4:2
Tagen umlausende Gerüchte über einen Schutzmann, der die zur Kontrolle in das städtische Untersuchungsamt eingelieserte Milch verwässert hat, bestätigen sich. Der seit etwa sechs Wochen der Gesundheitspolizei beigegebene Schutzmann I. hat in 18 Fällen die von den Milchhändlern zur Kontrolle entnommene Milch unterwegs oder aber im Untersuchungsamt selbst kurz vor der Kontrolle mit Wasser verdünnt. Er wollte damit bezwecken, daß er zur Entnahme von Stallproben in das betreffende Ort geschickt werde, wofür Diäten bezahlt werden. Die in zwei Fällen erhobene Anklage wegen Milchfülschung konnte wieder zurückgenommen werden.
S chwaigern OA. Brackenheim 27. April. Das Vorgehen von Nordheim in der Bekämpfung der Feldmäuse macht Schule. Der hiesige Gemeinderat hat beschlossen, den Mäusekrieg sofort zu eröffnen und als Alunition 4 Zentner vergifteten Hafer zu bestellen und nach Eintreffen desselben sofort auf der Markung auszulegen.
Gerlingen O.A. Leonberg 20. April. Tie Untersuchungen bei der Darlehenskasse sind nach mehrwöchiger Dauer abgeschlossen. Der Fehlbetrag wurde auf 59 000 -.// festgestellt. Der Rechner, der seither auf freiem Fuße war, wurde in Haft genommen. Tie Aufregung ist groß. Unaufgeklärt ist, wohin der Mann, der hier das größte Vertrauen genoß, das Geld brachte.
Großeislingen O.A. Göppingen 27. April. Die Verteilung der auf die Ergreifung des Massenbrandstifters Lipv ausgesetzten Belohnung von 8500 -// ist jetzt endgültig geregelt. Den Hauptanteil hat der junge Mann erhalten, der Lipps Festnahme nach seiner Flucht durch die Fils bewirkte; außerdem sind noch einige Privatpersonen und Angestellte der Sicherheitsbehörden mit Geldbelohnungen bedacht worden. Auf Ersuchen der Gemeinderäte von Groß- und Kleineislingen haben jetzt auch die Eislinger Polizeiorgane Belohnungen erhalten.
Endingen OA. Balingen 27. April. Bei der gestern stattgehabten Schultheißenwahl wurde der seitherige Amtsverweser Hengstbcrger mit 114 Stimmen bei 118 Wahlberechtigten einstimmig gewählt. Eine so einmütige Wahl wird fetten Vorkommen.
Friedrichshafen 27. April. Gestern abend veranstalteten die christlichen Gewerkschaftler wegen der am hiesigen Zeppelin- ho llenkau auf Drängen der sozialdemokratischen Gewerkschaften erfolgten Entlassung eines christlich-organisierten Zimmermanns eine Protest Versammlung. Diese fand im Saale der -Kronenbrauerei statt und war von den Anhängern der beiden Organisationsrichtungen stark-besucht. Gewerkschastssekretär Kru g-Stutt- gart sprach in sachlicher Weise über das Thema:
„Richtet sich der Klassenkampf der freien Ge- . werkschafren nur gegen die Arbeitgeber oder auch ! gegen die Arbeiter?" Den Gegnern war volle Redefreiheit in der Diskussion von der Leitung garantiert worden. Doch kam es wiederholt zu äußerst heftigen, tumultuarischen Szenen, die sich derart zuspitztcn, daß der Gastwirt und die Polizei die Leitung des Abends auffordern mußten, die Versammlung zu schließen. Nach der Versammlung gaben Mitglieder der sozialdemokratischen Organisation die Erklärung ab, daß sic das Vorgehen ihrer Vertreter in der Versammlung auf das entschiedenste mißbilligen.
Pforzheim 27. April. Der hier ausgebrochene Maurerstreik gibt zu allerlei Erörterungen Anlaß. Man erinnert daran, daß den Winter über von der Stadtverwaltung zehntausende von Mark für Notstandsarbeiten ausgegeben wurden. Kaum aber ist die Zeit herangekommen, in der gebaut werden könnte, so wird gestreikt, weil die Arbeiter eine Lohnerhöhung und Verkürzung der Arbeitszeit am Samstag und Montag verlangen und nicht erhalten. Die Zeit ist aber so ungünstig wie möglich, um eine Lohnerhöhung zu fordern. Ter Verdienst der Unternehmer ist gegenwärtig aufs äußerste herabgedrückt. Die Unternehmer bezw. Handwerker machen bei Submissionen Abgebole bis 25"-» und sogar 30° o am Anschlag. Nickt selten kommt es vor, daß als Zahlung der Bauarbeit Grundstücke oder gar ein fertiges Haus in Tausch genommen werden muß. Dabei sind zurzeit Häuser hier schlecht verkäuflich und nicht sehr gut vermietbar. Unter diesen Umständen wird nur halb soviel gebaut als früher und werden zahlreiche genehmigte Pläne auf nächstes Jahr verschoben, von dem man eine Besserung bont. Fast täglich kann man in den Zeitungen Bauplätze zum Verkauf ausgeschrieben sehen, mit bereits genehmigten Plänen. Die Zeiten zu höheren Lohnforderungen oder zu einem Streik sind demnach so ungünstig wie möglich.
Berlin 27. April, lieber den Besuch Kaiser Wilhelms in Wien wird von dort gemeldet, daß die Ankunft des Kaisers nach dem 20. Mai erfolgen wird. Die Einladung von seiten Kaiser Franz Josephs erfolgte schon am Samstag. Kaiser Franz Joseph sprach beim Mahl dem deutschen Kronprinzen gegenüber den Wunsch aus, Kaiser Wilhelm in diesem Jahr wieder in Wien begrüßen zu können. Der Kronprinz, der sofort nach Korfu über seinen Empfang in Wien berichtete, erwähnte darin auch den Wunsch des östreichischen Kaisers. Am Sonntag nachmittag langte die Antwort des Kaisers aus Korfu an, „er werde glücklich sein, auf dem Heimweg von Korfu einen Tag mit Kaiser Franz Joseph verbringen zu können."
Berlin 27. April. (Reichstag). Die Beratung der Justiz-Novelle wird fortgesetzt. 8 392 der Zivil-Prozeß-Ordnung handelt von. der Eidesleistung. Der Voreid des Zeugen, wie er bisher bestand und nur ausnahmsweise durch den Nacheid ersetzt wurde, soll fortan allgemein dem Nacheid weichen. Abg. Kirsch (Zentrum) beantragt, in dem Eid die Worte wegfallen zu lassen, daß der Zeuge auch nichts hinzugesetzt habe zu der reinen Wahrheit. Nach kurzer Debatte wird dieser Antrag angenommen. Zum 8 481 iEidesformel) befürwortet Abg. Ablaß (frs. V.) einen Antrag dahin, demjenigen Schwurpflichtigen, welcher die Anrufung Gottes in der Eidesformel zurückweist, die Eidesleistung in der Weise zu gestatten, daß er erklärt, ich schwöre es, also unter Wegfall des Zusatzes: So wahr mir Gott helfe. Die religiöse Eidesleistung dürfe nicht von Staatswegen erzwungen werden. Es sei die höchste Zeit, mit dem bisherigen Eides-System zu brechen. Abg. de Witt (Zentr.j lehnt den Antrag ab. Abg. Schräder (frs. Vg.) erklärt dies für sonderbar. Staatssekretär Dr. Nieberding lehnt den Antrag Ablaß ab. (Beifall rechts). Das deutsche Volk halte in seiner großen Mehrheit immer noch an den alten Anschauungen fest. Abg. Frank (Soz.) tritt für den Antrag ein. Abg. Kirsch (Zentr.) spricht sich dagegen aus. Abg. Ever- ling lnatl.) lehnt ebenfalls den Antrag in der vorliegenden Form ab, ebenso Abg. Kölle lw. V.). Abg. Müller-Meiningen (frs. Vp.) meint, es handle sich um eine ernste Weltanschauungsfrage. Setze man doch an Stelle der Worte: Ich schwöre, einfach: Ich gelobe. Seine Freunde wollten die positiv Gläubigen nicht bedrängen. Wenn die Frage nicht im Plenum gelöst werde, so weise man die betreffenden Bestimmungen an die Kommission zurück. Der freisinnige Antrag werde immer wieder kommen. Abg. Schultz (Rp.) Der Antrag gehört nicht in den Rahmen dieser Novelle. — Es cntspinnt sich hierauf noch eine längere Geschäftsordnungs-Debatte darüber, daß der Referent Abg. Heinze in seinem Schlußwort die Ablehnung des Vorschlages auf Zurückverweisung empfahl. — Der Antrag auf Rückverweisung wird schließlich abgelehnt, ebenso der Antrag Ablaß, die Bestimmung über die Eidesformel in der Komniissionsfassung angenommen. Eine lange Reihe von Paragraphen wird nach den Kommissionsvorschlägen erledigt zum Teil unter Zurückziehung vorliegender Anträge. — Ein Antrag Schultz (Rp.) der sich gegen die Zwangseintragung kleiner Hypotheken unter 300 ^ richtet, wird angenommen. — Bei der Novelle zum Gerichtskostengesetz wird ein Antrag von Dziemboivsky (Pole) auf Streichung des 8 87, Absatz 2, betr. die Gerichtskosten bei der Inanspruchnahme des Armenrechts angenommen. Die Gebührenordnung für Rechtsanwälte wird
Häuser'einer Stadt aus Nebeln empor, und eine dichte Rauchsäule verriet das Nahen eines Dampfers, der seine Fahrt bergab eilig verfolgte.
Wolf Dietrich sah das Boot kommen und verschwinden, und er sah daran wohl, wie lange schon er hier saß und wartete. Noch lag auf den Höhen das Licht des schwindenden Tages, aber drunten wurde es schon Nackt. Er zog voller Ungeduld die Uhr.
Unbegreiflich! Wenn sie nicht käme! — Regina, endlich!"
^ Mit raschen Schritten war eine hohe, schlanke Frauengestalt eingetreten, sie hatte vorsichtig die Tür hinter sich zugezogen und warf sich an die Brust des Mannes, den sie liebte.
' E^ war als ob die heimlichen Stimmen des Waldes den Atem verhielten; als wüßten sie, daß das Leben dieser beiden Menschenkinder an dem Wendepunkt angekommen war, wo alles Glück zu Ende geht und das Leid beginnt. Und vor diesen beiden kraftvollen Menschen lag ja noch ein langes Leben, der Weg war noch so weit und sollte dock von -un an in Einsamkeit gewandert werden, eins fern vom andern.
Noch wußten Wolf Dietrichs zärtliche Augen nichts vom Scheiden und Meiden, doch in Reginas dunklen Blicken kämpften heiße Liebe und brennendes Weh um den Sieg, aber der ihn davontrug war der Stolz, der auf ihrer weißen Stirn thronte, über die das weiche Haar sich wie eine Krone legte. Wie liebte Wolf Dietrich diesen Schmuck, seit er ihn in einer seligen Stunde zu seiner ganzen Fülle aufgelöst hatte sehen dürfen. Auch jetzt faßte er hinein, als wolle er den edel geformten Kopf von seiner Last befreien.
„Nicht, Wolf Dietrich, uns gehört nur kurze Zeit. Es hat Mühe gekostet, daß ich mich freimachte."
„Hat Tante dich wieder gequält, Regina? Ach, könnte ich dich doch mit mir nehmen, jetzt gleich, so wie du vor mir stehst, du mein einziges stolzes Lieb. Warum gebraucht man so viel zum Leben, besonders, wenn
die Scholle es nicht gibt. Da stehen wir beide hier in heißer Liebe geeint, mit der brennenden Sehnsucht uns zu eigen zu sein, aber unsere Vorfahren haben dafür gesorgt, daß uns kein trautes Herdfeuer brennen darf."
„Du mußt wieder in den Staatsdienst?"
„Mir bleibt nichts anderes übrig, Regina, Klein-Ellern wird von dem treuen Müller weiter bewirtschaftet und bringt dann so viel ein, daß ich mit ganz bescheidener Zulage leben kann. Mit der Diplomatenkarriere ist es nichts, das Gut ist zu sehr verschuldet."
„Also alle Hoffnung ist aus."
„Wir müssen eben warten."
„Woraus? Wann kannst du ein armes Mädchen heimführen? In zehn Jahren vielleicht."
„Warum auf einmal diese Verzagtheit, Regina? So kenne ich dick gar nicht. Haben die Ketten der Abhängigkeit diese schlanken Schultern wieder einmal wund gedrückt? Hast du deinen schönen Kopf zu hoch getragen, daß Tante Ellern ihn hat beugen müssen?"
„Nein, Wolf Dietrich, Vater hat wieder Dummheiten gemacht."
„Kann der noch immer nicht Ruhe halten? Alt genug ist er dazu."
„Er soll nicht noch tiefer sinken. Ich darf es nicht leiden, daß ein Kraußneck verkommt und vielleicht mit den Gesetzen in Konflikt gerät."
„Ihm ist nicht zu helfen."
„Mit Geld ist viel zu machen, er müßte eine auskömmliche Rente erhalten, die ihm in Monatsraten gezahlt würde, wenn er ein ordentliches Leben führt. Vor allen Dingen muß er aus Berlin fort und diesen gefährlichen Hochstaplerkreisen entrückt werden."
„Und wer soll diese Rente zahlen?" fragte Wolf Dietrich und blickte scharf zu der Geliebten hin, die verzweifelt vor sich hinstarrte. „Du schweigst? — Ich kann die Antwort von deinen stummen Lippen lesen, von den tiefen Falten deiner Stirn, Regina und dem trostlosen Ausdruck