33

!

moorigen Untergrundes der Eisenbahndamm be­trächtlich gesenkt. Aus der Mitte der bürgerlichen Kollegien wurde die lässige Durchführung der Eisenbahnarbeiten energisch gerügt. Der Verkehr ist durch die teilweise Eröffnung von Tübingen abgelenkt worden, wodurch die hiesigen Geschäfts­leute empfindlich geschädigt worden sind. Auch der Landtagsabgeordnete Liesching betonte, daß hier totes Kapital in bedauernswerter Weise nutzlos liegen gelaffen werde, wodurch Staat und Stadt Schaden haben. Man habe ja schon manches erlebt in Württemberg in Bezug auf langsame Bahnbauten, aber so etwas wie hier doch noch nicht.

Schorndorf 11. Jan. Eine geriebene Zigeunerin ließ sich vorgestern mittag in einem hiesigen Warengeschäft einige Pfund Kaffee geben und ihn in einen Topf, unter den sie eine Schürze gebreitet hatte, schütten. In dem gleichen Augenblick stellte sie den Topf an die Ecke des Ladentisches, mit dem Bemerken, daß sie in 10 Minuten den Kaffee beim Rückkommen mitnehmen und zahlen würde, da sie sonst noch etwas zu besorgen habe. Wer aber nicht kam, war unsere Zigeunerin und als dann der Ge­schäftsmann den Topf untersuchte, fand er über­haupt keinen Boden vor. Den Kaffee hatte die Zigeunerin wohlgemut in ihrer Schürze nach Hause getragen.

Von der badischen Grenze 11. Jan. Am letzten Mittwoch vormittag erhielt die Familie Bottling von Markdorf, die durch Brandunglück und Verlust eines Kindes dabei so schwer heim­gesucht wurde, aus Stuttgart einen Brief, in dem ihr mitgeteilt wurde, das Kind sei noch am Leben, es sei von einem in Stuttgart wohnenden Mann namens E., aus Markdorf gebürtig, ent­führt und nach Stuttgart verbracht worden. Wenn Bottling einen gewissen Geldbetrag sofort an die und die Adresse schicke, werde er sein Kind wieder erhalten. Am Mittwoch nachmittag dagegen wurden die Ueberreste des verbrannten Kindes unter dem Schutt auf dem Brandplatze aufgefunden und am Freitag beerdigt Der mysteriöse Brief wurde dem anläßlich des Leichen­fundes hierher gekommenen Gerichte übergeben und die Staatsanwaltschaft wird nun nach den Stuttgarter Schwindlern forschen.

Berlin 11. Jan. (Reichstag.) Vize­präsident Spahn eröffnet die Sitzung um 2 '/i Uhr. Am Bundesratstisch ist Staatssekretär Delbrück anwesend. Vizepräsident Spahn be­grüßt die Abgeordneten und wünscht, daß die Arbeiten des Hauses einen gedeihlichen Fortgang nehmen mögen. (Bravo!) Er teilt sodann mit, daß der Abg. v. Chrzanowski (Pole) 1. Wahl­kreis Posen sein Mandat niedergelegt habe. Auf der Tagesordnung steht zunächst die Inter­pellation Linck (natl.), Pachnicke (frs. Vgg.) und Bothmer (Frs.) betr. die mecklenburgische Ver­fassung. Abg. Linck (ntl.) begründet die Inter­pellation und führt aus, die mecklenburgischen Regierungen haben eine Vorlage gemacht, die aber an dem Widerstand der Ritterschaft scheiterte. Verhandlungen mit der Ritterschaft versprechen überhaupt keinen Erfolg mehr. Der jetzige Zu­stand ist daher, wie auch allgemein in der Bevölkerung anerkannt wird, unhaltbar. Des­halb muß das Reich eingreifen. Nur dadurch kann der bisherige Zustand geändert werden. Es ist an der Zeit, daß nunmehr sämtliche Parteien im Reichstag klare Stellung zu dieser Frage nehmen. Der Bundesrat sollte in bundesfreund- lichen Verhandlungen nachhaltigen Einfluß auf die mecklenburgische Sache ausüben. Die Reichsverfafsung sollte dahin ergänzt werden, daß für jeden Bundesstaat eine aus Wahlen hervor- gegangene Vertretung verlangt wird. Staats­sekretär v. Delbrück: Seit Behandlung der mecklenburgischen Verfafsungsfrage im vorigen Jahre hat sich die Lage dadurch geändert, daß inzwischen die Verfassungsvorlage der mecklen­burgischen Regierungen abgelehnt worden ist und daß die Verhandlungen der beiden Regie­rungen mit ihren Ständen bedauerlicherweise vergeblich geblieben sind. Hierdurch bleibt die Frage übrig, ob nicht mit Rücksicht auf die hohe Bedeutung einer endgiltigen zufriedenstellenden Regelung dieser Frage ein Eingreifen des Reiches

auf Grund der Reichsverfassung zu erwägen ist. Im Namen der Reichsregierung erkläre ich, daß wir es nicht für angezeigt halten, diesen Weg zu beschreiten, da dies mit den föderativen Grundlagen, auf denen das Reich beruht, nicht vereinbar ist. (Beifall rechts und Lachen links.) Mecklenburgischer Bevollmächtigter zum Bundes­rat Frhr. v. Brandenstein: Me Hoffnung der mecklenburgisch-schwerinschen Regierung, eine Einigung zwischen beiden Ständen zu erzielen, hat sich leider nicht erfüllt. Die Ritterschaft er­klärte sich nur zum Ausbau der Verfassung auf ständischer Grundlage bereit. Die Regierung zog daher ihre Vorlage zurück und behielt sich die Wiederaufnahme der Verhandlungen vor. Bei dieser Sachlage sind wir nicht im Stande, die früher im Reichstag abgegebene Erklärung aufrecht zu erhalten. Zur Zeit besteht keine Aussicht, mit der Ritterschaft zu einer Einigung zu gelangen. Andererseits sieht sich die groß­herzogliche Regierung nicht veranlaßt, ein Ein­greifen des Reiches zu beantragen und auch nicht, ein solches zu wünschen. Dies geschieht mit Rücksicht auf die Selbständigkeit der Bundes­staaten und auf den föderativen Charakter der Reichsverfassung. Gleichwohl ist die heutige Verhandlung für die grobherzogliche Regierung von Wert, weil durch sie die gewünschte Klärung der Lage erleichtert wird. Die Regierung ent­nimmt daraus die Bestätigung ihrer eigenen Auf­fassung, daß die von ihr als notwendigerachtete Verfassungsreform zur Zeit nicht zu erreichen ist. Namens der strelitz'schen Regierung habe ich lediglich hervorzuheben, daß für sie kein Anlaß gegeben ist, nach der vorausgegangenen Ablehnung der Reformvorlage auf eine Besprechung einzu­gehen. (Beifall rechts. Lachen links.) Auf Antrag Pachnickes (frs. Vgg.), findet Be­sprechung der Interpellation statt, v. Treuen- sels (kons.): Namens meiner politischen Freunde erkläre ich, daß wir vollständig auf dem Boden der Ausführungen des Staatssekretärs Delbrück stehen. Die Einmischung ist auch nicht zulässig im Interesse der Selbständigkeit der Einzelstaaten wie im Interesse des Reiches. Eine Einmischung des Reiches würde den Gegnern der Verfassung den Rücken steifen. Abg. Pachnicke (frs. Vgg.) beleuchtet das Verhältnis der großherzoglichen Regierungen, die erst die Finger drohend zur Faust geballt hätten und sie jetzt wieder in die Tasche steckten. Die mecklenburgische Frage ist eine deutsche Frage. Für das mecklenburgische Volk ist es schlechthin unwürdig, daß es minderen Rechtes sein soll, als die Bürger der anderen Bundesstaaten. Die Hauptsache ist aber und bleibt es für jetzt: kein anderer Weg führt mehr zum Ziele als ein Einschreiten des Reiches. Redner geht dann noch ausführlich auf das rück­ständige Verfassungsleben in Mecklenburg ein. Staatssekretär Delbrück: Die Herren Linck und Pachnicke haben von einer bundesfreundlichen Einwirkung auf Mecklenburg gesprochen. Eine solche kann aber nur erfolgen auf die mecklen­burgischen Regierungen. Mit diesen besteht aber die Reichsregierung in Uebereinstimmung. Es fehlt also an jeder Grundlage für eine bundes­freundliche Einwirkung, ebenso fehlt es an jeder Grundlage für ein Vorgehen auf Grund des Artikels 76 der Verfassung und die Angängigkeit eines Vorgehens auf Grund von Artikel 78 haben die verbündeten Regierungen jetzt aber einstimmig verneint. Das wäre unbedingt un­vereinbar mit dem förderativen Grundsätze des Reiches. Abg. Gröber (Ztr.) führt aus, auch seine Freunde wünschten eine Reform des Ver­fassungslebens in Mecklenburg, aber auf Grund der Reichsverfafsung sei ein Eingreifen nicht wohl möglich. Abg. v. Oertzen (Rp.): So sehr meine politischen Freunde eine Reform für Mecklenburg wünschen, so können wir doch unter keinen Umständen dem Reich das Recht zugestehen, den Einzelstaaten die Verfassung vorzuschreiben. Abg. Froh me (Soz.): Die Regierungsform in Mecklenburg ist eine Schmach und Schande für die ganze Nation. Abg. v. Treuenfels (kons.) polemiesiert gegen die Redner der Linken und hält den Liberalen vor, daß ja s. Zt. auch Payer erklärt hätte, die Einzelstaaten müßten ihre Rechte wahren. Abg. Pachnicke (frs. Vg.) hebt in kurzer Ent­gegnung hervor, ebenso wie im Juni v. I. der

Staatssekretär v. Bethmann-Hollweg, ebenso habe bei früheren Gelegenheiten auch noch Graf Posadowsky die Erwartung ausgesprochen, daß es in Mecklenburg gelingen werde, ohne Zwang von außen die Verfassungsfrage zu lösen. Die mecklenburgischen Ritter wollen aber nicht und deshalb bleibt nichts anderes übrig, als daß das Reich eingreift. Morgen 1 Uhr: Fortsetzung, dann Interpellation betr. Beamten-Maßregelung in Oberschlesien.

Berlin 11. Jan. Die dem Reichstag zugegangene Denkschrift über die Besiede­lung der Schutzgebiete in Afrika und der Südsee bringt über die Diamantenfrage in Südwestafrika und die Baumwollfrage in Ostafrika wesentlich folgendes: Die zunächst aufgefundenen Diamartenlagerstätten liegen in einem einige Kilometer breiten Streifen, der sich von Kilometer 16 der Südbahn von Nor­den nach Süden, etwa bis zur Elisabethenbucht hinzieht. Später fand man auch, daß der Wüstensand an der ganzen Küste bis nach dem Oranjefluß an vielen Stellen Diamanten führt. Die Diamanten sind schön auskristallisiert und von hervorragender Güte. Am Schluß des Jahres standen 97 gemeine und 422 Edelmetall­schürffelder in Giltigkeit, im Vorjahre 39 bezw. 2. Die Baumwollkultur scheint in den Nordbezirken, in denen sie bereits vor einer Reihe von Jahren eingeführt wurde, besonders in Useguha, festen Fuß gefaßt zu haben. Der Neger hat dort an­scheinend den Vorteil der Hochwertigkeit des Baumwollprodukts gegenüber den übrigen Acker­bauprodukten erkannt. Neben dem von den Eingeborenen erkannten Vorteil hat zur Ver­breitung der Baumwollkultur auch die Gewäh­rung von Vorschüssen, beispielsweise seitens der Leipziger Baumwollspinnerei in Sadani, bei­getragen. Hat sich die Kultur erst fest einge­bürgert, so werden Preisschwankung und ein vereinzelter ungünstiger Ernteausfall den Ein­geborenen kaum mehr abschrecken, da derartige mißliche Zwischenfälle seine eigenen Kulturen ebenso treffen.

Paris 11. Jan. Störungenin der elektrischen Beleuchtung sind zwar seit Wochen schon an der Tagesordnung, jedoch in den letzten Nächten in beängstigender Weise aufgetreten. Seit zwei Tagen ist das Opern­viertel und das Quartier Batignolles unausgesetzt von Unterbrechungen der elektrischen Beleuchtung heimgesucht, die in diesem Viertel der größten Geschäfte und der größten Vergnügungs-Etablis­sements äußerst störend wirken. Durch eine der­artige Lichtunterbrechung ist gestern Nachmittag in einem der größten Pariser Warenhäuser eine große Panik hervorgerufen worden, glücklicher­weise ohne weitere Folgen oder Verletzungen von Personen. Die Störung trug sich gegen 5 Uhr nachm, zu, zur Zeit als das Warenhaus am stärksten besucht war. Eine spätere Nachricht meldet, daß diese plötzliche Lichtstörung hervorgerufen wurde durch Explosionen in dem unter dem Straßenpflaster gele­genen Schacht und zwar an einer Stelle, an der mehrere Hauptleitungen des elektrischen Stromes sich vereinigen. Unter größtem Getöse platzten die großen Bogenlampen der Straße und der Ge­schäftshäuser. Die elektrischenLichtquellen flackerten noch einige Male auf, wurden dann dunkler und dunkler, bis sie endlich ganz verlöschten und das Warenhaus in Dunkel hüllten. Dies rief unter der großen Zahl der im Warenhause anwesenden Personen eine Panik hervor. Die Damen stürzten in der Meinung ein Brand sei ausge­brochen, in wilder Hast nach den Ausgängen,

^ wobei es viele Verletzungen, auch ernster Natur i gab, namentlich viele Kopfverletzungen, die durch ! herabfallende Glassplitter der Bogenlampen ver- : ursacht worden waren. In polizeilichen Kreisen ist man nach den angestellten Recherchen zu der Meinung gekommen, daß es sich hier nicht um gewöhnliche Lichtbetriebsstörungen oder Kurzschluß handelt, sondern um einen gemeinen Racheakt.

London 11. Jan. (England und Deutschland.) DieTimes" veröffentlicht einen sehr bemerkenswerten Artikel über die deutsch- englischen Beziebungen. Das Blatt erkennt die versöhnlichen Gesinnungen, welche in der letzten Zeit von Deutschland gezeigt worden sind, an