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dem gewerblichen Nachwuchs gearbeitet und eine Besserung von unten herauf angestrebt werden müsse. Neben einer tüchtigen praktischen Ausbildung dürfe die theoretische und allgemeine Ausbildung nicht vernachlässigt werden. Die Handwerksmeister sollten darauf sehen, daß ihre Lehrlinge und Gesellen in ihrer freien Zeit statt der verderblichen Schundromane gediegene fachliche und allgemein bildende Schriften lesen und die Aus- und Fortbildungsgelegenheiten mit Fleiß und Eifer benützen. Nachdem noch der Wunsch nach einer Eisenbahnverbindung Herrenberg— Calw kurz gestreift wurde, schloß der Vorsitzende die Versammlung, in welcher so lehrreiche und beherzigenswerte Worte gesprochen wurden, daß es mit Grund bedauert wurde, daß solche nicht einer zahlreicheren Versammlung zu Gehör gebracht werden konnten.
Calw 12. Okt. Gestern abend ist in Altbulach das Doppelwohnhaus von Gemeinderat Mast und Postbote Philipp Blindt niedergebrannt. Das Feuer war bald nach 9 Uhr ausgebrochen und kurze Zeit später stand das große Gebäude bereits in Hellen Flammen. Zur Hilfeleistung waren eingetroffen die Feuerwehren von Neubulach, Liebelsberg und Oberhaugstett und es bedurfte gemeinsamer angestrengter Tätigkeit, das Feuer auf seinen Herd zu beschränken und das Weitergreifen zu verhindern. Ueber die Entstehungsursache ist nichts bekannt. Der Gebäudeschaden wird auf 8000 der Mobilar- schaden auf ca. 9000 geschätzt.
Se. König!. Majestät haben vermöge allerhöchster Entschließung vom 9. ds. Mts. auf das Forstamt Sittenhardt mit dem Sitz in Hall den Oberförster Hopfengärtner in Wildbald seinem Ansuchen entsprechend in Gnaden versetzt.
— In Simmozheim wird eine Postagentur errichtet, welche vom 20. Oktober ab in Tätigkeit tritt. Die Agentur erhält ihre Verbindung mit den übrigen Postanstalten durch eine tägliche Postbotenfahrt und einen werktäglichen Postbotengang zwischen Simmozheim und Weilderstadt. Mit der Eröffnung der Agentur wird die Telegraphenhilfsstelle in Simmozheim ihre Tätigkeit einstellen; der Telegraphendienst wird mit dem Postagenturdienst vereinigt. Der Postagentur ist auch die Parzelle Büchelbronn zur Bedienung zugewiesen. Zwischen der Postagentur Simmozheim einerseits und den Postorten Althengstett, Calw, Deckenpfronn, Deufringen, Döffingen, Friolzheim, Gechingen OA. Calw, Heimsheim, Hirsau OA. Calw, Liebenzell, Malmsheim, Merklingen OA. Leonberg, Neubulach, Neuweiler OA. Calw, Oberkollwangen OA. Calw, Perouse, Renningen, Schafhausen, Stammheim OA. Calw, Teinach, Unterreichenbach OA. Calw und Weil der Stadt andererseits sind die ermäßigten Taxen des Orts- und Nachbarortsverkehrs anzuwenden.
Herrenberg 11. Okt. In Sachen der von der Volkspartei und der Deutschen Partei in Aussicht genommenen Landtagskandidatur des Schultheißen Gärttner in Gärtingen war auch bis heute vormittag noch keine Entscheidung gefallen. Wie wir erfahren, hat sich Schultheiß Gärttner zur Annahme der Kandidatur bis jetzt noch nicht entschließen können.
Stuttgart, 11. Okt. Die beiden unbekannten Einbrecher, die bei dem Juwelier Kaufmann in der Friedrichstraße Juwelen und Gold waren im Werte von 100—150000-^ geraubt haben, sind nunmehr ermittelt worden, aber leider zur Zeit noch flüchtig. Sie sind der aus Altona zugereiste, stellenlose und vielfach vorbestrafte Reisende Gustav Rode und der stellenlose Kellner Josef Schilling. Sie waren anfang September aus Altona hier eingetroffen. Ihre Ermittelung ist auf folgende Weise gelungen: Gleich bei der Aufnahme des Tatbestandes wurde es klar, daß die Einbrecher sich mit der Bahn zur Flucht gewandt haben. Bei den Nachforschungen trat zutage, daß der hier sehr bekannte und übel beleumundete Ostertag, Sohn eines Pfandleihers, in der kritischen Nacht zusammen mit drei Männern gesehen worden ist, wie sie sich auf dem Bahnhof Herumtrieben. Er wurde unter strenge Beobachtung genommen und dabei wurde ermittelt, daß die Leute, mit denen er in jener Nacht zusammen war, in einem hiesigen Fremdenpensionat unter den falschen Namen Vallenda und Winter abgestiegen waren. Die Wirtin des Pensionates gab von den beiden Leuten eine Personenbeschreibung, die genau auf die bekannten Signalements von Rode und Schilling paßte. Außerdem gelang es, in Verbrecherkreisen festzustellen, wer die beiden waren. Ferner wurde festgestellt, daß Rode und Schilling zunächst nach Frankfurt a. M. abgereist waren und von dort aus telegraphisch ihre hiesige Wirtin um die Zusendung eines neuen Rohrplattenkoffers gebeten hatten, den sie am 29. September hier gekauft haben. Der Koffer sollte nach Frankfurt bahnlagernd gesandt werden, wobei der Pensionsinhaberin besondere Vorsicht eingeschärft wurde. Ehe diese aber dazu kam, den Koffer zu expedieren, trafen Rode und Schilling wieder aus Frankfurt hier ein und beauftragten einen Dienstmann, den Koffer abzuholen. Zwei unbekannte Komplizen begleiteten diesen dabei, schafften den Koffer erst in ein Versteck und brachten ihn dann zur Bahn. Darauf sind Rode und Schilling am Samstag mittag 12.40 Uhr in der Richtung Karlsruhe— Basel wieder abgereist. Diese Fahrtrichtung dürfte nur einen Trick darstellen. Die Kriminalpolizei hat nun weiter ermittelt, daß die Ver- über zahlreicher seit anfang September hier vorgekommener Einbruchsdiebstähle schwererer Art zweifellos gleichfalls Rode und Schilling waren.
So wurden bei Prostituierten und ihrem Anhang Sachen aus dem Seidengeschäft von Rieth und anderen durch Einbruch bestohlenen Geschäften vorgefunden, die dahin als Geschenke des Rode, Schilling und ihres Anhangs gekommen waren. Diese Gegenstände wurden beschlagnahmt. Verhaftet, als der Mittäterschaft dringend verdächtig, wurde Ostertag, ferner ein Bruder des Rode, bei dem verschiedene aus den anderen Einbrüchen herrührende Gegenstände gefunden wurden, desgleichen ein gewisser Schreiber, seines Zeichens Kaufmann, aber seit dem 1. April gänzlich stellenlos. Schilling trat hier sehr elegant auf. Er ist etwa 22 Jahre alt, mittelgroß, mit länglichem, vollkommen verlebtem Gesicht, langem, glattgescheiteltem dunkelblondem Haar, braunen Lackstiefeln und als besonderes Kennzeichen: zwei falsche, in Gold gefaßte Zähne, die' er in der oberen Zahnreihe vorne an Stelle fehlender trägt. Rode ist etwa 31 Jahre alt, mittelgroß, gleichfalls sehr elegant gekleidet. Auch er hat ganz verlebte Gesichtszüge und als besonderes Abzeichen feste Gummiplatten unter den Absätzen, die eine charakteristische Spur auf dem Boden hinterlafsen, wie sie sich auch an staubigen Stellen des Kaufmann'schen Ladens vorgefunden hatten. So besteht denn alle Hoffnung, der Verbrecher habhaft zu werden.
Gmünd 11. Okt. Hier tagte am 8. und 9. Oktober die VIII. Hauptversammlung des Württ. Vereins für Knabenhandarbeit. Die Ausstellung wurde am Samstag nachmittag 1 Uhr in der städtischen Festhalle eröffnet. Abends 6 Uhr war im Hotel Rad eine Vorstandssitzung, an die sich eine gesellige Zusammenkunft anschloß. Der Haupttag war der Sonntag. In den Vormittagsstunden wurde die Ausstellung von einem zahlreichen Publikum besichtigt. Ausgestellt hatten die Werkstätten in Stuttgart, Ulm, Göppingen, Aalen, Wasseralfingen u. a., die Lehrerkurse Stuttgart und Leipzig, das Schullehrerseminar, die beiden Taubstummenanstalten, die Gewerbeschule und die Kindergärten von Gmünd, Schulen und Werkstätten in Dresden, Alten bei Dessau, Glauchau und Zwickau, schließlich das Handarbeitsseminar in Leipzig. Auch praktische Arbeiten, so z. B. Vorführungen über Selbstherstellen von Kleisterpapieren, waren zu sehen. Die Gmünder Ausstellung des Vereins war bis jetzt die am reichsten beschickte. Sie bot nach dem Urteil von sachverständigen Kreisen ein prächtiges Bild des jetzigen Standes des Arbeitsund Werkunterrichts. Arbeiten aller Art waren vertreten, vom Stäbchenlegen, dem Papierfalten und -Flechten der drei- und vierjährigen Kinder in den Kleinkinderschulen bis zu den Modellierübungen der Gmünder Seminaristen und den Flach- und Reliefschnitzereien der Zöglinge höherer Lehranstalten. Wie sehr der Arbeitsunterricht
er selbst seine lange Gestalt in einem Schaukelstuhl wiegte und anscheinend ganz mit dem Genuß einer Importe beschäftigt war, ruhten seine Blicke unter den halbgesenkten Lidern hervor auf Armand und Evelin, die nebeneinander in der geöffneten Balkontür standen. Die junge Frau hielt einen großen japanischen Fächer zum Schutz gegen fürwitzige Sonnenstrahlen in der anmutig erhobenen Hand und hörte lächelnd auf das, was Armand ihr mit halblauter Stimme erzählte. Callein glaubte nicht fehl zu greifen, wenn er vermutete, daß es neben feurigen Galanterien auch so etwas wie eine Verabredung war für einen der nächsten Abende; an ihn selbst schien niemand zu denken. Er legte auch keinen Wert darauf, zog lässig seine Uhr, steckte sie lässig wieder ein und erhob sich mit der ihm eigenen vornehmen Nonchalance — den Rest seiner Zigarre warf er in die Schale, strich sich den glänzenden dunklen Bart aufwärts und hielt es für genügend, ein leichtes Gähnen nur oberflächlich zu unterdrücken, dann trat er an die Beiden heran.
Auf die Gefahr hin, mir die allerhöchste Ungnade der Baronin zuzuziehen, muß ich Dich doch erinnern, Armand, daß es an der Zeit ist, zur Bahn zu fahren, Du wolltest doch Deine Schwester abholen," sagte er, seinem Vetter auf die Schulter klopfend.
„Schon?" rief Ferni überrascht und setzte nach einem Blick auf die Uhr hinzu: „Allerdings — —"
„Indessen, wenn Du noch bleiben willst, lasse Dich nicht stören. Baronin, ich küsse Ihnen die Hand und empfehle mich Ihrer Gnade!"
Armand.zaudert sekundenlang und folgt dann mit plötzlichem Entschluß seinem Vetter. Seine Lippen berühren Evelins Hand, einmal — zweimal, seine Augen umfangen ihre Gestalt, er muß sich mit Ueberwindung losreißen. Ihr Lächeln, ihr Blick schlägt ihn in Fesseln, noch einmal bleibt er stehen und schaut sie an, heiß, sehnsüchtig.
„Gehen Sie, lassen Sie Callein nicht warten, -wir sehen uns ja
wieder — bald," sagte sie ihm mit ihrer weichen, gedämpften Stimme. Da geht er. Im Vestibül findet er Graf Markus, der sich eben vom Diener seinen Paletot reichen läßt.
„Ah, da bist du ja — gehen wir also zusammen!" ruft er ihm entgegen. Nun schlendern sie nebeneinander die Regentenstraße hinab, dem Tiergarten zu.
„Wenn wir einen Taxameter nehmen, können wir noch einen Kaffee trinken, bei Josty," sagt Callein, und so fahren sie bis zu der bekannten Konditorei und setzen sich draußen dicht ans Gitter, nach dem Potsdamer Platz zu.
„Wie kommst Du eigentlich zu der näheren Bekanntschaft mit der Horst?" fragt Markus, langsam einen Hennezis schlürfend.
„— das stammt von Norderney her, im vorigen Jahr! Mama und Anna kennen sie auch. Dann sahen wir uns ein paar Mal im Winter hier in Gesellschaften, dann ging sie nach Abbazia, Monte-Carlo, vorgestern begegnete ich ihr im Theater. Wie so was kommt, weißt Du."-
„Hm ja — ich weiß, wie so was kommt, freilich weiß ich das, ich habe das sogar mehr als einmal in meinem Leben erfahren. Und sie gefällt Dir, was?"
„Sie ist eine wunderschöne Frau, und ihr Geschick hat mich erschüttert."
„Ihr Geschick? Nun ich meine, sie hat sich eigentlich nicht zu beklagen. Wer gar keinen Namen hat und dann einen so anständigen, vornehmen bekommt, wie den einer Baronin Horst, kann zufrieden sein."
„Ich weiß alles, alles," ruft Armand lebhaft. „Diese Ehe mit dem kranken, elenden Horst willst Du doch wohl nicht als eine Chance hin- stellcn? Sie ist eine Kreuzträgerin gewesen."
Callein lacht laut auf, so laut, daß die Gäste an den nächsten Tischen sich nach ihm Umsehen, es stört ihn nicht weiter.
(Fortsetzung folgt.)