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den Freundschaftsbund zwischen Schiller und Johann Friedrich Cotta, der so wesentlich zur Blüte der Firma beigetragen hat, das Andenken des Dichters zu ehren, der Ministerialabteilung für die höheren Schulen zur Verteilung an Schüler der oberen Klassen der höheren Schulen Württembergs die erforderliche Anzahl von Exemplaren der sechszehnbändigen Säkularausgabe von Schillers Werken zur Verfügung gestellt. Dank dieser hochherzigen Stiftung werden am 10. November 106 Schüler und Schülerinnen der 6. bezw. 9. Klasse von 82 höheren Schulen in den Besitz dieser mustergültigen Gesamtausgabe von Schillers Werken kommen. Zu bemerken ist noch, daß die Verlagsbuchhandlung in dankenswerter Weise auch die beträchtlichen Kosten der Versendung übernommen hat.
Stuttgart 30. Okt. Der Kommandeur des Landjägerkorps, Oberst z. D. v. Haag ist gestorben. Der Verstorbene war seit längerer Zeit krank und schon im Sommer, als in der zweiten Kammer die Frage der Streichung zweier Landjäger-Bezirkskommandeurstellen verhandelt wurde, teilweise verhindert an den damaligen Erörterungen teilzunehmen. Für den Fall, daß zu seinem Nachfolger einer der drei Bezirkskommandeure ernannt werden sollte, so würde der Beschluß der Ständeversammlung, wonach zwei Bezirkskommandeurstellen im Fall ihrer Erledigung in Wegfall kommen sollen, wenigstens für eine Stelle in Kraft treten.
Stuttgart 29. Okt. Ueber die Ausdehnung des Weinbaues in Württemberg und über die Zahl der heimischen Weinbaubetriebe gibt das vom Statistischen Landesamt soeben veröffentlichte Ergebnis der letzten Berufszählung nähere Auskunft, die in der gegenwärtigen Herbstzeit von besonderem Interesse ist. Darnach gab es in Württemberg im Jahre 1908 54121 Weinbergbewirtschafter, wie der amtliche Ausdruck lautet, mit 16 054 Hektar Weinbergen, gegen 57 441 Weinbergbewirtschafter mit 19426 Hektar im Jahre 1895. Es hat also im letzten Jahrzehnt nicht nur die Weinbaufläche, sondern auch die Zahl der Weinbergbesitzer ganz erheblich abgenommen. Reine Weingärtner, d. h. solche, welche nebenbei kein anderes Land zu bewirtschaften hatten,' wurden nur 1534 mit 349 Hektar Weinbergen gezählt. Bemerkenswert ist auch, daß unter den Weinbergbesitzern die Zahl der Nichtlandwirte von 10 596 auf 12 473 gestiegen ist, was sich zum Teil wohl auf die Aufsaugung mancher Landwirtschaftsbetriebe durch Stadlerweiterungen, Parzellierung behufs Verwertung als Baugelände rc. zurückführen läßt. Abgenommen haben auch die Inhaber von größeren Flächen (über 20 Ar),
während die kleineren zugenommen haben. Die Mehrzahl der Weinbergbesitzer (41658) bewirtschaften Weingelände von 10—50 Ar.
Stuttgart 30. Okt. Die Voruntersuchung in der Beleidigungsklage des Landesbischofs gegen den verantwortlichen Redakteur des Simplizissimus ist nunmehr abgeschlossen. Die Angelegenheit geht jetzt an die Beschlußkammer des Landgerichts, die über die Eröffnung des Hauptverfahrens zu beschließen hat.
Stuttgart 30. Okt. Eine Warnung lesen wir in der Frankfurter Zeitung: Von den verschiedensten Seiten gehen uns wieder die Animier-Zirkulare des „Mercur, Bank- Kommissions- und Finanzierungsinstitut in Berlin zu. Darin wird in unverfrorenster Weise für einzelne Werte Stimmung gemacht und deren Kurssteigerung als unmittelbar bevorstehend hingestellt. Bisher haben sich diese Voraussagen der Firma in den meisten Fällen sehr schlecht bewährt und das Publikum, das darauf eingegangen ist, hat sein Geld verloren. Es ist deshalb vor den Ratschlägen der Firma dringend zu warnen.
Stuttgart 30. Okt. Auf dem hiesigen Hauptbahnhof gelang es gestern abend einen der Automatenmarder zu fassen, die seit einiger Zeit wiederholt sich der Geldstücke bemächtigt hatten, die im Fernsprechautomat und in den Einwurfstellen des Aborts angesammelt waren. Die Behörde hatte sich zum Schutz gegen diese Diebstähle entschlossen, an den Automaten Läutesignale anzubringen. Als gestern ein solches ertönte, erwischten Gepäckträger des Bahnhofs den 19 Jahre alten Hilfsheizer eines hiesigen Geschäfts, Gotthilf Schneider, dabei, wie er sich an einem solchen Automaten zu schaffen machte. Er wurde festgenommen und der Polizei übergeben.
Stuttgart 30. Okt. (Schöffengericht.) Wegen Heiratsschwindel wurde der Schneider Theodor Maier von hier zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Er hatte von einem Dienstmädchen, dem er, obgleich verheiratet, die Ehe versprach, 130 Mark erschwindelt. In einem weiteren Fall wurde er freigesprochen. Maier ist wegen Heiratsschwindel vorbestraft. — Der Schlosser Joh. Baptist Lar, von Sillenbuch wurde eines Tages im März im Staatswald auf Markung Heumaden von einem Forstwart ertappt, wie er sich an einer Hasenschlinge zu schaffen machte. Der Forstwart hatte am Tage zuvor an der Stelle sieben Hasenschlingen entdeckt und abgestellt. Als er Lar, erwischte, hatte dieser von den Schlingen bereits wieder drei gestellt. Lar, wurde vom Schöffengericht wegen Jagdvergehens zu 3 Wochen Gefängnis verurteilt.
Tübingen 30. Okt. Der Fischerknecht Lösch von hier, der auf dem Weg von Reut- lsngen her einen Handwerksgehilfen um etwa 40 ^ und seiner Uhr beraubt hat, wurde zu 2*/s Jahren Zuchthaus verurteilt.
Möckmühl OA. Neckarsulm 31. Okt. Freud und Leid wechselten in seltener Weise innerhalb weniger Tage in einer hiesigen Familie. Nachdem Dienstags die einem Schlaganfall erlegene Schwester des Bauern Johann Kuhn beerdigt worden war, fand Mittwochs die Hochzeit seiner Tochter statt, der der Vater gesund anwohnte. Freitags wurde er selbst vom Schlage gerührt, dem er alsbald erlag.
Rottweil 30. Okt. Das Schwurgericht hat die beiden Mechaniker Johann Georg und Josef Bub aus Schwenningen wegen Münz- verbrechens zu je 3 Jahren 6 Mon. Zuchthaus, abzüglich 4 Monate Untersuchungshaft, ferner zu 5 Jahren Ehrverlust und Erkennung der Zulässigkeit von Polizeiaufsicht verurteilt. Die beiden hatten im vergangenen Frühjahr, nachdem sie arbeitslos geworden waren, zunächst Halbemarkstücke und dann, weil diese sich nicht rentierten, Zweifranken- und Fünfdrachmenstücke hergestellt, ungefähr 230—240 Stück, die einen wirklichen Wert von ungefähr 10 Pfg. hatten. Sie versuchten, sie im Kanton Turgau an den Mann zu bringen, wurden aber bald ertappt und festgenommen.
Ebingen 30. Okt. Ein schwerer Unglücks fall ereignete sich in der Mosterei mit Kraftbetrieb. Die Tochter des Besitzers wurde von einer Transmission an den Haaren erfaßt und buchstäblich skalpiert. Der Vorgang war das Werk eines Augenblicks.
Ravensburg 30. Okt. Dem Messerschmied Knödler sprang ein erst seit 2 Tagen im Betrieb befindlicher Schleifstein auseinander. Die abgesprungenen Teile verletzten Knödler schwer im Gesicht. Die rechte Backe ist ganz aufgerissen, auch ein Auge wurde schwer verletzt. Knödler wurde alsbald ins Krankenhaus verbracht.
Vom Bodensee 30. Okt. Im Obersee herrschte am Donnerstag starker Föhnsturm, der den Schiffen große Verspätungen verursachte. Das österreichische Trajektschiff, das Italiener nach Konstanz beförderte, hatte viele Seekranke an Bord und kam über eine Stunde zu spät dort an.
Friedrichshafen 30. Okt. Eine äußerst interessante Fahrt machte der Ballon „Württemberg", der wie bereits gemeldet gestern mittag 12.25 Uhr in Friedrichshafen aufgestiegen war. Er flog zunächst in südwestlicher, dann in nördlicher Richtung bis Vaihingen a. E. Dort kam er in eine andere Windrichtung und
in jeder Bewegung, und es lag viel Liebe in dem Blick der älteren Frau, der auf dem Mädchen lange Zeit ruhte.
„Guten Morgen, Inge."
„Mama, liebste, guten Morgen!" Inge eilte ihr entgegen und schloß sie in ihre Arme; sie liebte diese Frau, und das Auge der Liebe sieht scharf, sie merkte recht wohl, daß Marianne sehr verändert war. — „Was fehlt Dir, Mama? Bist Du krank?"
„Nicht eigentlich krank, Kind, nur so etwas müde, abgespannt, ich weiß nicht recht, vielleicht war es etwas viel, was ich mir gestern zugemutet — laß nur, Grund zur Sorge liegt nicht vor. Komm, gib mir meinen Tee." Sie nahm ihren Platz am Tische ein, aber das Frühstück schmeckte nicht, sie schob Brötchen und Fleisch beiseite und nach einigen Schlucken auch die Taffe, dann lehnte sie sich in den hohen Stuhl zurück, faltete die Hand in den Schoß und sah still geradeaus, durch die sonnendurchleuchteten Fenster in den blühenden Garten. Es lag etwas eigenartiges Stilles auf ihrem schönen, gütigen Antlitz, Inge wagte kein Wort an sie zu richten; plötzlich sah Marianne zu ihr hinüber. —
„Inge, komm einmal zu mir!" Sie streckte dem Mädchen die Hand entgegen und zog es neben sich auf einen Stuhl.
„Inge, mein liebes Kind," sagte sie, „ich Hab' es Dir schon so oft gesagt, wie es mich beglückt, daß Armand Dich gefunden. Du weißt, wie ich Armand liebe, Du liebst ihn auch, aber gerade wo wir lieben, fürchten wir, und wir sehen Ursachen, die uns fürchten lassen für die, die wir lieben. Nicht wahr, Inge, Du verstehst mich? Die Frage, betreffs Armands Heirat, hat mich oft beschäftigt," fuhr Frau v. Ferni fort, „nicht jede Frau wäre für ihn die Rechte gewesen — Du bist es, Inge, und das gibt mir so viel Zuversicht und Ruhe für die Zukunft. Wenn ich sterben sollte, vielleicht erst in Jahren, vielleicht bald. — Ja, mein Kind, wer kann es wissen?" fuhr sie, des Mädchens erschreckenden Blick sehend, lächelnd fort, „wer kann es wissen? Ich sterbe ruhig, denn was ich ihm
gewesen, das wirst Du, vielleicht noch in verstärktem Maße, durch die andere Art von Liebe, die Euch verbindet, ihm sein, Inge."
„Mamas Wie Du sprichst! Aengstige mich nicht, fühlst Du Dich denn krank, ernstlich krank?"
„Ernstlich? Nein, aber krank allerdings, das heißt, etwas Kopfweh, ein Gefühl des Schwindels. Ach — Inge" — sie stieß das Wort hervor, krampfhaft, und griff mit beiden Händen nach dem Kopf, sie schloß die Augen und lehnte sich weit zurück. Entsetzt sprang Inge auf. „Mama, Mama!" — Sie faßte sie in beide Arme, sie netzte ihre Stirn mit ein paar Tropfen Wasser —-Marianne schlug endlich die Augen auf.
„Aengstige Dich nicht, Kind, ein kleiner Schwindelanfall, es geht schon wieder vorüber.
Es ging vorüber, ja, eine augenblickliche Gefahr lag noch vor, aber Marianne sandte auf Wunsch ihrer Kinder zum Arzt; er konnte nichts Bedenkliches finden und verordnet Ruhe, im Bett. Aber es wurde doch ein Krankenbett daraus und Anna und Jngeborg teilten sich in die Pflege. Armand befand sich in maßloser Erregung und beschwor seinen Vetter Callein, ihn jetzt nicht zu verlassen. Callein blieb. Der Zustand der Kranken verschlimmerte sich von Tag zu Tag: eine innere Entzündung, Schüttelfrost, starkes Fieber. Die Aerzte zuckten die Achseln. Eine Autorität wurde aus Berlin berufen, eine barmherzige Schwester zur Hilfe bei der Pflege. Gräfin Volgers kam täglich, sich nach der Kranken umzusehen und Cousine Mathilde traf ein, um die Leitung im Haushalt zu übernehmen. Armand ist ganz gebrochen, er bleibt kaum eine halbe Stunde allein, fast beständig fordert er Inges Gegenwart oder die seines Vetters, und es kränkt und reizt ihn, wenn Inge sich ihm entzieht, um im Krankenzimmer zu bleiben. Er selbst kann es nicht lange dort aushalten, die schwere von so vielen Gerüchen gesättigte Luft am Krankenbett lähmt seine Lebenskraft und wenn er sieht, wie die schönen, noch immer blühend gewesenen Züge der Mutter von Tag zu Tag verfallen, überkommt ihn eine grenzenlose Angst. (Forts, folgt.)