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aus der Schweiz, dem Schwarzwald, den Vogesen, Tirol rc. befinden, mit Vorliebe besucht. Diesen Strom noch mehr nach Schwaben zu lenken, soll durch eifrige Propaganda erstrebt werden.
Stuttgart 16. Juni. In einer Glaserei in der Heusteigstraße ereignete sich heute vorm, dadurch ein schwerer Unglücksfall, daß ein Regal mit Glasscheiben umfiel und 2 Arbeiter unter sich begrub. Der eine von denselben war sofort tot, der andere mußte schwer verletzt ins Katharinenhospital übergeführt werden. Mannschaften der nahegelegenen Berufsfeuerwehr haben die Verunglückten mit großer Mühe herausgeschafft.
Stuttgart 16. Juni. (Strafkammer.) Der schon vielfach und schwer vorbestrafte verheiratete Flaschner August Rausch wurde wegen Diebstahls in zwei Fällen zu 8 Monaten Gefängnis verurteilt, unter Anrechnung eines Monats Untersuchungshaft. Er wurde in der Nacht zum 8. Mai in Eßlingen in einem Wirtschaftsgarten von einem Schutzmann angetroffen, wie er eben drei Gaslampen abmontierte. Außerdem stahl er in einer Fabrik zwei Blechdosen mit Carpid.
Urach 16. Juni. In einem Arbeiterhaus der Flachsspinnerei haben Diebe die Gelegenheit der offenen Schlafzimmer benützt und aus einigen Zimmern Gelder, Uhren, Schmuck in zum Teil beträchtlichen Summen gestohlen. Es waren die Ersparnisse fleißiger, solider Arbeiter.
Kirchheim u. T. 16. Juni. Der seit zwei Jahren bestehende Bezirksziegenzuchtverein, um dessen Gründung sich Regierungsrat Gauger verdient gemacht hat, hielt am Montag seine zweite Prämierung ab. Als Preisrichter fungierten Landwirtschastsinspektor Mangold- Reutlingen und Oekonom Brändle von hier. Vorgesührt wurden 11 Böcke und 75 Ziegen. Für Böcke wurden 96 für ältere Ziegen 116 und für jüngere Ziegen 247 zusammen 459 an Preisen zuerkannt. Es war zu beobachten, daß der Verein trotz seines kurzen Bestehens einen schönen Stamm von Tieren aufzuweisen hat und die Zucht schon schön ausgeglichen scheint. Bei dem diesjährigen landwirtschaftlichen Hauptfest in Cannstatt wird der Verein mit einer Anzahl schöner Tiere in Konkurrenz treten. Erfreulicherweise wird die hohe volkswirtschaftliche Bedeutung der Ziegenzucht in unserem Bezirk immer mehr anerkannt und findet daher immer weitere Verbreitung.
Tübingen 16. Juni. In der Frage der Eisenbahnbrücke über den Neckar zur Ueberführung der Herrenbergerbahn lagen den bürgerlichen Kollegien in geheimer Sitzung kürzlich zwei Projekte vor. Zu einem Beschluß kam es nicht, konnte es auch nicht kommen. Die
Entscheidung liegt bei der Generaldirektion. Soviel hat man schon gehört, daß es sich um Steinbrücken handelt. Gegen eine eiserne unschöne Brücke hätte sich wohl auch ein Sturm der Entrüstung erhoben. Das von der Generaldirektion selbst (Baurat Fuchs) ausgearbeitete Projekt soll besonders gefallen haben.
Ulm 16. Juni. Dem gestrigen Vieh- markt waren 74 Stück Vieh zugeführt, nämlich 4 Farren, 2 Ochsen, 20 Kühe, 10 Kalbinnen, 35 Jungrinder und 8 Kälber. Verkauft wurden etwa 50 Stück zu nachstehenden Preisen: Farren 220—260 ^7, Ochsen 300—565 ->//, Kühe 150 bis 450 Kalbinnen 250—420 Jungrinder 110—230 -V7, Kälber zu 70 ->//.
Pforzheim 16. Juni. Gestern nachmittag ereignete sich in der Kronprinzenstraße 28 hier ein Unglück. Die dort als Kontorlehrmädchen beschäftigte 16-jährige Tochter des Schlachthofkassierers Jaisle, wurde auf das Fabrikdach geschickt, um dort Pauskästen zu holen. Ein Kasten fiel über die 112 Centimeler hohe Brüstung. Das Mädchen beugte sich vor, um ihn noch zu erhaschen und fiel 4 Stockwerke herab in den Hof, wo es tot liegen blieb.
Berlin 16. Juni. Im Laufe des gestrigen Tages waren fast alle Fraktionen des Reichstages zu Beratungen über die Finanzreform zusammen getreten, nachmittags die freisinnige Fraktionsgemeinschast und die beiden konservativen Parteien, abends die wirtschaftliche Vereinigung, das Zentrum, die Polen und die Nationalliberalen.
Berlin 16. Juni. (Reichstag.) Der heutige Tag kennzeichnet sich schon äußerlich im Reichstage als sogenannter großer. Sämtliche Tribünen find überfüllt, besonders die Diplomatenloge. In der Hofloge erscheint um 2 Uhr Prinz August Wilhelm mit Gemahlin. Das Haus ist sehr gut besucht. Am Regierungstische haben Bülow, Bethmann-Hollweg, Sydow, Dernburg, Rheinbaben rc. Platz genommen. DaS Wort erhält sofort der Reichskanzler Fürst Bülow. Er wendet sich gegen die Auffassung, als hätten die verbündeten Regierungen dos Zentrum von der Mitwirkung bei der Reichsfinanzreform ausgeschlossen. Die Regierung habe sich niemals ablehnend gegen Zentrumsanträge verhallen, außer wenn Bedenken gegen Anträge Vorlagen, so bei dem Anträge Herold und bei« Kompromißantrage. Er habe nie eine Partei an der Arbeit verhindert, würde sogar die Unterstützung der äußersten Linken an- nehmen, wenn sie aus ihrer rein negativen Haltung heraustrete. Einzelne Mitglieder der Zentrumspartei hätten ungerechtfertigte Angriffe gegen ihn gerichtet, seine Bundestreue gegen Oesterreich in Zweifel gezogen und sogar seine Treue gegen den Kaiser. Das Alles werde ihn aber in seiner Haltung nicht irre machen. Er werde sich nicht bewegen lassen, die Geschäfte so zu führen, daß die
Liberalen von der Mitwirkung ausgeschlossen werden. Er werde aber auch nicht daran denken, das Programm der Liberalen anzunehmen. Auch BiSmarck habe die Bedeutung der Liberalen nicht verkannt. Die Ausschaltung der liberalen Idee würde er für ungerecht und für einen großen politischen Fehler halten. Der Reichskanzler wendet sich alsdann gegen den Doktrinarismus der Liberalen, der sich besonders in vielen Steuerfragen gekennzeichnet habe. Die Liberalen hätten freilich in einzelnen Steuerfragen etwas agrarischer sein können ohne dem liberalen Gedanken etwas zu vergeben. Die Regierungen betrachteten es als eine Notwendigkeit, daß neben dem Verbrauch auch der Besitz herangezogen werde. Der Reichskanzler wendet sich dann gegen die Rechte und betont, daß er sich der konservativen Partei nicht unterordnen könne. Die Konservativen könnten lange darauf warten, einen Reichskanzler wieder zu bekommen, der so konsequent und so erfolgreich die konscrvtiven und landwirtschaftlichen Interessen vertrete, aber von der Linie, die ihm vorgeschriebe» sei, würden ihn die Konservativen nickt abbringen. Deshalb halte ich auch an einer angemessenen Besitzsteuer u. a. der Erbanfallsteuer fest, solange nicht zur Heranziehung des Besitzes ein anderer, besserer Weg, als der Ausbau der Erbschaftssteuer gefunden wird und bis jetzt ist ein besserer Weg nicht gefunden. Es fiel mir auf, daß die Konservativen gleich von Anfang an mit einer gewissen Starrheit Widerspruch gegen diese Steuer erhoben haben. Sie sollten sich ein Beispiel nehmen am Zentrum. Dieses hat zwar jedes Gesetz stets in erster Lesung bekämpft, aber — (der Nachsatz geht infolge stürmischen Heiterkeitsaurbruches verloren). Die Konservativen mögen bedenken: Siege in der Gegenwart sind sehr häufig die Väter der Niederlagen in der Zukunft. Die Konservativen haben in der Vergangenheit historischen Anteil gehabt an der Regierung, aber die Regierung, meine Herren, kann nicht zum Geschäftsführer der konservativen Partei werden. Die Konservativen graben sich ihr eigenes Grab, wenn sie sich berechtigten Forderur gen verschließen. Nur dann, wenn sie berechtigten Forderungen stattgeben, werden sie ein berechtigter Faktor im öffentlichen Leben bleiben. Eie können vielleicht in der Gegenwart die Erbanfallsteuer zu Fall bringen, aber Sie werden damit vielleicht in Zukunft einer Erbschaftssteuer den Weg bahnen, die Ihren berechtigten Wünschen weit weniger Rechnung trägt als die jetzige Vorlage dies tut. Die Haltung der Konservativen grade in dieser Frage der Erbschaftssteuer wird jedenfalls tiefen Eindruck« machen auf das deutsche Volk. (Rufe links: Sehr richtig.) Als Resume und als Konsequenz meiner ganzen bisherigen Haltung möchte ich nur noch Nachstehendes sagen: Die verbündeten Regierungen halten es für eine Pflicht der Gerechtigkeit und für eine soziale Notwendigkeit, daß der notwendige neue Einnahmebedarf mit aufgebracht wird durch Besteuerung des Besitzes. Es geht nicht an, daß 560 Millionen nur aufgebracht werden durch Belastung der unbemittelten Klassen, indem die Steuern nur auf Genuß- und Verbrauchsartikel gelegt werden, die die unbemittelten Klassen relativ
Terrasse lag so nahe, daß sie am Springbrunnen vorbei mit wenigen Schritten zu erreichen war.
„Hier oben werde ich einen kleinen Ausbau anbringen lassen, gleich einem Altan, und unter ihm die Pforte. Eine Wendeltreppe von Stein soll innen emporführen, dann komme ich zu dir zum Besuch und wir spielen ein wenig Mittelalter", scherzte Wolf Dietrich voller Uebermut.
Er malte die Zukunft weiter aus mit viel verheißenden Worten, und Regina legte ihren dunklen Kopf vertrauensvoll an seine Brust und ließ sich von seiner Liebe tragen, wohin er wollte — bei ihm war sie geborgen, was sollte ihr noch die Vergangenheit anhaben.
„Tapfer sein!" ermahnte sie sich heimlich, als sie den alten Weg durch die Kapelle und die hallenden Gänge verfolgten und dann die Terrasse betraten, denn die Erinnerung fiel sie wieder an wie ein Raubtier. Wolf Dietrich spürte es wohl, daß ihr Arm in dem seinen bebte, als sie sich dem Schauplatz der Mordtat näherten.
„Ich habe Wilhelms Zimmer mit dem daran anstoßenden Onkel Bernhard als Logis angeboten, und er griff freudig zu. Du weißt ja, daß sein Augenleiden schnelle Fortschritte macht, das eine Auge ist schon fast erblindet; dann hat er es in Zukunft bequem, wenn er auf der Terrasse unsere Gesellschaft aufsuchen will."
„Hat er sich entschlossen, ganz bei uns zu bleiben?"
„Ja, Regina, in der Stadt wäre er zu einsam geworden. Und bei seinem Sohn Altsitzer zu werden, das wäre für beide unerquicklich gewesen. Dort zu bleiben, wo man Alleinherrscher gewesen ist um alsdann zur Untätigkeit und Schweigen gezwungen zu sein, ist schwer zu ertragen. Auch Tante Sibylle ist sehr erfreut, ihn hier zu behalten, er ist der geborene Vermittler zwischen ihr und uns, und ich gebe die Hoffnung nocht nicht auf, sie uns zu versöhnen."
„Und wo hast du unser Quartier aufgeschlagen?" fragte Regina voller Spannung, als er an der Glastür, die für sie ein Sckreckensort war, vorbeischritt.
„In Tante Sibylles früherem Reich. Vergib, daß ich etwas eigenmächtig, aber ich wollte dir jede unnütze Aufregung ersparen."
Er öffnete die zweite Glastür, und Regina blieb auf der Schwelle mit einem Ruf des Entzückens stehen. „Dein Zimmer, Wolf Dietrich."
„Wie du siehst, habe ich mich als Zerberus vor dein Reich gelegt, damit du mir nicht heimlich davonlaufen kannst." Seine Hand stieß die Tür des Nebenzimmers seitwärts, daß sie in der Mauer verschwand.
„Ah, das ist wie ein Traum", sagte Regina leise und verschlang mit ihren Augen den lichten Raum, der in den hellsten Farben gehalten war. Weiß, Gold und lichtes Grün bildeten ein bezauberndes Ganzes, und wenn von der weißen Decke herab die ungezählten elektrischen Flammen leuchten würden, gab es auch zur Nacht kein Dunkel hier.
„Nichts soll dich an die Vergangenheit erinnern, Regina", erklärte Wolf Dietrich. „Habe ich es recht gemacht?"
„Wie soll ich dir danken", wiederholte Regina immer wieder, als sie von Zimmer zu Zimmer schritten, die ihr besonderes Heim bildeten, bis sie wieder in der Halle landeten, wo der festliche Empfang stattgefunden hatte.
„Morgen holen wir unser Kind, Regina, und ich denke, daß kein Heimweh nach Klein-Ellern dich befallen wird."
„Ich bin dort wohl geborgen gewesen, als du fern von mir warst. Die Hoffnung begleitete mich dorthin, und sie hat mich nicht betrogen."
„Und hier weilt das Glück, die Erfüllung; die Vergangenheit ist tot und soll nie mehr erwachen."
„Nie mehr erwachen", wiederholte Regina leise vor sich hin.
„Was gibt es, Anton?" fragte Wolf Dietrich unwillig über die Störung den eintretenden Diener.
„Herr Amtsrichter Below bittet den Herrn Baron, seinen Besuch machen zu dürfen."
(Fortsetzung folgt.)