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mann in Uniform zu den Löscharbeiten sich ein­zufinden. Fahndungswachtmeister Maier bezeugte, der Angeklagte habe ihm bei seiner ersten Ver­nehmung Einzelheiten erzählt, wie er bei den Brandlegungen zu Werk gegangen sei, er habe die Oertlichkeiten genau beschrieben. Er habe erzählt, daß er durch die Brandstiftungen mit der Feuerversicherung gute Geschäfte gemacht habe. Nach einem Brand habe er vier neue Versicherungsanträge bekommen, verschiedene Per­sonen hätten ihr Mobiliar höher versichern lasten. Der Angeklagte leidet an Epilepsie. Der Sach­verständige, Obermedizinalrat Dr. Köstlrn sprach sich dahin aus, daß der Angeklagte nicht in einem Zustand der Unzurechnungsfähigkeit gehandelt habe, während der andere Sachverständige, Medizinalrat Dr. Kreuser von Winnental in dem einen oder anderen Falle Zweifel in die Zurechnungsfähigkeit setzte. Die Geschworenen sprachen den Angeklagten in sämtlichen Fällen schuldig und billigten ihm be­züglich der Brandstiftungen an den Scheunen mildernde Umstände zu. Das Urteil lautete hiernach auf 8 Jahre Zuchthaus und 10 Jahre Ehrverlust, außerdem erkannte das Gericht auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht; 3 Monate Untersuchungshaft werden auf die Strafe an­gerechnet. Der Staatsanwalt hatte 9 Jahre Zuchthaus beantragt.

Stuttgart 10. Dez. Die Beteiligung an der heute vorgenommenen Gemeinderats­wahl war in den Vormittagsstunden nur eine verhältnismäßig geringe, was wohl auf Konto des herrschenden Schneegestöbers kam. In den Nachmittag- und Abendstunden war die Wahl­beteiligung dagegen eine sehr lebhafte. Der Wahlkampf hat Heuer sehr scharfe Formen an­genommen, woran weniger die politischen Par­teien als die verschiedenen wirtschaftlichen Ver­einigungen die Schuld trugen, welche gegenseitig ihre Kandidaten befehdeten.

Freudenstadt 10. Dez. Der Ver­schönerungsverein in Gemeinschaft mit dem Kuckomitee hat über wichtige Unternehmungen beraten, die zur Förderung unseres Kurorts dienen sollen. Beschlossen wurde, den alten Friedhof an der Lauterbadstraße neben dem Kur­theater zu einem öffentlichen Park umzugestalten und die Ausführung dem Gartenarchitekten Lilien­fein in Stuttgart zu übertragen, der diese Arbeit bis zum Beginn der nächsten Sommersaison vollenden würde. Die Genehmigung der bürger­lichen Kollegien für diesen hübschen Plan, wo­durch der Kurort einen fast 3 Morgen großen Park erhalten wird, ist mit Sicherheit zu er­hoffen. Ein weiterer Plan geht dahin, auf einem Teil des oberen Marktplatzes unter An­kauf der dort befindlichen Gärten eine große schöne

gärtnerische Anlage mit Gesträuchen, Bäumen, Promenadewegen, Rasenfläche und Blumenschmuck einzurichten; reichliche Sitzplätze sollen für bequemen Genuß der Konzerte sorgen, die von der Kurkapelle auf dem Marktplatz gegeben werden. Auch ein schöner Lawn-Tennisplatz soll auf dem Marktplatz eingerichtet werden ein besonders glücklicher Gedanke. Die Kosten dieser Pläne wären nicht allzugroß, aber der Vorteil für die Kurstadt sehr bedeutend.

Reutlingen 10. Dez. In der ver­gangenen Woche sind nach Mitteilung des Ober­bürgermeisters Hepp vier neue verdächtige Fälle von Typhuserkrankungen zur Anzeige ge­kommen.

München 10. Dez. Ueber Nacht hat heute ein derartiger Schneefall eingesetzt, daß Trambahn sowohl als Automobile vielfach nicht weiterkommen können. Die Straßenbahn hatte gestern abend schon mit Schwierigkeiten zu kämpfen und heute ist ihr Betrieb ganz unter­brochen. Bis zur Stunde 9^4 Uhr, verkehren auf zahlreichen, sogar auf Hauptlinien, erst die ersten Wagen. Ueber der Großstadt liegt infolge der weißen Schneedecke eine Geräuschlosigkeit, die seltsam anmutet.

München 10. Dez. Der heutige große Sch nee fall hat vormittags 10 Uhr einen Streik der Straßenarbeiter hervorgerufen. Sie verlangen eine Erhöhung des Stunden­lohnes von 35 auf 45 Es kommen etwa tausend Arbeiter in Frage. Hier ist ein neuer Fall von Pockenerkrankung zu verzeichnen. Gestern nachmittag wurde die Tochter eines Lohnkutschers aus der Karlsstraße ins Kranken­haus eingeliefert. Sämtliche Bkwohncr des Hauses mußten sich der Schutzimpfung unter­ziehen. Auch sonst sind Maßregeln gegen die Weiterverbreitung der Krankheit ergriffen.

Bitterfeld 10. Dez. Heute mittag 1.40 Uhr unternahm der neue Ballon?. V unter Führung von, Oberleutnant Stelling eine Fahrt über Bitter seid und Umgegend. Die Fahrt verlief in jeder Richtung befriedigend. Um 3.40 Uhr landete der Ballon glatt bei der Ballonhalle.

B e r likn 10. Dez. (Reichstag.) Prä­sident Graf Stolberg eröffnete die Sitzung um 1'/« Uhr. Am BundesratStisch haben Platz genommen: Reichskanzler von Bethmann-Hollweg, Kriegsminister v. Heeringen, sowie die Staats­sekretäre Frhr. v. Schön, Wermuth, Delbrück, v. Tirpitz, Krätke und Dernburg. Zunächst wird ein schleuniger Antrag auf Einstellung eines Strafverfahrens gegen die sozialdemokratischen Abgeordneten Emmel und Geck angenommen. Sodann wird die Etatsberatung fortgesetzt. Abg.

Dr. Wiemer (Frs. Vpt.): Durch die Thron­rede waren wir nicht enttäuscht, denn wir hatten nichts besonderes erwartet. Ebenso ging es mit dem Programm des Reichskanzlers. Woher sollte er auch ein allgemeines Programm nehmen, wenn er es nicht von vornherein mit der Mehr­heit verderben wollte? An den Arbeiten der Reichsgesetzgebung teilzunehmen, wird keine Partei ablehnen, aber man darf nicht erwarten, daß im Dezember vergessen ist, was im Juli sich ereignet hatte. Der Reichskanzler hat erklärt, das Volk wolle eine Politik der Stetigkeit und Festigkeit. Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, daß gerade die Regierung bei der Finanzreform ihre Stellung gewechselt hat und Stetigkeit und Festigkeit hat vermissen lassen. (Sehr gut! links; Lärm und Lachen rechts.) Die Tatsache wird durch kein Lachen aus der Welt geschafft. Die Frage, weshalb kein Minister aus dem Parlament hervorgeht, ist berechtigt. In der haben wir eine Parteiregierung, nur daß diese Partei nicht die Mehrheit des Volkes hat. Bülow wurde gestürzt, weil er nicht der Ge­schäftsführer der konservativen Parteiregierung sein wollte. (Lebhaftes Bravo links. Lachen rechts.) Es befremdet, wenn der leitende Staats­mann des Deutschen Reiches bei der Eröffnung des Reichstages in Uniform erscheint. (Stür­misches Bravo links; andauernder Lärm rechts; Gelächter am Bundesratstisch.) Hier ist er nicht Soldat, sondern Staatsmann. (Erneutes Bravo und Gelächter.) Der Redner begrüßt es, daß seitens des Vertreters der Krone in letzter Zeit Zurückhaltung beobachtet, wurde und hofft, daß auch der Nachfolger des Fürsten Bülow diese Voraussetzung für seine Amtsführung bestehen lasten werde. Wir fordern von neuem die Ministerverantwortlichkeit auch für Preußen. Wir verlangen die staatsbürgerliche Gleichberech­tigung für alle Konfessionen. (Bravo links.) Es dürfen nicht nur keine neuen Steuern dem Volk auferlegt werden, sondern auch die jüngsten Auswüchse der letzten Steuern müßten beseitigt und die Erbschaftssteuer ausgebaut werden. Was den Etat für 1910- betrifft, so erkennen wir das Bestreben der Sparsamkeit an. Wir erwarten die baldige Vorlegung eines Gesetz­entwurfs betr. die Kranken-, Unfall- und Pensions­versicherung der Privatbeamten, sowie Arbeits­nachweise auf paritätischer Grundlage. (Beifall links.) Bei der Reform der Strafprozeßordnung wünschen wir besonders eine Aenderung bezüglich des Beschwerderechts beim Militärstrafprozeß. Wir teilt» die Freude über die freundschaftlichen Verhältnisse mit Frankreich. In unserer äußeren Politik drohen uns keine Gefahren. Im Innern fehlt uns aber ein fester Kurs. Wir wünschen, daß dem Liberalismus die Geltung verschafft

und daß das Meer des Lebens sie, die Schutzlose, nun wieder umbrausen wird. Anna bietet ihr ein Heim, aber sie sträubt sich dagegen, es wieder­spricht ihrem Empfinden, dauernd ohne wirkliche Gegenleistung ein Leben zu führen, wie im Klosterhof. Zunächst freilich siedelt sie dorthin über. Es umgibt Anna und Mathilde eine gähnende Oede in den weiten Räumen des Schlosses; da ist es so natürlich, daß sie Inges Gegenwart wünschen. Der Klosterhof ist weder Fideikommiß noch Majorat und den testamentarischen Bestimmungen nach ist Anna die alleinige Erbin. In allem, was es trotz­dem zu ordnen gibt, steht ihr Callein zur Seite-so ist er fast ein

täglicher Gast im Klosterhof. Er kommt zum Frühstück oder in der Zwischenzeit und bleibt dann zu Tisch, und sie sehen und sprechen sich täglich, er und Inge, aber wie sie schon einmal vor Wochen in Pareicken sich vor ihm in ihrem Zimmer verborgen, so macht sie es auch jetzt möglich, ihm so viel auszuweichen, wie es unauffällig geschehen kann, und er sucht ihre Gegenwart nicht. Inge ist rührend in ihrer Sorge um Anna, sie drängt die quälenden Empfindungen ins eigene Herz zurück und widmet sich nur der Freundin, der ganze Liebesreichtum ihrer Seele offenbart sich in dieser Zeit, und ihre Gegenwart ist für den Klosterhof wie ein Sonnen­strahl in regendunklen Herbsttagen. Das empfindet auch Callein in jener Stunde, die er mit ihr zusammen ist.

Anna quälte sich mit Vorwürfen.Wenn sie früher geheiratet hätten, dann wäre alles besser geworden," klagte sie Markus eines Tages, als sie zusammen im Park spazieren gingen. Er schüttelt energisch den Kopf.

Bester? Nein, Anna, schlechter. In dieser Ehe wäre einer am anderen zugrunde gegangen. Wäre Inge überhaupt das Weib für Armand gewesen Du weißt, wie ich das meine: das eine, einzige Weib, das nur einmal in das Leben des Mannes tritt dann hätte sie schon als Braut den von Dir so hoch veranschlagten Einfluß auDeübt. Sie war dies Weib für ihn nicht"

Das hast Du von Anfang an behauptet."

Und ich werde es behaupten, bis ans Ende," antwortete er ruhig. Uebrigens, da wir gerade vomEnde" sprechen, ich beabsichtige wieder zum Wandelstab zu greisen, in acht Tagen reise ich."

Du? O Gott, Markus, dann sind wir ganz verlosten!" ruft sie.

Nicht doch, Liebe," antwortet er, den Arm um ihre Schulter legend, es ist alles aufs beste geordnet. Amerika ist nicht aus der Welt, und über's Jahr kehre ich wieder."

So weit und bis über's Jahr?"

Bis über's Jahr," antwortete er, und sein Blick fliegt in die Weite mit einem stolzen, glückseligen Aufleuchten, das sie nicht bemerkt, weil Tränen ihr die Augen trübe machen. Sie wird von Mathilde Berner abgerufen, und Markus schreitet allein in den Park hinein, dahin, wo er vor kurzem Inges schlanke Gestalt verschwinden sah; er folgt ihr zum ersten Mal seit Armands Tode absichtlich, und er findet sie; sie steht unten am Seeufer und starrt in die dunkle Flut, die ihr den Bräutigam nahm. Beim Geräusch seiner Schritte wendet sie sich, und ihre Blicke ruhen voll und lange ineinander Markus sieht, daß sie die Farbe wechselt und eine Bewegung macht, als wolle sie gehen, rasch ist er an ihrer Seite.

Bleiben Sie, Inge," sagte er sehr ruhig, die Hand leicht auf ihren Arm legend,bleiben Sie; ich komme ja nur, üm IhnenLebe­wohl" zu sagen. In acht Tagen gehe ich nach Amerika."

Sie bewegt die Lippen, ohne ein Wort hervor zu bringen.

Ist es wirklich Ihre Absicht, wie Anna mir gesagt; nicht im Klosterhof zu bleiben für immer?" fährt er fort.

Ich habe lange genug Gnadenbrot gegessen, ich muß jetzt versuchen, für mich selbst zu sorgen."

Sie gebrauchen da ein sehr hartes Wort, Inge. Ich meine, das hat Tante Marianne nicht verdient; außerdem, als Armands Braut und künftige Herrin, wo könnten Sie bester geborgen sein, als hier?"

Es soll keine Anklage sein, gewiß nicht," rief sie lebhaft,sie