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muntern und die etwa bei ihnen einkommenden Anmeldungen für die Prüfung in Schulfächern annehmen und dem Vorstand der betreffenden Gewerbeschule übermitteln. Hiezu wird beschlossen, den Anregungen der K. Zentralstelle zwar stattzugcben, dagegen die Prüfungszeugnisse auch ferner — wie Heuer erstmals — ohne einen Vordruck für das Schulprüfungszeugnis auszuferttgen, — Die Gesuche verschiedener Lehrlinge um Verkürzung der Lehrzeit werden genehmigt, einem Gesuch eines Malers um Rückersah der hälftigen Meisterprüfungsgebühr vermag der Vorstand nicht zu entsprechen, da der Kandidat seine Anmeldung nach Einleitung der Prüfungsgeschäfte ohne dringende Veranlassung zurückgezogen hat. Ueber den Verlauf und das finanzielle Ergebnis der Frühjahrsmeisterprüsungen gab der Sekretär einen kurzen Ueberblick. Von 215 angcmeldete» Kandidaten sind 16 zurückgetreten bezw. zurückgestellt worden, 2 sind zur Pnifung nicht erschienen. Nicht bestanden sind 13 Kandidaten aus 7 verschiedenen Gewerben. Soweit eine Uebersicht über die Kosten der Prüfungen möglich ist, kann ein günstiges Ergebnis erwartet werden. Zum erstenmnle dürfte sich ein Ueberschuß und zwar in Höhe von rund 1200 ergeben. Auch über die Frühjahrsgesellenprüfungen erfolgt seitens des Sekretärs ein kurzer Bericht. Die Zahl der Prüflinge hat sich zwar wieder um ein geringes gehoben (1472 gegenüber >457 im Frühjahr 1908): allein es scheine doch das Maximum erreicht zu sein, so daß in den nächsten Jahren mit einer ungefähr gleichbleibendcn Zahl von en. 1500 Prüflingen gerechnet werden könne. Die Kosten der Ausschüsse sind infolge eines Sparsamkcitserlasses der Kammer an die einzelnen Vorsitzenden erfreulicherweise etwas zurückgegangen. Im ganzen haben sich die Gesellenprüfungen ohne größere Anstände abgewickelt; der Berufungsausschuß wurde in zwei Fällen angerufen. Die nächste Vollversammlung soll in der Zeit vom 6. bis 8. Juli stattfinden und folgende Tagesordnung ausweisen: 1. Bericht über die Durchführung der Ge- werbeordnnngsnovelle vom 30. Mat 1908. 2. Bericht über den Verlauf der Frühjahrs-Meister- und Gesellen- Prüfungen. 3. Neuwahl von Beauftraglen. 4. Abnahme der Jahresrechnung 1908 09. 5. Beratung des Haushaltplans 1909.10. 6. Besprechung der auf dem heurigen Kammertag zur Beratung stehenden Gegenstände. 7. Mitteilungen: Anträge und Wünsche. An verschiedene gewerbliche Vereinigungen des Kammerbezirks wurden Unterstützungen zu den Kosten ,von UnterrickMkursen verwilligtz ebenso an drei Besucher eines -staatlichen Genossenschastskurses. Aus der Vorstandssitzung vom 24. Mürz ist noch nachzutragen: Die Frage der Neuregelung des Beauftragtenwesens, die im Hinblick auf die einschneidenden gesetzlichen Aenderungen der letzten Zeit und die deshalb besonders wichtigx>Lehrlingskontrolle eine beschleunigte »Lösung verlangt,-chll in BMde^ykVc Lösüng entgegengeführt werden. Beabsichtigt ist die Anstellung eines 'Beauftragten für den größeren Teil des Kammerbezirks, worüber die.,anfangs'Juli stattfindende Vollversammlung Beschlutz fassen wird. Vom Vorstand des Verbands deutschev-Gewerbevereine ist eine Denkschrift unter dem Titel „Pensions- und Hinterbliebenen-Versicherung der
Handwerker" ausgegcben worden, welche als neuen Vorschlag die Einbeziehung der selbständigen Handwerker und Gewerbetreibenden in die zu errichtende Pensions- und Hinterbliebenen-Versicherung der Privatangestellten aufstellt. Dabei ist der Versicherungszwang für alle Handwerker angenommen, welche nicht in ausreichender Weise bei einer Privatversicherung versichert sind. Die Beiträge, welche von den selbstständige» Handwerkern natürlich allein aufgebracht werden müßten, würde» sich je nach dem Einkommen zwischen 81 und 210 pro Jahr belaufen. Ter
Vorstand ist der Ansicht, daß die Beitrüge für den selbständigen Handwerker viel zu hohe sein würden. Und es scheine, als ob vom Verfasser der Denkschrift ein wichtiger, die Lebensfähigkeit des Handwerks berührender Gesichtspunkt ganz außer Acht gelassen worden sei, nämlich die Talsache, daß der Handwerker im Gegensatz zum Angestellten den grösseren Teil seiner Erübrigung zur Ansammlung von Kapital benützen muß, um seinen Betrieb erforderlichen Falles den Bedürfnissen entsprechend einzurichtcn, aber auch seinen Nachkommen ein angemessenes Betriebskapital hinterlasscn zu können. Er könne deshalb in den weitaus meisten Fällen nicht die oben genannten Beitrüge lediglich zur Sicherstellung eines Pensions- anspruchs aufbringen. Tie Einfügung einer weiteren höheren Klasse in das Gesetz betr. die Invalidenversicherung sei seines Erachtens nach wie vor erstrebenswert und genügend. Darüber hinaus leiste eine Lebensversicherung in den meisten Füllen bessere ^Dienste als eine Pensionsversicherung.
Münsingen 17. Juni. Dienstag nachmittag strömte eine große Anzahl Schaulustiger zu Fuß und zu Wagen nach dem benachbarten Barackenlager, nachdem bekannt geworden war, die zurzeit auf dem Uebungs- platz anwesende Luftschisfcrabteilung aus Berlin werde mittags besondere interessante Hebungen vornehmen und diese mit dem Ausstieg eines Freiballons beendigen. Den ganzen Vormittag sah man von Münsingen aus den Fesselballon über der Gänsewag schweben und die Mannschaften mit ihm verschiedene Manöver aussühren. Punkt 4 Uhr trat die Abteilung zur Uebung beim Neulagcr an und hatte zunächst den entfernter stehenden Fesselballon, der an einem Motorwagen mit Drahtseil befestigt war, auf den Platz zu verbringen. Dies geschah mit 6 prächtigen, besonders starken Pferden und alsbald wurde der Ballon zu Boden gelassen, um sich nach kurzer Zeit mit einem Offizier und einer Dame im Korb wieder zu erheben. In der Fortsetzung der Manöver wurde der Ballon in die Nähe der aufgestellten Gaskästen gebracht und sodann der bereit gehaltene Freiballon „Orion"
mit dem Gas des Luftballons gefüllt, wobei die überaus praktische Einrichtung der Umfüllung allgemein überraschte. Auf Veranlassung des Generals v. Hügel, der in liebenswürdiger Weise besondere Einladungen ergehen ließ, hatte der Kompagniechef der Berliner Luftschifferabteilung, Hauptmann Herward v. Bittenfeld, die Freundlichkeit, verschiedene Erklärungen über die Fessel- und Freiballons zu geben, die von den Anwesenden mit großem Interesse verfolgt wurden. Der Ballon „Orion" wurde von drei Offizieren besetzt und flog um '/)5 Uhr ron Gänsewag aus in westlicher Richtung über Münsingen, um abends 7.35 in der Nähe von Gönningcn, OA. Reutlingen, von wo aus ein Telegramm aufgegeben wurde, zu landen. Während der Ausfahrt, die für jedermann sehr sehenswert war, und in nächster Nähe beobachtet werden lernte, konzertierte eine Musikkapelle.
Friedrichshasen 17. Juni. Zu dem Konflikt zwischen Direktor Colsmann von der Luftschiffbaugescllschaft und dem Kommandeur des Lusischifferbataillons, Major Groß, teilt Direktor Colsmann dem „Stuttg. Neuen Tagbl." folgendes mit: „Es wurde mir berichtet, daß Herr Major Groß in dem von mir am 20. Mai in Sachen der Cobm ger Halle veröffentlichten Protest in den Worten „in eigennütziger Weise" eine persönliche Beleidigung erblickt. Aus dem Sinne des Protestes geht nach meiner Ansicht hervor, daß nicht persönlicher Eigennutz, sondern nur der des militärischen Sachverständigen in dienstlicher Beziehung gemeint sein kann. Ich habe nicht gezögert, Herrn Major Groß mein Bedauern auszusprechen, daß der nicht glücklich gewählte Ausdruck den Gedanken an eine beabsichtigte persönliche Kränkung aufkommcn lassen konnte, die mir selbstverständlich gänzlich fern lag".
Friedrichshafen 17. Juni. DieUeber- führung des Rcichs luftschiffes 1" durch seine nunmehr hier wieder eingetroffene militärische Besatzung nach Metz erfolgt nicht vor dem 24. Juni, da noch einige Arbeiten zu seiner Instandsetzung auszuführcn sind! Mit der Füllung wird nächste Woche begonnen.
Pforzheim 17. Juni. Der verheiratete Maurer Karl Bippus geriet vorgestern abend mit dem Taglöhner Eugen Anselmont in Streit,
hinaus irre zu führen. Zwar hat schon unser gründlicher Geschichtsforscher Ehr. Fr. Stälin in dem ersten Teile der im Jahre 1841 erschienenen Wirtembergischen Geschichte Trithemius stets nur mit der Anzweiflung seiner Glaubwürdigkeit erwähnt, weil er keine einzige seiner Angaben irgendwo bestätigt fand, aber volles Licht in die großartige Betrügerei hat erst C. Wolfs gebracht in seiner Abhandlung in den Württ. Jahrbüchern vom Jahre 1863. Wer heute noch wagt, den Ausführungen Trithemius irgend einen geschichtlichen Wert beizulegen, beweist nur, daß ihm jene Abhandlung unbekannt ist.
Geschichtliche Tatsache ist, daß Graf Adalbert 11 von Calw in Gemeinschaft mit seiner frommen Gemahlin Wiltrud im Jahre 1064 das Aureliuskloster in Hirsau gestiftet und reich mit Gütern in der Umgegend und einem großen Waldkomplex ausgestattet hat. In der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts erfaßte den hohen Adel Süddeutschlands ein religiöser Drang, der sich in Stiftung von Klöstern äußerte, weil man auf diesem Wege am sichersten für sein Seelenheil zu sorgen glaubte. Nicht bloß die herzoglichen Häuser der Welfen und Zähringer huldigten diesem Zuge der Zeit, auch viele Grafen wie die Nellenburger, Achalmer, Villinger, Tübinger, Komburger gründeten neue Klöster. Da konnte und wollte der reichste und mächtigste unter den Grafen nicht zurückstehen, ja er gründete nicht bloß das Aureliuskloster in Hirsau, sondern im Verein mit seiner Gemahlin auf seinem Erbgut in Sindelfingen ein zweites Benediktinerkloster, dessen Mönche er übrigens bald nach dem aufstrebenden Hirsau versetzte, worauf er seine Burg in Sindelfingen abbrach und an ihre Stelle ein dem h. Martin geweihtes Chorherrnstift setzte. Es bedurfte also keiner mit Androhung des Kirchenbanns verknüpften Aufforderung des Papstes, welcher, da der Besuch des Papstes ins Jahr 1049 gefallen wäre, falls er stattgefunden hätte, der Graf 15 Jahre lang nicht Folge geleistet hätte. Uebrigens beruht der Besuch Calws und Hirsaus durch Papst Leo IX und die Begründung dieses Besuchs mit nahen Verwandtschaftsbeziehungen auf keiner anderen Quelle als auf der im Laufe des 12. Jahrhunderts entstandenen Legende. Auch kennt man genau die Reiseroute des Papstes im Jahre 1049, in die Hirsau und Calw nicht ausgenommen war; sie verlief im Elsaß von Norden nach Süden und wandte sich dann dem Bodensee zu. Zu einem gemütlichen Besuche auf der Burg Calw hätte der eifrige Papst sich schwerlich Zeit genommen.
Das Aureliuskloster gehörte in die Diözese Spei er; denn die Grenze zwischen Franken und Schwaben lief etwas südlich von Calw. Eine Nazariuskapelle, die auf der Anhöhe über dem Aureliuskloster gestanden sein
soll, als das Kloster errichtet wurde, weist hin auf Besitz des Klosters Lorsch an der Bergstraße, zu dem Hirsau auch später in nahe Beziehungen trat.
Wie das Hirsauer Kloster zu der Ehre kam, dem heiligen Aurelius gewidmet zu werden, läßt sich nicht aushellen. Aurelius soll Bischof in Redicia in Armenien gewesen und auf einer Reise zum heiligen Ambrosius gegen Ende des vierten Jahrhunderts in Mailand gestorben sein, wo seine Gebeine aufbewahrt wurden. Diese Reliquien sollen, was freilich unbegreiflich erscheint, von einem Mailänder Erzbischof zu Gunsten Hirsaus ohne Wissen des Volkes entwendet worden sein. Sie müssen sich übrigens verdoppelt haben, denn trotz der Ueberführung nach Hirsau, befinden sie sich nichtsdestoweniger immer noch in Mailand, wo sie aus dem Dionysiuskloster in den Dom gebracht worden sein sollen. In Wirklichkeit hat in Armenien niemals ein Bischof Aurelius gelebt, ebenso wenig gab es daselbst eine Bischof-Residenz mit Namen Redicia.
Das Aureliuskloster ist verschwunden. In einer Zeit, da das neue Kloster mehr als genügend Raum bot für die reduzierte Zahl der Mönche, hat Abt Bernhard im Jahr 1482 an seiner Stelle einen Viehhof erbaut; für das Steinmaterial hatte man damals Verwendung, sofern man es zu Umbau des Petersklosters in neugothischem Stil brauchen konnte. Bloß die Aureliuskirche blieb stehen; sie war die erste der zahlreichen Kirchen, die Wilhelm während seiner Regierungszeit gebaut hat, während die Peterskirche seine Bautätigkeit aufs würdigste krönte und abschloß. Im Jahr 1584 brach auch über die Aureliuskirche, dieses kostbare Altertum als die älteste romanische Kirche des Landes, das dunkle Verhängnis herein; in aller Stille, um kein unliebsames Aufsehen zu erregen, wurde sie abgetragen, diente sie doch keinem praktischen Zweck mehr, und ließen sich die Kosten der Instandhaltung ersparen. Stehen geblieben sind die Stümpfe der beiden Westtürme und zwischen ihnen die kreuznahtgewölbte Vorhalle; das Langhaus wurde der Höhe der Seitenschiffe entsprechend reduziert, der quadratische Chor mit der halbrunden Apsis und die Kreuzarme mit den beiden Ostapsiden sind verschwunden; an den nordwärts gerichteten Kreuzarm wurde ein Haus für das herzogliche Jagdgesinde angebaut; eine Nische enthält das Bild eines Bischofs, vermutlich das des heiligen Aurelius als des Schutzheiligen des Klosters. Im Langhaus stehen noch die sechs schlichten Würfelknaufsäulen. Das Aeußere des alten Gotteshauses ist nichts weniger als einladend; darum zieht der Strom der Wanderer achtlos vorüber an dem durch das 22jährige Walten Abt Wilhelms geweihten Ueberreste, der es immerhin wert wäre, daß seinem großen Erbauer ein Augenblick frommen Gedenkens gewidmet würde.
(Die Fortsetzung erscheint jeden Freitag.)