255. Amts- und Anzeigeblatt für den Gberamkbezirl Calw. 81. Ichr,»,,.
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Srscheinur.gSrage: Montag, Dienstag, MittwoiL, Donnerstag. Freitag und Gamstag. JnserttonSpreiS k) Bfg. pro Zeile für vtadt u. BezirkSorte; außer Be-irHS Pfg.
Tastesneviakeiten.
* CalwI.Nov. Die hiesige Wand erarbeit sstätte ist nun 4 Wochen im Betrieb. Bis jetzt hat man mit der Einrichtung keine schlechten Erfahrungen gemacht, es scheint vielmehr, daß bei allgemeiner und strenger Durchführung der neuen Ordnung ein Abnehmen des Stromertums in Aussicht genommen werden kann. Von den Landorten wird berichtet, daß die Zahl der Handwerksburschen ganz bedeutend abgenommen und eine Belästigung fast ganz aufgehört habe. Auch in der Stadt hier macht man dieselbe Beobachtung, die Zahl der Wanderer und der Unfug des Bettelns hat über Erwarten abgenommen. Die Einwohnerschaft wird auch in Zukunft unbehelligt bleiben, wenn bettelnde Wanderer strikte abgewiesen und an die Wanderarbeitsstätte gewiesen werden. Die Wanderer werden hier mit Holzzerkleinern beschäftigt und sind hiebei noch keine Unannehmlichkeiten vorgekommen. Zugereist kamen während der 4 Wochen 77 ordentliche und 45 obdachlose Wanderer; von diesen 120 hat sich bloß einer geweigert, die ihm aufgetragene Arbeit auszuführen. Die Wanderer werden auch zur Arbeit bei Privatleuten gegen eine Entschädigung abgegeben. Die ordentlichen Wanderer erhalten Verpflegung im Kaffeehaus und die Stromer im Obdachlosenheim am Marktplatz. Im allgemeinen finden sich die Wanderer in die neue Ordnung ohne Widerstreben ein, nur vermissen manche den Schnupftabak und die Pfeife und das Getränk und geben ihrem Verlangen darnach deutlichen Ausdruck. Durch die Wanderordnung und das Verbot des Bettelns ist es den Leuten natürlich nicht mehr möglich, zu barem Geld zu kommen und damit müssen sie einen sonst fleißig geübten Genuß entbehren. Diese auferlegte Enthaltsamkeit hat aber für
Montag, den 1. November 1909.
manche Wanderer jedenfalls das Gute, daß sie auf Arbeit bedacht sind und unter Umständen wieder ein geordnetes Leben führen. Es steht jetzt schon fest, daß die Wanderarbeitsstätten nicht ohne Weiteres als nutzlos angesehen werden dürfen, die praktischen Erfahrungen, die im Laufe der Zeit gesammelt werden können, werden ohne Zweifel die neue Sache fördern und auf gut funktionierende Einrichtungen von selbst führen.
Calw 1. Nov. Gestern nachmittag wurde auf der Straße zwischen hier und Stammheim, in der Nähe des Bahndurchlasses nach Altheng- stett, ein älterer Mann bewußtlos und mit einer schweren Verletzung am Hinterkopf aufgefunden. Von Passanten, die seine Verbringung in das hiesige Krankenhaus veranlaßten, konnte seine Persönlichst festgestellt werden. Hienach ist es der Farrenwärter Gräber von Gechingen. Wie man nachträglich vernimmt, hatte sich G. zwischen 3 und 4 Uhr auf dem Heimweg nach Gechingen befunden. Man vermutet, daß derselbe von einem Automobil überfahren wurde und sind in dieser Richtung bereits Nachforschungen eingeleitet. Der Verunglückte war heute Mittag noch nicht vernehmungsfähig.
^1. Liebenzell 30. Okt. In der gestrigen Sitzung der bürgerl. Kollegien stand zunächst die Durchsicht der Jahresrechnung für 1907/08 auf der Tagesordnung. Während die Mehrheit des Gemeinderats ohne eingehendere Prüfung die Durchsicht bescheinigte, erklärte der Bürgerausschuß, eine genauere Durchsicht der Rechnungen und Belege vornehmen zu wollen, wozu er sich den Sonntag Nachmittag erbat. Da der Vorsitzende sich hiermit nicht ohne weiteres einverstanden erklärte, blieb dieser Gegenstand zunächst unerledigt. Weiter handelte es sich dann wieder um die Deckung des Defizits resp. Grund-
Bezuarpr.i.d.Etadt'/^llhrl.m.LrLgerl.Mk. l.Sb. Postbezugspr f.d. Orts- u. Nachbarorts»»!. >/,jLhrl. Mk. I.So, im Fernverkehr Mk. t.Sv. Bestell-. tn Württ. so Pfg.. in Bayern u. Reich IS Pfg
stocksabmangels. Das K. Oberamt verlangt nunmehr unter Androhung von Disziplinarstrafen innerhalb einer Woche die Deckung des Grund- stocksabmangels und Bewilligung der Mittel hiezu. Es entspann sich über diesen Punkt eine mehrstündige zum Teil sehr erregte Besprechung, die u. a. höchst unerfreuliche Einblicke in die Verwaltung der Gemeinde gewährte. Schließlich wurde mit 9 gegen 8 Stimmen beschlossen, die Deckung des Grundstocksabmangels vorzunehmen. Die Frage, woher die Mittel zur Deckung des Abmangels zu nehmen seien, rief eine weitere äußerst lebhafte Auseinandersetzung hervor. Es wurden verschiedene Vorschläge gemacht; einig war man sich darin, daß unter keinen Umständen die ganze Summe (ca. 1600 umgelegt werden dürfe, da dies für die Steuerzähler zu hart sei. Die Verhandlungen hätten sicherlich zu einem annehmbaren Resultate geführt, wenn nicht die Gemeinderäte Beck, Deker, Gugel und K. Haisch die Sitzung unerlaubter Weise verlassen und dadurch die Beschlußfassung verhindert hätten.
Stuttgart 30. Okt. Heute, am Todestag der Königin Olga, fand vormittags 11 Uhr in der Gruft der Schloßkirche eine Gedächtnisfeier statt, die der rufs. Geistliche leitete. Offiziersabordnungen sind dazu erschienen vom Gren.Regt. Königin Olga und vom Drag.Regt. Königin Olga, die Kränze niederlegten. Auch die Herzogin Wera ließ einen Kranz niederlegen. Vom ehemaligen Dienst der Königin nahm die frühere Hofdame Frau von Kübel-Krusenstiern teil.
Stuttgart 30. Okt. Anläßlich des bevorstehenden 15 0. Geburtstages Friedrich Schillers hat die I. G. Cotta'sche Verlagsbuchhandlung Nachfolger, von dem Wunsche beseelt, in dankbarer Erinnerung an
Im Kloyerhof.
Roman von B. v. Lancken.
(Fortsetzung.)
„Ach, lieber Herr v. Ferni, ach, lieber Herr v. Ferni, was für eine Freud', Sie hier zu sehen, aber wie kommt denn das nur — wie kommt's nur?" setzt sie von einem zum andern sehend hinzu. Evelin streift die weichen Reisehandschuhe ab und fährt mit den weißen, ringgeschmückten Fingern unter dem Schleier in die blonden Löckchen.
„Ein Zufall, Tante Carolin, ein freundlicher Zufall," gab die neue Herrin auf Solitüde hellauflachend zur Antwort. „Herr v. Ferni war gerade an der Station, und da ich bei dem milden Wetter nicht in das enge Coupe hineinmochte, bot er mir seinen Wagen an. Aber nicht wahr, nun find Sie auch mein erster Gast hier. Sie essen einen Teller Suppe mit uns?"
„Ich bedaure, Baronin, diese sehr verlockende Einladung ablehnen zu müssen, aber ich werde zu Hause erwartet."
Eine kleine Wolke glitt über Evelins reizendes Gesichtchen.
„Dann will ich Sie nicht wortbrüchig machen, aber ich hoffe, ein anderes Mal schlagen Sie mir meine Bitte nicht ab. Nun herzlichen Dank und tausend Grüße an Ihre liebe Mutter."
Sie schüttelten sich die Hände, Armand setzte sich auf dem Wagen zurecht, ordnete die Leine, ließ die lange Peitsche sanft über die Köpfe seiner Jucker gleiten, senkte sich tief vor den Damen und fuhr fort.
Evelin stand noch ein paar Sekunden und sah ihm mit einem seltsam träumerischen Blick nach, dann betrat sie langsam, gefolgt von der Tante, das Vestibül des Schlößchens.-
Die Dienerschaft stand rechts und links und verneigte sich ehrfürchtig.
Das war Evelins Einzug in „Solitüde." — — — — —
Als Evelin mit der alten Dame allein in dem kleinen Salon war und die Tür sich hinter ihr geschlossen hatte, rang sie die Hände ineinander, streckte die Arme aus und rief, fast leidenschaftlich, wie erlöst:
„Latin, 6nlln alles moi, taute Oaroliu'! Olles nwi, olles nwi!"
Die alte Dame nickte zustimmend mit Löckchen, Doppelkinn und Unterlippe und streicht liebkosend über einen der zierlichen vergoldeten Stühle. Evelin geht langsam weiter durch den nächsten Salon in ihr Boudoir, von da in das Ankleidezimmer. — Das Fenster ist geöffnet, der graue, schwerwolkige Himmel sieht hinein, und vom See herüber streicht ein frischer Hauch. Evelin Horst lehnt sich hinaus. Ueber die weite Wasserfläche, die leise bewegt sich dehnt, grau durch den grauen Himmel schimmernd, der sich über ihr gespannt, ragen die Ruinen des Klosters empor und jenseits die blühenden, grünenden Terrassen, die zum Schloß emporsteigen. Welche Gedanken bewegten die Seele der Frau, die dahin schaute und immer wieder schaute, bis die weiße Stirn sich krauste, und um den roten, schwellenden Mund ein trotziger Zug, in den lachenden, leuchtenden Augen etwas Starres, beinahe Gieriges lag, so etwas, wie in dem Auge eines Raubtieres, das nach seiner Beute auslugt. —
7.
Marianne v. Ferni war mit Kopfschmerz und einem leichten Schwindelgefühl erwacht, mit Frost und innerlichem Unbehagen; sie hatte das Ver- langen, im Bett zu bleiben, aber mit der ihr eigenen Willenskraft überwand sie den Zustand der Schwäche. Etwas blaß und in nicht ganz so stolzer, fester Haltung wie gewöhnlich bettat sie am Morgen das Speisezimmer, wo sie Inge mit der Bereitung des Kaffees beschäftigt fand; die Morgensonne schien durch die feinen Tüllstores auf das glänzende Parkett, machte die reichen Silbergeräte erstrahlen und warf goldige Lichter in Inges bräunliche», weiches Haar. Marianne blieb stehen und beobachtete unbemerkt das Mädchen in ihrer Tätigkeit; sie hatte etwas Ruhiges, Sichere»