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wird, die ihm gebührt, trotz der abweichenden Meinung einzelner sächsischer Staatsmänner. Wir wünschen ein taktisches Zusammengehen mit den Nationalliberalen. (Beifall links.) Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg: Man kann an dieser Stelle von mir weder einen Exkurs in sächsische Verhältnisse erwarten, noch eine Erklärung über das preußische Wahlrecht. Diese Dinge gehören vor den preußischen Landtag. Ebensowenig kann man von mir eine Auslassung über die Bekleidung der Minister bei der Reichstagseröffnung erwarten. Der Vorwurf gegen die nationalliberale Partei, die der Abg. Bassermann aus meinen gestrigen Ausführungen herausgelesen hat, ist, wie er sich seitdem vielleicht überzeugt haben wird, schlechterdings darin nicht zu finden. Wer wie ich die aus den Steuerkämpfen zurückgebliebene Verbitterung für ein Unglück hält, wird keine Vorwürfe erheben, die dieses Nebel verschärfen. Ich habe denn auch die Erklärungen der Abgg. Bassermann und Wiemer, daß ihre Parteien keine Politik der Verbitterung treiben wollen, mit großer Befriedigung begrüßt. Was die äußere Politik betrifft, so verzichte ich auf eine allgemeine Betrachtung über die Weltlage. Es ist auch nicht erforderlich, über so fest gegründete Verhältnisse zu sprechen, wie unsere Beziehungen zu Oesterreich. Auf einzelne spezielle Fragen wird der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amtes Antwort geben. Was das Marokkoabkommen mit Frankreich anlangt, so find wir seit seinem Abschluß in fortgesetztem Meinungsaustausch mit der französischen Regierung geblieben, und dem beiderseitigen guten Willen ist es gelungen, ein Ergebnis zu erzielen, das mich mit Zuversicht auch für die Zukunft erfüllt. Englische Staatsmänner und vor allem der jetzige Herr Premierminister habe in letzter Zeit wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß sie freundschaftliche Beziehungen zwischen Deutschland und England als eine wichtige Aufgabe weiser Staatskunst ansehen. Ich kann diese Erklärung auch an dieser Stelle nur aufrichtig und mit voller Ueberzeugung erwidern. Ich bin gewiß, daß wir uns dem beiderseits erstrebten Ziel umsomehr nähern werden, je freimütiger und loyaler diese Gesinnung in der Lösung von Fragen betätigt wird, welche die beiden Länder bewegen. Gegenüber dem Vertrauen, das in der Thronrede hinsichtlich des Bestandes des Dreibundes ausgesprochen ist, ist auf die unfreundlichen Stimmen hingewiesen worden, welche im Anschluß an die Begegnung von Racconigi in der italienischen Presse erhoben worden sind. Es hat sich aber dabei nur um eine Minorität der italienischen Presse gehandelt und es waren auch keine Wahrnehmungen zu verzeichnen gewesen, die erkennen ließen, daß die verantwortlichen Leiter der italienischen Politik
den Wert des Dreibundvertrags anders oder niedriger einschätzen als bisher. Entsprechend dem Geiste vollständiger Loyalität, die in unseren gegenseitigen Beziehungen herrscht, hat der italienische Minister des Aeußern Tittoni uns Mitteilungen über die Unterredung in Racconigi gemacht, welche ergeben haben, daß Italien in der Balkanpolitik keinerlei Ziele verfolgt, die mit unseren Verträgen in Widerspruch ständen. Auch die russische Regierung hat uns in Bekräftigung der vertrauensvollen Beziehungen, welche die beiden Regierungen mit einander verbinden und die in den wiederholten Begegnungen der beiden Monarchen in Erinnerung geblieben sind, Mitteilungen über den Inhalt und das Ergebnis der Unterredungen in Racconigi gemacht. Staatssekretär v. Schön weist darauf hin, daß die Marokkofrage in ein ruhiges Fahrwasser gelangt sei. In vielen Punkten se> mit Frankreich Uebereinstimmung erzielt und auch die Kongo-Frage gehe eine.r friedlichen Lösung entgegen. Gegenüber den Uebertreibungen alldeutscher Angriffe gegen den deutschen Botschafter in Amerika, Grafen Bernstorff, glaube er betonen zu müssen, daß diesem niemand zutrauen wird, daß er gegen gute deutsche Patrioten feindlich gesinnt ist. Abg. Scheidemann (Soz.) richtet scharfe Angriffe gegen die Regierung, wobei er gegen die Hohenzollern Beleidigungen ausstößt, wofür er vom zweiten Vizepräsidenten Prinzen zu Hohenlohe zur Ordnung gerufen wird. Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg legt gegen die Verunglimpfung preußischer Könige durch den Vorredner Verwahrung ein. Abg. v. Ga mp (Rp.) polemisiert gegen die Sozialdemokraten und rechtfertigt dann die Haltung seiner Partei bei der Reichsfinanzreform. Nach einigen Ausführungen des Abg. Fürst Radziwill (Pole) der gleichfalls seine Partei bezw. ihre Stellung zur Reichsfinanzreform verteidigt, erfolgt Vertagung. Morgen 11 Uhr Fortsetzung.
Berlin 10. Dez. Dem Reichstag ging ein Antrag Bassermannund Genossen zu auf Abänderung der Geschäftsordnung dahin, daß der Zeitpunkt der Besprechung von Interpellationen nicht lediglich vom Reichskanzler abhängt. Ferner soll ein Gesetzentwurf auf Abänderung der Reichsverfassung vorgelegt werden, wonach die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers für die gesamte Regierungstätigkeit des Kaisers ausdrücklich festgesetzt wird. Schließlich soll ein Gesetzentwurf vorgelegt werden, wonach die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers vor einem Staatsgerichtshof geregelt wird.
Berlin 10. Dez. Zu dem Frauen- mord wird noch gemeldet: Ein Schneider der in der Britzerstraße ein kleines Konfektionsgeschäft
betreibt, erklärte auf der Kriminalpolizei, da« schwarze Zacket, in das die Leichenteile eingewickelt waren, erkenne er, daß es von seinem Lager stamme. Er entsinne sich, daß das Kleidungsstück vor einiger Zeit bei ihm von zwei Frauen gekauft wurde. Er konnte eine ziemlich genaue Personalbeschreibung der beiden Frauen geben, und man darf vorläufig zu der Annahme berechtigt sein, daß die jüngere der beiden das Opfer des Verbrechens gewesen ist. Auch über die Motive der Tat lassen sich jetzt einige Rückschlüsse ziehen. Die Polizei vermutet, daß die beiden Frauen in der Gegend des Geschäftes des Konfektionärs gewohnt haben. Die ältere ist vielleicht eine Zimmervermieterin, bei der die jüngere, wahrscheinlich ein stellenloses Dienstmädchen Wohnung und Unterkunft gefunden hat. Ein weiterer Fund wurde gestern in der Spree an der Stelle gemacht, an der am Sonntag die Rumpfteile geländet wurden. Man fand ein kleines Stück Eingeweide, das vielleicht zu dem übrigen Funde gehört.
Berlin 10. Dez. Ein Rechtsanwalt, der gestern abend von einem Bahnhof in einer Droschke heimfuhr, ließ, darin seine Aktentasche mit 24000 Inhalt liegen.
Hamburg 10. Dez. Bei der Explo- sionmmrde ein in der Gasanstalt stehender Eisenbahnwagen der Geschwindigkeit eines Schnellzugs fortgeschleudert.
Standesamt Calw.
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30. Nov. Helene Wtlhelmine,. T. d. Friedrich Rieß, PostsekcetärS.
7. Dez. Luise Sofie, T. d. Ernst Friedrich Bitzer, Appreteurs.
7. „ Georg, S. d. Johann Michael Kappler,
Fabrikarbeiters.
8. „ Friedrich, S. d. Martin Hötzle, Tag
löhners.
G estorbene.
8. Dez. Friedrich Nothack-r, S. d. Friedrich Nothackcr, Landwirts 7 Monate alt.
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waren ja alle gut zu mir, zu gut, ich wollte, ich hätte es ihnen lohnen können, was sie an mir getan."
„Was haben Sie für Pläne?"
Sie zog die Achseln empor und sah hilflos, verzweifelnd in das leise glucksende Wasser.
„Sie haben gar keinen bestimmten Plan? So etwas dachte ich mir beinahe. Nun, Inge, versprechen Sie mir eines, unternehmen Sie nichts Unüberlegtes. — Ich habe Ihnen einst meine Freundeshand und Freundesschutz geboten; damals lehnten Sie beides ab, weil — ein anderer an Ihrer Seite stand. Das ist nun vorbei."
Sie schluchzte und legte die Hände über das Antlitz. Callein biß sich auf die Lippen, zwei scharfe Falten zeigten sich zwischen den Brauen an der Nasenwurzel.
„Ja — das ist vorbei," wiederholte er beinahe schroff, „darf ich Ihnen meinen Schutz noch einmal anbieten, ohne fürchten zu müssen, zum zweiten Male zurückgewiesen zu werden?"
„Ach, wenn Sie wüßten, wie elend, wie unglücklich ich bin!" rief sie.
' „Ich weiß es, Inge, ich kann es mir denken, kann es verstehen, deshalb finde ich auch den Zeitpunkt, an eine Aenderung Ihrer äußeren Verhältnisse zu denken, ungeeignet. Warten Sie damit, bis ich zurückkehre — ein Jahr vergeht so schnell. — Kann ich Ihnen aber früher nützen, bedürfen Sie meiner, eine Zeile, ein Wort von Ihnen führt mich zurück, ohne Zögern, so schnell es zu ermöglichen ist. Sehen Sie," fuhr er fort, „Tante Lie und Anna, beide lieben Sie, beiden ist Ihre Gegenwart ein Trost, eine Freude — verlassen Sie sie nicht; eine gute, eine warmherzige Frau kann überall im Leben einen Platz ausfüllen und Liebe säen, Inge. Haben Sie daran noch nicht gedacht?"
Ohne ihre Antwort abzuwarten, streckte er ihr die Hand hin. „Leben Sie wohl, Inge, seien Sie stark und tapfer. Wollen Sie? Der Mensch kann so vieles, wenn er will, auch einen tiefen Schmerz überwinden und
— sich selbst. Versprechen Sie mir, um was ich Sie gebeten?" Sie atmete hastig und schwieg, endlich sagte sie: „Ja." Leise, ganz leise, aber er hatte sie doch verstanden. Er küßte die schmale, blasse Hand, und er fühlte, wie sie unter der Berührung seiner heißen, trockenen Lippen zuckte.
Damit ging er, ohne noch ein Wort weiter an sie zu richten.-
Inge aber hob langsam den Blick, und dieser Blick folgte ihm, bis seine Gestalt hinter der breiten, dunklen Taxusheäe verschwunden war. —
Zu den Menschen, die ein bestimmter Zweck in die stille Umgebung des Klostersees geführt, gehörte in erster Linie Evelin Horst; sie hatte sehr fein gerechnet, die schöne Baronin, aber dieses Mal hatte sie das Spiel verloren, und als sie ein paar Wochen nach Armand Ferni's Tod in ihrem Boudoir auf ihrer Couchette liegend das überdachte, runzelte sie die Stirn und warf ein französisches Modejournal so heftig zu Boden, daß die Blätter und Modekupfer durch das Zimmer siatterten. Da meldete Meisel den Grafen Markus.
„Ich komme, Ihnen Lebewohl zu sagen, Baronin." Mit diesen Worten tritt Callein ins Zimmer. Er ist ganz schwarz gekleidet und trägt einen breiten Flor um den linken Arm.
»Ist Ihre Rolle auch ausgespielt? Ich dachte, die sollte jetzt erst anfangen!" ruft sie ihm brüsk entgegen. Er sieht sie mit einem erstaunten, kühlen Lächeln an.
„Sie scheinen sehr erregt, Baronin, und sprechen, Verzeihung, wenn ich so offen bin, sehr unüberlegt", 'sagte er. Sie antwortet nicht gleich und bedeutet ihm, Platz zu nehmen; er schiebt sich einen Schaukelstuhl zurecht.
„Weder das eine noch das andere trifft zu", ruft sie endlich. „Wenn Sie jetzt nicht bleiben, so paßt das eben nicht in Ihre Pläne."
„Pläne? Was verstehen Sie darunter?"
„Ich habe mich Ihnen gegenüber schon letzthin geäußert. Wir sollten wirklich nicht vor einander Komödie spielen," fährt Evelin fort, vor ihm hin und her gehend.
(Fortsetzung folgt.)