133. Amts- und Anzeigrblatt für den Gberamtsbezir! Calw. 81. ZchM«.
Trscheinungstage: Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag und Samstag. Jnsertionspreis tv Bfg. pro Zeile für Stadt u. Bezirksorte; außer Bezirk 12 Pfg.
Freitag, -en 11. Zuni 1909.
Bezuaspr.i.d. Stadt V^jährl. m. Träaerl.Mk. 1 . 25 . Postbezugspr. f. d. Lrrs- u. Nachbarortsoerk. ^/tzjährl. Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk. 1 . 30 . Bestellg. in Württ. 30 Pfg., in Bayern u. Reich 42 Pfg.
Tagesueuigkeiteu.
Calw 10. Juni. Das Künstlerkonzert von Maria Weber, Opernsängerin aus Lübeck und Karl Schmid-Bloß, Opernsänger aus Heidelberg, das gestern abend bei Dreiß stattfand, bot den zahlreich erschienenen Zuhörern eine schöne Auswahl von prächtigen Liedern der beliebtesten und bedeutendsten Komponisten. Das Programm enthielt Lieder von Mozart, Liszt, Schumann, Wolf, Strauß, Reger und Hitler, eine Auslese der allerbesten Art. Dem Auftreten der Opernsängerin Maria Weber wurde mit großem Interesse entgegengesehen. Die Sängerin verfügt über einen ausgesprochenen Sopran von Fülle, Wohllaut und seltener Weichheit und herrlich ertönt die reine, wohlgebildete Stimme, über der es oft wie ein leichter Schleier liegt. Wie wunderbar erklang „die tote Nachtigall" von Liszt, „Ständchen" von Strauß und „Waldeinsamkeit" von Reger. Ein feines Verstehen gepaart mit einer jugendfrischen Koloratur, reiner Jntonierung und lieblicher Vortragsweise durchwehte alle Vorträge. Wohlverdienter und brau- senK^BeifÄk""belohnte die Sängerin. Ebenso lebhaften Beifall durfte der Opernsänger Schmid- Bloß ernten. Seine ausgeprägte Baßstimme klingt äußerst anmutig, die tiefen Töne quellen mühelos hervor und mit wohlgebildeter, durchaus sicherer und kräftiger Stimme führt der Sänger seine Aufgabe durch. Eine prächtige Leistung war „der Waldsee" von Berger, „Morgen" und „Heimliche Aufforderung" von Strauß. Wenn der Sänger noch etwas mehr Wärme und Gefühl in seinen Vortrag gelegt hätte, so wäre die Gesamtleistung geradezu hervorragend gewesen. Eine allerliebste Wirkung erzielte Frl. Weber in Gemeinschaft mit Herrn Schmid-Bloß in den 2 Duetten „So lang Hab ich geschmachtet" aus Figaro und „Bei Männern, welche Liebe fühlen" aus der Zauberflöte; die beiden Künstler wurden durch stürmische Hervorrufe um eine Dreingabe
gebeten, welchem Wunsch denn auch entsprochen § wurde. Die Klavierbegleitung führte Frau Klara Roos, Pianistin aus Stuttgart aus, die durch ihr seines, stets dem echtesten Ausdruck angepaßtes Spiel nicht wenig zum Gelingen des Konzertes beitrug. Froh gestimmt durch das geschmackvoll gestaltete und gediegen durchgeführte Programm kehrten die Teilnehmer nach Hause.
"Calw 10. Juni. Eine lästige Erscheinung im Verkehr bildet im Sommer die Staub- bildung auf der Straßen. Diesem Uebelstand sucht man seit einigen Jahren durch Beteerung der Straßen zu begegnen. In Stuttgart werden gegenwärtig Versuche mit Straßenteerung in größerem Maßstabe gemacht, nachdem sich die früheren Versuche im kleinen sehr gut bewährt haben. Auch in hiesiger Stadt werden in diesem Sommer Versuche mit Straßenteerung gemacht werden und ist zunächst die Bahnhofstraße hiezu bestimmt, in der die Staubbildung infolge des starken Fuhrverkehrs besonders groß ist.
Unterjesingen 9. Juni. Unter großer Beteiligung von nah und fern fand heute nachmittag die Beerdigung des Landtagsabgeordneten Äuoth statt. 31 Landtagsabgeordnete, Mitglieder aller Fraktionen, waren im Trauergefolge, die Fraktion der Deutschen Partei war vollständig vertreten; ferner waren zugegen die Bezirksbeamten, die Mitglieder des Bezirksrats und zahlreiche Mitglieder landwirtschaftlicher Vereine,
7 Militär- und Kriegervereine und zahlreiche weitere Leidtragende. Pfarrer Leube hielt die GvLbrede. Kammerpräsident v. Payer legte namens der Zweiten Kammer einen Lorbeerkranz nieder und führte u. a. aus: Die große Zahl der Abgeordneten aller Parteien zeige, wie lieb und wert der Verstorbene allen seinen Kollegen im Landtag gewesen sei und wie nahe dessen Hinscheiden seinen Freunden gehe. Nur wenige kommen in solch jungem Alter, wie er, in die Volksvertretung, nur wenige seien es auch, die
in diesem Alter schon abberufen werden. Ruhig, sicher und gleichmäßig habe sich Guoth zur vollen Kraft des Mannes und zu einer hochrespektablen Stellung in der Kammer aufgeschwungen. Abg. Dr. Hieb er sandte namens der Kammersraktion der Deutschen Partei dem verstorbenen Freunde einen Gruß des Dankes und der Freundschaft ins Grab nach. Guoth sei stets ein Element des Aussöhnung gewesen; mit Leib und Seele der Landwirtschaft zugetan, sei er durchdrungen gewesen von dem Gedanken, daß eine Versöhnung der verschiedenen Erwerbsstände das Richtige sei. Namens der Parteileitung legte Abg. Kübel einen Kranz nieder. Für die Gemeinde Unterjesingen hielt Schultheiß Wizemann dem Verstorbenen einen Nachruf, als einem Manne, auf welchen die Gemeinde stolz gewesen und dessen Tod ein furchtbarer Schlag für seine Familie, für die Gemeinde und für die Genoffenschaft der Ueberlandzentrale sei. Abg. Ströbel legte eine Kranzspende für den Bund der Landwirte nieder, dessen eingeschriebenes Mitglied Guoth gewesen. Ferner sprachen Oberamtmann Susset von Herrenberg als Vorsitzender des Bezirksrats und Stadtschultheiß Haußer von Herrenberg als Vorsitzender der Ueberlandzentrale. Weitere Kränze wurden niedergelegt durch Regierungsrat Zorer namens des 8. landwirtschaftlichen Gauverbandes, ferner für den landwirtschaftlichen Bezirksverein Tübingen, u. a.
Ludwigsburg 10. Juni. Dem städtischen Kraftwagen Nr. 2 ist heute vormittag auf der Fahrt zum Bahnhof in der Wilhelmstraße ein Unfall zugestoßen. Vor dem Russischen Anwesen wollte der Führer einem entgegenkommenden Fuhrwerk ausweichen, hierbei geriet der Kraftwagen auf der dort frisch geteerten Fahrbahn ins Gleiten und rannte so kräftig gegen einen Akazienbaum, daß dieser völlig abgeknickt wurde, während ein anderer leichtere Beschädigungen erlitt. Der, übrigens nicht besetzte Kraftwagen
2 Abt Wilhelm in Hirsau 1069— 1091 .
2. Das Aureliuskloster.
Bevor wir zur Schilderung der Persönlichkeit und Wirksamkeit des genialen Abts Wilhelm übergehen, werfen wir einen Blick auf den Schauplatz auf dem und von dem aus er seine umfassende Tätigkeit entfaltet hat. Nicht das auf dem linken Nagoldufer sich erhebende Kloster, dessen noch heute von verschwundener Pracht zeugende Trümmer das Interesse aller Durchreisenden fesseln, ist Wilhelms Wohnstätte gewesen. Dieses stattliche Kloster hat er zwar erbaut, er hat es noch erlebt, daß die domartige Peterskirche, das größte Gotteshaus Württembergs nach dem Ulmer Münster, eingeweiht worden ist, auch fand darin sein entseelter Leib die letzte Ruhestätte, aber der Geist Wilhelms war bereits gewichen, als ein Jahr nach seinem Tode die Klostergebäude soweit vollendet waren, daß die Mönche ihren Einzug halten konnten. Von dem Tage an, da der große Mann den Kampfplatz verließ, auf dem er wirksamer und würdiger als alle seine Genossen den Streit geführt hatte, fing der Stern Hirsaus, der kurz aber glänzend geleuchtet hatte, an, zu erbleichen. Im Aureliuskloster, das auf dem rechten Ufer der Nagold stand, hat Wilhelm seine Arbeit geleistet.
Wann ist dieses ältere Kloster gegründet worden? Ein Sagenkreis umgibt dasselbe, den die geschichtliche Forschung zerstören muß. Zwar die Erzählung von einer frommen Witwe Helizena aus Calw, die, durch ein Traumbild veranlaßt, schon im Jahr 645 ein Gotteshaus in Hirsau gestiftet haben soll, ist eine erst im Jahr 1534 erfundene Erdichtung, die von Speier aus an Abt Johann III gesandt wurde, vermutlich mit der
Absicht, Herzog Ulrich, der das Kloster und seinen reichen Besitz einzuziehen in Begriffe stand, womöglich durch Geltendmachung seines ehrwürdigen Alters von seinem Vorhaben abzuhalten. Dagegen wurde die Erzählung von der Gründung des Aureliusklosters im Jahr 830 während der Regierungszeit Kaiser Ludwigs des Frommen, wenn auch nicht ohne Fragezeichen, bis in unsere Gegenwart für geschichtlich gehalten und bedarf daher einer näheren Untersuchung.
Ihre Hauptstütze hat diese Ansicht in der durch König Heinrich IV. am 9. Oktober 1075 in Worms ausgestellten Urkunde, die im Kgl. Staatsarchiv in Stuttgart aufbewahrt wird. Hier wird dem Kloster, seinem Abt Wilhelm und dessen Nachfolgern völlige Freiheit von jeder weltlichen und bischöflichen Gewalt, Schutz gegen jeden etwaigen Eingriff seines Schutzvogts und Gründers, Graf Adalbert von Calw, in seine Rechte, auch freie Wahl des Abts und des Vogts zugesichert. An der Echtheit dieses Hauptinhalts, an der Richtigkeit des Datums und des Orts, an dem dieser königliche Schutzbrief ausgestellt wurde, zu zweifeln liegt kein Grund vor. Aber ebenso sicher ist, daß die Urkunde in ihrer vorliegenden Gestalt spätere Einschaltungen in sich schließt.
Geschichtlich unmöglich ist die in der Urkunde erwähnte Klostergründung unter Ludwig dem Frommen durch einen edeln „Senator" Erlasrid, als Vorfahren der Calwer Grafen, und durch dessen Sohn, Bischof Noting von Vercelli. Einen Senator hat es in Deutschland niemals gegeben; in Vercelli existierte niemals ein Bischof Noting; ein Bischof dieses Namens regierte von 920—935 in Konstanz und dieser schenkte dem Kloster Reichenau einen Teil von Hirsau, deffen Name damals zuerst vorkommt. Auch gab es im karolingischen Zeitalter noch keine Burg Calw, die erst im Laufe des 11. Jahrhunderts gebaut wurde, viel