584

v. Weizsäcker, Präsident v. Stieler, Oberbaurat v. Neuser und Ministerialrat Metzger vertreten. Auf der Tagesordnung stand als erster Punkt eine Anzahl von Eingaben betreffend den Bau einer Bahn von Enzweihingen über Mark­gröningen nach Ludwigsburg. In einer früheren Eingabe suchten die beteiligten Gemein­den Konzessionierung einer Privatgesellschaft und um die Gewährung eines Staatsbeitrags von 25 000 ^ für das Kilometer Bahnlänge nach. Der Berichterstatter Abgeordneter Andre sprach sich damals gegen den Bau der Bahn durch eine Privatgesellschaft aus. Die Kommission schloß sich in ihrer Sitzung vom 13. März 1908 dieser Auffassung an. Von Seiten der beteiligten Gemeinden wurde inzwischen zwei neue Ein­gaben eingereicht. Der Berichterstatter erklärte in der heutigen Sitzung zunächst die Erklärungen der K. Staatsregierung abwarten zu wollen, be­vor er einen bestimmten Antrag stelle. Auf die vom Berichterstatter aufgeworfenen Fragen ant­wortete Staatsminister v. Weizsäcker indem er ausführte: Die Regierung könne der Erbauung einer Privatbahn keine Sympathie entgegen­bringen. Das Ergebnis der technischen Unter­suchungen spreche gegen die Einführung einer Privatbahn in Ludwigsburg. Die Stichbahn LudwigsburgMarkgröningen werde 8,4 Klm. lang; der Bauaufwand betrage 1030 000 die Betriebseinnahmen berechne die Verwaltung auf 70000-^, die Betriebsausgaben auf 43000°^, die Verzinsung des dem Staat verbleibenden Bauaufwands betrage 2,9°/». Es handle sich also um einebessere" Nebenbahn. Nach Asperg zu bauen sei nicht empfehlenswert. Abg. Keil macht geltend, daß man endlich einmal den berechtigten Wünschen der Stadtgemeinde Mark­gröningen entgegenkommen müsse. Bericht­erstatter Andre stellt den Antrag: 1) Die Ein­gaben der Gemeinden Markgröningen, Mög­lingen und Ludwigsburg um Erbauung einer normalspurigen Bahn durch den Staat der Kgl. Regierung zur Berücksichtigung zu überweisen. 2) Die Eingabe der Gemeinden Oberriexingen, Unterrieringen und Enzweihingen um Fortsetzung der unter Ziffer 1 genannten Bahn bis Enz­weihingen der Kgl. Staatsregierung zur Er­wägung zu übergeben. 3) Die früheren Ein­gaben damit für erledigt zu erklären. Der An­trag wird einstimmig angenommen, lieber die Bitte der Gemeinden Nürtingen, Kretzingen, Plattenhardt usw. um Fortsetzung der Filder- bahn von Neuhausen nach Nürtingen berichtet Abg. Liesching und stellt den Antrag, die Eingabe der Regierung zur Kenntnisnahme zu übergeben. Dr. Nübling tritt auf Uebergabe zur Erwägung ein. Bei der Abstimmung wird der Antrag Liesching gegen die Stimmen der

Abgeordneten Dr. Bauer und Dr. Nübling an­genommen. Abg. Liesching referierte sodann über die Eingabe des Eisenbahnkomitees Urach- Münsingen betr. die Projektierung eines späteren Anschlusses der Filderbahn an die Hauptbahn in Metzingen und der Schaffung einer Ver­bindungsbahn Bernhausen bezw. AichNeckar­tenzlingen-Metzingen und beantragte Kenntnis­nahme. Der Antrag wird ohne Diskussion an­genommen. Die nächste Sitzung ist noch unbestimmt.

Stuttgart 15. Juni. Die Zweite Kammer erledigte heute in fortgesetzter Etats- beratung ohne nennenswerte Debatte das Kapitel Bodenseedampfschiffahrt und lehnte zum Kap. 110 n Aufwand an Postporto, das in Zu­kunft aus die einzelnen Verwaltungen übernommen werden soll, einen Antrag Graf (Z.) betr. Ab­schaffung der Dienstmarken ab. In der nun folgenden Beratung von Eisenbahnpetitionen wurde die Frage der Weiterführung der Heu­bergbahn nach Trossingen der Regierung zur Erwägung übergeben. Längere Erörterungen knüpften sich an zwei Eingaben um Erbauung einer Nebenbahn von Ellwangen nach Unter- sckneidheim und von Bopfingen nach Tannhausen. Es entspann sich, wie Minister v. Weizsäcker be­merkte, ein Krieg zwischen Ellwangen und Bop- singen, deren Vertreter, die Abg. Walter und Dambacher einerseits und Schmid-Neresheim andererseits, die Eingaben der Regierung gerne zur Berücksichtigung übergeben hätten. Das Haus entschied sich für Erwägung, um keine Hoffnungen zu erwecken, die in nächster Zeit doch nicht in Erfüllung gehen könnten. Morgen Fortsetzung u. a.

Stuttgart 15. Juni. (Strafkammer.) Wegen Vergehens gegen § 184 Ziffer 3 des Strafgesetzbuches, betreffend die Anpreisung, Aus­stellung oder Ankündigung von Gegenständen, die zu unzüchtigem Gebrauch bestimmt sind, hatte sich heute der durch seine Vorträge über Sexualethik" bekannte vr. mcä. Hans Fischer aus Berlin, der diese Vorträge gegen ein Honorar von je 150 auf Veranlassung eines Magde­burger Verlagsbuchhändlers hielt, zu verantworten. Dieser sogenannte Buchhändler entpuppte sich als Verkäufer und Vertreiber eines Apparates zur Beibringung antikonzeptioneller Mittel. Der Staatsanwalt betonte, daß Dr. Fischer lediglich für diesen Apparat seine Vorträge gehalten habe, und beantragte eine Geldstrafe von 500 Der Verteidiger plaidierte für Freisprechung. Das Urteil lautete auf 100 Geldstrafe oder 10 Tage Gefängnis.

Stuttgart 15. Juni. Der Polizei­bericht schreibt: Gestern vormittag kurz vor 9 Uhr wurde in einem Straßenbahnwagen der Linie

wollten ihr Recht haben. Sie dachten nicht mehr der düsteren Vergangen­heit, sie dachten nur an die jetzige gute Zeit und das Glück ihrer Herrschaft.

Laßt die Toten ihre Toten begraben!" flüsterte Sibylle vor sich hin und flüchtete vor der Freude, die sich überall breitmachte, zu dem Erbbegräbnis. Sie ging alltäglich hierher, es war, als müsse sie sich hier stets neue Kraft holen, um den Haß gegen die beiden Glücklichen lebendig zu halten. Sie sah zwar in Wolf Dietrich nicht mehr den Mörder ihres Sohnes, wenn sie sich hätte ehrlich Antwort geben wollen, aber der Ver­dacht, daß Regina Wolf Dietrich zu Lebzeiten ihres Sohnes geliebt, und daß sie einen Meineid geschworen hatte, verdichtete sich bei ihr immer mehr zur Tatsache. Wenn sie nur den Beweis hierfür erbringen könnte, dann hielt sie beide in ihrer Hand, und ihr Sohn war gerächt.

Gott wird sie in ihrem Glück strafen!" flüsterten ihre Lippen wieder mitten aus ihren düsteren Gedanken heraus.Ob Wolf Dietrich ihre Schuld jetzt weiß?"

Schritte, die die Treppe zum Gewölbe herunterkamen, schreckten sie auf. Wer konnte es sein? Wolf Dietrich!" Wie ein Aechzen verklang es in dem niedrigen Gewölbe. Keines anderen Gegenwart konnte sie hier ertragen, am wenigsten aber die des Mannes, der mit Regina an ihren Zufluchtsort kam. Die dunklen Schleier fest um sich ziehend, drückte sich Sibylle hinter den hohen Särgen der Gruft an die Wand, dort, wo das Dunkel des dämmernden Lichtes nistete. Im Herzen ein tiefes Grauen, wurde sie ungesehen Zeuge, wie das junge Paar an den Sarg des Toten trat, der ihrem Glück hatte weichen müssen.

Gib mir den Kranz, Regina", sagte Wolf Dietrich und legte be­hutsam das köstliche Gewinde auf das dunkle Eichenholz.Wie bleich du bist, du hättest mich nicht begleiten sollen."

Mein Platz ist an deiner Seite, Wolf Dietrich."

Mit reinen Händen schmücken wir den Sarg. Wir taten nichts Unrechtes, Regina. Du hieltest die Treue, und ich ging um meiner Liebe willen in die Ferne, mehr zu tun, war uns nicht möglich."

GaisburgTraubenstraße ein verheirateter 55 Jahre alter Kaufmann von einem Gehirnschlag getroffen. Der Kranke wurde nach seiner Woh­nung übergeführt, wo er bald daraus starb. Auf dem alten Postplatz wurde gestern vormittag 8 Uhr eine 53 Jahre alte Weißnäherin von einem Straßenbahnwagen, als sie vor diesem das Geleise überschreiten wollte, erfaßt und zu Boden geworfen. Sie trug Hautschürfungen im Gesicht und eine Verletzung der rechten Schulter davon. Am letzten Donnerstag ver­brühte sich ein 22 Jahre altes Dienstmädchen in einem Hause der Mozarrstraße beim Ausheben eines Kessels heißen Wassers vom Herde den linken Fuß.- Das Mädchen wurde gestern ins Marienhospital übergeführt. Gestern nach­mittag 2'/- Uhr wurde ein städtischer 60 Jahre alter Arbeiter auf dem Städtischen Lagerplatz Ecke der Werder- und Neckarstraße vom Schlage gerührt und war sofort tot. Gestern abend 5'/- Uhr wurde in dem Walde bei Südheim rechts der Schießplätze der Stuttgarter Schützen­gilde eine verheirateter, 52 Jahre alter Tag­löhner erhängt aufgefunden.

Besigheim 15. Juni. Die zwei Kinder des Bahnwärters Ernst in Könbronn bei Schrozberg (ein 12jähriges Mädchen und ein /jähriger Knabe), die, wie berichtet, seit Anfang voriger Woche vermißt wurden, sind nun in hiesiger Gegend aufgefunden worden. Sie kamen vorigen Freitag, nachdem sie unterwegs mehreremal über­nachtet hatten zu Verwandten in dem benach­barten Hettisheim. Dort wurde der Knabe von seinem benachrichtigten Vater abgeholt. Das Mädchen war indessen auf den Bahnhof Bietig­heim gelaufen, wo es sich an eine hiesige Frau anschloß, die es mit nach Hause nahm. Gestern wurde die kleine Ausreißerin, die sich einen falschen Namen beigelegt hat, ebenfalls nach Hause befördert.

Göppingen 16. Juni. Hier wurde ein sozialdemokratisches Zeitungsunter­nehmen gegründet und bereits in das Genossen­schaftsregister eingetragen. Die Druckerei gilt als Vorläufer einer sozialdemokratischen Zeitung für den 10. Reichstagswahlkreis.

Göppingen 15. Juni. DerVerein Brieftaube Göppingen" hatte wieder einen großen Erfolg zu verzeichnen. Er erzielte bei dem Brief­taubenfliegen ab Metz das beste Resultat und erhielt den Ehrenpreis des Königs von Württemberg (Silberner Pokal). Der Ulmer Brieftaubenklub erhielt als zweitbester den ersten Verbandspreis. Die Tauben wurden 6 Uhr 35 Min. in Metz abgelassen. Die ersten trafen in Göppingen um 9 Uhr 58 Min. ein, erzielten also, da die Entfernung MetzGöppingen 261

Und doch werde ich hier in Groß-Ellern meines Glückes nicht von Herzen froh. Die Erinnerung ist noch zu mächtig", klagte Regina.

Es ist nur menschlich, mein Herzensweib. Es wäre unnatürlich, wenn es bei dir anders wäre. Mit der Zeit wirst du es schon lernen, schon aus Liebe zu mir."

Wolf Dietrich wollte den Arm um die Bleiche schlingen, aber sie wehrte ihm, mit bangen Augen um sich schauend:Nicht so, es ist mir hier, als ob die Augen des Toten voller Eifersucht auf mir ruhten. Dort in der Ecke Wolf Dietrich!"

Ein geller Schrei erfüllte die heilige Stille mit unheimlichem Leben, und Regina klammerte sich hilfesuchend an ihren Mann, ihren Kopf an seiner schützenden Brust verbergend. Er hielt sie mit starkem Arm, seine klangvolle Stimme klang ebenso ruhig wie sonst, als er fragte:Tante Sibylle, warum verbirgst du dich vor uns? Es kann dich doch nicht ver­letzen, wenn wir dem Toten die ihm gebührende Ehre erweisen. Gib Frieden wir wollen ja nichts lieber, als dir dein schweres Leid mittragen helfen!" Regina hatte den Kopf erhoben und sich von ihrem Mann gelöst, als sie den Gegenstand ihres Schreckens erkannte. Auch sie streckte ihre Hand der Frau entgegen, die langsam auf sie zukam.

Im Leid erstarrt! So blickte das Gesicht Sibylles zu ihnen hin, und mit heiserer Stimme gebot sie:Laßt mich meinen Weg gehen, er hat nichts gemein mit dem euren. Diese Stätte des Todes ist mein Platz, ihr gehört hier nicht her; denn euer Glück stört dem Toten die Ruhe. Geht, wenn ihr mir was Liebes tun wollt. Dieser hier gehört mir jetzt allein, ihr habt ihn im Leben nicht geliebt, so laßt ihn auch im Tode von euch vergessen sein. Er hat mich, euch braucht er nicht. Geht!"

Komm," sagte Wolf Dietrich.Wir wollen uns Tante Sibylle nicht ausdrängen. Vielleicht kommt noch ein Tag, wo sie unserer und unserer Liebe bedarf."

Niemals!"

Die Zeit wird es lehren." (Fortsetzung folgt.)