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Amts- und Anzeigeblatt für den Gberamtsbezirk Calw.
84. Jahrgang-
Lrscheinungstage: Montag, donuerstag, Freitag und Sa
mStag.
Mittwoch. HnsertionSpreis
10 Hfq. pro Zeile für Stadl u. Bezirksorte: außer Bezirk 12 Pfg.
Mittwoch, den 14. Zuli 1909.
^ gSpr.i.d. Stadt ^/Zährl.m. Trägerl. Mk. 1.25. Postbezugspr. s. d. Orrs- u. Nachbarortsverk. '/.jährl. Mk. 1 . 20 , im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellg. in Württ. 30 Pfg., in Bayern u. Reich 42 Pfg.
Tagesrre«igkeiteA.
Calw. Die Feier des 40jähr. Amts- jubiläums von Schultheiß Scholl in Unterreichenbach findet am Samstag, nicht am Sonntag statt.
* Calw 14. Juli. Die Getreidepreise sind in den letzten Monaten sehr in die Höhe gegangen. Während im Juni 1908 der Preis des Doppelzentners Weizen sich auf 20,86 ^ im Durchschnitt stellte, betrug der Preis im Juni dieses Jahres 26,55 In Bayern stieg sogar der Weizenpreis auf 30,33 in Württemberg war der niederste Preis 21 Den höchsten Gerstenpreis mit 21,60 ^ weist Württemberg auf, am niedrigsten ist der Preis in Ostpreußen mit 14 Die Erhöhung der Getreidepreise brachte eine Erhöhung der Mehl- und Brotpreise mit sich. Letztere sind außerordentlich in die Höhe gegangen und haben eine derartige Steigerung erfahren, daß sie die Haushaltungskosten sehr stark belasten. In Heidenheim hat infolge des erheblichen Preisaufschlages aller Bäckereiwaren der Gemeinderat den Beschluß gefaßt, die Kontrolle für Backwaren, namentlich in Bezug auf Gewicht und Wassergehalt, sowie auf die Qualität des verwendeten Mehls künftig strenger durchzuführen als seither. Die hiesigen Bäcker, die Lieferanten des Konsumvereins waren, haben ihren Vertrag ebenfalls wegen der Höhe der Mehlpreise gekündigt und die Brotlieferungen eingestellt. Der Konsumverein sah sich daher genötigt, da die Lieferanten infolge der höheren Einkaufspreise einen niedrigeren Rabatt als seither gewähren wollten, das Brot für seine Mitglieder von auswärts zu beziehen. Der Bedarf an Brot ist im Verein groß, es sollen wöchentlich etwa 600 Laibe Brot notwendig sein, welche vom
Konsumverein Stuttgart geliefert werden. Den hiesigen Geschäftsleuten entgeht dadurch eine nicht geringe Einnahme.
Stuttgarts. Juli. Geh. Kommerzienrat Alexander v. Pflaum hat in Gemeinschaft mit seiner Gemahlin anläßlich der Vollendung seines 70. Lebensjahrs der Zentralleitung des Wohltätigkeitsvereins den reichen Betrag von 100000 als „Hilfsfonds für notleidende Arbeitslose" zur Verwaltung übergeben. Das Zinsenerträgnis ist zur Unterstützung unverschuldet durch Arbeitslosigkeit in vorübergehende Not geratener Personen ohne Unterschied der Konfession, die mindestens 1 Jahr lang innerhalb des Stadtdirektionsbezirks Stuttgart in Arbeit gestanden haben, zu verwenden.
Stuttgart 12. Juli. (Strafkammer.) In einer Reihe inländischer und ausländischer Automobilzeitungen erschien -im August vorigen Jahres im Anschluß an eine Gerichtsverhandlung vor der hiesigen Strafkammer ein Artikel, in dem ausgeführt war, daß in Zuffenhausen eine Automobilfalle bestehe. Die bürgerlichen Kollegien erließen gegen den Artikel eine Erklärung in verschiedenen Zeitungen. Ein hiesiger Oberingenieur richtete, nachdem er den Artikel in den Sportszeitungen und die Erklärung der bürgerlichen Kollegien von Zuffenhausen gelesen hatte, ein Schreiben an das dortige Stadtschultheißenamt, bezw. an die bürgerlichen Kollegien, in dem u. a. von hinterlistigem Abfangen der Automobile durch verdeckt aufgestellte Schutzleute die Rede war. Die bürgerlichen Kollegien von Zuffenhausen fühlten sich durch den Brief beleidigt und stellten Strafantrag gegen den Schreiber und die Beleidigungsklage kam vor dem Schöffengericht Ludwigsburg zur Verhandlung. Der Ober
ingenieur machte geltend, daß er die bürgerlichen Kollegien nicht habe beleidigen wollen. Erhübe in dem Schreiben nur Behauptungen angeführt, die in dem Artikel enthalten seien. Gegen ihn selbst sei einmal eine Strafverfügung des Stadtschultheißenamts Zuffenhausen wegen zu schnellem Fahren ergangen, obgleich er keinen Schutzmann gesehen habe. Er habe in Wahrung berechtigter Interessen der württembergischen Automobilindustrie gehandelt. Das Schöffengericht erkannte auf Freisprechung, ebenso die Strafkammer auf die.von der Amtsanwaltschaft eingelegte Berufung.
Stuttgart 12. Juli. Unter schwierigen Verhältnissen landete heute nachmittag 2V- Uhr der um 11V- Uhr in Heidelberg aufgestiegene Ballon „Zähringen" auf dem Gleise der Gäubahn unterhalb des Hasenbergturmes. Die Insassen waren Prinz Wilhelm von Sachsen- Weimar und zwei Offiziere. Der Ballon war vollständig durchnäßt; bei der Bergung war die Stuttgarter Berufsfeuerwehr behilflich. Der Besitzer des nahen Restaurants Waldhaus, Herr Lander, der bei der Bergung behilflich war, hat sich durch das ausströmende Gas eine leichte Gasvergiftung zugezogen.
Stuttgart 10. Juli. Umdasgroße Los der diesjährigen Stuttgarter Geld- und Pferdelotterie, das bei der Ziehung am 23. April auf die Nummer 108 573 fiel, ist bekanntlich ein Streit entbrannt. Das Los befand sich im Besitz eines Arbeiters, der es zugleich im Namen von drei anderen Arbeitern gekauft zu haben behauptet. Als die Gewinner die 40 000 Mk. auf der Bank erheben wollten, war die Nummer gesperrt. Inzwischen hatte sich ein Bäckermeister von Bückingen gemeldet, der das Los bei dem gleichen Agenten gekauft haben wollte und be-
» Abt Wilhelm in Hirsau 1069—1091.
5. Charakterbild Abt Wilhelms.
(Fortsetzung.)
Ueber alles gemeine Trachten nach irdischem Gut, vergänglicher Lust und eitler Ehre war Wilhelm weit erhaben. Diese Seele, die nicht in der Welt des Scheines sondern ganz im Reiche der ewigen Werte ihre Heimat hatte, vermochte kein Bleigewicht niedriger Interessen in die Sphäre des Erdenstaubs herabzuziehen. In heißem Kampfe mit Fleisch und Blut hat Wilhelm eine sittliche Höhe erreicht, auf der er auch in Leistung der harten Entsagungen, die das Mönchsgelübde auferlegt, als ein bewundertes Vorbild vor den Augen der Zeitgenossen stand. Auch diejenigen Güter, die ein zur Freiheit der Gotteskinder hindurchgedrungener Christenmensch dankbar empfängt und genießt, wenn Gottes Güte sie ihm beschert, hatten ihre Reize für den in Avtötung der natürlichen Triebe geübten Mann verloren. Schlicht und einfach gestaltete er seine ganze Lebenshaltung. Bei Mahlzeiten lehnte er jede Bevorzugung ab; wollte man ihm eine bessere Speise vorlegen, so ließ er sie den Kranken zukommen. Auf den vielen Reisen, die er zu machen hatte, bediente er sich keines stolzen Rosses, sondern ritt bescheiden auf einer billigen Stute oder einem Maultiere. Die Bezeugungen der Ehrerbietung, die dem Abte gegenüber gebräuchlich waren, hätte er am liebsten abgelehnt, weil sie seinem demütigen Sinn zuwider waren, aber die Alten bestanden darauf, daß er sich ihnen nicht entziehen dürfe. Auch darin trat seine ungeschminkte Demut und Wahrheitsliebe zu Tag, daß er als Abt sich selbst einen Tadel seitens seiner Klosterbrüder gefallen ließ. Unbedeutende Menschen sind empfindlich und können keine Kritik ertragen, wenn sie auch treffend ist und in schonender Form vorgetragen wird; sie feinden denjenigen an,
der sie übt; wem es aber redlich darum zu tun. ist, richtig zu wandeln, gibt gerne der Wahrheit die Ehre und ist dem dankbar, der sie wohlmeinend bezeugt.
Je weniger der Abt aber Ehre bei Menschen suchte, um so williger wurde sie ihm entgegengebracht. Er hatte fürwahr nicht nötig, um den Untergebenen Respekt einzuflößen, das Gewicht seines hohen Amtes geltend zu machen, wie es oft in der Welt vorkommt, daß die amtliche Stellung für die ihrem Träger mangelnde Tüchtigkeit Ersatz bieten muß. Vielmehr empfand jedermann eine ehrerbietige Scheu vor der Größe dieses Mannes. Lässige und unvorsichtig Wandelnde hatten Ursache, sich zu fürchten vor seiner ernsten Rüge, vor seinem scharfen Auge, vor seiner ganzen ihre eigene Minderwertigkeit strafenden und richtenden Erscheinung; redliche Seelen aber fühlten sich angezogen von dem Lichte, das einen so Hellen Schein warf. Wie die höchsten Spitzen in Kirche und Staat Rat und Hilfe bei ihm suchten, wie sein Kloster verjagten Bischöfen und Klerikern als Asyl diente, wo sie Schutz und Pflege fanden, wie Adelige und Freigeborene in großer Zahl herbeiströmten, um teils als Mönche, teils als dienende Brüder sich dauernd in Hirsau niederzulafsen, wird im weitern Verlauf dieser Mitteilungen manchfach zur Sprache kommen, aber auch kleine Leute wurden von ihm nicht übersehen oder hintangesetzt. So hoch er persönlich über allen stand in Beziehung auf geistige Ueberlegen- heit und sittliche Würde, hielt er sich doch nicht in unnahbarer Ferne oder in kalter vornehmer Zurückhaltung, sondern auch dem Geringsten im Volke wandte er seine Fürsorge zu; auch Mittellose nahm er mit Liebe ins Kloster auf, wenn er eine aufrichtige Gesinnung an ihnen wahrnahm und hielt es nicht für unter seiner Würde, Arme und Kranke in ihren Behausungen aufzusuchen. Er war ein Seelsorger von Gottes Gnaden, der den glimmenden Docht des Glaubens anzufachen wußte und Betrübte aller Art so trösten konnte, daß sie erleichtert und von fröhlichem Mut beseelt von dannen gingen.