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in dessen Verlauf er auf den letzteren einen Revolverschuß abfeuerte. Schwerverletzt wurde Anselmont ins Spital gebracht. Bippus ist verhaftet.
Pforzheim 17. Juni. Der 38 Jahre alte Ausläufer Johann Broß von Niefern flüchtete, nachdem er im Aufträge seines Prinzipals, eines hiesigen Bijouteriefabrikanten, auf der Rheinischen Creditbank 2650 ^ erhoben hatte. Er ist 6 Fuß hoch, hat schwarzen Schnurrbart, O-Beine, stottert, an der linken Hand fehlt ihm der Zeigsinger und dazu hat er noch eine Glatze. Mit diesem Signalement dürfte er nicht weit kommen.
Berlin 17. Juni. (Reichstag.) Die Beratung der Steuervorlagen wird fortgesetzt. Abg. Graf Westarp (konf). Auch meine Freunde wünschen, daß die Finanzreform zustande kommt auf einer breiten Basis unter Mitwirkung aller bürgerlichen Parteien. Die Liberalen sind ober durch ihr völlig negatives Verhalten (große Unruhe links, lebhafte Rufe des Widerspruchs, Ruf: Unwahrheit) gegen unsere Vorschläge. Wir werden auch jetzt noch Entgegenkommen zeigen und auf Abänderungen eingehen, jedoch nur dann, wenn an den Grundlagen unserer Vorschläge nichts geändert wird. Die gestrigen Verhandlungen waren aber nicht geeignet, unsere Hoffnungen auf ein Zusammenwirken mit Ihnen zn stärken. Wenn uns der Führer einer großen Partei vorwirft, wir handelten aus Eigennutz (links: Sehr richtig!) so kann das unsere Abneigung, mil solchen Parteien zusammen zu gehen, nur stärken. Die Auffassung des Re ichskanzlers, als nähmen wir einen ablehnenden Standpunkt zur Finanzreform ein, als seien wir ein Hindernis der Finanzreform (Sebr richtig!) weisen wir zurück. Wenn es uns gelungen ist, 360 Millionen indirekte und 140 Millionen direkte Steuern zu beschließen, so ist das ein Erfolg, den wir erzielt haben unter Zurückstellung politischer und parteitaktischer Rücksichten. (Schallendes Gelächter links) Die Erbanfallsteuer ist eigentlich eine direkte Steuer und gehört als solche nicht dem Reiche. Wir haben gegen die Erbanfallsteuer dieselben schweren Bedenken wie gegen den eisten Entwurf Für uns ist Hauptsache die Besteuerung der Deszendenten und Ehegatten und vor allem ist die Erbanfallsteuer eine Art Vermögenssteuer und diese gehört den Einzelstaaten und nicht dem Reiche. Ferner sehen wir in dieser Steuer eine Ueberlastung des immobilen Besitzes gegenüber dem mobilen Kapital. Was über Steuerhinterziehung auf dem Lande gesagt worden ist, ist geradezu lächerlich. (Lauter Widerspruch links) Die Annahme, daß wir uns durch pmteitaklische Rücksichten hätten leiten lassen, ist durch den Gang der Geschichte Wide: legt. Es ist auch absolut nicht davon die Rede, daß wir etwa daran gedacht hätten, den Reichskanzler zum Rücktritt zu drängen. Wir meinen sogar, daß gerade wir durch unser energisches Eintreten für die Finanzreform dem Reichskanzler den Boden geebnet haben. (Stürmisches minutenlanges Gelächter bei der gesamten Linken) und wir hoffen sogar, daß es dem Reichskanzler bei seinem bewährten patriotischen Sinn gelingen möge, die Finanzreform zu Ende zu führen. (Ruf links: Armer Bülow, stürmische Heiterkeit.) Nicht wir, sondern die Linke hat das Zustandekommen der Reichsfinavzreform erschwert. Sollte eine Kommissionsberatung beschlossen werden, so wollen wir uns dem nicht widersetzen mit Rücksicht auf die verbündeten Regierungen. — Nun zu den anderen Steuern! Gegen die Steuer auf Feuerversicherungspolicen haben wir schwere Bedenken. Die Umsatzsteuer auf Immobilien liegt ja eigentlich auf dem Wege unserer Vorschläge, aber hier ist sie doch vorgeschlagen unter ganz anderen Umständen als denen, von den wir ausgingen. Wir werden deshalb auch hierzu unsere Stellungnahme noch genauer prüfen müssen. Eingehend verbreitet sich Redner dann noch über die Kolierungssteuer nach dem Vorschläge seiner Partei, um sie dringend zu empfehlen. Redner schließt: Ohne eine genügend ausgeglichene Heranziehung des mobilen Kap'tals können wir uns eine Finanz- reform nicht denken. (Beifall bei den Konservativen). Abg. Singer (Soz.) hält den Konservativen vor, daß ihr Widerstand sich weniger gegen die Erbanfollsteuer richte, als gegen die Wahlreforwpläne der Regierung. Verzichtete diese auf die preußische Wahlreform, so würden die Konservativen auch für die Steuer-Vorschläge der Regierung zu haben sein. Den Nationalliberalen hält Redner sodann vor, daß sie sich in Versammlungen ihrer Wähler früher anders ausgesprochen hätten als gestern Bassermann. Da hätten sie sich gegen eine solche Häufung neuer Steuern auf den Konsum geäußert und jetzt seien sie bereit, 400 Millionen Verbrauchssteuern, auf Bier, Branntwein, Tabak
zu bewilligen. Richtig sei der Gedanke, dem gestern Baffermann Ausdruck gegeben habe, daß die Regierung den Reichstag jetzt auflösen und Neuwahlen ausschreiben solle. Die Erbanfallsteuer von nicht einmal 100 Millionen sei nur ein Ornament, nur Stuck, weiter nichts. Diese ganze Finanzreform, sowohl die der Regierung wie die Kommisfions- beschlüsse seien ein reiner Hohn auf eine vernünftige soziale Steuerpolitik. Wir lehnen diese Reform, sowohl die der Regierung wie der Kommission, als Ganzes ab. Die jetzige Erbanfallsteuer-Vorlage hat mit einer ernsthaften Heranziehung der Nachlässe nur den Namen gemein. Dieser neue Entwurf ist wieder nur eine Kopitulaiion vor den Agrariern. Wir werden in der Kommission durch unsere Anträge versuchen, eine bessere Besitzsteuer zu schaffen und ganz nach dem Ausfall dieser Versuche behalten wir uns unsere Stellung vor. Eins aber sage ich schon jetzt: In der Fassung, die die Erb anfallsteuer jetzt hat oder wenn sie gar noch verschlechtert werden sollte, ist sie zur Annahme für uns nicht geeignet. Ganz allgemein e> kläre ich noch eine Reform die wir mitzumachen geneigt wären, hat zur Voraussetzung eine Einschränkung der Militär- und Flottenlasten. Die Finanzreform ist eine Politik der N edertracht, der Ausräubung. (Lärm, Vizepräsident Kämpf ruft den Redner zur Ordnung.) Abg. Spahn (Z ) rekapituliert die Steuerbeschlüsse der Finanzkommission und erinnert an die bekannten Aeußerungen des Reichskanzlers und v. Rheinbabens im Jahr 1906 gegen die Besteuerung der Erbanfälle an Deszendenten. Auch auf den Familiensinn habe sich der Finanzminister damals berufen. (Große Heiterkeit und lebhafte Bravo rechts und beim Zentrum). Richtig sei ja, daß auch von seinen eigenen Freunden verschiedene damals für die Deszendenten- und Ehegatten-Steuer waren (Heiterkeit), aber diese hätten sich jetzt überzeugt, daß das nicht das richtige war. (Erneute Heiterkeit.) Wenn das Zentrum diese Erbanfallsteuer auf Deszendenten und Ehegatten ablehne, so ine es also nur das, was der Bundesrat selber früher getan habe. (Rufe links: Aber die veränderte Finanzlage?) Ja, wenn es andere Steuern nicht gebe, dann müßte man ja notgedrungen dieser Steuer zustimwen, aber es gebe doch andere Quellen, so die Kotierungssteuer, die Redner dann eingehend empfiehlt. Durch die neu vorgeschlagene Besteuerung der Feuerverstcherungspol'cm trifft man zweifellos auch den Mittelstand und auch den Landwirt. Ein Chcckstempel möge ja vielleicht annehmbar sein bei Beschränkung auf größere Checks. Im Gegensatz zu dcm Abgeordneten Basse: mann meine er, bei dieser Finanzreform handle es sich um weiter nichts, als ob man die 500 Millionen so oder so beschaffe und wenn man sage, dos Ansehen Deutschlands im Auslande stehe in Frage, erwidere er: Was wird sich das Ausland darum kümmern, ob wir unsere Steuern so oder so aufbringen. (Sehr richtig beim Zentrum.) Was die gestrigen Aeußerungen des Reichskanzlers anlange, so glaube er selbst, daß man über unser Verhalten gegenüber Oesterreich-Ungarn in der bosnischen Frage doch wobl anderer Meinung sein könne als der Reichskanzler ohne deshalb gleich seiner Ehre zu nahe zu treten Den Vorwurf antinationaler Arroganz, der dem Zentrum von den Liberalen gemacht werde, verbitte er sich. (Lebhafte Zustimmung im Zentrum.) Wie dem aber auch sei, das Zentrum werde sich jedenfalls nicht durch Rücksicht auf Personen leiten lassen, sondern nur durch Rücksicht auf das Wohl des Reiches und des deutschen Volkes. (Lebhafte Bravos im Zentrum, Zischen links.) Finanzminister v. Rheinbaben wendet sich gegen die Aeußerungen des Grafen Westarp zu Gunsten der Kolierungssteuer. Tatsächlich sei diese eine partielle Vermögenssteuer gegen die also auch alle die Gründe gelten, die gegen eine Reichseinkommenstcuer sprechen. Weiter tritt der Minister roch ein für die Erbanfallsteuer und legt dar, daß d'ese von dem landwirtschaftlichen Besitz überhaupt nur einen sehr geringen Prozentsatz treffe und dem betroffenen Grundbesitz wesentliche Erleichterungen gewähre. Abg. Fürst Hatzfeld (Rp) erklärt, mit dem Reichskanzler meinten seine Freunde, daß bei diesem großen nationalen Werke alle bürgerlichen Parteien sich zusawmenfinden sollten. Seine Partei wolle ferner, daß der Besitz entsprechend herangezogen werde. Seine Freunde würden daher auch der Erbanfallsteuer zustimwen und zwar in ihrer überwiegenden Mehrheit in der Erwartung, daß die von ihnen für erforderlich gehaltenen Aenderungen angenommen würden. Die Beschlüsse der Kommission seien kein gangbarer Weg. Seine Partei sei aber nach wie vor bereit, anderen Befitz- steuern, die einen geeigneten Ersatz für die Erbanfallsteuer bieten, zuzustimmcn. Die Ersatzsteuervorlagen würden von seinen Freunden ohne Voreingenommenheit geprüft werden. Abg. v. Dziembowski (Pole) bemerkt, der Reichskanzler habe die Debatte auf die Grundlage einer Partei-Auseinandersetzung
gestellt. Daher würde seine Fraktion sich an dieser Debatte nicht beteiligen. Sie werde aber ihre Stellungnahme kundgeben bei der Beratung über die Kommissions-Beschlüsse. Bezüglich der heute auf der Tagesordnung stehenden Besitzvorlage beschränke er sich darauf, für deren Ueberwetsung an die Kommission zu stimmen. (Heiterkeit.) Darauf vertagt sich das Haus auf morgen 1 Uhr. Fortsetzung der heutigen Beratung.
Aus der Schweiz 15. Juni. Ein scheußliches Verbrechen wurde in Biel im Kanton Bern verübt. Die Frau eines Vergolders, die an der Marktgasse eine Bäckerei betreibt, war im Begriff, sich von ihrem Mann, der sie oft mißhandelte, und der als verkommenes Jndivi- dium galt, scheiden zu lassen. Am Montag abend nun kam der Mann, trotzdem der Hausbesitzer ihm das Haus verboten hatte, in das Haus seiner Frau, verweilte, während die Frau draußen sitzen blieb, einige Zeit im Haus und entfernte sich dann wieder. Er hatte inzwischen Cyankali in den Wein des Gesellen und in die für die Familie und zum Backen bestimmte Milch geworfen. Als am Abend der Geselle Fritz Wildi von dem Wein trank, verspürte er sofort, daß etwas geschehen war; er konnte dies noch zu der Frau sagen; bald darauf stürzte er zusammen und war tot. Die Frau vermutete sofort ein Verbrechen ihres Mannes, und die Untersuchung der Milch ergab, daß sie ebenfalls vergiftet war. So sind die Frau und 4 Kinder nahe am Vergiftungstot vorbeigegangen. Der Verbrecher konnte noch gleichen Abends verhaftet werden.
Vermischtes.
Gewaltherrschaft auf Madagaskar. Auf der großen afrikanischen Insel Madagaskar übt der sozialdemokratische französische Gouverneur ^.ugaSnkur eine Gewaltherrschaft aus, welche mit bisherigen Zuständen in Rußland und der Türkei wetteifern kann. Nachdem in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts durch die evangelische Mission Christentum und Kultur in der Hauptstadt und den benachbarten Landstrichen zur Herrschaft gekommen ist, wird nun von Beamten der ganze Wust von heidnischem Götzendienst und Aberglauben, heidnischer Grausamkeit, wie Kindermord, geduldet oder begünstigt, dagegen den Gemeinden, welche Kirchen bauen wollen, häufig die Bauerlaubnis verweigert, ja alte Gemeinden, welche schon bestanden, als Frankreich die Insel besetzte, werden mit Vernichtung bedroht, weil sie heute nicht die Genehmigungsdokumente haben, die früher nicht erforderlich waren. Die Missionsschulen, denen das Land seine Kultur verdankt, werden aufgehoben, oder wenigstens die Zahl der Schüler genau festgetzt, welche ausgenommen werden dürfen. Vielen Schülern ist die beabsichtigte zukünftige Laufbahn dadurch abgeschnitten, daß für Regierungsstellen nur die Zöglinge der Staatsschulen wählbar sind. Allein diese Staatsschulen sind, abgesehen vom Geist des Unterrichts, so wenig zahlreich, daß tausende von Kindern, die früher eine Schule besuchen konnten, jetzt ohne Unterricht aufwachsen. Alle Bemühungen in Frankreich, die Abberufung dieses Gouverneurs durchzusetzen, sind bis jetzt erfolglos gewesen. Er hat seine Partei, die ihn stützt: „Die Freidenker". Aber die Londoner Missionsgesellschaft, welcher Madagaskar hauptsächlich seine Christianisierung verdankt, darf in ihrem Blatt berichten, daß doch tausende von madagassischen Christen der einmal angenommenen Religion treu bleiben, einen klareren Begriff von der Bedeutung des Christentums gewinnen und darnach zu leben sich bemühen.
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2. Sonntag »««SIHrinit., 20. Juni. Vom Turm 323. Predigtlied 310. 9'- Uhr: Vorm.-Predigt, Stadtpfarrer Schmid. 1 Uhr: Christenlehre mit den Töchtern.
Keiertag Johannis, 24. Juni. S> - Uhr: Predigt im Vereindhaus, zugleich Vorbereitung und Beichte, Stadtpfarrer Schmid.
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