten Pachipreise waren sehr gut, was in Anbetracht der Fürsorge und der reichlichen Besetzung der Wasser von Seiten des Vereins nicht zu verwundern ist.

Berlin 7. März. (Reichstag.) Am BundkSratStisch hoben sich eivgefunden die Staats­sekretäre v. Schön, v. Tirpitz und Krätke. Auf der Tagesordnung steht zunächst die erste Lesung des am 13. Oktober 1909 in Bern zwischen dem Deutschen Reich, Italien und der Schweiz ab­geschlossenen neuen Vertrags betr. die Gotthard­bahn. Staatssekretär v. Schön empfiehlt den vorliegenden Vortrag zur Annahme. Der Vertrag ist in der Schweiz nicht günstig ausgenommen worden, weil er angeblich die Schweiz zu Gunsten Deutschlands und Italiens Übervolteile. Dem gegenüber ist zu bemerken, daß von der Schweiz nichts Unbilliges verlangt und von ihr auch nichts zugistanden worden ist. In dem Vertrag werden unsere Interessen durchaus befriedigend gewahrt; aber auch die Schweiz kann vollauf befriedigt sein. Nach den vorliegenden Gutachten besteht ein recht­licher Anspruch auf Rückzahlung der s. Z. bewilligten Subventionen nicht. Präsident des Reich?eisen­bahnamte? Wackerzapp: Der Vertrag legt einer­seits der Schweiz nicht unerhebliche Verpfl chtungen aus, die für Deutschland und Italien entsprechende Vorteile bringen, andererseits ist dieser Vorteil als ein Aequivalent anzusehen für die wertvollen Rechte, die die Schweiz erhält. Wir tauschen dafür die Meistbegünstigung in den deutsch-italienischen Han­delsverkehr ein, die bei weiterer Steigerung des Verkehrs große Vorteile verspricht. Abg. Fürst Hatzfeld (Sich?pt): Ich bitte den Staatssekreär dafür zu sorgen, daß die deutschen Aktionäre bei der bevorstehenden Verstaatlichung eine ongermssene Entschädigung erhalten. Abg. Dove (Fortschritt!. Vpt): die Interessen der deutichen Aktionäre find selbstverständlich zu schützen. Staatssekretär Frhr. v. Schön: D'e Verhandlungen zw schen den Aktio­nären berechtigen zu der ziemlich sicheren Erwartung, daß die den schen nicht zu Schoden kon men. Selbvei - stündlich aber werden wir der Angelegenheit ar ch ferner­hin unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Nach weiterer Debatte ist die 1. Lcsung erledigt In 2 Lesung wird der Vertrag daun ohne Debatte angenommen. Sodann wird die 2. Lesung des Marineetot? fortgesetzt. Staatssekretär v. Tirpitz: Hinsichtlich des Zulage­wesens habe ich für das nächste Jahr eine Denk­schrift zugesagt. Der E»at soll übersichtlicher ge­staltet werden Frhr. v. Gawp (Rp): Den Firmen Krupp urd Dillingen ist es gelungen unsere Panzer­platterfabrikation durch neue Erfindungen so weit vorwärts zu bringen, daß sie in der ganzen Welt den ersten Rang einnimmt. Finden sich andere Firmen, die gleiches Material zu liefern im Stande find, dann werden sie berücksichtigt werden. Ein

eigenes Werk eiuzurichten, wäre unpraktisch. Staats- sekretär v. Tirpitz: Ich bin für die loyale Kritik dankbar. Einzelnen Anregungen stehen vielfach Bestimmungen entgegen. Wir bestreben uns, die leistungsfähigeren Leute an die richtige höhere Stelle zu bringen. Was unsere Küsten Verteidigung an­betrifft, so ist sie nicht, wie behauptet wurde, ver­nachlässigt worden. Von 187397 wurden dastr 22 Millionen und seitdem 29 Millionen ausgegeben. Bassermann (ntl.): Es ist ein Verdienst des Staatssekretärs, daß wir jetzt ein festes Flotteubau- progromm mit entsprechender Organisation haben. Die Entwicklung unserer Flotte steht im Verhältnis zu der unseres Handels. Die Steigerung des De­placements im Bau von Dreadnoughts ist von England ausgegangen. Der springende Punkt ist, daß nach Vollendung unseres Flotter Programms keine neue Verwehrung kommen soll. Abg. Lede- bour (Eoz.) Die Rede des Reichskanzlers sagt über die Abrüstungsfrage nichts. Das Ausland hegt mit Recht Mißtrauen gegen die deutsche Politik. Auch wir können den Erklärungen des Staats­sekretärs und auch der anderen Regierung?Vertreter keinen Glauben schenken, sondern vermuten Hinter­gedanken wie auch das Ausland. So diskreditiert die Regierung Deutschland im Ausland Eine Regierung, die auf das Volk eiuhauen läßt .... (Lärm. Vizepräsident Hohenlohe ruft den Redner zur Ordnung.) Wir wollen den Kampf gegen die unfähige Regierung zu einem glücklichen Ende führen. Staatssekretär v. Tirpitz weist die Vor­würfe des Abg Ledebour gegen die Regierung zu­rück. Abg. v. Oertzen (Rp): Die Aufstellung des Etats halte ich für unklar. Meines Erachtens ist es aber aus Gründen der Disziplin unrichtig, wenn Parlamentarier von einzelnen Beamten Auskünfte einziehen. Abg. Herzog (Wirtsch. Vgg.): Die Erklärungen des Reichskanzlers haben in weite« Kreisen befriedigt. Es muß den Angestellten frei- steheu, mit Abgeordueten in Verbindung zu treten. Krupps Panzerplatten haben sich bewährt. Abg. Werner (Refp.): Wir brauchen eine Flotte zum Schutze von Handel und Industrie. Wir wollen Sparsamkeit, aber nicht zum Schaden der Forten!- Wicklung unserer Flotte. Die Leitung des Reichs- marineamtS verdient alle Anerkennung. Graf Oppersdorff(Ztr-): Von einer Abrüstung ist keine Rede. Wir wollen nichts als eine Verständigung für die Zeit, wo das Flottem Programm, an dem niemand rütteln will, erledigt sein wird. Ueber die Schaffung einer Konkurrenz gegen Krupp hat der Staatssekretär selbst im vorigen Jahre erklärt, eine solche sei wünschens­wert, und er werde alles tun, um dieselbe zu schaffen. Mehr wollen wir auch nicht. Abg. Leonhart (Fortschr. Vp.): Ich möchte eine Antwort haben, ob ein Verbot an die Beamten ergangen ist, mit Abgeordneten in Verbindung zu treten und ob der Staat?s-kretär dies billigt. Staatssekretär v. Tirpitz: Ich habe von dem Oberwerftdirektor v. Usedom einen Bescheid erhalten. Er erklärt aufs bestimmteste, eine solche Untersuchung weder eingeleitet noch ongeordnet zu haben. Abg. Struve (Fortschr. Vp ): Auf olle Fälle ist eiue diesbezügliche Anordnung oder ein Wunsch von der Oberwerst-

wie weggewischt, er schien um Jahre gealtert. Sein Fuß betrat die Mühle nicht mehr. Ohne jede Verständigung mit seinen Eltern, ohne Abschiedswort noch Gruß, verließ er die Heimat, um sich dem Theater- direktor Schön zur Verfügung zu stellen und ein gänzlich neues Leben anzufangen.

Der Unglücksfall brachte für Lindhammers eine unruhige und auf­regende Zeit mit sich. Ihre Wohnräume wurden von wohlmeinenden Nachbarn und guten Freunden, die unter dem Deckmantel der Anteil­nahme und des Bedauerns vorsprachen, insgeheim aber zumeist ihre Neu­gierde zu befriedigen suchten, gar nicht mehr leer, zumal man wußte, daß der Sixt sich auf dem Preisschießen zu Sch. endgiltig mit seinem Vater entzweit und seither auf und davon gegangen sei. Die verschiedenartigsten und abenteuerlichsten Gerüchte kamen in Umlauf. Polizeiliche und ge­richtliche Vernehmungen wechselten miteinander ab, da man zu wieder­holten Malen der Tat dringend verdächtige, arbeitslose Individuen auf­gegriffen und mit Lindhammer und dem noch immer in der Schneidmühle als Gast anwesenden Franz Wallner konfrontiert hatte. Die Betreffenden mußten aber stets wieder wegen nachgewiesener Schuldlosigkeit freigegeben werden.

Immer undurchdringlicher wurde das Geheimns, das die Schneid­mühle umgab und da auch der hochangesehene Raintalbauer sich streng fern hielt und seinen Groll und seine Feindschaft offenkundig zur Schau trug, so fing man allmählich an, über den guten Namen Lindhammers herzufallen wie Hornisten über ein Pferd.

Welche Pein für den stolzen, ehrenhaft gesinnten Mann, der nach einigen Jahrzehnten arbeitsvoll verbrachten, gesegneten Lebens abermals für seinen schuldbeladenen, verbrecherischen Bruder zu leiden hatte und diesen preiszugeben sich doch nicht entschließen konnte.

Soweit es irgend anging, hüllte er sich in ernstes Schweigen und schränkte seinen Verkehr ein, und auch Frau Therese gab ihren Heim­garten (Besuchsstunde) auf und sprach nur da» unumgänglich Notwendige

mit den Leuten. Seinen jungen Hausgast, der sich stündlich nützlicher zu machen bestrebte, und sich in der Garten- und Feldarbeit gleich ge­schickt und brauchbar erwies, gewann Lindhammer täglich lieber, weshalb er besten Abreise unter allerlei Vorwänden hinauszuziehen suchte. Der junge Mann fühlte sich nur zu wohl in der Schneidmühle und Frau Therese hielt ihn wie ein eigenes Kind. Die erfrischende Waldeslust, die von den Bergen wehte, kräftigte und stärkte seine Muskeln und Nerven und unter der gesunden Kost und Pflege, die ihm zuteil wurde, rötete« und rundeten sich seine Wangen und seine Haltung wurde freier, zuver­sichtlicher. Lindhammer erfreute sich an des Gastes reger Arbeitslust, die stets nach Betätigung verlangte und er beschäftigte ihn bald hier, bald dort, unterwies ihn in der Holzbearbeitung des Schneidwerks, in der Bienenzucht und in den landwirtschaftlichen Arbeiten, zu denen Lind­hammer Maschinen neuester Konstruktion besaß, und überall zeigte sich der junge Mann anstellig, er brachte der Säge reges Interests entgegen. Arbeit, die beste heilkräftigste Medizin für alle Herzens- und Gemüts­schäden, half Lindhammer auch über die große Heimsuchung hinweg und nach und nach erlosch das kränkende, müstige Gerede der Leute von selbst.

Sixts Name wurde nie erwähnt, weder von den eigenen Angehörigen noch von dem Hausgesinde. Es schien, als sei er für die Bewohner der Schneidmühle aus dem Buch der Lebenden gestrichen. Vom Bruckbräuer hatte der Schneidmüller an Vronis Begräbnistag erfahren, daß Sixt, dem Drängen des Theaterdirektors Schön nachgebend, sich diesem angeschlosten, habe und mit ihm zugleich abgereist sei. Als Lindhammer daran gezweifelt, war ihm die Tatsache von glaubwürdiger Seite bestätigt worden und so hatte er sich damit abfinden müssen. Bald nach der Beerdigung Vronis, die in seinem Familiengrab zur letzten Ruhe kam, gab Lindhammer seinem Gesinde die schärfste Weisung, den Namen des Hallodris, der mit Komö­dianten und fahrenden Spielleuten in der Welt umherziche, ohne ein Wort nach seinen Eltern zu fragen, in seiner Gegenwart nie mehr zu nennen, sofom sie nicht entlasten sein wollten. (Forts, folgt.)