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büßte eine Scheibe ein und trug sonstige Schrammen davon, so daß der Wagen Nr. 1 in Betrieb gesetzt werden mußte. Der Schaden ist insofern nicht von großer Bedeutung, als der gefallene Baum bereits morsch war.
Göppingen 10. Juni. Graf Zeppelin hat an die Stadtgemeinde Göppingen folgendes Schreiben gerichtet: Friedrichshafen, 9. Juni 1909. Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister! Nachdem ich nach den Tagen der Arbeit zur Ruhe gekommen bin, drängt es mich, Sie zu bitten, der gesamten Bevölkerung der Stadt meinen tiefgefühlten Dank auszusprechen für die Teilnahme an dem Mißgeschick, das mein Luftschiff am zweiten Pfingsttage auf der Flur von Göppingen erlitten hat, besonders aber meinen Dank für die Mithilfe, für die Bereitwilligkeit, mit der jeder Wunsch meiner Leute erfüllt wurde. Ich danke den wackeren Männern, die mit Ausdauer bereit waren, die Taue zu halten. Dankbar gedenke ich der Landjäger und der Polizeimannschaft Göppingens, die mit Ruhe und Bestimmtheit für Ordnung sorgten, wobei trotz des großen Andrangs die herzliche Teilnahme des Publikums behilflich war. Ich danke aus gerührtem Herzen der ganzen Einwohnerschaft Göppingens für die Grüße, die sie mir sandte, die mir die erste Stärkung waren, nach den Strapazen der Fahrt, nach dem Knirschen des Schiffbruchs. Bis an das Ende meiner Tage bin ich dankbar den Einwohnern der Stadt Göppingen. Graf Zeppelin.
Vom Fränkischen 10. Juni. Dem Bahnwärter Ernst in Könbronn bei Schrozberg fehlen seit anfangs dieser Woche zwei Kinder, ein zwölfjähriges Mädchen und ein siebenjähriger Knabe. Alle Nachforschungen (auch bei Verwandten) blieben bis zur Stunde resultatlos.
Rottweil 10. Juni. Zum „Kümmel- blättchen"-Spiel wußten vor etwa einem Vierteljahr zwei Zigeuner (Brüder) in Wirtschaften der Bezirke Balingen, Rottweil und Tuttlingen die Gäste zu verlocken, die regelmäßig anfangs gewannen, bei größeren Einsätzen (bis zu 8 ^) aber ebenso regelmäßig verloren. Den Spielkünstlern sah schließlich die Landjägermannschaft auf die Finger, was dazu führte, daß nun die Rottweiler Strafkammer die beiden Zigeuner verurteilte: Karl Mai aus Belfort erhielt 3 Monate und Gustav Mai aus Aubach 2 Monate Gefängnis zugemessen.
Ulm 10. Juni. In vielen Gegenden sind seit einiger Zeit falsche 50-Markscheine im Umlauf. Sie tragen die Nummern V 740 611 und I> 1178443, die Köpfe in den Medaillons oben rechts und links sind schlecht ausgedrückt und im Profil unscharf. Hinter dem Wort „Reichsbanknote fehlt der Punkt. Datum usw. sind Hellrosa statt dunkelbraun gedruckt.
— Aus Ravensburg wird gemeldet: Bei der gestrigen Fronleichnamsprozession wurde
ein Bauer aus Volksdorf plötzlich von religiösem Wahnsinn befallen. Während der Domdekan Dr. Schädler das Sanktissimum auf dem Altar vor der St. Markuskirche niederstellen wollte, stürzte sich der Kranke auf den Geistlichen und versuchte ihm das Allerheiligste zu entreißen. Dabei schrie er: Jesus Maria und Josef! Hilf mir! Der Polizeiinspektor und einige Soldaten verhinderten weiteres. Unter den nach tausenden zählenden Zuschauern entstand eine furchtbare Panik. Nach etwa halbstündiger Unterbrechung konnten die kirchlichen Handlungen ihren Fortgang nehmen.
München 10. Juni. Die Generalin v. Brückner, über deren Tod berichtet wurde, ist nicht das Opfer eines Unglücksfalles geworden. Die seit dem Tode ihres Galten schwermütig gewordene Dame hat vielmehr ihr Kleid mit Benzin übergossen, die Gashähne geöffnet und sich dann angezündet. Die brennenden Gase und das Benzin bewirkten, daß die Leiche bereits stark verkohlt war, als die Nachbarn durch die Explosion aufgeschreckt, ihr zu Hilfe eilen wollten.
München 10. Juni. Die 35 Jahre alte Witwe des Generalmajors v. Brückner ist bei einer Benzin-Explosion in ihrem Zimmer verbrannt. Die Leiche war bereits stark verkohlt, als Nachbarn zu Hilfe eilten.
Straßburg i. E. 9. Juni. Heute Nacht brachen Diebe in ein hiesiges Warenhaus ein, packten die vorhandenen Gold- und Silberwaren in einen Koffer und suchten damit das Weite. Beim Fortschleppen des Koffers wurden sie indes von der Polizei überrascht. Als sie sich entdeckt sahen, setzten sie sich zur Wehr und feuerten mehrere Schüsse ab. Einem Schutzmann wurde eine Hand durchschossen, einem andern der Helm. Die Verhaftung des Kofferträgers gelang erst, nachdem man ihn durch einen Säbelhieb kampfunfähig gemacht hatte.
Berlin 10. Juni. Die Konferenz der einzelstaatlichen Finanzminister hat heute Vormittag 11 Uhr im Reichsamt des Innern ihren Anfang genommen. Den Vorsitz führt Reichsschatzsekretär Sydorv. Als Vertreter des Reichskanzlers wohnt den Verhandlungen Unterstaatssekretär v. Löbell bei. Die Verhandlungen sind streng vertraulich. Zu Ehren der Konferenzteilnehmer wird Reichskanzler Fürst Bülow heute ein großes Diner geben.
Berlin 10. Juni. Die Handelskammer zu Berlin und die Aeltesten der Kaufmannschaft zu Berlin haben in Verbindung mit 18 Handelskammern und anderen kaufmännischen Körperschaften des Reichs an den Reichstag und den Bundesrat eine längere Eingabe betreffend den Beschluß der Finanzkommission über die Besteuerung der Wertpapiere gerichtet,
worin zum Schluß gesagt wird, daß ein Rückfall der Gesetzgebung in die börsenfeindliche Tendenz der 90er Jahre mit nicht wieder zu ersetzenden Verlusten verbunden wäre. Sie erwarten deshalb zuversichtlich von den gesetzgebenden Körperschaften, daß sie den Beschluß der Finanzkommission nicht Gesetz werden lassen.
Berlin 10. Juni. In der Aula der der hiesigen Handelshochschule hielt heute auf Einladung der^Äeltesten der Berliner Kaufmannschaft der Heidelberger Nationalökonom Prof. Dr. Alfred Weber einen Vortrag über „Agrarier und Finanz reform". Der große Saal der Aula war bis auf den letzten Platz gefüllt. In seiner Begrüßungsansprache führte Präsident Kaempf aus, daß Handel und Industrie schon unter der jetzt bestehenden Gesetzgebung alle ihre Kräfte anspannen müßten, um dem Wettbewerb auf dem Weltmärkte zu bestehen. Durch die Finanzreform sollten ihnen nun noch größere Lasten aufgebürdet werden, durch die ihre Existenzbedingungen auf das Unerträglichste erschwert würden. Hierauf ergriff Professor Weber das Wort. Seine Ausführungen gipfelten darin, daß die Erbschaftssteuer von allen deutschen Steuern die einzig schöne und gerechte sei. Vor allem sei sie eine Steuer, die auch entwicklungsfähig sei. Die beantragte Kotierungssteuer sei ein Kampf gegen die Kapitalsassoziation und gegen die Börse. Man habe gewußt, daß man durch diesen Kampf die Assoziationskraft des Kapitals unterbinde, um die weitere Ausdehnung der Industrie zu verhindern. Man wolle dadurch die weitere Abwanderung der ländlichen Arbeiter in die Industriezentren unmöglich machen. Denn nur durch das künstliche Unterdruckhalten der Arbeitslöhne, sei es dem Agrariertum gelungen, seine bisherigen Profite aus der Differenz zwischen den Produktionskosten und den Verkaufspreisen auf unverändeter Höhe zu erhalten. In seinem Schlußwort forderte Präsident Kaempf die Versammlung auf, den Kampf gegen' die ungerechtfertigten Forderungen der Agrarier lebhaft zu unterstützen.
Berlin 10. Juni. Die „Deutsche Tageszeitung" hört, daß sich entgegen gestriger Blättermeldungen eine Reichswertzuwachssteuer auf Immobilien nicht unter den Ent- würfenbefindet, die das Reichsschatzamt den Vertretern der verbündeten Regierungen bisher vorgelegt hat.
Berlin 10. Juni. Ein mysteriöser Todesfall hat sich in Schöneberg ereignet. In der Etruskerstraße 34 war am Dienstag Morgen der Leutnant im Eisenbahn-Regiment Nr. 3, Erich v. Hülsen, tot in seiner Wohnung aufgefundenworden. Während man erst Selbstmord vermutete, besteht nach den weiteren Ermittelungen jetzt der Verdacht, daß der Offizier einem Verbrechen zum
weniger eine Stadt Calw. Moralisch undenkbar ist, daß König Heinrich IV ein Schriftstück unterzeichnet haben würde, das die furchtbarsten Verfluchungen nicht bloß gegen den Klostervogt, sondern auch gegen einen etwaigen König schleudert, der den Versuch machen würde, das Kloster im geringsten zu beeinträchtigen: der Papst wird beschworen „bei Christus, bei dem heiligen Apostel Petrus, bei dem heiligen Aurelius, bei allen Heiligen Gottes, bei dem Tag des furchtbaren Gerichts, daß er einen solchen Verächter Gottes und seiner Heiligen und Zerstörer dieser Stiftung, wann er nicht Buße tut, gänzlich dem Satan übergebe, mit dem Bannflüche belege, ausscheide von den Genossen und Söhnen der heiligen Kirche und von den Erben des ewigen Lebens, damit Gott auch sein Gedächtnis vom Lande der Lebendigen austilge und seinen Namen aus dem Buche des Lebens streiche, ihn mit Datan und Abiram, welche die Erde verschlungen und die Hölle lebendig dahingerafft hat, der ewigen Verdammnis anheimgebe, daß er, des Loses eines Herodes, Pilatus und Judas teilhaftig, ewige Pein leide, mit den Leuten von Sodom und Gomorrha von Feuer und Schwefel beregnet werde, die Plagen und Strafen Heliodors ausstehe, mit den Ovalen des Antiochus, nämlich von Würmern wimmelnd und mit Gestank verfaulend, jämmerlich zu gründe gehe, und daß ihm, wenn er nicht Buße tue, der himmlische Schlüsselverwalter Petrus mit dem heiligen Aurelius und der ganzen himmlischen Heerschar aus ewig die Pforte des Paradieses verschließe". Besondeis deutlich offenbart sich die Fälschung der Urkunde auch noch darin, daß die Uebernahme des Klosters in den Schutz des Papstes als bereits geschehen vorausgesetzt ist, während doch Wilhelm erst nach erlangtem königlichem Freibrief zu diesem Zweck die Reise nach Rom unternahm. Diese unechten Bestandteile der Urkunde datieren aus einer Zeit, in der das Kloster hart bedrängt war. So war es etwa um das Jahr 1200,
als der Vogt, Graf Adalbert VI, sich großer Gewalttätigkeiten schuldig machte. Aus Fälschung von Urkunden, wofern sie im Interesse des Klosters oder der Kirche vorgenommen wurde, machte man sich in jener Zeit nicht viel. So ist unsere Urkunde kein Beweisgrund für die Behauptung der Gründung des Aureliusklosters in der karolingischen Zeit.
Wir sind in der Lage, die allmähliche Entstehung dieser Legende zu verfolgen. In der von einem unbekannten Mönch verfaßten Lebensbeschreibung Abt Wilhelms, deren Hauptteil nach dem im Jahr 1099 erfolgten Tode Graf Adalberts II und vor dem 1. März 1107, dem Todestag von Abt Wilhelms Nachfolger, geschrieben worden ist, findet sich im zweiten Kapitel die dunkle Andeutung, Graf und Vogt Adalbert habe mit seinen Eltern das Kloster widerrechtlich in sein Eigentum gebracht und beinahe zerstört. Das war ein Anknüpfungspunkt für die weitere Ausgestaltung der Sage. Eine solche findet sich in dem im Kgl. Staatsarchive aufbewahrten Hirsauer Buche, merkwürdigerweise in zwei Ausführungen, die in Hauptpunkten zu einander in unvereinbarem Widerspruch stehen. Die erste geht der Chronik der Aebte voran, in der die vier ersten Aebte eingehender besprochen werden, eine Aufzeichnung, die ohne Zweifel unter der Regierung des fünften Abts (Volmar 1120—1156) geschehen ist. Die zweite sagenhafte Darstellung der Gründungsgeschichte des Aureliusklosters ist dem Verzeichnisse der Schenkungen und Erwerbungen vorangestellt, das wahrscheinlich unter Abt Konrad 1176—1188 gemacht wurde. Das Nähere hierüber s. „das Aureliuskloster in Hirsau" in der bes. Beil, des St.-Anz. 1908 S. 187. Aus dem Hirsauer Buch stammen die späten Zusätze über Hirsau in der Chronik Bertholds zum Jahr 1075, wo jedoch die Klostergründung noch weiter zurück, nämlich in die Pipinische Zeit, verlegt wird.
(Die Fortsetzung erscheint jeden Freitag.)