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vor dem Schwurgericht hier zur Verhandlung, Am 13. August d. I. abends 9 Uhr waren die beiden Bahnwärter Schmälzte und Wöhr vom Posten 47 bei Illingen O.A. Maulbronn in Streit geraten und dabei kam Wöhr unter den heranbrausenden Schnellzug, wurde überfahren und getötet. Des Totschlags angeklagt stand nun heute der 44 Jahre alte, verheiratete Bahnwärter Schmälzte vor den Geschworenen. Die Anklage beschuldigt ihn, er habe an jenem fraglichen Tag den Wöhr, mit dem er aus verschiedenen Gründen sehr verfeindet war und mit dem er einen Wortwechsel hatte, an der Brust gepackt und ihn aufs Gleis geworfen, wo der Mann regungslos liegen blieb. Trotzdem der Schnellzug von Vaihingen her in nächster Nähe war, habe Schmälzte den Daliegenden weder zurückgezogen, noch auch der Frau des Wöhr, die dies tun wollte, dabei geholfen, und so habe Schmälzte absichtlich den Tod des Wöhr veranlaßt. Nach der Darstellung des Angeklagten sei Wöhr, nachdem er ihm die geschloffenen Wegschranken geöffnet hatte, zu ihm getreten, und nun sei ein Wortwechsel entstanden, in dessen Verlauf Wöhr dem Schmälzte einen Backenstreich gab; er (Schmälzte) habe ihn nicht erwidert, sondern habe mit Frau Wöhr disputiert. Wöhr sei ihm nun aus den Augen gekommen und er habe ihn auch nicht am Gleis liegen sehen, ebenso habe er nur einen Hilferuf der Frau Wöhr vernommen, aber nicht darauf geachtet, da er glaubte, Wöhr sei nach Illingen gegangen. Wenn er den Wöhr hätte liegen sehen, so hätte er ihn sicher weggezogen. Demgegenüber bekundete aber die Frau Wöhr, daß Schmälzte, nicht nur ihren Mann, sondern auch sie bei dem Streit geschlagen habe und daß ihr Mann auf dem Gleis lag, als sie sich eben umgedreht und das Blut von ihrem Gesicht gewischt hatte. Schmälzte sei vorher drohend auf ihren Mann zugegangen, ob er ihn aber aufs Gleis gestoßen habe, das wisse sie nicht. Sie habe mehrmals um Hilfe gebeten und Schmälzte hätte wohl Zeit gehabt, ihren Mann mit bei Seite zu schaffen, wenn er gewollt hätte. Die Zeugen können zur Tat selbst nichts sagen, wohl aber über den Eindruck, den das Benehmen des Angeklagten ihnen nach der Tat machte und über die Aeußerungen, die derselbe zu dem und jenem getan hat und nach denen er kein reines Gewissen zu haben schien. Die Geschworenen bejahten die Frage auf fahrlässige Tötung; das Urteil lautete auf 1'/- Jahre Gefängnis abzüglich 3 Monate Untersuchungshaft.
Nendingen O.A. Tuttlingen 25. Nov. In der Nacht vom 18. auf 19. November wurden im hiesigen Rathause ca. 60 ^ gestohlen. Der Dieb schlug ein Fenster ein im Wachlokal,
sprengte die Türe und holte sich eine Axt im angrenzenden Farrenstall. Mit dieser erbrach er das Amtszimmer des Schultheißen und stahl dort das Geld.
Ulm 25. Nov. Bei der gestrigen Versteigerung des Ulmer Gefälles an Häuten und Kalbfellen wurden folgende Preise erzielt: Kuhhäute 64'/-—66'/- Kalbelhäste 66 bis 67'/- A Ochsenhäute 63—65 x), Stierhäute 60'/- Farrenhäute 51—58'/- für Kalb
felle wurde pro Pfund 124—125 ^ erzielt.
Ravensburg 25. Nov. Bei der Wirtschaft zur „Mühlbruck" begegnete gestern vormittag ein Auto dem Milfuhrwerk vom Riesenhof. Letzteres wich nicht nach der rechten Seite hin aus und, um einen Zusammenstoß zu verhindern, war dadurch der Chauffeur gezwungen, rasch nach links auszuweichen. Dabei kam das Kraftfahrzeug bei dem gefrorenen Weg ins Rutschen und stieß auf das Wirtschaftsgebäude. Während das Automobil ganz erheblich beschädigt wurde, scheinen der Chauffeur und die Insassen mit dem Schrecken davongekommen zu sein.
Buchau 25. Nov. Der starke Schneefall hat für die Bahnverwaltung bedeutende Anstrengungen zur Aufrechterhaltung des Verkehrs gebracht. Noch zu später Abendstunde wurden die Bahnarbeiter aufgeboten, um die Strecke Buchau-Schuffenried frei zu machen. Der Einschnitt nach der Haltestelle Sattenbeuren war fast ganz zugeweht. Der letzte Zug gestern abend kam nicht durch und mußte die letzten Wagen abhängen, um wenigstens die Reisenden zur Station Schussenrird zu befördern. Um '/-IO Uhr wurde der stehengebliebene Teil des Zuges dann vollends auf den Bahnhof gebracht. — Auch heute früh gelang es dem Maschinenführer nur mit Volldampf den Zug durch die Schneemassen durchzuzwängen. Für die Reisenden ist es ein hübscher Anblick, an den Schneewänden, die dicht an die Wagenfenster heranreichen, vorüber zu fahren.
München 25. Nov. Der Justizminister erklärte in der heutigen Kammersitzung, daß in Bayern die Zahl der Gefangenen immer mehr ab nimmt und jährlich von 8200 auf 5500 gesunken ist. Infolgedessen ist die Aufhebung mehrerer Strafanstalten erfolgt.
München 25. Nov. Infolge der großen Schneefälle der letzten Tage haben mehrere Lokalbahnen den Betrieb einstellen müssen. Die Münchener Straßenreinigungsgesellschaft beschäftigte weit mehr als 2000 Schneeräumer.
Aus Bayern 25. Nov. Vor einiger Zeit ging das Gerücht, im Gefängnis zu Weißenhorn sei ein inhaftierter Maurer vom Ge
fängniswärter so mißhandelt worden, daß er gestorben sei. Wie nun festgestellt wurde, ist der Mann, der tobsüchtig wurde und mit Wagen in Begleitung seiner Angehörigen in eine Anstalt geschafft werden sollte, auf dem Transport an Herzlähmung gestorben. Die an ihm wahrgenommenen Male rührten vom Anstoßen in der Zelle während seiner Anfälle her. Der Fall hat seiner Zeit großes Aufsehen erregt.
Paris 25. Nov. Der „Matin" veröffentlicht Einzelheiten über das neue Flottenprogramm und teilt mit, daß demnächst in Brest und Lorient 2 Panzer von je 23000 Tonnen gebaut werden. Zu diesem Zweck wird die Kammer um die Bewilligung von 500 Millionen für 1910 ersucht werden. Die Panzer bilden einen Teil des Programmes, welches im Januar nächsten Jahres dem Parlament zur Begutachtung unterbreitet werden wird. Die neuen Panzer werden die stärkste Offensivgewalt haben, welche bisher erreicht wurde und gleichzeitig das Maximum der Unüberwindlichkeit darstellen, wie es sich aus den Schießversuchen gegen das Panzerschiff „Jena" ergeben hat. Das neue Programm sieht für 1915 die Bewilligung von Iß Panzerschiffen vor, darunter 12 Dreadnoughts. Der Bäu der neuen Schiffe wird in der Weise erfolgen, daß je 2 Panzerschiffe gleichzeitig auf Stapel gelegt werden und zwar von 1910 an. Der Bau der einzelnen Schiffe darf nicht länger als 3 Jahre dauern.
Wien 24. Nov. Kaufleute, die aus Rußland hier eintrcffen, berichten übereinstimmend, daß an der Westgrenze Rußlands wichtige militärische Vorkehrungen getroffen werden. Die russischen Militär-Behörden verstärken mit größter Beschleunigung die Grenzbefestigungen. Es finden fortgesetzt Truppen-Jnspektionen durch hohe Offiziere statt. Wie in militärischen Kreisen verlautet, sollen alle Festungen in Russisch-Polen den modernen Anforderungen entsprechend vollständig umgestaltet werden.
Wien 25. Nov. Im Laufe des gestrigen Tages wurden zwei weitere Giftsendungen aus der Provinz gemeldet. Dies sind bisher 10 amtlich konstatierte Sendungen. Dazu kommt der Fall eines in Wien stationierten Offiziers, der den Brief samt Inhalt achtlos wegwarf.
Wien 25. Nov. In der Untersuchung wegen des Giftmordanschlages gegen Generalstabsoffiziere, ist nach einem der Behörde vorliegenden Anhaltspunkte in allernächster Zeit eine Klarstellung zu erwarten.
Prag 25. Nov. Das seit drei Tagen in Nordböhmen herrschende Schneetreiben hat sich zu einem fürchterlichen Schneesturm entwickelt. Der Verkehr stockt in den Gebirgs-
„Was daraus werden soll? Mein Gott, Tante Lie, das ist doch nicht so schwierig herauszufinden, ich habe es Anna neulich schon gesagt. Sie sollen das Verlöbnis auflösen."
Gräfin Lie erhob abwehrend die Hände. „Aber Markig, wo denkst Du hin? Das würden beide nie tun!"
„Warum nicht, Tante Lie? Sage mir einen stichhaltigen Grund, warum nicht?" rief er.
„Weil sie sich im Grunde doch lieben, Armand und —"
„Sich lieben? Wenn Du es glaubst, Tante Lie, ich glaube es nicht," sagte er rücksichtslos schroff, während ihn die Gräfin ganz sprachlos vor Schreck ansah. ^
„Was in aller Welt soll sie denn aber zusammengeführt haben?"
„Ich habe es Dir ja schon vor Wochen gesagt: Zwei Faktoren, die sehr oft bei dergleichen Lebensentscheidungen maßgebend sind, die Langeweile und die Einbildung," erwiderte er achselzuckend. „Und nun, leb wohl Tante Lie, und was wir gesprochen, bleibt unter uns, wenigstens vorläufig."
Er küßte der Gräfin die Hand. Beim Fortreiten bog er dann um das Haus und ritt unter dem Giebel vorbei, in dem Inges Zimmer lag. Oben hinter den Scheiben gewahrte er eine schwarze Gestalt und ein blaffes Gesicht, er zog den Hut ehrfurchtvoll, wie vor einer Königin und sprengte zum Entsetzen des alten Gärtners, der gerade mit dem Einbinden des Weines beschäftigt war, quer durch den Garten; elegant nahm der Rappe die Weißdornhecke und sprengte über das Feld, daß die Ackerkrume hinter ihm auffiog.-
Inge wartete Stunde um Stunde vergebens auf Armand; die Kopfschmerzen, die sie am Vormittag vorgeschützt, um einer Begegnung mit Callein auszuweichen, hatten sich nun durch die Erregung vergeblichen Wartens wirklich eingestellt und sie lag mit einem Leinentuch um die Stirn und mit brennend schweren Augenliedern in ihrem halbverdunkelten Zimmer, als Gräfin Lie's Kammerjungfer ihr einen Brief brachte. Er
war von Armand; mit zitternden Händen, sich halb aufrichtend, löste sie das Siegel, während das Mädchen ein Licht neben ihr Lager stellte. Bei dessen. Schein las sie folgendes:
Liebste kleine Inge!
„Die Regelung einer notwendigen und dringenden Angelegenheit ruft mich nach Berlin. Es ist etwas wegen Quösdorf, ich werde es Dir mündlich auseinandersetzen, einige Tage werde ich wohl fortbleiben müssen. Laß Dir die Zeit nicht lang werden, Kleine. Hoffentlich geht es Dir gut. Ich küsse Dich und lege mich Tante Lie ehrfurchtsvoll zu Füßen.
Zärtlichst Dein Armand."
„Wartet der Bote auf Antwort?"
„Nein, gnädiges Fräulein, er ist gleich fortgeritten."
„Es ist gut! Schließen Sie die Vorhänge und lasten Sie das Licht brennen."
Dann war sie wieder allein. In ihrem Herzen quoll ein Gefühl der Bitterkeit hervor, daneben versuchte sie ihn zu entschuldigen. — Vielleicht hatte er wirklich keine Zeit mehr gefunden, ihr Lebewohl zu sagen. Vergleiche wollten sich ihr aufdrängen, sie wies sie von sich, und endlich floh sie vor ihren wirren, quälenden Gedanken hinunter zu Gräfin Lie. Als sie von der Treppe aus die Halle betrat, fiel ihr Blick auf das von der Hängelampe beleuchtete Bild des toten Grafen Callein. Eine unsichtbare Macht hemmte ihren Schritt, und ihre Augen hefteten sich auf die trotzigen Züge und glitten von da hinab zu dem kurzen Wahlspruch des Wappenschilds: „Volo." Kein anderer Wahlspruch hätte bester für den dort und für den Urenkel gepaßt. „Volo!" „Ich will!"
An diesen Worten richtete sich auch ihre eigene Willenskraft auf. „Ich will es versuchen, mit ihm und durch ihn glücklich zu werden und ihm das Glück zu geben, das seine Mutter für ihn ersehnt und erfleht. — Auch ich will."
(Fortsetzung folgt.)