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wachsene Kinder, deren Mutter vor wenigen Wochen infolge einer Operation gestorben ist.

München 7. Dez. Im hiesigen Haupt­bahnhof ist ein einfahrender Vorortzug auf eine die Geleise überquerende Leermaschine auf- gefahren. 5 Personen, darunter der Heizer der Leermaschine, Eisenbahnbeamte und Geschäfts­leute erlitten mehr oder weniger schwere Ver­letzungen. Die Verletzten wurden im H aupt- bahnhofe verbunden und dann mittelst Droschken in ihre Wohnungen gebracht. Der Material­schaden ist ziemlich beträchtlich.

München 7. Dez. Infolge von Rauch­vergiftung wurden der Lokomotivführer und der Heizer eines Güterzuges im Arlbe r g- tuNHel plötzlich bewußtlos. Der Heizer zog im letzten Augenblick den Regulator. Bald darauf stand der Zug. So wurde ein großes Unglück verhütet.

Potsdam 7. Dez. Zwei Offiziere in Zivil, ein Oberleutnant und ein Leutnant des 4. Garde-Feldartillerie-Reg., die auf dem Heimwege die Spandauerstraße passierten, wurden in der Nähe des Lokals Colosseum von Unter­offizieren des3.Garde-Ulanen-Reg. angerempelt und da sie in Zivil und für die Angreifer nicht kenntlich waren, in Tätlichkeiten verwickelt. Während der Leutnant weniger verletzt wurde, hat der Oberleutnant erhebliche Verletzungen davon getragen. Die Angreifer flüchteten nach dem Kasernenhofe, wo schließlich ein sie ver­folgender Offizier die Persönlichkeit eines der Täter feststellen konnte. Er wurde als der Standartenträger des 3. Ulanen-Reg., Sergeant Mallinger von der 3. Eskadron sestgestellt. Mallinger wurde dem Militärgefängnis zugeführt. Wie von anderer Seite mitgeteilt wird, sind die verletzten Offiziere vorläufig dienstunfähig.

Berlin 7. Dez. (Reichstag.) Präsident GrafStolberg eröffnet die Sitzung um 1 Uhr. Am Bundesratstisch sind die Staatssekretäre v. Tirpitz, Frhr. v. Schön und Delbrück er­schienen. Das Haus ist sehr schwach besetzt. Die Besprechung der freisinnigen und der sozial­demokratischen Interpellationen betr. den Werft­betrieb in Kiel wird fortgesetzt. Abg. Latt- mann (Wschftl. Vgg): Der Staatssekretär hätte die auf der Werft gemachten Fehler etwas frei­mütiger anerkennen sollen, damit jeder Schein vermieden wird, als ob etwas vertuscht werden solle. Es wäre wertvoll, zu erfahren, wie hoch sich der Schaden beläuft, den die Werft durch diese Verhältnisse erlitten hat. Gerade in unseren Tagen müssen wir dazu beitragen, daß dem Volk die Freude an der deutschen Flotte erhalten bleibt. Abg. Werner (Rfpt.): Der Staatssekretär hat zugeben müssen, daß eine Reihe von Unregelmäßigkeiten vorgekommen sind,

namentlich hinsichtlich der Kontrolle. Die Fehler im System müssen beseitigt werden. Dann erst werden wir uns im Reichstage mit solch uner­quicklichen Dingen nicht mehr zu beschäftigen haben. Abg. S t r u v e (frs. Vgg.): Wir erkennen die Vorzüge der Verwaltung durchaus an. Der Herr Staatssekretär hat Wert darauf gelegt, in Kleinigkeiten Recht zu haben. Es ist keineswegs mit der nötigen Sparsamkeit gewirtschaftet worden. Vielfach sind alte Schiffe nach dem Ausland verkauft worden, obwohl sie nach den Bestim­mungen nur in das Inland verkauft werden sollen. Bei den Hebungen sollte man hinsichtlich des Materialverbrauchs ökonomisch verfahren. Die Angeklagten sind zwar in dem Prozesse freigesprochen worden, das System Tirpitz bleibt aber auf der Anklagebank, wenn auch der Staatssekretär die Unterschleife bestreitet. Ebenso bestreitet Herr v. Tirpitz, daß dem Kriminal­kommissar v. Wannowski 1°/° der im Zivilprozeß ausgeklagten Forderung als Belohnung ver­sprochen worden sei. (Präsident Graf Stolberg unterbricht den Redner, der fortwährendHerr v. Tirpitz" sage; es sei angemessener vomHerrn Staatssekretär" zu sprechen. Große Heiterkeit.) Es ist auch nicht berechtigt, wenn der Herr Staatssekretär (Heiterkeit) meint, die Werft­verwaltung sei in dem Prozeß nicht genügend zu Wort gekommen. Wir wollen, daß zwischen Offizieren und Beamten Vertrauen herrscht und daß zwischen der Flotte und der Werft gutes Einvernehmen besteht. Staatssekretär v. Tirpitz: Ich habe gestern nicht gesagt, es hätten keine Unterschleife stattgefunden, sondern habe aus­drücklich betont, daß die Unterschleife bei meinen Ausführungen ausscheiden. Der Umfang des Schadens ist schwer festzustellen. Jedenfalls ist er wesentlich geringer als in der Presse angenommen wird. Meine Angaben betr. den Assessor Frerichs sind dem amtlichen Stenogramm entnommen. Die Zeitungsberichte hierüber sind unzutreffend. Was den Verkauf alter Schiffe betrifft, so liegt die Frage so:Sollen wir die alten Ladenhüter verrosten lassen, oder lieber verkaufen?" Abg. Severing (Soz.): Wir waren der Meinung, daß bei dieser Gelegenheit alle Unregelmäßig­keiten, welche sich aus früheren Prozessen er­gaben, zur Besprechung kommen werden. Aus die Beschwerden von Arbeitern und Arbeiter­organisationen an den Staatssekretär ist bis heute noch keine Antwort eingelaufen. (Hört, hört! bei den Soz.) Mehrfach sind Betrüger und vorbestrafte Menschen auf den Werften an­gestellt worden. Arbeiter dagegen, die Beschwerde erhoben hatten, haben schleunigst ihre Kündigung erhalten. Das ist dereiserne Besen" des Herrn Staatssekretärs! (Hört, hört! bei den Soz.) Auf der Werft in Danzig ist noch heute Korvettenkapitän Simon in Amt und Würden. Jedenfalls, weil er ein besonders tüchtiger Be­

amter ist, der das Spionagesystem gegen die Arbeiter eingeführt hat. (Sehr gut! bei den Soz.) Wir verlangen Beseitigung der Günst­lingswirtschaft, sowohl der Arbeiter wie der Beamten. Geheimer Admiralitätsrat Harms. Die Kündigung des vom Vorredner entlassenen Arbeiters ist erfolgt, weil sich herausstellte, daß er sozialdemokratischer Agitator war. Auf eine nochmalige Frage, die der Abg. Leonhardt (frs. Vp.) an den Staatssekretär richtet, gibt der Staatssekretär die Mißstände bei der Verwal­tung des Altmaterials in Kiel zu. Doch was ich nicht zugebe, so fährt er fort, ist die Ver­allgemeinerung der erhobenen Vorwürfe auf anderen Werften und auf andere Zweige der Verwaltung. Abg. Erzberger (Ztr.) mißbilligt den Standpunkt des Geheimen Admiralitätsrat Harms hinsichtlich der Entlassung des Arbeiters aus dem Grunde, weil er sozialdemokratischer Agitator sei. Redner verlangt vom Staats­sekretär eine Erklärung dahin, daß er entschlossen sei, mit dem alten System völlig zu brechen. Nach einer Erwiederung des Staatssekretärs Tirpitz und weiteren Bemerkungen der Abgg. Legien (Soz.) und Struve (frs. Vg.) schließt die Besprechung. Ohne Debatte wird das Hand'elsprovisorium mit England in dritter Lesung definitiv erledigt, ebenso das Notgesetz betreffend den Z 15 des Zolltarifgesetzes (Relikten- Versicherung).

Berlin 7. Dez. Der unheimliche L eichen - fund an der Michaelisbrücke ist auch durch die Obduktion des Rumpfteiles nicht weiter aufge­klärt wqrden. Daß der Rumpfteil von einer Frauensperson herstammt, konnte nicht mit Sicher­heit festgestellt werden, ist aber höchstwahrscheinlich.

Berlin 7. Dez. Heute Morgen gegen 8 Uhr wurde in der Dreibundstraße südlich der Schultheiß-Brauerei TempelhpM Feld zwei in ein Korsett eingewickelte'Frauenarme gefunden. PolizeipatryMen mit Polizei­hunden sind bemüht, eine S>.n»s von der Person ausfindig zu machen, die dieses Paket an den Fundort niedergelegt hat. Man bringt diesen Fund mit der Frauenleiche in Zusammenhang, die am Sonntag unweit der Breslauerstraße aus dem Wasser gezogen worden ist. Wie weit dies aber zutrifft, muß erst die Untersuchung ergeben.

Berlin 7. Dez. Die auf dem Tempel­hofer Felde gefundenen Frauenarme hängen mit dem am Sonntag in der Spree gemachten Leichenfunde zusammen. Es kann kein Zweifel darüber obwalten, daß es sich um einen Frauenmord handelt und der Mörder die Leichen­teile mit größtem Raffinement verstreut hat, um alle Spuren zu verwischen. Mit welcher Ueber- legenheit der Täter vorgegangen ist, beweist die Tatsache, daß die Arme ausgekocht waren, um

Stiefel, bis hinauf an die Brust, einzelne Tropfen fliegen ihm in's Gesicht,

bleiben am Bart hängen.-Er kommt sich vor, als wandle er

im wachen Traum umher, es ist ihm noch immer unmöglich, sich von dem Ort loszureißen und heimzufahren, obgleich er das Rollen der anderen Wagen auf der Chaussee verklingen hört. Er kann nicht fort, es ist, als ob eine geheimnisvolle, unsichtbare Macht ihn hier bannt; er merkt es kaum, wie leer es neben ihm wird, wie auch die anderen ins Schloß zurückkehren, scheue Blicke nach ihm werfend, er merkt nicht, wie der Sturm allmählich nachläßt, und im Osten der fahle Frührotschein eines neuen Tages heraufdämmert.

Callein schauert zusammen. Ein neuer Tag und welch ein Tag! Was wird er bringen, was bergen die noch ungeborenen Stunden in ihrem Schoß?

Die Fläche des Sees ebnet sich, nur leichte Wellenköpfchen kräuseln sich dem Ufer entgegen, der Schein der aufgehenden Sonne färbt die weite glänzende Fläche purpurn, die grauen Wolken teilen sich, hier und da lugt ein Stückchen blauer Himmel hindurch, der Wald, drüben noch kahl, zeigt nun ganz zartgrünen Schimmer und in der Ferne ganz weit, da ragen die Zinnen des Klosterhofes, da ragt der schlanke Glockenturm der Ruine in die Luft.

Dorthin ist Calleins Blick gewendet und gleitet doch immer wieder auf den See zurück. Plötzlich zuckt er zusammen, es ist, als qjh ein Ruck durch die hohe, stolze Gestalt geht, er macht ein paar Schritte vor­wärts, stolpernd, unsicher, dann steht er wieder fest, legt die Hand über die Augen, und späht noch einmal scharf hinüber. Er sieht einen weißen Punkt, der auf dem leichtbewegten Wasser zu tanzen, hin und her zu gaukeln scheint. Die Sonne hebt sich langsam höher, der Himmel er­strahlt in glühender, glänzender Pracht, goldig gesäumte Cyrruswölkchen gleiten dahin.-Callein sieht alles das nicht, er sieht nur auf der

purpurgefärbten Wasserfläche den tanzenden, gaukelnden Punkt, dessen Weiß jetzt auch einen rötlichen Schein annimmt; der Punkt gaukelt und tanztjsweiter immer weiter nach dem reizenden Solitüde zu.

Callein hält eine Täuschung für ausgeschlossen, noch einmal sieht er hinüber. Seine Blicke bekommen etwas falkenartig Scharfes, jede Muskel in dem blassen, schmalen Gesicht ist gespannt jetzt er sieht's deutlich, ganz deutlich. Er zieht seine Uhr der Zeiger weist zwanzig Minuten nach vier. Ein paar Augenblicke noch steht er regungslos, dann wendet er sich und geht langsam, ohne noch einmal rückwärts zu schauen, die breiten Kieswege durch die vom Sturm zerzausten und zerpeitschten Sträucher nach d em Schloß zurück, um nach Hause zu fahren.

Zwei Stunden später ist Markus Callein auf dem Wege zum Kloster­hof; er fährt selbst und die Hufe der beiden Vollblüter berühren kaum den Boden.

15. Kapitel.

Der Ostermorgen, den Callein in all seiner Schöne hatte herauf­dämmern sehen, brachte eine Flut von Sonnenglanz und herber Frische auch in den Klosterhof Feiertagsstimmung drinnen und draußen.

Anna war, obgleich noch etwas angegriffen von der Influenza, doch am Kaffeetisch erschienen, den Mathilde Berner nach altem Brauch mit Weidenkätzchen und Osterblumen geschmückt hatte frische Weißbrötchen und feines Ostergebäck nebst Honig und Gelee fehlten nicht, und das sonnendurchleuchtete Eßzimmer machte einen feiertäglichen heiteren Eindruck.

Wo mag Armand sein? Ist er noch nicht auf?" fragte Anna ihren Platz einnehmend.Es ist gewiß wieder recht spät geworden gestern. Ich meine doch, Mathilde, ich sollte einmal mit Armand reden, er muß etwas solider werden."

(Fortsetzung folgt.)

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