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es zu Tätlichkeiten, wobei er von dem Notar einen Stockschlag auf die Schulter erhielt. Der Angeklagte will keine Bedenken bei dem Abschluß des Vertrages gehabt haben. Der Staatsanwalt beantragte gegen Notar Cakwer eine Geldstrafe von 130 °^. Das Urteil gegen ihn lautete auf eine Geldstrafe von 230 Außerdem wurde dem Beleidigten Publikatidnsbefugnis zugesprochen. Die Strafkammer gelangte zu der Ansicht, daß das Geschäftsgebaren des Angeklagten nicht einwandsfrei sei und daß es seine Pflicht gewesen wäre, sich von einem solchen Geschäft fern zu halten. Wie bei der Verhandlung zur Sprache kam, hat der Angeklagte früher schon einmal einen Kollegen auf offener Straße beleidigt.
Stuttgart 1. Okt. In dem Bijouteriegeschäft von Eugen Kaufmann, FriedrichSstr. 64 hier, wurde heute nacht ein Einbruch verübt und Goldwaren, Schmuckgegenstände, bar Geld u. s. w. im Wert von etwa 100000 gestohlen. Die Wertsachen und einige tausend Mark bar Geld waren in einem Kassenschrank ältesten Systems aufbewahrt, den die offenbar routinierten Einbrecher mit Brechwerkzeugen, Eisenbohrer, Cent! umsbohrer und Brecheisen, öffneten. Die Täter sind von niemanden bemerkt worden und sind ungestört entkommen.
Kemnat OA. Stuttgart 1. Okt. Das 6 Jahre alte Mädchen des Christian Gscheidle wollte ihrem kleinen Brüderlein die Milch wärmen, während die Mutter auf dem Felde war. Dabei explodierte die Spiritus flasche und der Inhalt ergoß sich über das unglückliche Mädchen. Brennend sprang es aus dem Hause und rief um Hilfe. Diese war zwar sofort zur Stelle, doch war das Kind schon über und über mit Brandwunden bedeckt. Der Arzt, der ebenfalls bald zur Stelle war, ordnete nach Anlegung eines Notverbandes die sofortige Ueberführung ins Spital nach Stuttgart an. Der Zustand des Kindes ist hoffnungslos.
Ehningen 1. Okt. Die Brauerinnung gibt folgenden Bieraufschlag bekannt: Ab 1. Okt. kostet ein sogenanntes Gassen- Viertele 10 A ein sog. Einhalb-Liter 15 c), ein eichvoller Stein 20 A eine halbe Liter flasche 12 A eine '/-Literflasche 20 In dem Wirtschaftslokal ist unter 20 ^ kein V- Liter Bier abzugeben. „Abgesägte" gibt es nicht mehr.
Freuden st adt 1. Okt. Heute Mittag wurde unter außergewöhnlicher Teilnahme aus allen Teilen der Stadt und des Oberamts Freudenstadt Friedrich Stock jun., Teilhaber der Firma Friedrich Stock „Zur Linde" zu Grabe getragen. Im besten Mannesalter stehend hat er vor 14 Tagen auf. einer Erholungsreise in München einen Unfall dadurch erlitten, daß
er von einem Straßenbahnwagen überfahren wurde und sich dabei einen schweren Schädelbruch zuzog. Nach den anfänglich sehr ernst lautenden Nachrichten erwachte eine Zeit lang wieder, Hoffnung auf baldige Genesung, bis diese erschütternd jäh durch die Nachricht des Todes zerstört wurde; Friedrich Stock ist in der chirurgischen Klinik in München an einer Herzlähmung verschieden. Die allgemeine Beliebtheit und die Wertschätzung, deren sich der so plötzlich aus seinem blühenden Geschäft Herausgerissene erfreuen durfte, kam bei seiner Beerdigung zu ergreifendem Ausdruck. Stadtpfarrer Schönhuth entrollte dabei ein Bild des Lebenslaufs des Verstorbenen, der neben seiner herzgewinnenden Freundlichkeit im Umgang mit jedermann, ein nie rastender überaus fleißiger und umsichtiger Geschäftsmann gewesen ist.
Schramberg 1. Okt. Ein hier in Arbeit stehender jüngerer Bäckerbursche führte auf seinen Brotgängen mehrere Diebstähle aus. Er öffnete mit den in den Schlössern steckenden Schlüsseln Türen und Schubkasten, wobei er es besonders auf Geld abgesehen hatte. Seine Verhaftung erfolgte am Dienstag durch Schutzmann Nagel. Der Fall dürfte für die Hausfrauen eine Warnung sein, daß sie Schlüssel beim Verlassen der Wohnung und des Hauses nicht stecken lassen, sondern verwahren.
Waldsee 30. Sept. Wegen Verdachts des versuchten Giftmords bezw. eines versuchten Verbrechens gegen das keimende Leben wurde gestern ein hiesiger Friseur in Haft genommen. Er soll seiner der Niederkunft entgegensehenden Frau, mit der er in stetem Unfrieden lebt, Gift oder ein anderes schädliches Mittel heimlich in den zum Trinken bereitstehenden Kaffee geschüttet haben, ohne jedoch seine Absicht zu erreichen, da die Frau die Veränderung des Getränkes beim eisten Schluck bemerkte. Der Beschuldigte leugnet. Die chemische Untersuchung des beschlagnahmten Kaffees wird ergeben, ob die Beschuldigung Grund hat oder nicht.
Vom Bodensee 1. Okt. Vorgestern erlitt der um 2.22 Uhr ab Lindau nach Rorschach verkehrende schweizerische Kursdampfer „St. Gallen" durch den Bruch der Hauptführungsstange einen schweren Maschinendefekt und mußte mitten auf dem See still stehen. Auf dem Dampfer wurde die Notflagge gehißt, der auf der Fahrt von Rorschach nach Lindau befindliche schweizerische Kursdampfer „Helvetia" fuhr an den Dampfer heran, nahm von ihm die nach Rorschach bestimmten Passagiere an Bord und brachte sie nach Rorschach. Die nach Lindau fahrenden Passagiere der „Helvetia" stiegen auf die St. Gallen um und warteten, bis sie der mit zwei Schlepp
kähnen von Romanshorn nach Lindau fahrende bayrische Dampfer „Ludwig" abholte und mit b,»stündiger Verspätung nach Lindau brachte. Der letztere Dampfer mußte dann solange auf offener See liegen bleiben, bis er abends von einem schweizerischen Dampfer nach Romanshorn auf die dortige Werft geschleppt werden konnte.
München 28. Sept. In der heutigen Borstandssitzung des Deutschen Museums entwickelte Graf Zeppelinin ausführlicher meisterhafter Rede seinen Plan einer Versuchsanstalt für Luftschisfahrt am Bodensee, zu der das Reich und die Einzelstaaten Zuschüsse leisten müßten. Wolle man Aehnliches anderwärts einrichten, so würde man eine nur mit ungeheuren Kosten erwerbbare Fläche nötig haben, wie sie der Bodensee unentgeltlich und mit größerer Sicherheit für die Luftfchiffer darstelle. Die Einrichtung der Versuchsanstalt sei unbedingt notwendig. Das wichtigste dabei sei, eine Zersplitterung der Kräfte zu verhüten, da nicht einmal die Einzelstaaten, geschweige denn die einzelnen Universitäten ausreichende Mittel für zweckentsprechende Anstalten besäßen. Die ganze Versammlung, besonders die Vertreter der Universitäten, erklärten begeistert ihre Zustimmung. Der Vertreter der württembergischen Regierung drückte seine freudige Genugtuung über Zeppelins Vorschläge aus und gab bekannt, daß Württemberg bereits die auf es entfallenden Zuschußmittel bereitgestellt habe. Zeppelin sprach weiterhin über das für Frankfurt geplante Luftschifffahrtmuseum. Zeppelin würde eine derartige Zersplitterung des ohnehin spärlich vorhandenen Materials für unzweckmäßig erachten. Er vertritt eher die Anschauung, alles im Deutschen Museum zu vereinigen. Bei dem Fest, das München heute Abend den Vorstands- und Ausschußmitgliedern des Deutschen Museums gab, waren Graf Zeppelin, Major Parseval und Major Groß anwesend. Graf Zeppelin saß zur Rechten des Protektors, Prinzen Ludwig. Letzterer brachte ein Hoch auf den Prinzregenten und den Kaiser aus und erwähnte mit besonderer Freude und Genugtuung die Anwesenheit französischer Forscher, die gekommen seien, um die Einrichtung des Deutschen Museums zu studieren. Als zweiter Redner feierte Graf Zeppelin den prinzlichen Protektor, indem er dessen vielseitiges Wissen hervorhob. Der Zweite Münchener Bürgermeister toastete auf Münchens jüngsten Ehrenbürger, den ewig jugendfrischen Grafen Zeppelin. Außer sämtlichen Ministern war ungefähr alles anwesend, was München an Größen der Wissenschaft beherbergt.
München 1. Okt. Das Schwurgericht fällte heute Abend gegen den Anstreicher Peter Huber und den Taglöhner Josef Häuser
ist. Wo ist der Täter? Wer ist cs? Ach Gott, ich werde alt!" Und der Detektive stieß einen tiefen Seufzer aus.
„So haben Sie also den Fall als hoffnungslos aufgegebey,?"
„Nee, Verehrtester! Aber ich gestehe, ich habe keine große Hoffnung. Wenn ich nichts entdecken konnte, so lange die Spuren noch frisch waren, so sind die Aussichten jetzt noch viel geringer. Sie werden also wohl Ihre Wette gewonnen haben, Herr Doktor!" Und mit diesen Worten zog er ein Röllchen Banknoten aus der Westentasche.
„Aber durchaus nicht!" antwortete ich. „Ich hatte gewettet, der Mord sei von einem Mann begangen worden, und das ist ebensowenig bewiesen worden."
„Ta haben Sie recht. Na, dann guten Tag, Herr Doktor! Hoffe, Sie bald mal wieder zu sehen."
Damit ging er. Kaum hatte die Tür sich hinter ihm geschlossen, da brachte mein Junge mir einen Brief. Die Handschrift war mir unbekannt; ich riß den Umschlag ab und las:
Werter Herr Doktor!
Ich bin in großer Verlegenheit und bitte Sie, sobald wie möglich zu mir zu kommen. Ihre aufrichtig ergebene May Derwent.
„Gibt's eine Antwort, Herr Doktor?"
„Nein." Ich wollte nicht schreiben, weil ich ebenso früh bei ihr ankam wie der Bote.
Der Brief versetzte mich in eine derartige Aufregung, daß ich einen Augenblick wie betäubt war. Doch nahm ich alle meine Selbstbeherrschung zusammen und sprang auf, um sofort zu gehen. Da fiel mein Blick auf den neben meinem Teller liegenden Briefumschlag, der auf dem Rücken ein großes Wappen eingeprägt trug. Ich war wie vom Blitz getroffen — das Wappen war mir nicht unbekannt: es war dasselbe, das der Ermordete auf seinen Manschettenknöpsen gehabt hatte! Was konnte das bedeuten? War es möglich — hieß der Ermordete Derwent? Hatte er seinen Vornamen Allan beibehalten und nur den Familiennamen abgelegt, um sich
Brown zu nennen? Merritt hatte mir erzählt, daß Brown aller Wahrscheinlichkeit nach aus sehr guter Familie stamme, daß er mit Vorliebe sich als Abkömmling eines alten englischen Adelsgeschlechts aufgespielt habe. Aber wenn der Tote wirklich ihr Bruder war, wie war es dann möglich, daß May ihn nicht erkannt hatte? Nein — die Wahrscheinlichkeit sprach doch dafür, daß die Wappenschilder auf den Manschettenknöpfen nichts zü bedeuten hatten.
Ich eilte nach dem Hotel und wurde sofort in den Derwentschen Salon geführt. Er war leer, aber einen Augenblick nach meinem Eintritt erschien May und begrüßte mich aufs freundlichste.
„Es ist wirklich sehr gütig von Ihnen, daß Sie so schnell kommen."
„Sie wußten doch wohl, daß ich mich im Augenblick des Empfanges Ihres Briefes auf den Weg machen würde?"
„Ich hoffte es. Die ganze Nacht Hab' ich wach gelegen und zu Gott gebetet, er möge mir den Mut geben, ein Geständnis zu machen — ein Geständnis, das — ach! — meiner Mutter das Herz brechen wird!"
„Ihrer Mutter das Herz brechen?" rief ich verdutzt.
„Das Geständnis muß gemacht werden — unbedingt-aber
ich kann es nicht tun. Darum habe ich beschlossen, Ihnen die ganze Wahrheit zu sagen, und dann können Sie ihr die traurige Geschichte recht zart, recht schonend beibringen — ich vermöchte es nicht. Und sie bleiben bei ihr und trösten sie, wenn ich fort bin — nicht wahr, das versprechen Sie mir?"
„Sprechen Sie nicht so!" rief ich, indem ich trotz ihres Sträubens mich ihrer Hände bemächtigte. „Sie werden doch nicht sterben?"
„Rühren Sie mich nicht an!" stöhnte sie. „Sie werden mich auch gar nicht mehr berühren wollen, sobald Sie die Wahrheit wissen. Ich habe nicht nur ein entsetzliches Verbrechen begangen, sondern habe auch an meiner Stelle eine Unschuldige leiden lassen. Ich hätte dem Detektive schon gestern gestehen sollen, daß nicht Frau Atkins den Mann ermordet haben kann, weil — weil — ich selber ihn erstochen habe!"