Stuttgart 19. Aug. Zu den bereits aus dem Polizeibericht erwähnten Mißhandlungen eines auswärtigen Maurers durch hiesige Bahnbedienstete erfährt das „Neue Tagblatt", daß der Mann in der Kronenstraße aufgefunden wurde, daß er also allem Anschein nach sehr schwer mißhandelt worden ist. Die Lage der Kronenstraße bei, bezw. unter dem Hauptbahnhof dürfte den Schluß zulasten, daß der vom Stadtpolizeiamt gemeldete Vorgang „in einem Bahnhof" sich auf oder bei dem Hauptbahnhof abgespielt haben dürfte. Im übrigen wird von bahnamtlicher Seite erklärt, daß noch nicht festgestellt sei, ob die Mißhandlung auf dem Hauptbahnhof stattgefunden habe und ob sie überhaupt durch Bahnbedienstete, wie der Polizeibericht behaupte, geschehen sei. Demgegenüber hält die Polizeiverwaltung den Tenor ihres Berichtes in vollem Umfang aufrecht, gestützt auf die Angaben des Verletzten, der tatsächlich in der Kronenstraße heute nacht aufgesunden wurde und dessen Mißhandlungen anfänglich einen sehr schweren Eindruck machten, es hat sich dann allerdings im Laufe des Tages herausgestellt, daß sie nicht so schwer, jedenfalls nicht lebensgefährlicher Natur sind, daß sie aber immerhin auf eine sehr nachdrückliche Mißhandlung Hinweisen. Daß diese auf dem Hauptbahnhof erfolgte, dafür dürfte als Beweis der Umstand gelten, daß der von auswärts stammende Mann eine überaus genaue Ortsbeschreibung geben konnte, die ihm, wenn sie nicht den Tatsachen entsprächen, gar nicht bekannt sein könnte; denn er soll, wie wir von privater Seite erfahren, durch den Bahnhof hindurchgeführt und durch einen der früheren Ausgänge nach der Kronenstraße hinausbefördert worden sein. Die von dem Mißhandelten benannten Täter bestreiten allerdings ihre Schuld.
Stuttgart 19. Aug. (IX. große deutsche Fachausstellung des Verbandes deutscher Klempner, Flaschner und Jnstalateur- Jnnungen in Stuttgart 4.—20. Juni 1910.) Die anläßlich des nächstjährigen Verbandstages in Stuttgart in der Gewerbehalle stattsindende Ausstellung, die ein Bild des Standes der deutschen Blechindustrie und des hochentwickelten Jnstallationswesens in allen seinen vielseitigen Gebieten sowie der einschlägigen Werkzeug- und Werkzeugmaschinenbranche, der Hilfsmittel, Halbfabrikate, Geräte rc. geben wird, dürfte einen bedeutenden Umfang annehmen. Der König hat das Protektorat übernommen. Vorsitzender der Ausstellung ist Flaschnerobermeister I. Lorenz, Stuttgart, Stellvertreter C. Vötter, Vorstand des Landesverbandes Württemberg.
Stuttgart 19. Aug. Kartoffel- großmarkt auf dem Leonhardtsplatz. Zufuhr 100 Zentner; Preis 2.80—3.80 ^ per Zentner.
Krautmarkt auf dem Marktplatz. Zufuhr 500 Stück; Preis 25—30 ^ per 100 Stück.
Eßlingen 19. Aug. Die hiesigen Metzgermeister haben von heute ab, beim Kalbfleisch einen Preisabschlag von 85 auf 80-Z für das Pfund eintreten lasten. Die anderen Preise sind sich wie folgt gleich geblieben: Ochsenfleisch 85 s), Rindfleisch 80 Schweinefleisch 90 Hammelfleisch 66—76 A
Mergentheim 19. Aug. Der gestrige Schafmarkt war sehr schwach befahren. Da zahlreiche Käufer anwesend waren, so konnte in kurzer Zeit die ganze Zufuhr abgesetzt werden.
Heidenheim 19. Aug. Die Wagen der Menagerie Berg von München sind gestern vormittag angekommen und in der Bergstraße aufgestellt worden. Sie wurden alsbald von Schulknaben umringt. Der 9 Jahre alte Wilhelm Stängle kroch an einem Wagen hinauf und spuckte in die ganz oben angebrachte Gitteröffnung hinein. Plötzlich sprang ein Leopard in die Höhe, erwischte den Knaben und verwundete ihn an der recht Hand, an beiden Armen, am Hals und im Gesicht schwer. Es kostete außerordentlich viel Mühe, den Leoparden mit Stangen von seinem Opfer loszubringen. Der Knabe wurde alsbald dem in der Nähe befindlichen Bezirkskrankenhaus übergeben, die Verletzungen sind nicht lebensgefährlich, doch werden aller Wahrscheinlichkeit nach für die Hand bedenkliche Folgen Zurückbleiben.
Münsingen 19. April. Bei einer Attacke stürzte auf dem Truppenübungsplatz der Ulan August Theurer von der 1. Schwadron des 19. Ulanenregiments und konnte nur als Leiche aus dem Getümmel der nachfolgenden Schwadronen gezogen werden. Der brave junge Reiter hat einen Schädelbruch erlitten, der sofort tötlich war. Sein Vater, Schmied und Gemeinderat in Unterjesingen bei Tübingen, hatte am Tage vorher mit dem jüngeren Sohn einen Besuch im Lager gemacht. Er kam nun wieder, um die Leiche des Sohnes abzuholen.
Biberach 19. Aug. Das Verhältnis zwischen unserem Stadlschultheiß und den bürgerlichen Kollegien hat sich ungemein zu gespitzt. Die letzteren haben beschlossen, zur Beschwerdeführung eine Deputation an das Oberamt ev. an noch höhere Stellen zu senden, und in der Sitzung des Gemeinderats von vorgestern ging es wieder so zu, daß die Leute auf der Straße vor dem Rathaus stehen blieben. Bei all dem aber bleibt der Stadtvorstand ruhig und verfolgt den von ihm offenbar als richtig erkannten Weg weiter. Die Frage ist nur, ob er tatsächlich bei seinen Anschauungen, die namentlich in Bausachen denjenigen des Gemeinderats direkt zuwiderlaufen, recht oder unrecht hat. Geht die Geschichte in
gleicher Weise fort, so drängt sie schließlich doch einmal zur Entscheidung vor der Oberbehörde.
Ulm 19. Aug. Dieser Tage kam ein Mädchen hier an, das nach München zu seinen Eltern reisen wollte. Als es bereits in den Zug eingestiegen war, sprang ein Maurergehilfe dem Zug entlang und fragte: „Wer fährt nach München?" Er hatte nämlich auf dem Bahnhofe ein Portemonnaie mit 400 ^ Inhalt samt Fahrkarte nach München gefunden, das jahreweise Ersparnis des Dienstmädchens. Das Mädchen wollte nun dem ehrlichen Finder 5 überreichen, aber der Mauer wies dies entschieden ab. Schließlich drückte das Mädchen dem ehrlichen Manne ein Dreimarkstück in seine Juppentasche.
Friedrichs Hafen 19. Aug. Es steht nunmehr fest, daß 2 111 auf seiner Fahrt nach Berlin in Bitterfeld landen und daß Graf Zeppelin dort die Führung seines Luftschiffes übernehmen wird. Andere Landungen sind nur für den Fall vorgesehen, daß sie durch besondere Umstände veranlaßt werden sollten. Mitte September wird Graf Zeppelin nach Luzern fahren, und an der Stelle, wo eine Luftschiffhalle geplant ist, landen.
Pforzheim 19. Aug. Von dem hiesigen Schöffengericht wurden schwere Strafen für einen Gewaltakt verhängt, der anläßlich des Maurerstreiks begangen wurde. In der Nacht vom 12. auf 13. Juli kam hier ein Fuhrwerk mit Reisig durch. Da es fälschlich hieß, unter dem Reisig ' seien Arbeitswillige versteckt, überfielen etwa 20 Strecker den Wagen und Fuhrmann. Sie drohten mit Strängeabschneiden, stocherten mit Stöcken und Stockoegen in das Reisig und einer drohte dem Fuhrmann mit dem offenen Messer, er werde ihm die Gurgel abschneiden. Zum Glück war niemand in dem Reisig. Der Haupttäter, Maurer Gottfried Steinbach, erhielt 3 Monate Gefängnis, die anderen je 6 Wochen.
Pforzheim 19. Ang. Ein in einer hies. Bijouteriefabrik in der Osterfeldstraße beschäftigtes 23 Jahre altes Dienstmädchen, namens Johanna Schott, machte einen Selbstmordversuch, indem sie sich in ihr Zimmer einschloß und den Hahnen des Leuchtgases öffnete. Es wurde in bewußtlosem Zustande ins Krankenhaus gebracht und dürfte kaum mit dem Leben davonkommen.
Frankfurt a. M. 19. Aug. Die Stadt Ems hat einen Betrag von 1000 ^ ausgesetzt für dasjenige lenkbare Luftschiff, das im Laufe des Monats August einmal in Ems landet. Als Landungsplatz erscheint die große Schlackenhalde der Aktiengesellschaft zum Stollberg vorzüglich geeignet, die unterhalb Ems zwischen dem Lahnfluß und dem Schleußenkanal auf einer
23 Abt Wilhelm in Hirsau 1069 — 1091 .
11. Hirsauer Mönche
(Fortsetzung.)
Rettung vor dem drohenden Verderben gab es aber nirgends, als in den geweihten Räumen des Klosters; daher strömte hoch und nieder nach Hirsau und den verwandten Klöstern, als nach den Bergungsorten, in denen man sicher wohnen konnte; immer neue Klöster waren zu bauen, und die bestehenden zu vergrößern. Mit nicht geringerem Eifer richtete sich die Predigt der Hirsauer gegen die Priester, die ihre Weiber nicht entlasten hatten; sie verboten, Messe bei ihnen zu hören, und legten ihre ganze Tätigkeit lahm. Weil die Bischöfe in dieser Beziehung saumselig waren, wiegelten die Mönche mit dem größten Erfolg den Pöbel gegen die verheirateten Priester auf, die teilweise grausam mißhandelt, verstümmelt, verjagt, sogar getötet wurden. Die Jünger mochten wohl oft in ihrem Eifer weiter gehen, als dem Meister lieb war. Selbst das Ehelichwerden stellten sie als etwas Befleckendes hin und brachten auf den Dörfern Vereinigungen solcher zu stände, die sich verpflichteten, auf die Ehe zu verzichten. In ganzen Dörfern sollen sich die Eheleute von einander getrennt, und die erwachsenen Söhne und Töchter das Gelübde des Zölibats auf sich genommen haben. So wenig Grund vorhanden ist, die Richtigkeit derartiger Berichte der Chronisten zu bezweifeln, so wird man doch mit der Annahme nicht fehl gehen, daß diese Gelübde eben Erzeugnisse eines augenblicklichen Enthusiasmus gewesen find, die rasch vergessen wurden. Wenigstens erfahren wir nicht, daß irgendwo über ein Zuwenig des Nachwuchses geklagt worden, oder gar daß ein Dorf ganz ausgestorben wäre.
3. Die höchste Form geistiger Tätigkeit ist die Schriftstellerei. Wenn man in dieser Beziehung die Hirsauer Mönche sehr nieder taxiert
hat, so ist dieses Urteil zum mindesten unvorsichtig, sofern es sich bloß darauf gründen kann, daß keine Hirsauer Schriften aus der Zeit, in der Wilhelm lebte, auf uns gekommen sind. Das ist kein ausreichender Beweis, weil bloß ein Bruchteil des in jener bewegten Zeit Geschriebenen erhalten geblieben ist. Noch lange nach Wilhelms Tod, als das Auftreten der Hirsauer Mönche bereits den Hohn herausforderte, spotteten die Lorscher darüber, daß die ersteren, die Gemüter der Einfältigen berückend, ihre Scharteken überall verbreiten. In der uns zugänglichen Literatur wird auf nicht weniger als drei Schriften Bezug genommen, die unter Abt Wilhelm in Hirsau entstanden sind. Bernold erwähnt in einer Zuschrift an den Probst Adalbert in Straßburg eine Hirsauer Schrift über den päpstlichen Bann, deren Besitz er bei seinem Adressaten voraussetzt, in derselben sei mit den zuverlässigsten Gründen ausgesührt, daß man dem Willen des Papstes auch gegenüber dem eigenen Bischof, wenn dieser gleich katholisch und fromm sei, zum Gehorsam verpflichtet sei. Eine zweite Schrift ist geschichtlichen Inhalts und schildert den im Jahr 1081 unternommenen Zug Heinrichs IV nach Italien, die Eroberung Roms, die Wahl des Gegenpapstes und die durch denselben vorgenommene Kaiserkrönung; sie ist vor dem im Jahr 1085 erfolgten Tod Gregors VII abgefaßt. Daß sie aus Hirsau stammt, ergibt sich daraus, daß sie sowohl in der Geschichte des Klosters Petershausen bei Konstanz, als in der Gründungsgeschichte des Klosters Zwiefalten benützt ist, beide Klöster aber in den 80er Jahren mit Hirsauer Mönchen besetzt wurden, welche diese Schrift mitgebracht haben werden. Die wichtigste Schrift aus Hirsau ist eine Streitschrift, die wir genauer kennen aus der gegen sie gerichteten Bekämpfung seitens eines HerSfelder Mönches. Da wir in ihr eine Hauptquelle für die in Hirsau herrschenden Anschauungen haben, ist sie in einem besondern Abschnitt zu besprechen.
4. Wilhelm hatte aber auch für mäßig begabte Brüder angemessene Beschäftigung. Die Bibliothek des Klosters wurde hauptsächlich mittelst