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Kilometer ist, eine Fluggeschwindigkeit von 1285 Meter in der Minute, also 154 Meter pro Minute mehr als Ulm. Der Verein Brief­taube Göppingen hat sich in den letzten 7 Jahren 4 mal den Ehrenpreis des Königs von Württem­berg erringen können.

Kirchheim u. T. 15. Juni. In einer Versammlung der Jungen Volkspartei, die auch von Mitgliedern anderer Parteien zahl­reich besucht war, sprach Dr. Krohmer von hier über die Reichsfinanzreform. Er führte im wesentlichen aus, daß das deutsche Volk noch nie so einmütig für eine Steuerforderung der Regierung eingetreten sei, wie diesmal, trotz­dem es sich um die hohe Summe von 500 Millionen handle. Die anerkennenswerte Einmütigkeit sei aber durch das Verhalten der Konservativen in die Brüche gegangen, die dem Grundsätze huldigen: selber nichts bezahlen und andere bezahlen lassen" und der Nachlaßsteuer ein absolutesNein" ent­gegensetzten. Nach dem genannten Prinzip sei die Branntweinsteuer durchgeführt, bei der von 100 Millionen Erträgnissen 40°/° den Brennern zufalle, ebenso verschaffe die Zollpolitik von 1903 den Großgrundbesitzern 800 Millionen Mark aus den Taschen der Konsumenten. Der Redner übte sodann eine Kritik an der Stengel'schen Steuerreform und wies nach, daß die Junker selbst für das Wenige, das die Regierung von ihnen fordere, nicht zu haben seien. Die als Ersatz gebotene Kohlensteuer, Mühlenumsatz- und Kotierungssteuer werden wegen ihrer Volksfeind­lichkeit niemals die Zustimmung der liberalen Kreise finden. Alle Elemente müssen dazu bei­tragen, eine liberale Steuerreform zu schaffen, die den Einzelnen nicht nach Zufall und Willkür, sondern nach seiner Leistungsfähigkeit besteuere. An der Debatte beteiligte sich stall. Arthur Köhler, der eine Klärung der gegenwärtigen Situation aus der Auflösung des Reichstags erwartet, er glaubt übrigens erst an eine grund­sätzliche Aenderung der Reichspolitik, wenn einmal . in Preußen die direkte Wahl eingeführt werde, s Die Versammlung nahm einen sehr animierten Verlauf. Dr. Krohmer hatte mit seinen Aus­führungen lebhaften Beifall geerntet.

Tübingen 15. Juni. Die Königin besuchte gestern nachmittag die neue Augenklinik und verweilte über eine Stunde in der Anstalt, deren Einrichtungen sie sich vom Vorstand des Instituts, Professor Dr. Schleich, dem derzeitigen Rektor der Landesuniversität, eingehend erklären ließ. Die musterhafte Anstalt fand den lebhaften Beifall der Königin. Staatsrat Professor Dr. v. Bruns wurde von der Kgl. Akademie der Medizin zu Turin zum auswärtigen Mitglied ernannt.

Kottweil 15. Juni. Ueber einen auf­regenden Vorfall, bei dem ein Menschenleben in ernster Gefahr war, wird berichtet: In Jmmen- dingen ist am Samstag mittag 3 Uhr der in Rottweil stationierte Zugführer Hieb er mit knapper Not einem ihn bedrohenden Unglück entronnen. Hieber hatte den Zug 6604 nach Rottweil zu führen und stand an einem Neben­gleis, um das Abfahrtzeichen des diensttuenden Beamten abzuwarten. In dem Augenblick, als ihm dies gegeben wurde, wollte er über das Geleis zu seinem Zug, als gerade der nach Walds­hut fahrende Personenzug rückwärts geschoben wurde. Hieber wurde von dem letzten Wagen dieses Zuges mitten in das Geleis geworfen, ch sodaß drei Wagen über ihn weggingen, bis der Zug zuin Halten gebracht wurde. Nachdem dieser stand, konnte Hieber, der keinerlei Verletzung davongetragen hatte, wieder unter den Wagen Hervorkommen, seinen Posten auf der Maschine des Zugs 6604 einnehmen und diesen weiterführen.

Durch Hausen OA. Tuttlingen 15. Juni. Wie die Obduktion der Leiche des ermordeten Viehhändlers Hermann G anter ergeben hat, ist er allem Anschein nach hinterrücks überfallen worden, denn der Hinterkopf wies die eigentlichen tödlichen Verletzungen auf. Der Schädel war vollständig zertrümmert. Wie der Gerichtsarzt feststellte, erhielt er mehrere Schläge, die mit großer Wucht geführt worden sind. Entgegen ^verschiedenen Gerüchten hat man trotz aller eifrigen Nachforschungen von dem Täter noch nicht die

geringste Spur. Gestern mittag traf die Staats­anwaltschaft Rottweil wieder hier ein. Es haben einige, bis jetzt ergebnislose Vernehmungen statt­gefunden.

Friedrichshafen 15. Juni. Graf Zeppelin hat dem Oberbürgermeister Fieser von Baden-Baden gelegentlich seines Aufenthaltes in Friedrichshafen einen Besuch des III" in Baden-Baden mit einer Landung in Aussicht gestellt. Der Besuch dürfte von Frankfurt a. M. aus wahrscheinlich im September erfolgen.

München 15. Juni. In der heute vor­mittag hier eröffneten Hauptversammlung des Vereins deutscher Zeitungs-Verleger hielt der Ministerialrat Meine! namens der bayrischen Staatsregierung eine Ansprache in der er betonte wie sehr die bayrische Regierung von der Bedeutung der Presse für unser ganzes Kulturleben durchdrungen ist. Eine moderne Regierung könne ihre Aufgaben nicht erfüllen ohne die Mitwirkung der Presse. Die bayrische Regierung fühle deshalb das lebhafte Bedürfnis, in enger Fühlung und guten Beziehungen mit der Presse zu bleiben. Der Versammlungs­vorsitzende, Reichstagsabgeordneter Dr. IAn­ti ecke-Hannover, dankte für diese Ausführungen und gab dem Wunsche Ausdruck, daß diese Aeußerungen der bayrischen Staatsregierung auch anderswo ein Echo finden möchte.

Berlin 15. Juni. Beim Empfang der englischen Geistlichen hielt der Kaiser gestern eine Rede in englischer Sprache, die mit den Worten endete: Ich gebe mich der Zuversicht hin, daß dieser Besuch wie der im verflossenen Jahre dazu dienen wird, die guten Beziehungen zwischen den beiden verwandten Nationen zu fördern. Ich freue mich, meine Herren, daß ich das Vergnügen gehabt habe, Sie zu empfangen. Der Kaiser ließ sich darauf etwa 20 Herren besonders vorstellen. Die englischen Gäste wurden dann nach der königlichen Orangerie geführt, wo ihnen der Thee dargeboten wurde. Abends vereinigten sie sich zu einem Festmahl im Landesausstellungspark in Moabit.

Berlin 15. Juni. Seit gestern Vor­mittag weilt der Berliner Kriminalkommissar Klinghammer mit einer Reihe von Kriminal­beamten in Liebenberg. Der Kommissar hatte gestern Vormittag eine fünfviertelstündige Unterredung mit dem Fürsten Eulenburg, in der auch, wie verlautet, besprochen wurde, wo sich die Beamten im Schloß aufhalten sollten. Fürst Eulenburg lehnte den Aufenthalt der Kriminalpolizei im Schlosse und in Liebenberg ab. Kriminalkommissar Klinghammer verteilte darauf seine Beamten auf die umliegenden Ort­schaften. Er selbst führte ein längeres telefonisches Gespräch mit dem Berliner Polizeipräsidium und begab sich dann zu dem zuständigen Landratsamt Cöslin. Heute werden weitere Kriminalbeamte in Liebenberg erwartet. Der älteste Sohn des Fürsten und Rentmeister Geritz waren gestern Abend in Berlin, um Beschwerde über das Er­scheinen der Kriminalpolizei auf Schloß Lieben­berg mit der Begründung zu führen, daß die geforderte Kaution gestellt worden sei.

Danzig 15. Juni. In Danzig ist nun­mehr die gesamte Kaiser-Flottille im Hafen und aus der Reede versammelt, die Hohenzollern, die Sleipner, Gneisenau, die Hamburg und zwei Hochsee-Torpedoboote, die als Depeschenboote dienen sollen. Die Abfahrt des Kaisers, der heute Vormittag von der Wildparkstation aus die Reise antritt, erfolgt morgen Abend gleich nach der Einschiffung auf der Hohenzollern.

Paris 15. Juni. Ueber 20 Feuers­brünste, die in letzter Zeit in Paris ausgebrochen sind, legt die Sicherheitsbehörde Brandstiftern zur Last, die meist Polen sind.

Wien 15. Juni. Prinz Georg von Serbien erhielt am Todestage des Königs Alexander einen Brief, in welchem er ersucht wird, seinen Vater darauf aufmerksam zu machen, daß das Ende der Dynastie bald eintreten werde, wenn er seine Beziehungen zu den Verschwörern fortsetze. Unterzeichnet war der Brief: Offiziere der Garnisonen Pirol und Wranja. Prinz Georg schickte den Brief seinem

Vater mit folgender Bemerkung: Da dieser Brief aus den Kreisen Deiner Offiziere stammt, so sende ich Dir denselben mit der Bitte, im Inte­resse der Dynastie nun endlich mit den korrupten Verschwörern ein Ende zu machen. Du hast keine Ahnung, welche Emppörung im Volke gegen Dich besteht, und wenn Du so weiter handelst, dann sind unsere Tage gezählt.

(Zur kretischen Frage.) Marschall Muktar Pascha, der Chef der türkischen Sondergesandtschaft, die der französischen Regie­rung die Thronbesteigung Mohammed V notifizierte, hat in einer Unterredung mit dem Vertreter desMatin" eine Lösung der kretischen Frage angedeutet. Nachdem auch er festgestellt hat, daß Kreta türkisch bleiben muß, spricht er die Ansicht aus, daß die Ernennung eines Gouverneurs schweizerischer, belgischer und dänischer Nationalität alle Schwierigkeiten lösen kann. Auch Muktar Pascha hält das Ver­bleiben der internattonalen Besatzung in Kreta, wenigstens bis zur Wahl eines Gouverneurs für wünschenswert. Es sei hinzugefügt, daß sich der Verwirklichung dieses Wunsches, wie hier ver­lautet, Hindernisse entgegenstellen, die man aber nicht für unüberwindlich hält. Im Gegensatz zu Muktar Pascha hält man in Petersburg das Ver­bleiben der internationalen Truppen in Kreta für bedenklich. Darüber wird aus London gemeldet: Eine Petersburger Depesche desDaily Telegraph" meldet zur Kretafrage, daß Rußland keine eigenen Vorschläge zu machen hat, aber bereit sei, mit den anderen Mächten zur Beseitigung der Schwierigkeiten zu kooperieren. Der Vorschlag Englands, die Truppen der Schutzmächte über den vertragsmäßigen Termin hinaus auf Kreta zu belassen, wird russischerseits für untunlich erachtet.

Vermischtes.

Von einem merkwürdigen ita­lienischen Wallfahrtsort, dem Städtchen Viggiano in der süditalienischen Provinz Basilicata, werden imFesto del Carlino" interessante Mit­teilungen gemacht. In dem Orte befindet sich ein sehr altes Heiligtum, wohl das einzige der Gegend, das alljährlich zu einem bestimmten Zeit­punkt Tausende und Abertausende von Wall­fahrern zu dem wundertätigen Madonnenbild pilgern läßt. Es sind die Bauern der Umgebung, die drei- und viertägige mühselige Reisen auf schlechten Wegen nicht scheuen, um das Wunder­bild zu sehen. Die Pilger, die eine besondere Gnade erhoffen, pflegen den ganzen Weg oder wenigstens einen größeren Teil zu Fuß zurück­zulegen ; wenn sie dann den Hügelrücken erreichen, der den Blick auf den wohl noch eine Wegstunde entfernten Wallfahrtsort gewährt, legen sie das Fußzeug ab, um barfuß der Gnadenstätte zu nahen. Seltsame alte Bräuche werden von allen erfüllt, die besondere Gnaden erwarten. Fast alle Bittsteller pflegen sich lang hingestreckt dem Hochaltar zu nahen; vom Kirchenportal aus küssen sie jeden Stein bis zum Altäre. Ein schmaler Streifen besonderer polierter Steine zeigt den Weg, den die Gläubigen mit den Lippen am Boden wählen. Nicht geringer sind die Demütigungen, die die Kranken vollbringen, die von einem Bruchleiden Heilung erflehen. Sie suchen ein keimendes Reis, das in zwei Teile geschnitten wird. Die beiden Reisstücke werden in die Erde gepflanzt und nun schreiten die Kranken völlig unbekleidet vor den Augen der Menge durch die Mitte. Wenn nach Verlauf eines Jahres die beiden Reisstücke, die sorgsam bewahrt werden, keimen und Blätter treiben, so ist das ein Zeichen, daß die erflehte Gnade ge­währt ist. In der Wallfahrtszeit entwickelt sich um das Städtchen ein seltsames Treiben, denn die Tausende von Pilgern lagern mit ihren Tieren im Walde; an Schlaf ist bei dem Lärm, dem Raunen, Flüstern, Singen und Lachen nicht zu denken, während hoch aufgeschichtete Holz­stöße im Dunkel der Nacht auflodern.

Reklameteil.

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