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genannte Jungfrau heirate und die Gebühren für die Aufnahme bezahle. Letztere waren nach dem damaligen Geldwert sehr hoch. Der Auf­genommene mußte bezahlen für Aufnahme 70 Gulden, für das Waisenhaus 1 fl, für die Stadt 3 fl und für die Urkunde 6 Kreuzer, zusammen 74 fl 6 Kreuzer. In seinen weiteren Aus­führungen besprach der Redner die früheren Vorschriften in Beziehung auf das Lehrlings­wesen, über die Zahl der Lehrlinge, über die Herkunft, das Alter und die Probezeit der Lehr­linge, den Vorgang beim Einschreiben der Lehr­linge, die Lehrzeit, die Auflösung des Lehrver­hältnisses, das Ledigwerden der Lehrlinge, den Lehrbrief, die Lehreprüfung und den Wanderbrief. Er kam dabei in seinen Gegenüberstellungen der Verhältnisse der Lehrlinge der Einst- und Jetztzeit zu dem Resultat: Manche Einrichtung in der Zeit der Zünfte sei sehr gut und notwendig gewesen, manches sei aber glücklicherweise verschwunden, das nicht mehr in unsere Zeit passe; die neue Hand­werkerordnung trageden Anforderungen der Gegen­wart Rechnung, sie solle daher auch von den Hand­werkern nicht mit Mißtrauen betrachtet werden; wie im Lehrlingswesen solle es auch sonst im Handwerk vorwärts gehen zum Nutzen des Einzelnen wie des ganzen Landes. Dem interessanten Vortrag folgte lauter Beifall der überaus zahlreich anwesenden Handwerksmeister und Lehrlinge. Der Vorstand des Gewerbe­vereins, Uhrmacher K. Zahn, gab dem Danke der Versammlung in anerkennenden Worten an den Redner noch besonderen Ausdruck. Großem Interesse begegneten die im Saal aufgelegten Gegenstände der alten Zünfte; wie Zunftladen, Plakate, Zunfturkunden, Wanderbücher, Lehr-, Meister- und Wanderbriefe; manche dieser Ur­kunden waren künstlerisch ausgeführt. Von den früheren Zünften der hiesigen Stadt, waren ebenfalls sehr schöne Zunststücke ausgestellt.

Calw. Die Leipziger Illustrierte Zeit­schriftWelt und Haus" brachte am 9. Oktober d. I. das Bild eines Mannes in schwindelnder Höhe auf dem Turmgerüst der, bekanntlich vor einigen Jahren abgebrannten, nun wieder im Aufbau begriffenen Michaeliskirche in Hamburg, tief zu seinen Füßen das Häuser­meer der Stadt. Sie schreibt dazu:

Eine großartiger Blick über die Dächer und Kirchen Hamburgs. Es gehört freilich die ganze Sicherheit einer durch lange Uebung völlig schwindelfrei gewordenen Dachratte dazu, sich diesen Genuß auf einer so exponierten Stelle zu verschaffen."

Der Mann, der so einsam da oben sitzt, um Kugel und Turmspitze, die wie es weiter

heißt, fortan als Wahrzeichen Hamburgs weit­hin über Stadt und Hafen glänzen sollen, zu befestigen und zu verlöten, ist, auch im Bilde deutlich erkennbar, ein Calw er Kind: Paul Pfrommer, der Sohn Friedrich Pftommer's senior, seit einer Reihe von Jahren Geschäfts­führer eines großen Jnstallationsgeschäfts in Hamburg. Vom Senat der freien Stadt Hamburg erhielt er für diese ganz hervorragende Leistung die silberne Verdien st medaille nebst eines ansehnlichen Geldgeschenks. Wir gratulieren!

Stuttgart 2. Nov. Der Tabakbau in Württemberg. Nach vorläufigen Feststellungen sind im Jahre 1909 von 4921 Tabakpflanzern in Württemberg 6941 Grundstücke mit Tabak bepflanzt worden. Von den Grundstücken hatten 3265 einen Flächeninhalt von weniger als 4 u. Der Flächeninhalt überhaupt betrug 373,2 du gegen 284,8 da im Vorjahr, es sind also Heuer 88,4 du mehr mit Tabak bepflanzt worden.

Reutlingen 2. Nov. Der Bauer Nau von Bleichstetten hatte mit seinem Zwei­spänner Straßenschotter hierher gefahren und sich abends allein auf den Heimweg gemacht. Unterwegs scheint er vom Wagen gestürzt und an dem blauen Unterhemd an der vorstehenden Wagenachse hängen geblieben und einige Kilo­meter mit geschleift worden zu sein. Die Pferde trabten bis vor den Stall, wo die Angehörigen die Leiche am Wagen hängend fanden.

Besigheim 2. Nov. Im Circus- Kine Matograph ereignete sich infolge Ueber- süllung der Plätze ein kleiner Zwischenfall, der leicht zu einer Katastrophe hätte werden können. Als noch einige korpulente Frauen Platz nahmen, krachte es plötzlich und mit einem Ruck war das ganze Publikum am Boden. Auf der hintersten Bank waren die Insassen so eingeklemmt, daß sie nur mit Mühe aus ihrer unfreiwilligen Knie­beuge befreit werden konnten. Außer einigen Schürfungen, die vorgekommen sind, dürften die Beteiligten mit dem Schrecken davon gekommen sein.

Untergriesheim OA. Neckarsulm 2. Nov. Ein Auto fuhr in rasendem Tempo un­weit der Hammerschmiede auf dem Straßenbankett, wobei es umkippte uyd die Insassen, ein Herr und zwei Aamsn, unter sich begrub. Glücklicher­weise kamen einige Radl nachgefahren, die das Auto wieder aufrichtetrr. uns die Insassen aus ihrer bedrängten Lage befreiten. Die zwei Damen kamen unversehrt mit dem Schrecken davon, der*Herr hatte bedeutende Verletzungen im Gesichte erlitten. Das Fahrzeug konnte in langsamem Tempo, die Fahrt nach Kochendorf

wieder aufnehmen, wo dem Verletzten die erste ärztliche Hilfe zuteil wurde.

Heidenheim 1. Nov. Gestern früh brach auf noch unaufgeklärte Weise in dem in dem Gasthaus zu den drei Hasen untergebrachten Löffler'schen Weltpanorama Feuer aus. Das Panorama und sämtliches Mobiliar wurden ein Raub der Flammen. Der Jm- mobiliarschaden ist infolge der massiven Baulich­keiten kein großer. Die Geschädigten sind versichert.

Gerstellen O.A. Heidenheim 2. Nov. Ein Beweis für das gute Gedeihen der Fichte auf der Alb ist die Tatsache, daß im hiesigen Gemeindewald,, Steinenhaus" gegenwärtig Fichten- stämme zum Hieb kommen, die über 30 Meter Länge besitzen mit einem Kubikinhalt von gegen 2 Festmeter.

Giengen a. Br. 2. Nov. Dem Protest gegen den hohen Bieraufschlag haben sich sämtliche Beamten und Arbeiter der hiesigen Spielwarenfabrik Steif angeschlossen, sodaß in der Fabrikkantine gestern nur 4 Glas Bier ver­kauft wurden statt der bisherigen 400 bis 500.

Ulm 2. Nov. Ein etwa 15jähr. Schüler mit grüner Kappe erschien am letzten Samstag in einer Handlung photographischer Artikel, gab sich für den Neffen eines hiesigen Arztes aus und nahm zwei Apparate im Werte von ^0 ^ zur Ansicht mit, wobei er einen Revers mit falschem Namen unterschrieb. Nach der Ent­fernung des Jungen schöpfte der Kommis Ver­dacht. Er fragte bei dem betreffenden Arzt an und erfuhr, daß dieser gar keinen Neffen besitzt. Die sofort verständigte Polizei konnte den jungen Betrüger auf dem Bahnhof vor der Abfahrt des Zuges nach Sigmaringcn abfassen. Es stellte sich heraus, daß er der Sohn eines Beamten in Sigmaringen war.

Friedrichshafen 2. Nov. DerBallon Württemberg", der gestern abend bei Leutkirch ohne aufgerissen zu sein, landete, nahm dort einen Personenwechsel vor. Bei dem zweiten Aufstieg waren in der Gondel: Oberingenieur Dürr, Oberleutnant Neumann, ferner Frau Direktor Colsmann und Frau Oberleutnant Neumann. Der Ballon landete heute früh halb 10 Uhr am Chiemsee. Der BallonZeppelin", der ebenfalls gestern aufgestiegen war, landete heute nacht 1 Uhr bei Markdorf i. B. Weitere Aufstiege dürften morgen oder übermorgen stattfinden.

Berlin 2. Nov. Ein im Jndustriegebäude Kdinmandantenstraße gestern nachmittag aus­gebrochener Brand beschäftigte die Feuerwehr mehrere Stunden lang. Das Gerücht, wonach

leichtlebig bekannt, leichtlebig und selbstsüchtig, wie Menschen es oft sind, die nur in Sorglosigkeit und Genuß aufwachsen. Und Anna? Nun sie gab, sie besuchte auch Kranke und Arme, aber man merkte ihr doch immer an, daß sie es tat, weil die Mutter es so gewünscht und sie es für ihre Pflicht hielt; Frau v. Ferni hatte nicht nur gegeben, sie hatte mit Rat und mit dem Herzen jedem einzelnen nahe gestanden, und dies gütige, warme Herz stand nun still, war kalt und tot.

Am Morgen des Beisetzungstages, frühzeitig, ging Inge allein in den Saal hinunter, in dem der Sarg ausgebahrt war. Die. Wände waren schwarz behängen; ringsum türmten sich die kostbaren Blumen­spenden und erfüllten den Raum mit einem schier betäubenden Duft, gegen den selbst die Frische des köstlichen Sommertages nicht aufzukommen vermochte, die durch die Spalten der oben geöffneten Fenster Eingang suchte. Es herrscht Dämmerung, die hohen Wachskerzen, die Tag und Nacht neben dem Katafalk brennen, verbreiten ein geheimnisvoll-düsteres Licht, ihr Schein zittert über die weiße Atlasdecke im Sarge und über das schmale, friedvolle Gesicht der stillen Schläferin. Leise tritt Inge näher; sie sieht sehr blaß aus, in den Händen hält sie zwei frischerblühte, weiße Rosen; ohne umzusehen, nähert sie sich dem Sarge, legt die Blumen seitwärts auf das Kiffen an die Schulter der Toten, lehnt sekundenlang ihr Haupt gegen das der Leiche und kniet sodann nieder.

Liebe Tante Marianne," betet sie,Du hast meinen Eltern und mir nur Liebes im Leben angetan, ich danke Dir dafür tausend, tausend­mal, auch daß Du mich Arme, Verwaiste in Dein Haus und an Dein liebevolles Herz genommen als Deine Tochter. Ich habe es Dir im Leben nicht so danken können, wie ich gewollt, aber ich verspreche es Dir, so viel in meiner Macht liegt, will ich es Dir im Tode danken, an dem, den Du am meisten und zärtlichsten geliebt hast." Sie schweigt, ein Zittern geht durch ihre Gestalt, ihre Augen öffnen sich weit, und ihr Aus­druck ist beinahe angstvoll; langsam hebt sie den Blick zu dem Antlitz der Toten und dann weiter zu dem Kreuze des Erlösers, das zu Häupten des Sarges steht.

Soviel in meiner Macht liegt," wiederholt sie noch einmal. Soviel ich kann. Lieber Gott, gib Du mir die Kraft dazu." Dann sinkt ihr Kopf gegen die Kante des Sarges, ihre gefalteten Hände pressen sich krampfhaft ineinander. Ein Geräusch wie von gedämpften Schritten

trifft ihr Ohr sie sieht auf, verwirrt, erschreckt,-niemand. Die

Flammen der Kerzen brennen leise zuckend weiter, die Kränze und Blumen duften schwül, und Marianne v. Ferni schlummert in ewiger Ruhe, zum letztenmal unter all dem düsteren Prunk dieser irdischen Welt.-

Aus Graf Calleins Tagebuch.j

d. 23. 7. 19 . .

Heute nachmittag haben wir sie zu Grabe getragen; in der kleinen Kapelle auf dem Klosterfriedhof schläft sie neben ihrem Gatten. Nicht auf dem alten Klosterhof drüben am See, sondern auf dem neuen, mit der schönen, im gotischen Stil erbauten Kirche. Pastor Roebke hielt eine recht gute Rede, und eine Menge Menschen, vornehm und gering, um­stand die Gruft. Der Pastor hätte sich die vielen schönen Worte sparen können, meine ich; wir alle, die wir sie gekannt, wissen, was wir mit ihr verloren haben und die anderen, die sie nicht kannten? Ist es denn wirklich so wichtig, daß ganz fremde, gleichgültige Leute erfahren, was man eigentlich.wert" gewesen? Im Grunde weiß es ja doch niemand, als wir selbst^ denn niemand, nicht einmal unsere Nächsten, kennen oft die geheimen Triebfedern unserer Handlungen. Inge stand fast tränenlos neben Armand an dem mit Blumen überladenen Sarge, das Gesicht tot­bleich und die Augen tief umrandet und um den stolzen Mund ein so schmerzlich weher Zug. Wenn sie wüßte, was ich weiß, wie ich sie heute morgen gesehen und ihr Gelübde gehört habe? Ein Gelübde ist in meinen Augen ein Zwangsmittel, das jemand anwendet, weil er fürchtet, ohne diesen Zwang nicht zu halten, was er will und muß. Ein Gelübde mit einer Bedingung ist eigentlich gar kein Gelübde, man will sich binden, aber doch die Schlinge nicht so fest ziehen, daß man nicht wieder ent­schlüpfen kann. (Forts, folgt.)