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Srsltzeinunsrtaze: Montaz. Dienstag, Mittwoch, ronnerltag, Freitag und Samstag. JnsertioriSpreis :g Vsg.proAttlr für Stadt».vczirktorte; außer Bezirktg Psg.

Tagesueuißkeiten.

^ Calw 9. Jan. Am Freitag abend hielt Dr. Reih len aus Stuttgart im Georgenäum einen öffentlichen Vortrag überReisebilder aus den Ansiedelungsdörfern in Posen und Westpreußen von der Ostmarken­fahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten". Der Redner gab zuerst eine geschichtliche Entwicklung des Königreichs Polen, sodann eine Schilderung der Verhältnisse in den jetzigen preußischen Provinzen Westpreußen und Posen und zuletzt eine eindrucksvolle Beschreibung von Land und Leuten der Ansiedelungsbezirke. Das Polentum, führte der Redner im einzelnen aus, sei für Deutschland gefährlicher als Frank­reich, die Polen hätten den glühenden Wunsch, das frühere Polenreich wieder aufzurichten und an diesem Ziel werde unablässig gearbeitet. Seit dem Jahr 1846, wo die Polen versuchten, sich mit Waffengewalt von Preußen loszureißen, sei in den polnischen Provinzen keine Ruhe mehr eingetreten; 40 Jahre lang schon werde seitens der Polen ein Boykott gegen deutsche Geschäfts­leute geführt, das Polentum bilde in Deutsch- tand einen Staat im Staate. Zur Hebung der polnischen Interessen seien Genossenschaften aller Art gegründet worden und mit Energie und Gewalt sei das deutsche Element, das in den Provinzen Westpreußen, Posen und einem Teil von Oberschlesien eine starke Minorität bilde, zurückgedrängt worden. Die Polonisierung deut­scher Familien habe starke Fortschritte gemacht und etwa 700 deutsche adelige Familien seien polnisch geworden. Durch diese Gefahr aufmerk­sam gemacht, habe der preußische Staat, welcher schon unter Friedrich dem Großen das Polentum im Auge behielt, endlich sich zu Gegenmaßregeln entschlossen. Die Rückverdeutschung hatte bereits schöne Erfolge zu verzeichnen; diese wurden aber durch den polnischen Aufstand gehemmt und es kam so weit, daß viele deutsche Familien sich zur Auswanderung entschlossen. Es sei besonders der Umstand für die Deutschen ungünstig, daß über die Hälfte des Bodens im Besitz der polnischen Großbesitzer sich befinde; die Ritter­gutsbesitzer zogen nun polnische Kräfte aus andern Ländern heran und machten mit diesen gute Erfahrungen, da sie mit den fremden Polen gut umzugehen wußten und nur geringe Löhne zu bezahlen hatten. So war zu befürchten, daß die Deutschen ganz aus den Provinzen auswandern und diese Länder vollständig polonisiert würden. Bismarck erkannte zu rechter Zeit die Gefahr, die von den Polen, den sogenanntenPreußen auf Kündigung" ausging und er war es, der eine Ansiedelungspolitik im großen gegen das Vordringen der Polen ins Werk setzte. Eine Kommission hatte den Auftrag, große landwirt­schaftliche Güter aufzukaufen und auf diesem Boden deutsche Bauern anzusiedeln. Seit dem Jahr 1886 seien über 1000 Güter angekaust und mit 120000 Menschen bevölkert worden; unter den Eingewanderten befinden sich viele Schwaben; als Ansiedler wurden nur Protestanten herange­zogen. Von den angekauften Gütern sind leider nur 33 °/» aus polnischer Hand. Die Polen reagierten energisch gegen die Ansiedelungsversuche u. kauften ihrerseits ebenfalls Güter auf, so daß der Preis von 1 da Land von 500 auf 1500^ hinaufging.

Montag, den 1V. Januar 1910.

BezugSpr.i.d. Stadt */ijährl.m. Träger!. Mk. 1 . 25 . PostbezugSvr. k.d. Orts- u. NachbarortSverk. Vglährl.Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk. 1 . 30 . Vestellg. in Württ. 80 Pfg., in Bayern u. Reich 4 L Psg.

Um diesem ungesunden Zustand zu steuern, wurde das Enteignungsgesetz eingeführt, das zwar noch nicht zur Anwendung kam, aber doch den Erfolg hatte, daß der Preis für 1 da auf 1100 ^ zurück­ging. Die Ansiedelung wurde nun planmäßig betrieben und hatte den großen Erfolg, daß nun die bereits eingesessenen Deutschen in der Ost­mark bleiben konnten und daß jetzt die deutsche Bevölkerung rascher zunehme als die polnische. Um einen Einblick in das Werk der Ansiedelungs­kommission zu bekommen, haben vom 23.29. Mai des vorigen Jahres süddeutsche Parlamen­tarier und Journalisten eine Ostmarkenfahrt ge­macht und konnten somit das Gebiet der An­siedler aus eigener Anschauung kennen lernen. Der Redner, der sich ebenfalls an der Fahrt beteiligte, schilderte mit scharfer Beobachtungs­gabe die besuchten Dörfer und gab interessante Einblicke über die Tätigkeit und das Befinden der Ansiedler. Eingehend wurden die Ansiede­lungen Seeheim, Golenhofen, Schönherrnhausen, Kardorf, Talsee u. a. in Wort und Bild vor­geführt und der Eindruck der Teilnehmer an der Fahrt war der, daß das große Werk volle Anerkennung verdiene und daß alles, was ge­schehen sei, mit größter Sorgfalt gemacht worden sei. Die Ansiedler selbst seien mit ihrem Los sehr zufrieden und daß den meisten Ansiedlern «in gutes Fortkommen gesichert sei, gehe daraus hervor, daß in 23 Jahren nur 33 Personen in Gant gekommen seien. Es sei erfreulich, daß die beiden Provinzen, die rettungslos dem Polentum verfallen gewesen wären, durch deutsche Bauern für Deutschland zurückgewonnen worden seien. Die polnischen Provinzen werden später ebenso sicherer deutscher Besitz wie Elsaß-Lothringen sein, wenn die Wacht an der Weichsel ebenso furcht­los sei wie die Wacht am Rhein. Der Vortrag wurde durch Lichtbilder trefflich illustriert. Prof. Beurlen dankte dem Redner für seine inte­ressanten Ausführungen, die zur Bereicherung von Kenntnissen und zur Befestigung der natio­nalen Gesinnung beigetragen hätten. Dr. Reihlen emtete wie bei seinem früheren Vortrag im Georgenäum so auch diesmal für seine packenden und malerischen Schilderungen Hey lebhaftesten und verdientesten Beifall. .

Calw 10. Jan. Die Flößerei wird 'bald zu den alten Erinnerungen gehören. Im vorigen Jahr sind nur 8 Flöße die Nagold hin­unter, während es in dem Vorjahre noch 3040 Flöße waren. Bei diesem schnellen Zurückgehen der Flößerei wird ihre Aufhebung im Jahr 1915 keine nachteiligen Folgen mehr haben.

Wildberg 8. Jan. Am Dienstag abend zog eine Bärentreibertruppe mit Bären, Kamelen und Affen die Nagoldtalstraße herauf. Bei Wildberg begegnete ihr ein hiesiges Fuhr­werk, wobei die Pferde vor den Bären und Kamelen scheuten und durchgingen, so daß im nächsten Augenblick der beladene Wagen in Trümmer ging. Die zitternden Pferde wurden angehalten und weggeführt, worauf die Karawane weiterziehen konnte. Der Besitzer des Fuhrwerks verglich sich mit dem Karawanenbesitzer auf dem Rathaus bezüglich des Schadenersatzes.

Stuttgart 8. Jan. GrafZeppelin ist heute aus dem hiesigen Katharinen-Hospital entlasten worden.

Ltutgart 9. Jan. Die National­liberale Partei (Deutsche Partei) hielt heme vormiüaz bei sehr starker Beteiligung in den Sälen des Stadtgartens ihre Landesversammlung ab. Nach einer Begrüßungsansprache des Vor­sitzenden Reihlen erstattete Reichs- undLandtagS- abg. Prof. Dr. Hieber den Bericht überDie politische Lage". DaS Jahr 1909 sei für unsere politischen Verhältnisse das bedeutungsvollste und er­eignisreichste des letzten Jahrzehnts gewesen und habe eine neue parlamentarische Verbindung heraufgeführt, die das Gegenteil von Fortschritt erwarten lasse. Fürst Bülow habe sich um die auswärtige Politik und um die Erhaltung des Friedens größte und bleibende Verdienste erworben und auf dem Gebiet der inneren Politik einen Versuch gemacht, der einmal gemacht werden wußte und mehr als ein geistreiches Experi­ment gewesen sei. Zentrum und Sozialdemokratie würden dem Block allerdings keine Träne nach- weinen, denn sie hätten ihn immer als eine Gefahr für das Vaterland und die Freiheit bekämpft und auch die Demokratie freue sich über die Erlösung von der Blockherrschaft. Das Ende der Blockpolitik wird iu weiten K eisen als eine Schädigung unserer parlamentarischen Tätigkeit empfunden. Die national- liberale Partei fühle aber nicht den mindesten Grund auf den Block wie auf eine Art von Sündenfall zurückjublicken. Mit ihm habe man fruchtbare Arbeit geleistet und auch Herr v. Bethmann-Hollweg dürfte dieses Urteil teilen, wenn er nicht über ein gut Stück seiner eigenen staatsmännischen Tätigkeit den Stab brechen wolle. Der Block habe auf alle Parteien erziehend gewirkt und das in freiheitlicher und einheitlicher Beziehung einen Fortschritt bedeu­tende Reichsvereinszesetz habe nur der Block zustande bringen können. Die Erbanfallsteuer fei gefallen durch die Weigerung der Gegner, eine allgemeine Besitzsteuer einzufüh.en, denn d'e jetzigen Bt sitzsteuern stellten eine etvseitige Belastung der städtischen Be­völkerung und des Verkehrs dar. Wenn das Zentrum den Nationalliberalen vorwerfe, in einer nationalen Frage versagt zu haben, so spreche er dieser Partei jede Berechtigung zu solchem Vorwurf ab. Die Einwendung, man habe den Jungliberalen, der radikalen Richtung nachgegeben, sei nicht stichhaltig, sonst müßte man den Begriff jungliberal sehr weit ausdehnen, nachdem auf dem nationalliberalen De- legtertentag sich die Veteranen der Partei für die eingeschlagene Politik ausgesprochen haben. Die glänzendste Aera der inneren Entwicklung deS Reichs habe durch ein ebensolches Zusammenarbeiten der Parteien wie im Block sein charakteristisches Gepräge erhalten. Den übrigen bürgerlichen Parteien sei es allerdings noch nicht gelungen, ihre Gegensätze unter dem nationalen Gesichtspunkt auszugleichen wie es innerhalb des Zentrums unter dem kon­fessionellen geschehen sei. Der Zusammenschluß des Freisinns, der auch schon früher hätte erfolgen können, da der Block kein Hindernis dafür gewesen könne vom nationalen Standpunkt aus nur --77I begrüßt werden und sei zum Teil auf das Zu­sammenarbeiten im Block zurückzuführen. Solche Vereinigungen seien immer ein politischer Fortschritt, und wenn dadurch auch ein Stück Matnlinie ge- fallen sei und manches Stück altväterischen Haus­rats zum alten Gerümpel geworfen werde, so sei das vom Standpunkt seiner Partei ein besonderer Fortschritt und mit Genugtuung erblicke er darin eine Stärkung des Liberalismus der linksstehenden Parleien, und wenn von Payer mit Rücksicht auf die Polen die Einführung des allgemeinen, direkten kommunalen Wahlrechts vom Programm streiche, so begrüße niemand mehr als seine Partei dies als einen Fortschritt in der Erkenntnis nationaler Ge­fahren. Der Annäherung zwischen den Konserva­tiven und dem Zentrum stehe er skeptisch gegenüber, schon bei der Interpellation über die Maßregelung