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lagsanstalt aus der Verzinsung der baren 1 200000 ^ einen Gewinn zu erwarten, der eine Verbesserung der Dividende um 1 °/° ausmachen würde. Fabrikant M. Wolf führte hierauf aus: Das vorgeschlagene Abkommen sehe auf den ersten Blick nicht schlecht aus, man müsse aber berücksichtigen, daß beide Zeitungen, wie seither, künftighin nebeneinander bestehen sollen, und daß namentlich, wenn die W. Z. als Morgenblatt erscheinen soll, mit einer weiteren erheblichen Verschlechterung zu rechnen wäre, wenn sie in absehbarer Zeit nicht überhaupt verschwinden würde, denn für zwei derartige große Zeitungen sei wohl nicht Raum genug vorhanden. Andererseits seien die seitherigen Verluste des Tagblatts nicht so erheblich, daß eine Fusion angezeigt erschiene; das Tagblatt hätte wohl noch einige Jahre zusehen können. Es wäre jedenfalls eher in der Lage, diese Verluste zu tragen, als die W. Z. Komm.-Rat v. Dörtenbach erwiderte, es stehe noch keineswegs fest, daß das Tagblatt als Abend-, die W. Ztg. als Morgenblatt erscheinen solle. Was das Aushalten des N. T. anbelange, so möchte er darauf Hinweisen, daß der Reservefonds des Tagblatts aufgezehrt sei, ebenso auch der Reservefonds der Verlagsanstalt. Bezüglich der Frage der Kapitalkraft der W. Ztg. glaube er sagen zu können, daß dieselbe eine sehr bedeutende sei; die Gesellschafter fitzen zu einem großen Teil in Heilbronn und setzen sich aus den angesehensten Persönlichkeiten der Stadt Heilbronn zusammen, nebenbei auch aus einigen Zeitungsfachleuten von auswärts, deren Sachkenntnis gerade dem künftigen Unternehmen zum Vorteil gereichen dürfte. Nach einigen weiteren Bemerkungen des Aktionärs Bofinger wurde der eingangs erwähnte Antrag auf Ermächtigung des Vorstands und des Aufsichtsrats zum Abschluß des Fusionsvertrags einstimmig angenommen. Fabrikant Wolf gab noch dem Wunsche Ausdruck, daß das der Verlagsanstalt aus der Transaktion zugewiesene Kapital nicht zu neuen Verlagsunternehmungen, sondern zur Modernisierung der technischen Einrichtungen der Verlagsanstalt verwendet werden soll. Die Bilanz der Verlagsanstalt wurde sodann gutgeheißen und dem Antrag auf Verteilung einer Dividende von 4 °/° zugestimmt. Die infolge der Fusion nicht mehr nötig gewordene Abschreibung von 200 000 an den Tagblattaktien kommen jetzt an den Papierfabriken in Salach und Süßen zur Abschreibung. (Schw. M.)
Stuttgart 23. Nov. (Schwurgericht.) Die Tat eines betrogenen Mädchens beschäftigte heute das Schwurgericht. Angeklagt des versuchten Totschlags war die 20 Jahre alte Anlegerin Frida Kenner von Eßlingen Sie unter- hielt 5Jahre lang mit dem Koch Karl Staudacher.^
ein Liebesverhältnis, das nicht ohne Folgen blieb. Staudocher bekümmerte sich wenig um das Kind. Die Angeklagte hoffte, Staudocher werde sie heiraten, sie sah sich aber in ihren Hoffnungen getäuscht. Staudocher fing mit einem anderen Mädchen ein Verhältnis an. das gleichfalls nicht ohne Folgen blieb. Am Samstag, 4. September kam sie nach Obertürkheim, wo Staudocher damals als Soldat einquartiert war. Es kam zwischen beiden zu einer heftigen Auseinanders, tzung, Staudochrr bezweifelte die Vaterschaft des Kirdes und beschimpfte das Mädchen. Die Angeklagte war sehr empört über diese Behandluvgsweise. In ihrer Erregung fuhr sie am anderen Tage nach Obertürkheim und gab auf Staudocher, als er vom Appell wegt- at, aus einem mit b Patronen geladenen Revolver aus nächster Nähe einen Schuß ab, der ihn aber nicht traf, da er auszuweichen vermochte. Dann richtete sie den Revolver gegen sich, er wurde ihr ober noch rechtzeitig von einem Soldaten enir ffen. Nach der Tat erklärte die Angeklagte, sie habe den Vorsatz gehabt, Staudacher zu töten. Das Geständnis hielt sie auch in der Voruntersuchung aufrecht. Bet der Verhandlung fügte sie bei, sie könne nicht wehr sagen, was sie gedacht habe, als sie auf Staudacher ge> schossen habe Vor der Tat hatte sie geäußert, sie wolle Staudacher einen Denkzettel geben. Sie wolle ihn im Gesicht verunstalten. Die Angeklagte ist ein zartes Mädchen, sie macht einen günstigen Eindruck. Der Staatsanwalt beantragt Schuldigsprechung im Sinn der Anklage und Zubilligung mildernder Umstände, der Verteidiger Freisprechung. Die Geschworenen verneinten die Schnldfrage, worauf Freisprechung erfolgte.
Welzheim 21. Nov. JnRudersberg konnten dieser Tage zwei Ehepaare die Feier ihrer goldenen Hochzeit begehen, und zwar Hasnermeister Fritz und Frau und das Deuschle- 'sche Ehepaar auf dem Waldenstein. Den beiden Jubelpaaren hatte der König nebst seinen Glückwünschen ein Geschenk übermitteln lassen. In Rudersberg haben in diesem Jahre 4 Ehepaare die goldene Hochzeit gefeiert.
Metzingen 23. Nov. Am Sonntag vormittag 10 Uhr entstand, vermutlich durch Selbstentzündung, in der Wollspinnerei der Tuchfabrik von Gänßlen und Völter ein Brand, der eine volle Stunde wütete, bis ihm Einhalt geboten werden konnte. Der entstandene Materialschaden wird auf etwa 50000 ^ geschätzt.
Gmünd 23. Nov. Gestern abend erfolgte im kleinen Stadlgartensaal die Gründung eines Bezirkswohltätigkeitsvereins. Die Versammlung wurde äußerst zahlreich von Geistlichen und Orts Vorstehern besucht. Der Vertreter der Zentralleitung, Oberregierungsrat v. Fa Ich aus Stuttgart, sprach über das Verhältnis von Bezirkswohltätigkeitsverein und Zentralleitung. An diesen Vortrag schloß sich eine ausgedehnte Aussprache, in der Spitalarzt
Dr. Wörner, Dekan Saile, Dekan Faber aus Aalen, Oberbürgermeister Möhler, Pfarrer Dörnfeld von Spraitbach, Stadlpfarrer Jäger von Heubach, Schultheiß Rohleder von Lautern und Regierungsrat Rau sprachen. Anschließend wurde sofort die Satzung beraten. Der Verein wird ins Vereinsregister eingetragen. In den Ausschuß wurden aus der Zahl der Bezirksangehörigen gewählt Stadtpfarrer Ummenhofer, Kommerzienrat Erhard, Pfarrer Nußer von Waldstetten, Schultheiß Baader von Straßdorf und Stadtpfarrer Jäger von Heubach. Oberregierungsrat v. Falch äußerte sich in bemerkenswerter Weise über die Bekämpfung der Tuberkulose. Die Absicht der Zentralleitung ist es, auch den unbemmittelten Kreisen der Bevölkerung, die nicht von der Versicherungsanstalt erreicht werden, die Möglichkeit der Heilung zu bieten.
Schramberg 20. Nov. In der langen Reihe von Vorträgen, die Geh. Komm.Rat Arthur Junghans in seiner Reithalle im Laufe der letzten Jahre halten ließ, war der Experimentalvortrag von Prof. Dr. I. Schmidt an der Technischen Hochschule in Stuttgart einer der interessantesten. In außerordentlich fesselnder Weise schilderte der gewandte und sehr sachkundige Redner am Samstag abend die Gewinnung von Cellulose und ihre praktische Verwendung zur Herstellung von Schießbaumwolle, Kollodium, Celluloid, Papier und Kunstseide in mehr als eineinhalbstündigem Vortrag, der von trefflich gelungenen Experimenten unterstützt wurde. Das zahlreich erschienene Publikum dankte für die ausgezeichneten Darbietungen durch langanhaltenden Beifall.
Ulm 23. Nov. Der Verein für hilfsbedürftige Kinder veranstaltet während des Winters täglich eine Speisung armer Kinder. Heute ist der Zuspruch von Seite solcher Kinder ein besonders starker, täglich erhalten etwa 340 Kinder ein warmes, bekömmliches Mittagessen. Der Verein entsandte im vergangenen Sommer außerdem 23 skrophulöse Kinder in das Solbad Jagstfeld und wendete hierfür 700 ^ auf.
Ulm 23. Nov. Der 57 Jahre alte verheiratete Taglöhner G. Lehning in Neu-Ulm hat sich am 17. November von seiner Wohnung entfernt und ist seither abgängig. Es wird angenommen, daß er in der Donau den Tod gesucht hat, denn am Ufer fand man Hut, Stock und Tabaksdose niedergelegt.
Friedrichshafen 23. Nov. Aus Anlaß der Konstituierung der Deutschen Luftschifffahrt-Aktiengesellschaft in Frankfurt a. M. hatte Direktor Colsman von der Luftschiff
erstenmal ineinander tauchten, da war es, als ob ein blendender Lichtstrahl vor Inge niederfahre und die Dunkelheit zerriß, in der sie bisher gewandelt. Ohne ein Wort weiter entzog sie hastig ihre Finger den seinen. Callein stand auf und trat ans Fenster, hob den Vorhang und sah hinaus in das graue stürmische regenfeuchte Wetter. — Keiner von Ihnen sprach mehr.
In diesem Moment öffneten die Diener die Tür und trugen den Teetisch mit dem reichen Silbergerät herein, Mathilde Berner und Anna folgten, und die Alltäglichkeit mit ihrem Tun und Treiben trat wieder in ihre Rechte.-
Armand kam, wie Anna vorausgesehen, sehr spät, und man war eben im Begriff, ohne ihn zu Tisch zu gehen, da die Köchin erklärt hatte, für ein tadelloses Gericht nicht mehr aufkommen zu können, wenn die Herrschaften noch länger zögerten.
Er hatte sich sehr rasch umgekleidet, kam erhitzt und mit flüchtiger allseitiger Begrüßung ins Zimmer. Nur Inge selbstverständlich bekam einen Handkuß und eine Umarmung. Markus stand seitwärts, und niemand außer Anna bemerkte den eigentümlichen Blick, mit dem er das Brautpaar streifte. — Anna aber sah ihn. Wie schlecht mußte Callein von ihrem Bruder denken; fast bereute sie schon, ihn ins Vertrauen gezogen und über Armand mit ihm gesprochen zu haben. — Die beiden Vettern verkehrten fast freundlich, aber doch in einer gewissen Zurückhaltung miteinander. Inge war sehr still, Anna klagte über Kopfweh, es wollte keine rechte Stimmung aufkommen.
„Singe ein Lied," bat Armand seine Braut, als alle beim Mokka wieder im Wohnzimmer beisammen waren. Während sie im Nebenzimmer am Klavier saß, stand Armand hinter ihr und wandte die Notenblätter um. — Inges Stimme verriet innerliche Erregung, ein paarmal war es, als ob sie mit aussteigendem Schluchzen zu kämpfen habe. Das Licht der elektrischen Flammen spielte auf ihrem weichen braunen Haar, das feine Köpfchen hob sich anmutig aus den schwarzen Krcpprüschen, und als sie jetzt zu ihm aufsehend, ihm das Gesicht zuwandte, mußte er sich sagen,
daß sie schön und vornehm und rein und edel sei, und ihre Nähe rief alles, was noch von gutem Empfinden in ihm lebte, wach. Aber diese Empfindungen waren grundverschieden von denen, die ihn sonst in Inges Gegenwart bewegt, sie waren wie die Verehrung für etwas Heiliges. Er begehrte sie nicht mehr, wie der Mann das Weib, das er liebt, begehrt, — und während er leise liebkosend über ihr Haupt strich, wie ein Bruder, dachte er an die goldblonden, weichen, duftenden Haare Evelins, und sein ganzes Wesen geriet in inneren Aufruhr. Er fühlte, daß er nicht mehr die Kraft hatte, sich diesem gefährlichen sinnbetörenden Zauber zu entziehen, und wußte nicht, wohin dieser Zustand ihn führen sollte.
Leise ging er hinaus, es duldete ihn nicht mehr neben seiner Braut. Nicht, daß das Bewußtsein seiner Untreue ihn gequält hätte, nein, es war, als ob sein Gewissen in dieser Beziehung tot sei, aber das Uebermaß des Verlangens nach jener anderen drohte ihm die nötige, äußerliche Ruhe und Fassung zu rauben.
Callein saß rauchend in einem Sofa; sein Platz war im Schatten, er konnte durch die offene Tür ins Nebenzimmer sehen, gerade auf Inge, und in dem Blick, der auf ihr ruhte, leuchtete ein großes zärtliches Gefühl. Anna und Mathilde waren am Tisch mit Handarbeit beschäftigt, Anna sah bleich und leidend aus, und nur Mathilde Berners noch immer hübsches Gesicht trug den Ausdruck heiterer Zufriedenheit, in ihrem Gemüt herrschte jene Ruhe, die die Folge eines in sich abgeklärten, wunschlosen Lebens ist. Hätte die kluge, heitere Mathilde eine Ahnung davon gehabt, welche Wogen seelischer Erregung in den vier Menschen tobten, die sie hier umgaben! —
Gräfin Lie kam nicht mehr, sie schickte nur das Coupee für Inge, und diese brach auch sofort auf. Eine Gelegenheit zu traulicher Aussprache war weder von Inge noch von Armand bei dem heutigen Zusammensein gesucht worden, der Abschiedskuß, den er ihr draußen am Wagen gab, war kalt und flüchtig, „Armand," flüsterte sie, „Armand, Du bist so j verstimmt, so anders als sonst, bist Du mir böse?" — (Forts, folgt.)