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84. IahrMg.

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Amts- und Anzeigeblatt sür den GbZramtZbezirk Calw.

Erscheknuligsrage: Monrcrg. Dienstag, MittwoH, Donnerstag. Freitag und Samstag. ZnsertionSpreis 10 Pfg.proZerle für Stadtu.BezirkSorte; außer Bezirk 12 Pfg.

Donnerslay, den 17. Juni 1909.

BezuaSvr.i.d. Stadt V 4 jahrl.n 1 . Trägerl. Mk. 1.25. Postbezugspr. f. d. ^rrs- u. Nachbarortsverk. * -jährl. Mk. r.2v, im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestevg. in Würlt. 30 Pfg.. in Bayern u. Reich 42 Pfg.

TWesaemgleiteA.

Laut Bekanntmachung des Rektorats der Technischen Hochschule wurde auf Grund mit Erfolg abgelegter Diplomhauptprüfung der Grad eines Diplom-Ingenieurs erteilt: Stauden meyer, Otto von Calw; Koch, Wilhelm von Weilderstadt.

Stuttgart 16. Juni. Dir Zweite Kammer befaßte sich in ihrer heutigen Sitzung zunächst mit einer Petition der Fildergemeinden um Uebernahme der Filderbahn durch den Staat und ihre Wetterführung nach Plochingen und Eßlingen. Die Kommission beantragte Uebergabe der Petition zur Erwägung in dem Sinne der Erbauung einer Bahn von Neuhausen mit event. Anschluß einer Seitenbahn von Plieningen durchs Körschtal ins Neckartal und dort auf dem linken Ufer nach Eßlingen mit späterem Anschluß neckarauswärts nach Plochingen. Liesching (V) erstattete den Kom­missionsbericht, der bereits gedruckt vorlag und dessen Verlesung mehr als eine Stunde erforderte. Der Referent befürwortete den Kommissions-Antrag. Baumann (DP.) führte ans, beim Bau von Staatsbahnen sei am stiefmütterlichsten die Filder behandelt worden und darüber müsse man sich an­gesichts ihrer wirtschaftlichen Bedeutung sehr wundern. Man habe sie dem Privatkavital überlassen. Da­durch sei ihr -wohl bald eine Privatbahn zuteil geworden, aber auch mit all den Beschwerden, die sie im Gefolge hatte. Besser seien die Verhältnisse geworden, ideal könne man aber auch den jetzigen Betrieb nicht nennen. Geklagt werde vor allem über die Tarifpolitik der Gesellschaft Die Fahrpreis« seien viel zu teuer und das halte auch den Ausflugs­verkehr ab. Die Fildergemeinden seien berufen, der Wohnungsnot Stuttgarts abzuhelfen. Bei den jetzigen Tarifen sei daran nicht zu denken. Am meisten leiden unter den Tarifen die in den Filder­gemeinden wohnenden Arbeiter. Die Gütertarife seien gleichfalls sehr hoch und verhindern die Jndu- strieanfiedelung. Solche Verkehrssteuern könne eine Gegend nicht ohne erheblichen Schaden tragen. Es wäre vom Nebel, wenn der Staat die Uebernahme der Bahn allzulange hinausschieben würde. Es sei

an der Zeit, die Wünsche der F lderbewohner endlich einmal zu berücksichtigen. Minister v. Weizsäcker betonte, die Regierung habe noch ältere Wünsche in Gegenden zu erfüllen, die noch gar keine Bahn haben (sehr richtig), diese Wünsche seien berech­tigter als die »ach bloßen Verbesserungen. Mit einer früheren Erwerbung der Filderbahn hätte der Staat gleichfalls kein gutes Geschäft gemacht. Ec habe die Tariffrage untersucht. Eine Verbilligung des Tarifs durch die Gesellschaft, auch für die Zahnradstrecke, sei allerdings wünschenswert, doch bestehe kein erheblicher Unterschied gegenüber den Tarifen anderer Privatnebenbahnen. Für den Ueber- gangsverkehr nach Vaihingen sollten billigere Tarife geschaffen werden. Einen idealen Betrieb könnte auch der Staat nicht Herstellen, da die Schwierig­keiten größtenteils in den Verhältnissen selbst liegen. Der Verkehr von West nach Oft lasse sich auch ohne durchgehende Bahn über die Filder bewältigen. Die Bedeutung der Filderbahn sei lokaler Natur. Die Regierung werde die Angelegenheit im Auge behalten. Der gegenwärtige Moment sei aber nicht der geeignetste für das Eintreten in Vertrags­verhandlungen betreffend Uebernahme der Bahn. Schlegel (Soz) bemerkte, daß der Staat für die bestbevölkerte Gegend so gut wie nichts ausgsgeben habe. Die Eingabe sollte der Regierung zur Berück­sichtigung übergeben werden. Schlecht würde sich die Bahn sicher nicht rentieren. Rembold-Aalen (Z.) erklärte, die Mehrheit seiner Fraktion werde dem Antrag auf Berücksichtigung zustimmen. Der Satz des Ministerpräsidenten, daß zuerst die Wünsche eisenbahnloser Gegenden erfüllt werden sollen, werde dabei von seiner Partei als richtig anerkannt. Dr. Mülberger (DP.) begründete seinen Antrag auf Berücksichtigung der Bitte um Verstaatlichung. Ueber- stnrzte Verhandlungen der Regierung würden damit nicht verlangt. Der Betrieb der Filderbahn stehe in keinem Verhältnis zu der volkswirtschaftlichen Bedeutung der Gegend. Er bitte dringend um An­nahme seines Antrags. Die Weiterführung habe nur einen Sinn nach der Verstaatlichung Fischer (Soz.) trat den Mißständen ans der Filderbahn

entgegen und erklärte sich für den Antrag auf Be­rücksichtigung. Dr. Nübling (BK.) unterstützte gleichfalls den Antrag auf Berücksichtigung. Minister v. Weizsäcker wies darauf hin, daß, wenn Berücksichtigung beschlossen werde, dieser Wunsch die Regierung darauf hinlenke, überhaupt die Privatbahnen des Landes zu erwerben. Die Frage sei jetzt: würden abgesehen vom Tarif die Zustände besser werden, wenn die Bahn in die Hände des Staates überginge? Das Gutachten der Generaldirektion besage, daß mit den vorhandenen Betriebsanlagen auch die Staatsbahn­verwaltung wohl nichts besseres leisten könnte. Die Folge wäre, daß gebaut werden müsse. Die Zahnrad­bahn bleibe dabei bestehen. Einen Arbeiterverkehr werde sie wohl niemals bewältigen können. Keßler (Z.) hielt an dem Kommisfionsantrag fest. Ueber Erwägung sollte man nicht hinausgehen. Nach wetteren Ausführungen der Abgg. Baumann (DP.), Kenngott (Soz.) und Liesching(V.) wurde der Antrag der Kommission mit dem Antrag Mülberger auf Berücksichtigung angenommen. Eine Bitte betr. Fortsetzung der Filderbahn nach Nürtingen bezw. Metzingen wurde der Regierung zur Kenntnisnahme übergeben. Ueber eine Petition der Arbeiter von Oberndorf betr. Schaffung von Arbeitsgelegenheit wurde mit Rücksicht auf die veränderten Verhältnisse zur Tagesordnung übergegangen. Morgen Eisen­bahnetat.

Stuttgart 16. Juni. Die Württemberg- hohenzollersche Vereinigung für Fremdenver­kehr beabsichtigt, nächstes Jahr einen großen Führer durch ganz Württemberg mit farbigen Bildern herauszugeben. Solche Führer erscheinen offiziell schon seit einigen Jahren in Baden, Bayern, Sachsen, Vorarlberg u. a. Die Re­gierung wird dazu einen Beitrag von 10 000 geben. Das erscheint auf den ersten Blick viel zu sein, aber andere einzelstaatliche Regierungen bewilligen zur Hebung des Fremdenverkehrs viel größere Summen. Württemberg wird von'dem Strom der Reisenden, die sich auf der Rückreise

Regina.

Roman von I. Jobst.

(Fortsetzung.)

Langsam gingen Wolf Dietrich und Regina die Treppe zur Kapelle empor, und als sie draußen standen im goldenen Sonnenschein, da zog der Mann sein Weib an sich, ihr die Tränen von den Wangen küssend. Habe Geduld mit ihr."

Sie ist der Schatten in meinem Glück!" dachte Regina und fühlte wieder die Krallen des Gespenstes an ihrem Nacken.Aus ihren Blicken starrt mich meine Schuld mit erbarmungslosen Augen an."

Drunten aber im düsteren Gewölbe riß eine weiße Fraüenhand die Blumen von dem Sarge und schleuderte sie in die dunkelste Ecke des Raumes. Ihre Augen funkelten in wildem Haß, und die Lippen murmelten: Sie sollen dich nicht schänden diese Ehebrecher und Meineidigen!"

Und die also Gescholtenen wanderten weiter, Wolf Dietrich ganz ausgehend in dem Bemühen, Regina das Häßliche vergessen zu machen, das ihnen aus Blicken und Worten Frau Sibylles feindlich entgegen­getreten war. Im verschwiegenen, alten Burggärtlein, das sich unmittelbar an die Kapelle anlehnte, wanderte er eine Weile mit ihr hin und her, bis sie ihr Gleichmaß wiedergefunden hatte.

Hier sehe ich dein Werk, Regina, so reizvoll war dieses stille Fleckchen früher nicht."

Mein Werk bestand nur darin, die Natur frei walten zu lassen. Hier gebot ich der ordnenden Hand des alten Berger Einhalt. Ist es nicht wundervoll, wie die Ranken sich in ihrer Fülle von oben hinunter stürzen, nachdem sie mühsam emporgeklettert sind? Fließen die Zweige des wilden Weins nicht wie rote Flammen an der dunkelgrünen Efeuwand

hinab? Hier ist ein Vogelparadies, alles, was es an Beeren tragenden Bäumen und Stauden gibt, habe ich hier Zusammentragen lassen oder er­halten, und die Amseln sind so zahm geworden, daß sie sich im Winter zutraulich von mir füttern lassen. Auch allerhand Wildlinge aus Park und Wald stellten sich im damaligen schneereichen Winter ein. Berger hat in dem letzten mein Amt treulich verwaltet."

Dort sehe ich die schwarzen Herren in der Eberesche umherhuschenj; es scheint ihnen prächtig zu schmecken."

Im Frühjahr werde ich dich herführen, wenn aus den üppig sprießenden Rosen die Blumen emportauchen. Fromme, weiße Lilien und brennend rote wetteifern miteinander. Narzissen und Maiglöckchen füllen die Luft mit ihrem süßen Duft, Syringen, Goldregen und Schneeballen blühen nirgendwo so herrlich wie hier, und der kleine, fließende Brunnen lockt als Krone des ganzen alljährlich die Nachtigall herbei. Berger er­zählte mir, daß sie so lange hier einkehrt, als er aus Groß-Ellern der Gärtner ist."

Ich merkte es schon, dies wird dein Lieblingsplätzchen werden."

Ich glaube es selbst, Wolf Dietrich, sowie in deiner Heimat der Klostersee."

Dann werde ich dir hier, wo die Mauer ohnehin zerfallen ist, ein kleines Pförtchen brechen lassen, damit du über Terrasse und Blumen­garten fort in wenigen Minuten hier bist."

Ach, das wäre einzig. Der Weg durch das Schloß ist so weit. Komm, laß uns zu dem Spalt emporklettern, damit wir die Stelle genau bezeichnen können."

Lachend hoben des Mannes starke Arme Regina auf den unteren Vorsprung der mächtigen Mauer, und dann schwang er sich selber empor. Prüfend blickte er umher. Von hier oben hatte man einen weiten Blick über Garten und Park hinweg bis zu den waldigen Höhen, und die