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von Schachteln und Kapseln übermittelt erhalten, die den von dem angeblichen Charles Francis an die Generalstabsosfiziere gesandten nachgeahmt find. Die Schutzleute haben in allen Bezirken den Auftrag, unter Vorweisung dieser Nachahmungen bei den Hausbewohnern anzufragen, ob sie nicht bei irgend Jemand ähnliche Schachteln oder Kapseln gesehen haben.
Wien 26. Nov. Der Absender der Cyankali-Briefe ist jetzt festgestellt. Es ist ein in einer österreichischen Provinzstadt garni- sonierender Oberleutnant. Der Name und die Garnison sind der Behörde bekannt.
Wien 26. Nov. Heute Vormittag hat der erste österreichische Militär-Parseval- Ballon mit vier Personen an Bord seinen ersten Aufstieg gemacht, der sehr glücklich verlief, trotz Schneegestöbers und starken böigen Winden. Es wurde dann noch ein zweiter Aufstieg unternommen, der gleichfalls ein gutes Resultat ergab.
Budapest 26. Nov. Zu dem Ballon- Unglück bei Krasica wird gemeldet, daß dasselbe dadurch hervorgerufen sein dürfte, daß der Ballon in eine wütende Bora kam, in das Gebirge getrieben wurde, wodurch die Hülle verletzt wurde und der Ballon aus beträchtlicher Höhe hsrabstürzte.
Paris 26. Nov. In dem Dorfe Parisot bei Toulouse hielt der Ortsgeisttiche eine Predigt gegen die vom Staate eingeführten Schulbücher, worauf die fanatische Volksmenge vor die Kommunal-Mädchenschule zog, um die Bücher zu vernichten. Die Schulvorsteherin hielt den Anstürmenden zuerst wacker stand und auch der Bürgermeister und ein Gemeinderat suchten begütigend einzuwirken. Schließlich mußte die Schule aber zur Vermeidung größerer Ausschreitungen geräumt werden. Die Ober-Schulbehörde hat eine Untersuchung eingeleitet. Auch auf Algerien hat der Schulstreik übergegriffen. In der Stadt Algier konfiszierte der Abbö Moreau einem Schulknaben das vom Staate vorgeschriebene Lehrbuch der französischen Geschichte, das er als unmoralisch und obscön bezeichnete. Die Eltern legten sich ins Mittel, konnten aber das Buch von dem Abbe nicht zurück erlangen. Der Polizei-Kommandant wurde von den Eltern benachrichtigt. Dieser verständigte die Schulbehörde und den Präfekten, die weitere Schritte gegen den Geistlichen einleiteten. Der Schullehrer-Verband von Algier hat einstimmig beschlossen, nur solche Bücher zu benützen, die von den Bischöfen verboten sind.
London 26. Nov. Empire Review veröffentlicht einen rühmenden Artikel über Staatssekretär Dernburg und dessen Londoner Reden. Der Artikel schließt: Die Zukunft Großbritanniens
und Deutschlands ist nicht getrennt voneinander. Wir wollen lieber Verbündete sein und, während wir jeder Nation das Recht zuerkennen, das handelspolitische System anzuwenden, das den besonderen Bedürfnissen am besten entgegenkommt, zusammen voranschreiten unter dem Banner des Friedens und des gegenseitigen guten Willens. Reden wie die Dernburgs führen diesem Ziel entgegen. Je mehr Deutsche und Engländer einander kennen lernen, desto bester werden wir einander wahrscheinlich verstehen können und desto schneller werden jene Eifersüchteleien und der Argwohn verschwinden, die in den letzten Jahren jener vollkommenen Harmonie entgegenstanden, die zu fördern im Interesse beider Länder ihr Ehrgeiz und das Ziel der Engländer und der Deutschen sein sollte.
Petersburg 26. Nov. Anläßlich der Millionen-Unterschleife bei der Moskauer Intendantur wurde auf Veranlassung der Militär- und Gerichtsbehörde bei Verwandten der Hauptangeklagten Haussuchungen vorgenommen und zahlreiche Dokumente beschlagnahmt. Bei einem Obersten wurden 170 000 Rubel beschlagnahmt, desgleichen eine große Geldsumme und wertvolle Brillanten bei einer Tänzerin, der Freundin eines Obersten Giss.
Peking 26. Nov. Im Kaiser-Palast ist zwischen den Witwen der verstorbenen Kaiser Tungtschi und Kwangsu ein ernster Zwist wegen einer Etikettenfrage ausgebrochen. Sie streiten sich um den Vorrang bei Hofe.
Vermischtes.
— Ein reiches Vermächtnis hat Ernst v. Wildenbruch der Allgemeinen Deutschen Schillerstiftung hinterlassen: Nach der testamentarischen Bestimmung des Dichters wird die Stiftung nach dem Tod seiner Witwe in den Besitz des Wildenbruch'schen Vermögens treten. Dieses beziffert sich jetzt auf 400 000 wird sich aber noch durch den Erlös aus den Werken des Dichters erhöhen.
Die Riesenkosten des Panama- Kanals! Aus New-Aork wird berichtet: Lebhaftes Aufsehen erregt die Ankündigung des Regierungs-Jngeniers Colonel Gerthals, nach der die bisher für den Panama-Kanal ausgesetzten Kredite bei weitem nicht ausreichen. Nach den neuesten Berechnungen und dem veränderten Stand der Dinge werden in der nächsten Zeit weitere 500 Millionen Mark für das Panamaprojekt gefordert werden müssen, sodaß die Gesamtkosten auf rund 1500 Millionen, also nahezu das Doppelte der ursprünglich veranschlagten Summe anwachsen. Die neue Uebersteigung des Voranschlages wird durch unvorhergesehene
Schwierigkeiten und die steigenden Materialkosten und Arbeitslöhne begründet. Der ursprüngliche Entwurf enthält die Bedingung, daß alles Material amerikanischen Ursprungs sein muß, das bedeutet eine erhebliche Verteuerung, weil viele Materialien außerhalb der Vereinigten Staaten zu bedeutend billigeren Preisen beschafft werden könnten. Mit den Verhältnissen vertraute Fachleute sind der Ansicht, daß die bitteren Ueber- raschungen, die den Amerikanern in finanzieller Beziehung beim Kanalbau nicht erspart geblieben sind, auch mit dieser neuen Ueberschreitung des Voranschlages nicht erschöpft sein werden. Als Lesseps vor Jahren in Paris die Ansicht aussprach, daß der Panama-Kanal bis zur Vollendung 2 Milliarden verschlingen würde, begegnete man diesem pessimistischen Urteil mit überlegenem Lächeln. Heute ist man sich im Stillen darüber einig, daß Lesseps mit seiner Vorhersage nur allzu recht behalten hat. Die Amerikaner wählten seinerzeit entgegen dem Urteil der angesehensten Ingenieure der Welt das Schleusensystem und lehnten einen Niveaukanal als zu teuer ab. Die Kosten eines Niveaukanals waren auf 1060 Millionen berechnet; der „billigere" Schleusenkanal hat heute bereits 1500 Millionen verschlungen. Es mehren sich chie Stimmen, die die Ansicht vertreten, daß die Umwandlung des Schleusensystems in einen Niveaukanal noch heute möglich sei und auch heute noch eine erhebliche Verbilligung der so schlecht vorausberechneten Kosten bedeuten würde.
DasDoradoderEhescheidungen. Nicht Nordamerika, wie es vor einiger Zeit hieß, sondern Japan ist das Land, das die größte Zahl der Ehescheidungen aufzuweisen hat. Nach den Aufstellungen des Kaiserlichen Statistischen Amtes in Tokio betrug die Zahl der geschiedenen Ehen im Jahre 1908 nicht weniger als 61058 oder rund 170 täglich. Das ist immerhin noch etwas weniger als im vergangenen Jahre, wo man 65 398 Scheidungen zu verzeichnen hatte. Bei einer Bevölkerung von noch nicht fünfzig Millionen Eingeborenen ein recht ansehnlicher Prozentsatz!
Seltsame Ehepflichten. Ueberallerlei wunderliche Bedingungen, unter denen bisweilen Ehen geschlossen werden, weiß eine englische Zeitschrift in einer amüsanten Plauderei Lustiges zu erzählen. So konnte man vor kurzem vor einem Newyorker Konfektionsgeschäft einen großen, wohlgebauten Mann sehen, der in tadellos sitzender Kleidung stundenlang von den Schaufestern des Geschäfts auf und ab schritt und die Bewunderung aller Passanten herausforderte. Der ausdauernde Dandy war niemand anders als der junggetraute Gatte der klugen Geschäftsinhaberin, die bei der Verknüpfung ihres Lebensweges mit dem des herkulischen Elegants die
„Evelin — Kind."
Die dicke Frau Veltlin zuckte die Achseln, lächelte dazu und hatte einen Ton, in dem gutmütiger Spott und Humor durchklangen.
„Ja, ja, Tante Carolin, eine Liebe, davon bin ich überzeugt, und
ich glaube auch ziemlich richtig zu vermuten, wer die Betreffende ist."
„Nun?" fragte sie noch einmal.
»Inge v. Herrnstein," entgegnete Evelin Horst trocken.
Die heilige Cäcilie wäre beinahe zur Erde gefallen, so verdutzt war die dicke Dame bei Eoelins Mitteilung.
„Was denn, was denn, Kind? Inge Herrnstein, die kühle, lilienschlanke Inge, die Braut Fernis? Du spaßst!" rief sie lustig.
„Ich spasse gar nicht, und ich glaube sogar, daß ich mich nicht einmal irre — aber freilich positive Gewißheit habe ich noch nicht."
Frau Veltlin stellte die heilige Cäcilie auf den Teppich, setzte sich auf den kleinen Sessel vor Eoelins Toilettentisch und brach in ein nur mühsam gedämpftes Lachen aus, lachte und lachte, bis ihr große, dicke Tränen aus den runden Augen über die fetten Wangen hinabkollerten. Evelin sah sie überrascht an und krauste unmutig die Stirn.
„Aber, Tante Carolin, was ist denn dabei so furchtbar Lächerliches ?"
„Was daran Lächerliches ist?" Na höre, Kind, wenn Du das nicht herausfindest, dann begreife ich Dich nicht," versetzte die alte Dame, sich die Augen trocknend. „Wenn Callein Inge und sie ihn liebte, das wäre doch eine brillante Lösung ohne jeden tragischen Beigeschmack."
„Unsinn! Wenn, wenn — ja, wenn diese vielen „wenn's" nicht wären; erstens, wenn ich wirklich recht hätte, zweitens, wenn Inge auch Callein liebte, und drittens, wenn diese Inge eine andere wäre, als sie ist. Und dann, wird diese Liebe CalleinS, so ernst sie momentan ist, von Dauer sein und dann — Armand ist sein Vetter und Jugendfreund."
„Evelin, Du sprichst heute abend wie ein Backfisch von sechzehn Jahren. Wenn eine Frau oder ein Mädchen einem Mann wie Callein gefällt, dann kehrt er sich wohl nicht an Jugendfreunde und Vetternschaft."
Die junge Frau nickte ein paarmal zustimmend, und vor ihrem Geiste wuchsen neue Luftschlösser empor. Sie sah sich im Traume als Armand Fernis Gattin in glänzenden, gesicherten Verhältnissen, die ihr jeden Luxus gestatteten, sie sah sich als Gattin dieses schwachen, unselbständigen Mannes, den sie bald ganz beherrschen, ihren Wünschen und Launen gefügig machen würde, sie träumte von einer angesehenen, gesicherten Stellung in der Gesellschaft, sie träumte von Brillanten, Spitzen, fabelhaften Toiletten, von einem Aufenthalt in Paris, Cannes, Monte Carlo und träumte von neuen, glänzenden Triumphen; das alles würde sie genießen als Gemahlin eines vornehmen, eleganten Mannes, dessen Reichtum und Name jede Extravaganz seiner schönen Frau vor der Welt deckte. Die Schutzlosigkeit, die Mißdeutungen würden aufhören, wenn sie einen Gatten zur Seite hatte.
So träumte Evelin Horst, während sie fest in ihr weiches, warmes Negligee gewickelt, sich in den Lehnstuhl schmiegte und den kleinen Fuß mit dem roten Saffianpantoffel leise auf und ab wippen ließ.
Anderer Art, wenn auch nicht minder kostspielig in der Verwirklichung für Armand, waren die Träume, die Frau Veltlin träumte, während sie den Kopf in die dicke, weiße Hand stützte und ihr volles, puder- überstäubtes Gesicht in dem schimmernden Kristallspiegel auf dem Toilettentisch betrachtete. Sie war mittlerweile auch etwas müde und mürbe geworden, die gute Tante Carolin, und sehnte sich nach einem ruhigen Altersabend, in einer hübschen, eleganten Etage in Berlin, Wien oder Dresden, mit einer perfekten Köchin, einer geschickten, freundlichen Kammerzofe und einem kleinen Diener. Eventuell würde sie auf den Diener verzichten, wenn nur die Köchin in ihren Leistungen über jeden Tadel erhaben war — sie würde sich schon einrichten. Mt zwölf- bis fünfzehnhundert Mark würde sie auskommen, Opfer sollte der gute, kleine Ferni für sie nicht bringen — das „Kind", ihre reizende Evelin, würde ihn ohnehin schon Unsummen kosten.
(Fortsetzung folgt.)