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hauptete, er habe es verloren oder es sei ihm entwendet worden. Der Bäckermeister erwirkte eine einstweilige Verfügung der Zivilkammer, die die Auszahlung des Gewinnes an die In­haber des Loses auf drei Monate verbot. Von beiden Parteien wurden Zeugen zum Beweis dafür benannt, daß sie die rechtmäßigen Be­sitzer des Loses seien. Die Zivilkammer ver­kündete heute das Urteil dahingehend, daß den Arbeitern der Anspruch auf den Gewinn zusteht. Der beklagte Bäckermeister hat die Einwilligung zu geben, daß der auf der Bank hinterlegte Gewinn den Arbeitern, als den Inhabern des Loses ausgefolgt wird. Das Urteil ist gegen Hinterlegung von 41000^/7 vorläufig vollstreckbar.

Ludwigsburg 13. Juli. Von dem 200 jährigen Jubiläum des Bestehens derStadt ist es, trotzdem das Fest unmittelbar vor der Türe steht, noch recht still. Zu der Festsitzung der bürgerlichen Kollegien wird, des knappen Raumes wegen, nur ein beschränkter Kreis Eingeladener Zutritt haben. Das Kinderfest und das für Samstag, den 17. ds. auf der Planie geplante große Volksfest sind noch sehr vom Wetter bedroht. Für das Volksfest sind alle Vorbereitungen im Gange. Es werden vier Wirtschaften aufgeschlagen werden, ferner Musik- und Tanzpodien eröffnet. Der ganze prächtig zwischen Alleen eingebettete Platz soll auss schönste geschmückt und abends gleich dem Schlosse und der Terrassen glänzend beleuchtet werden. Ein großartiges Kunstfeuerwerk soll den Höhe­punkt des Festes, zu dem jedermann gegen Be­zahlung Zutritt hat, bilden. Die sehr beträcht­lichen Kosten werden ourch Stiftungen und Beiträge der Vereine aufgebracht.

Heilbronn 13. Juli. Gestern abend wurde auf dem neuen Friedhof ein junges Mädchen aufgefunden, das in einem ohnmacht- ähnlichen erstarrten Zustande am Boden lag. Es wurde in den Baal verbracht und Belebungsversuche angestellt, die lange ohne Erfolg waren. Endlich kehrte das Bewußtsein zurück. Die Ursache der Betäubung war eine schwere Nervenerschütterung. Das Mädchen er­zählte mit stockender Stimme unter unaufhörlichem Weinen seiner herbeigeeilten Mutter von der schlechten Behandlung, die es bei der Dienst- Herrschaft in einem badischen Ort in der Nähe von Großgartach zu erdulden hatte. Das Mädchen wurde in einem Wagen ins Krankenhaus gebracht.

Nürtingen 13. Juli. Das gestern früh bei Neckarhausen erschossen aufgefundene Mädchen ist die 19 Jahre alte Ladnerin Frida Scheurenbrand von Cannstatt. Dem traurigen Vorgang scheint eine Liebesaffaire zu Grunde zu liegen, da bei der Leiche ein Zettel lag, mit den Worten: Wir haben beschlossen, gemeinsam in den Tod zu gehen! Die heute stattgefundene Untersuchung ergab, daß auf das Mädchen 5 Schüsse

abgegeben wurden, die sämtlich von tödlicher Wirkung waren, ferner kann als bestimmt an­genommen werden, daß über die Tat gegenseitiges Einverständnis geherrscht hat. Obwohl über den Verbleib des mutmaßlichen Täters, den ebenfalls 19 Jahre alten Mechaniker Gustav Popp von Stuttgart, bis jetzt nichts ermittelt werden konnte. Jedenfalls dürfte auch er Hand an sich gelegt haben. Auf Veranlassung des Vaters der Ge­töteten hat die Beerdigung schon gestern nach­mittag in Neckarhausen stattgefunden. Von anderer Seite wird zu der Tat geschrieben: In Neckarhausen wurde gestern nachmittag die Sektion des ermordeten Mädchens vorgenommen. Es soll sich um eine Liebestragödie handeln, der zwei blühende Menschenleben zum Opfer fielh Düs Ladenfräulein wird seit einigen Tagen >y Cannstatt vermißt und scheint mit ihrem Geliebten ziel- und planlos umhergereist zu sein, bis sie sich einigten, in den Tod zu gehen. Sie wurde, zweifellos mit ihrem Einverständnis, auf offener Landstraße durch 5 Revolverschüsse getötet. Die Leiche des Mechanikers, eines 21jährigen Elektro­technikers von Heslach, ist noch nicht gefunden, er dürfte den Tod in dem nahen Neckar gefunden haben.

Vom Schwarzwald 9. Juli. Unseren Uhrenfabriken ist in letzter Zeit in russischer Gefängnisarbeit ein recht schädlicher Wett­bewerb entstanden, insbesondere von Warschau aus, wo ein früherer Vorarbeiter aus Schwenningen als Gefängniswerksührer angestellt ist. Die Bestandteile der Uhren amerik. Systems werden in großen Posten von Händlern aus Deutschland bezogen und von den Gefangenen zu den aller- niedrigsten Preisen zusammengesetzt. Gegenschritte bei der russichen Regierung sind bis jetzt erfolg­los gewesen.

Pforzheim 13. Juli. In der gestrigen Bürgerausschußsitzung wurde einstimmig der An­kauf des Benckiser'schen Hammerwerkes und der Weiherwiesen (80923 qm und für Mill. Mk. Gebäude) für 2 Millionen Mark beschlossen. Wegen der Uebernahme eines Teils der umfangreichen Einrichtungen und Weiter­betriebs der Gießerei und Maschinenfabrik schweben gegenwärtig Verhandlungen, die eine Erhaltung der Fabrik am Ort hoffen lassen.

Lindau 13. Juli. DasLindauer Tag­blatt" meldet: Infolge andauernden Regens ist der Bodenseespiegel um 46 em gestiegen. Auf der Bodenseegürtelbahn stürzte bei Wasser- Bürgbühl kurz nach dem Passieren eines Güter­zuges der Bahndamm auf 100 Meter Länge ein, sodaß der Verkehr bis auf weiteres unterbrochen ist.

Augsburg 8. Juli. Ein lustiges Stückchen hat wieder einmal St. Bureaukratius verübt. Eine hiesige Behörde hatte in einem Orte bei Bochum eine amtliche Erkundigung

einzuziehen; da diese eilte, wurde telegraphisch bei dem dortigenSchultheiß" angesragt. Das Telegramm kam als unbestellbar zurück, da es einen Schultheiß dort nicht gebe. Wiederum ging eine Depesche ab und zwar an den Orts­vorsteher; auch diesmal kam sie wieder zurück mit der Begründung, daß dort die amtliche Be­zeichnung Ortsvorstcher nicht cingeführt sei. Erst als die Polizei andepeschiert wurde, konnte Aus­kunft gegeben werden.

Frankfurt a. M. 13. Juli. Nach den neuesten Informationen wird Parseval III mit Major Parseval, Hauptmann v. Köhler und Oberingenieur Kiefer bestimmt heute Abend in Bitterfeld aufsteigen. Er schlägt die Richtung ein über Halle, Eisenach und Fulda. In Frank­furt dürfte er morgen früh zu erwarten sein.

Berlin 13. Juli. (Reichstag.) Am Bundesratstisch Staatssekretär Dernburg. Zu­nächst werden die Petitionen, die die Kommission für ungeeignet zur Erörterung im Plenum er­achtet hat, für erledigt erklärt. Das Abkommen zwischen dem Deutschen Reich und Dänemark, betr. den gegenseitigen Schutz von Mustern und Modellen wird in dritter Lesung unver­ändert angenommen, ebenso der Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrag zwischen dem Deutschen Reiche und dem Freistaat Venezuela. Es folgt die dritte Beratung des Gesetzentwurfs betr. zollwidrige Behandlung vonGerste. Nach kurzer Debatte wird das Gesetz mit einem Antrag des Zentrums angenommen, wonach der Bundesrat die zur Durchführung des Verbots erforderlichen Bestimmungen erläßt und insbeson­dere befugt ist, für die zu dem niedereren Zollsatz eingeführte Gerste eine Kennzeichnung vorzu­schreiben. Darauf wird in dritter Lesung das Schankgesetz fast ohne Debatte erledigt. Es folgen Rechnungssachen. Bei der Abrechnung über den Molenbau bei Swakopmund bittet Staatssekretär Dernburg um Bewilligung der von der Rechnungskommission beanstandeten Aus­gab eüberschreitungen. G örcke-Branden­burg (natl.) beantragt dagegen als Referent, den betr. Beamten, der die Etatsüberschreitungen verschuldet hat, mit allen Rechtsmitteln zu verfolgen. Der Antrag wird angenommen. Nach Erledigung mehrerer Petitionen wird das Gesetz betr. die Gewährung von Beihilfen an Kriegsteilnehmer in 3. Lesung einstimmig an­genommen. Es folgen Wahlprüsungen. Be­weiserhebung wird beschlossen bei den Wahlen der Abgg. Dr. Contze (ntl.), Euen (kons.), Spindler (Ztr.), v. d. Wense (Rpt.), Rieseberg (Wschftl. Vgg.), Dr. Struve (Frs. Vgg.), v. Saß-Jaworski (Pole) und v. Schubert (ntl.). Für ungültig erklärt werden die Wahlen der Abgg. Oeser (Frs. Vpt.), Graf Carmen-Zieserwitz (kons.), v. Winterfell) (kons.), Legien (Soz.), Brey (Soz.) und Haas (ntl.). An die Kommission zurückver-

Wie er im priesterlichen Erbarmen das Elend der Aermsten mitfühlte und zu lindern bemüht war, zeigt z. B. ein Reiseerlebnis, daß uns aus der Nähe des Klosters Zwiefalten berichtet wird. Als er nicht ferne vom Ziel war, betrat er, während die übrigen den Weg fortsetzten, mit einem Begleiter im Waldgebiet zu kurzer Rast eine ärmliche Hütte, in der er eine sehr arme Frau antraf. Sich neben sie setzend, erkundigt sich der mitleidige Abt nach ihren Verhältnissen und erfährt, wie sie mit ihrem Ehemann trotz harter Arbeit kaum mit Brot und Wasser ihr Leben zu .fristen vermag. Als nach einer Weile auch der Gatte kam, stellte sich heraus, daß das unglückliche Paar mit der christlichen Religion völlig unbekannt war. Tief aufseufzend wegen der zwiefachen Dürftigkeit sagte Abt Wilhelm mit herzlicher Teilnahme:Kein Wunder, seid ihr äußerlich arm, da ihr Gott erbarme sich! nichts wisset von Gott, der alles reichlich zu genießen gibt." Nachdem er der geringen Fassungskraft entsprechend in kurzem den Inhalt des Evangeliums dargelegt hatte, forderte er sie auf, ihm in das nicht ferne Kloster zu folgen. Als sie am andern Tag eintrafen, nahm er sie freundlich auf und behielt sie einige Zeit, um ihrer geistlichen und leiblichen Not zu steuern.

In der schönen Vermählung sittlich-religiöser Höhe mit herablassender und gewinnender Liebe liegt der Grund für den bestrickenden Zauber, den diese Persönlichkeit entfaltete, und für den wenigstens während seiner Lebenszeit andauernden Erfolg, mit dem seine Bemühungen auf Reform der darniederliegenden Klosterzucht gesegnet waren. Uebelgesinnte ent- waffnete er und gewann sie zu Freunden, Gäste, die das Kloster besuchten, wollten nicht mehr abreisen und legten das-Mönchsgelübde ab, zahlreiche Männer bis in die Kreise der höchsten Aristokratie fanden sich ein, brachten Hab und Gut dem Kloster dar und stellten die eigene Person in seine Dienste. Wilhelm war ein brennendes und scheinendes Licht.

Doch kein Mensch ist frei von Schwäche und Irrtum.Wir fehlen alle mannigfaltiglich" (Jak. 3, 2). Auch der Persönlichkeit Wilhelms waren ungeachtet seiner Vortrefflichkeit Schranken gesetzt, die wir nicht übersehen dürfen, wenn wir dieses Bild treu wiedergeben wollen. Fehlt es dem Bilde nicht am Schatten, so dürfen wir doch nicht aus dem Auge verlieren, daß der Kern des Wesens von reinem Lichte bestrahlt ist. Ueber zweierlei Schranken vermag kein Mensch in diesem Stande irdischer Unvollkommenheit sich hinwegzusetzen; diese sind teils in seiner Eigenart begründet, teils in den Vorurteilen und Jrrtümern des Zeitalters, dessen Kind er ist.

In jener Hinsicht hat Wilhelm sich zuweilen irre leiten lassen durch ein zu weit gehendes Vertrauen, das er seinen Mitmenschen schenkte. Wie er persönlich ohne Falsch war, so setzte er gerne auch bei andern das Beste voraus, er war in der Beurteilung der Menschen Optimist. Der Seelsorger, wenn er etwas ausrichten und den Mut zu seinem Beruf nicht einbüßen will, muß allerdings jedem Menschen gegenüber treten mit der Ueberzeugung, daß auch im offenbaren Sünder ein guter Keim schlummert, der mit Gottes Hilfe zum Leben geweckt werden kann, selbst den Verbrecher darf er nicht wegwerfen und aufgeben. Aber will er keine bitteren Enttäuschungen erleben, so darf er andererseits die furchtbare Macht des Bösen nicht unterschätzen und hat vor allem sich zu hüten, daß er durch frommen Schein sich nicht blenden läßt. Geradezu verhängnisvoll war die Täuschung, der sich Wilhelm über einen gewandten und beredten, aber tückischen Mann hingab, dem er die Stellung des Priors anvertraute, und der sein Nachfolger wurde, unter dem bereits der Niedergang des Klosters begann.

(Fortsetzung folgt.)