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Feuerfunken, die in Sägmehl fielen, entstanden. — Gestern nachmittag 4 Uhr geriet unterhalb der Eisenbahnbrücke in Cannstatt ein Spezereihändler anläßlich eines Schwächeanfalls in den Neckarkanal. Er konnte, ohne daß er Schaden genommen hatte gerettet werden.
Tübingen 29. Okt. Wegen Verbrechens gegen Z 176 Z. 2 Str.-G.-B. — Mißbrauch einer geisteskranken Frauensperson — kamen gestern unter Ausschluß der Oeffentlichkeit zwei Fälle zur Verhandlung. Im ersten Fall wurde vorgeführt der 29jährige Dienstknecht Jakob Christein von Nebringen. Die Geschworenen sprachen ein „Schuldig" aus, worauf der Angeklagte bei Zubilligung mildernder Umstände neben 3 Jahren Ehrverlust zu 1 Jahr Gefängnis verurteilt wurde, wovon 8 Wochen Untersuchungshaft abgehen. — Angeklagt im zweiten Fall war der 24jährige ledige Müller Wilhelm Walz von Stammheim. Dieser ist gegen 1000 Sicherheit auf freiem Fuß. Die Geschworenen sprachen ein „Nicht schuldig" aus, worauf der Angeklagte freigesprochen wurde.
Lauffen a. N., 29. Okt. Auf der Bahnstrecke nach Kirchheim wurde der auf dem Gleis gehende 24jähr. Streckenarbeiter Christof Kälble von einem Zug von hinten erfaßt und auf der Stelle getötet. Der Getötete war nicht verheiratet.
Schramberg 29. Okt. Die Hamburg- Amerikanische Uhrenfabrik blickt zur Zeit auf ein 25jähr. Bestehen zurück. Das Aktienkapital stieg von 160000 auf 1800 000 neben 960000 Reserven. Seit der Gründung stehen der württembergische Konsul Teurer in Hamburg als Vorsitzender des Aufsichtsrats und Paul Landenberger als Vorstand an der Spitze des Unternehmens. Die Firma gehört unstreitig zu den bedeutendsten industriellen Etablissements des Landes. Auf der in Stuttgart abgehaltenen Generalversammlung der Gesellschaft wurde die Verteilung von 8"/» (im Vorjahr 7 "/->) Dividenden beschlossen neben den üblichen Abschreibungen. Vertreten waren 14 Aktionäre mit 1652 Stimmen.
Rottweil 29. Oft. Vor dem Schwurgericht wurde heute als vierter Fall die Strafsache gegen Albert Maier von Winterlingen wegen Totschlags verhandelt. Maier war mit den Strickern Matthäus Stauß und Gotthilf Kißling verfeindet. Am 21. Juni ds. Js. kam es zwischen den dreien in einer Wirtschaft zu einem Wortwechsel. Nachdem Maier die Wirtschaft verlassen hatte, erhoben sich Stauß und Kißling und verließen gleichfalls die Wirtschaft. Wie nun Maier behauptet, wurde er von den beiden im Hofe vor der Wirtschaft überfallen und zu Boden geschlagen. Nachdem er sich wieder erhoben gehabt habe, hätten sie Miene gemacht, ihn weiter mit Schlägen zu traktieren, sodaß er aus Notwehr zum Messer gegriffen und blindlings um sich geschlagen habe. Kißling gibt an, als er auf den Hof gekommen sei, habe er den Stauß noch rufen hören: „Gotthilf, Gotthilf!" dann sei dieser noch einige Schritte gegangen und hierauf umgefallen. Er selbst sei mit Maier ins Handgemenge gekommen — ob er angefangen habe oder Maier, wisse er nicht mehr — und habe diesen in den Kandel geworfen, dann habe er bemerkt, daß er gestochen sei. Stauß hat einen Stich ins Herz erhalten, der eine Verblutung und Herzlähmung und damit den sofortigen Tod zur Folge hatte. Kißling hatte einen Stich in der Lunge und zwei oberflächliche Stiche in der linken Brustseite, er war 9 Wochen arbeitsunfähig. Die Geschworenen erkannten den Angeklagten bezüglich des Stauß einer Körperverletzung mit nachgefolgtem Tode unter Versagung mildernder Umstände, bezüglich des Kißling einer gefährlichen Körperverletzung für schuldig. Das Urteil lautet auf 4 Jahre 9 Monate Gefängnis, abzüglich 3 Monate Untersuchungshaft und Einziehung des Messers.
Neresheim 28. Okt. Zu einer Anregung, den Hausierhandel mit Schweinen wegen der damit verbundenen ständigen Gefahr der Verschleppung der Schweineseuche zu verbieten, hat sich der hiesige landwirtschaftliche Bezirksverein wie folgt geäußert: Der Hausier
handel mit Schweinen dürfte nicht nur wegen der Gefahr der Seuchenverbreitung verboten werden, sondern auch deswegen, weil er durch die meistens minderwertige, herumgetriebene Ware die Preise herunterdrückt und dadurch die Schweinezüchter am Platze schädigt. Die letztere Tatsache ist auch die Ursache der schnellen Abnahme der Zahl der Mutterschweine im Bezirke. Eine scharfe tierärztliche Ueberwachung der Standquartiere der Schweinehändler ist zu begrüßen. Erst in den letzten Wochen wurde durch Hausierhändler der Schweinerotlauf in zwei Bezirksgemeinden eingeschleppt. Daß das Verbot des Hausierhandels die Fleischerzeugung beeinträchtigt, weil der kleine Landwirt häufig nur Schweine zur Mast aufstelle, die er auf Borgfrist erhalte, was bei den Hausierhändlern üblich sei, dürfte kaum zutreffen. Borgfrist wird von den Schweinezüchtern und von einzelnen Händlern auf dem Markte gewährt. Es ist wohl mit Sicherheit anzunehmen, daß ein Verbot des Hausierhandels mit Schweinen vom veterinärpolizeilichen wie vom landwirtschaftlichen Standpunkte aus der Landwirtschaft viel mehr nützen als schaden würde. Verboten werden sollte namentlich auch der Hausierhandel auf dem Hinweg zu den Märkten und auf der Rückkehr der Händler von den Märkten. Den Ortspolizeibehörden sollte die polizeiliche Kontrolle auf den Schweinemärften eingeschärft werden; die Vorschrift, daß der Händler ein tierärztliches Zeugnis neuesten Datums überden Gesundheitszustand seiner Schweine besitzen muß, wird häufig nicht beachtet.
Friedrichshafen 29. Oft. Der vom Württembergischen Verein für Luftschiffahrt zur Verfügung gestellte Ballon „Württemberg" ist heute mittag V-1 Uhr, nachdem er eine Füllung mit dem überschüssigen Wafserstoffgase des 2III erhalten hatte, unter der Führung des Oberingenieurs Dürr zu einer Fahrt ausgestiegen, an det Graf Zeppelin jun. mit Gemahlin und Direktor Colsmann als Passagiere teilnahmen. Der Ballon stieg bei der in den unteren Luftschichten herrschenden Windstille fast senkrecht in die Höhe und schwebte längere Zeit über Friedrichshafen, bis er in etwa 2000 Mtr. Höhe von einer südlichen Luftströmung in der Richtung nach Obersckwaben davongetrieben wurde. Da eine Dauerfahrt nicht beabsichtigt ist, dürfte die Landung bereits wieder im Laufe des Nachmittags erfolgen.
Aus Baden 29. Oft. Zwei Bäckergesellen von Heidelberg, die mit den Herrenalber Verhältnissen bekannt sind, suchten durch anonyme Briefe von einem Hotelier und seiner Mutter in Herrenalb hohe Schweigegelder zu erpressen, andernfalls Familiengeheimnifse preisgegeben würden. Als Unterschrift war die „Schwarze Hand" und als Ort der Geldablieferung Straßburg angegeben, während die Briefe in Karlsruhe auf die Post kamen. Die Bedrohten ließen sich auf die Sache ein, verständigten aber die Polizei, der es auch gelang, beim Abholen der Briefe die „Schwarze Hand" in der Person des Bäckers Jüngling von Heidelberg festzuhalten. Sein Associe ist leider entkommen.
Straßburg i. E. 29. Okt. Prinz und Prinzessin Heinrich sind gestern vormittag 11 Uhr mit dem Ballon „Graf v. Wedel" hier aufgestiegen. Es war die erste Tour, die das Prinzenpaar im Freiballon machte. Der Ballon wurde von Professor Hergesell geführt und landete nachmittags 3 Uhr glatt bei Weilbach an der Strecke Würzburg-Heidelberg.
Cöln 29. Okt. Bei der gestrigen Versuchsfahrt des 2 II erlitt der vordere Propeller einen kleinen Schaden, sodaß er schon während der Fahrt abgestellt werden mußte. Gleich nach der Landung wurde mit der Reparatur begonnen, die im Laufe der letzten Nacht vollendet wurde, wegen dieses Schadens mußte die für gestern Abend geplante Dauerfahrt der drei Luftschiffe verschoben werden. Wahrscheinlich wird diese heute Abend zwischen 6 und 7 Uhr ihren Anfang nehmen. Die Luftschiffe nehmen zu diesem Zweck möglichst viel Benzin ein und werden in kurzen Abständen von der Luftschiffhalle aus ihre Fahrt antrete». Es besteht bei allen drei Luftschiffen die Absicht, so lange als
möglich in der Luft zu bleiben. Für den heutigen Freitag sind tagsüber keine Fahrten beabsichtigt.
Cöln 29. Oft. Wie von militärischer Seite mitgeteilt wird, werden die für heute abend festgesetzten Dauerfahrten der 3 Ballons nicht stattfinden. Ueber die Absichten für morgen steht gleichfalls noch nichts fest.
Berlin 29. Okt. Die Morgenblätter melden aus Bonn: Die hiesige Kriminalpolizei verhaftete gestern 2 Hochstapler namens Haselbeck und Schmid. Vier bahnlagernde Koffer, die gestohlene Wertsachen enthielten, wurden beschlagnahmt. — Das Bonner Schwurgericht verurteilte den 31 Jahre alten Handlanger Busch und den 35jährigen Taglöhner Kohlsmann aus Ramersdorf, die vor 12 Jahren einen Knecht aus Oberkassel erschlagen und den Leichnam, um die Spur des Verbrechens zu verwischen, auf das Bahngeleise gelegt hatten, zu 5 bezw. 4 Jahren Zuchthaus. — Das „Berliner Tageblatt" meldet aus Paris: Ein unkontrollierbares Gerücht besagt, daß der Prozeß Steinheil, der am 3. November beginnt, möglicherweise nach einer der ersten Verhandlungen vertagt werden könne, weil die Vernehmung eines Zeugen vielleicht eine Ergänzung der Untersuchung notwendig machen werde. Der Zeuge ist angeblich unter den Belastungszeugen zu suchen, die nachträglich geladen worden sind.
Berlin 29. Okt. In Gegenwart von Vertretern der Presse unternahm heute nachmittag der Ingenieur Grade einen Aufstieg auf dem Flugfelde bei Adlershof, um einen Probeflug für den morgen nachmittag gegen 3 Uhr auszutragenden Lanz-Preis zu absolvieren. Es gelang dem Aviatiker, die Bedingungen in jeder Hinsicht zu erfüllen.
Leipzig 29. Okt. Bei den Landtagsstichwahlen in Leipzig 2, 5 und 6 siegten die Nationalliberalen über die Sozialdemokraten. In Leipzig 3 wurde der Sozialdemokrat gegen den Nationalliberalen gewählt.
Posen 29. Oft. Gestern abend um
8Uhr hat sich zwischen Wollstein und Züllichau ein schweres Automobil-Unglück zuge
tragen, dem alle Jnsaßen des Wagens zum Opfer gefallen sind. Die Verunglückten sind der Rechtsanwalt und Notar Dr. Barkusky aus Kosten, die Rittergutsbesitzer Lorenz aus Nielongowo und
Forstmann aus Porthof, sowie der Chauffeur des Letzteren. Die Herren kehrten von der Jagd aus einem in Sachsen gelegenen Revier des
Rechtsanwalts Dr. Barkusky zurück, wohin sie sich am Sonntag Abend begeben hatten. Bei Züllichau mußten sie die Kleinbahnstrecke überschreiten. Das Automobil fuhr einen Berg herunter, während zu gleicher Zeit in voller Fahrt ein Kleinbahnzug herankam. Der Chauffeur versuchte im letzten Augenblick nach links abzubiegen, was ihm jedoch nicht mehr gelang. Das Automobil stieß mit dem Zuge zusammen. Der Wagen wurde zurückgeschleudert, überschlug sich und stürzte den Bahndamm herab. Alle vier Insassen wurden gelötet.
Genua 29. Okt. Ein furchtbares Unwetter hat gestern hier großen Schaden angerichtet. Mittags folgte eine Wasserhose und ein Wirbelsturm. Besonders in den niedriger gelegenen Stadtteilen wurde großer Schaden angerichtet. Eine Möbelfabrik wurde vollständig zerstört. Ein großer Teil des Telephon-Netzes wurde unbrauchbar gemacht. 7 Personen erlitten Verletzungen.
Paris 29. Okt. Die Bevölkerungsstatistik Frankreichs stellt für das erste Semester ds. Js. abermals einen Ueberschuß der Todesfälle gegen die Geburten fest, und zwar bleibt die Geburtenziffer gegen den gleichen Zeitraum des Vorjahres um 12692 Köpfe zurück, während die Todesfälle um 25019 zugenommen haben. Die Bevölkerung hat in sechs Monaten sich um 28 203 Köpfe vermindert Der Statistiker Bertillon findet die Hauptursache der Erscheinung in sattem Reichtum des Landes.
Paris 29. Okt. Der Leiter der von Muley Hafid zu den Rifianern entsandten Mission erklärte dem Korrespondenten des Matin, er habe die Aufgabe, zwischen den Spaniern und i den Rif-Kabylen eine Verständigung herbeizu-
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